Die Seite 3

Verunreinigtes Valsartan – alles halb so wild!?

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Wer geglaubt hat, dass nach der Rückrufwelle potenziell verunreinigter Valsartan-Präparate nun langsam Ruhe an der Front einkehrt, der muss sich eines Besseren belehren lassen. Mit etwas Verzögerung haben nun auch die großen Fernsehmagazine und weitere Medien die Brisanz der Kontamination mit dem als wahrscheinlich krebserregend eingestuften N-Nitrosodimethylamin (NDMA) entdeckt, so dass viele weitere Patienten zutiefst verunsichert Rat suchen und einen Präparatewechsel wünschen. Den Ärger laden sie oft genug in der Apotheke ab: Warum hat sie keiner informiert, warum werden die betroffenen Präparate nicht einfach umgetauscht? Und dann natürlich die bange Frage: Bekomme ich jetzt Krebs?

Nach anfänglichem Stochern im Nebel haben wir inzwischen dank der Stichproben des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker zumindest eine ungefähre Vorstellung, in welchen Konzentrationen NDMA in zurückgerufenen Produkten mit dem Wirkstoff des chinesischen Wirkstoffherstellers Zhejiang Huahai Pharmaceutical enthalten gewesen sein könnte. Doch wie dramatisch ist die Situation?

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker hat auf Basis eines auch von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit verwendeten Verfahrens einen Margin-of-Exposure (MoE)-Wert von 170 für die höchste gefundene NDMA-Konzentration errechnet und stuft ihn als besorgniserregend ein. Die FDA und die EMA haben auch eine vorläufige Risikobewertung vorgenommen: Sie gehen von einem zusätzlichen Fall einer Krebserkrankung bei 8000 bzw. 5000 Patienten aus, die ein hochverunreinigtes Präparat über vier beziehungsweise sieben Jahre eingenommen haben. Bei nüchterner Analyse der FDA- und EMA-Zahlen, wie sie Dr. Reinhard Herzog in dieser Ausgabe der DAZ vornimmt, ist danach alles halb so wild (s. S. 19).

Doch ehrlich gesagt habe ich so meine Schwierigkeiten, diese statistischen Zahlenspiele und die daraus abzuleitende Botschaft einem Betroffenen zu vermitteln. Kann man wirklich Entwarnung geben vor dem Hintergrund, dass das individuelle Risiko ganz eng verknüpft ist mit der individuellen Auslastung und Leistungsfähigkeit der körpereigenen Reparaturmechanismen? Und was sagen wir Patienten, die unter der Valsartan-Therapie eine Krebserkrankung entwickelt haben? Sie werden sich kaum mit dem Hinweis abfinden wollen, dass sie rein statistisch gesehen mit oder ohne verunreinigtem Valsartan erkrankt wären. Natürlich könnten wir sie damit konfrontieren, dass das Risiko, an Krebs durch NDMA in Valsartan zu erkranken, verschwindend gering ist im Vergleich zu anderen Erkrankungsrisiken. Doch das empfinde ich in dieser Situation einfach nur als zynisch.

Denn es kann nicht sein, dass bei Syntheseumstellungen niemand auf dem Schirm hat, dass andere als die im Arzneibuch aufgeführten Verunreinigungen auftreten können. Es kann auch nicht sein, dass erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, man mal bei anderen Herstellern nachschaut und „völlig überraschend“ auch dort fündig wird (s. S. 15). Irgend­etwas läuft gerade gehörig schief. Das Kontrollsystem scheint großflächig versagt zu haben. Es muss dringend auf den Prüfstand, und es muss gewaltig nach­gebessert werden. Wenn man aber einen Blick auf weitere Arzneimittel-Skandale dieser Tage wirft – angefangen bei den gepanschten Impfstoffen in China bis hin zu dem undurchsichtigen Handel mit Krebsmedikamenten – dann muss man resigniert festhalten, dass auch mit einer stark aufgerüsteten Kontrolle nur schwer der Wettlauf gegen Skrupellosigkeit und sich immer weiter ausbreitende mafiöse Strukturen zu gewinnen ist.

Doris Uhl

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