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Beratung

Bewegung statt Schonung

Ob nach Infarkt, bei COPD, Krebs oder Rheuma – sportliche Aktivität hält den Körper in Schwung

Es war lange Zeit gang und gäbe, Menschen mit chronischer Erkrankung zur Schonung zu raten. Das hat sich gründlich geändert. Inzwischen empfehlen die Experten bei fast allen chronischen Krankheitsbildern ein regelmäßiges körperliches Training. Wie ein solches Training aussehen soll und was es bewirken kann, ist bei den jeweiligen Erkrankungen unterschiedlich und kann durchaus ein relevantes Beratungsthema in der Apotheke sein. | Von Christine Vetter

Nach einem Herzinfarkt, bei Krebserkrankungen, COPD, Arthrose und bei rheumatischen Erkrankungen galt Schonung lange als ratsam – in der Vorstellung, so Kraft zu sparen und die Regeneration zu fördern. „Mittlerweile hat es eine Kehrtwende gegeben, weg von der Schonung und hin zu einem regelmäßigen körperlichen Training“, berichtet Christian Neuwahl, Physiotherapeut aus Düsseldorf. Selbstverständlich ist laut Neuwahl direkt nach einem Infarkt oder einem Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelkompression kein Leistungssport angesagt. Aber der Betreffende wird zu einem moderaten körperlichen Training motiviert und im Idealfall unter Anleitung eines Therapeuten auf seinem Weg zurück in den Alltag begleitet.

Dabei sollen allgemein die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert sowie die Koordination und Mobilität und damit die Alltagskompetenz gebessert werden – Aspekte, die meist auch ein deutliches Plus an Lebensqualität bedeuten. Bei den jeweiligen Erkrankungen gibt es bei entsprechendem Training aber noch weitaus mehr positive „Neben­effekte“.

Herzinfarkt, KHK und Herzinsuffizienz: Sport als Herz-Kreislauf-Training

Auch Menschen mit chronischer Herzerkrankung, egal ob in Form der KHK oder der Herzinsuffizienz – wird heutzutage zur Teilnahme an einem Bewegungsprogramm geraten, sobald die klinische Situation zum Beispiel nach einer Ballondilatation und Stentimplantation oder Bypass-Operation wieder stabil ist. Den Patienten wird üblicherweise eine Rehabilitationsmaßnahme angeboten, allerdings ist die Compliance in dieser Hinsicht begrenzt [1].

Doch unabhängig davon, ob eine Reha-Maßnahme erfolgte oder nicht, sollten die Betreffenden zur regelmäßigen körperlichen Aktivität motiviert werden. „Das Training richtet sich nach der jeweiligen Grunderkrankung und der individuellen Gesundheits- und Leistungssituation des Patienten“, erklärt Physiotherapeut Neuwahl. Vor Aufnahme der körperlichen Aktivität ist daher eine Untersuchung und Beratung beim Kardiologen notwendig, betont er.

Das sportliche Training trägt nach seinen Angaben wesentlich dazu bei, den kardiologisch relevanten Risikofaktor der Bewegungsarmut zu mindern. Es lässt in aller Regel die Herzfrequenz sinken und entlastet so das Herz. Außerdem kommt es langfristig zu einer verbesserten Sauerstoffaufnahme und damit zu einer Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Davon profitieren Menschen mit KHK und ebenso Patienten mit einer Herzinsuffizienz.

Ideal ist die Teilnahme an einer Herzsportgruppe unter Anleitung und Überwachung durch einen Arzt oder Übungs­leiter. Solche Sportgruppen werden als spezielle Herzgruppe oder auch in Sportvereinen oder Fitness-Studios angeboten. So gibt es in Deutschland derzeit rund 6000 Herzgruppen, in denen etwa 120.000 Patienten mit Herzerkrankung Rehabilitationssport betreiben [2].

Davon abgesehen wird Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankung zu Ausdauersportarten im Sinne eines Herz-Kreislauf-Trainings geraten. Ideal sind zum Beispiel das Nordic Walking oder Fahrradfahren. Auch das Schwimmen ist empfehlenswert, wobei allerdings zu bedenken ist, dass der Wasserdruck auf dem Körper lastet und das Herz dadurch mehr arbeiten muss. Hinzu kommt, dass das Wasser in aller Regel kälter als die Körpertemperatur ist, was das Herz zusätzlich belasten kann. Vorsicht ist beim Kraftsport sowie bei Kampfsportarten geboten und ebenso bei Wettkampfsportarten, da solche Aktivitäten zum Teil mit erheb­lichen Blutdruckschwankungen einhergehen können.

Hinsichtlich der Trainingsdauer sind nach Angaben der Deutschen Herzstiftung vier bis fünf Trainingseinheiten von etwa einer halben Stunde pro Woche ideal. Allerdings sollte man sich an diesen Trainingsumfang erst langsam herantasten, um die Gelenke und das Herz-Kreislauf-System nicht zu überlasten. Wer zum Beispiel aus beruflichen oder familiären Gründen wenig Zeit hat, sollte keinesfalls komplett auf Ausdauersport verzichten. Denn auch ein nur ein- bis zweimal wöchentliches Training kann sich schon positiv auswirken [3].

Asthma und COPD: Mehr Luft durch sportliche Aktivität

Sowohl bei Asthma wie auch bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) ist die Dyspnoe ein Leitsymptom und kann die sportliche Aktivität limitieren. Da sich in aller Regel die Luftnot unter Belastung verstärkt, neigen nicht wenige Patienten dazu, Ängste zu entwickeln und Anstrengungen zu meiden [4]. Es droht ein Teufelskreis mit reduzierter körperlicher Aktivität im Alltag, Muskelabbau sowie Verschlechterung des Allgemeinzustands und der Lebensqualität [5]. Diese Entwicklung gilt es laut Neuwahl aufzuhalten, was durch ein regelmäßiges sportliches Training möglich ist. Es kann die körperliche Belastbarkeit steigern und beispielsweise die Auslöseschwelle für ein Anstrengungsasthma erhöhen. Das körperliche Training wirkt sich außerdem günstig auf den Schleimtransport in den Atemwegen aus, wovon insbesondere Patienten mit COPD profitieren können. Empfohlen wird auch bei den chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen ein an die individuelle Krankheitssituation angepasstes Training. Patienten, die nur leicht eingeschränkt sind, wird üblicherweise zu einem aeroben Ausdauertraining (Radfahren, Schwimmen, Walken bis hin zu leichtem Joggen) geraten. „Insbesondere bei Patienten mit gravierenden Einschränkungen ist darüber hinaus ein gezieltes Gewichtstraining zum Muskelaufbau sinnvoll, um nicht zuletzt auch die Atemhilfsmuskulatur zu stärken“, sagt der Physiotherapeut. Ratsam ist zudem die Teilnahme an speziellen Lungensport-Gruppen nach entsprechender Untersuchung und Beratung durch einen Pneumologen [6, 7].

Rheuma, Arthrose und Bandscheibenvorfall: Die Mobilität verbessern

Ähnlich wie die Dyspnoe Menschen mit chronischer Atemwegserkrankung häufig zur Bewegungsarmut verleitet, bringen Schmerzen Patienten mit chronischen Erkrankungen im Bereich des Bewegungsapparats oft dazu, sich körperlich zu schonen. Doch auch bei Rheuma, Arthrose und sogar nach einem Bandscheibenvorfall gilt die Devise: Wer mobil und leistungsfähig bleiben will, wird dieses Ziel nur mit einem regelmäßigen körperlichen Training erreichen.

Neben einem Ausdauertraining, wie es auch Herzpatienten empfohlen wird, sind für Menschen mit rheumatoider Arthritis wie auch anderen rheumatischen Erkrankungen Kräftigungsübungen wichtig, um die Muskelkraft zu stärken und damit die Gelenke zu entlasten. Trainiert werden sollte mit leichten Gewichten und an Geräten, idealerweise zwei- bis dreimal pro Woche für 30 bis 60 Minuten. Sehr empfehlenswert sind vor allem bei rheumatischen Erkrankungen ein Funktionstraining im Schwimmbad bei warmem Wasser sowie gezielte gymnastische Übungen. Das Training erfolgt idealerweise im Rahmen einer speziell auf Rheumapatienten abgestimmten Bewegungstherapie, wie sie beispielsweise von den Landesverbänden der Deutschen Rheuma-Liga angeboten wird [8]. Es erhält Muskel-, Gelenk- und Wirbelsäulenfunktionen und verbessert die Beweglichkeit.

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Nach einem Bandscheibenvorfall oder einer OP sollte unter Anleitung bald wieder begonnen werden, die wirbelsäulenumgebende Muskulatur und die Bauchmuskulatur zu kräftigen. So kann die Wirbelsäule stabilisiert werden.

Menschen mit Arthrose wird laut Neuwahl zudem zu einem moderaten Kraftsport-Training geraten, um den Muskel- und Halteapparat zu stärken und so die Gelenke zu entlasten und einem weiterem Gelenkverschleiß entgegenzuwirken. Zu vermeiden sind bei Arthrose jedoch Sportarten, die einen raschen und abrupten Bewegungswechsel erfordern wie das Tennisspielen oder Skifahren. Als besonders günstig gelten hingegen Sportarten, bei denen die Gelenke vom Körpergewicht entlastet werden wie Schwimmen sowie Aquajogging und auch das Radfahren entweder draußen in freier Natur oder auf dem Hometrainer.

Das gilt ebenso für Menschen mit endoprothetischem Gelenk­ersatz, denen zudem zu sogenannten Low-impact-Sportarten mit moderater Intensität wie Wandern, Schwimmen, Radfahren und Golf geraten wird [9]. „Durch gymnastische Übungen, am besten unter fachlicher Anleitung, kann zudem nach dem Gelenkersatz die Koordinationsfähigkeit und damit die Mobilität wieder verbessert werden“, so Neuwahl.

Interessanterweise wirkt sich nach seinen Ausführungen bei Erkrankungen des Bewegungsapparates auch ein mentales Training in Form von Meditation, Krankheitseduka­tion, aber auch Achtsamkeitsschulung positiv auf die Beweglichkeit aus [10]. Ratsam sind deshalb auch zum Beispiel Yoga, Tai-Chi und Tanzen, da sie die Mobilität bessern und die Körperwahrnehmung schulen.

Ein besonderes Problem stellt der Bandscheibenvorfall dar, bei dem es nach Abklingen der akuten Phase mit gegebenenfalls sogar einem operativen Eingriff darum geht, eine nachhaltige Stabilisierung der Rumpfmuskulatur zu erwirken und so einer Überbeweglichkeit der Wirbelsegmente und anschließender Degeneration gegenzusteuern. Neuwahl: „Vor allem bei der Aufnahme des Trainingsprogramms sollte auf schwere Gewichte und viel Rotation im Körper aber verzichtet werden, um Überlastungen und Schmerzen zu vermeiden. Übungen mit dem eigenen Körpergewicht reichen in aller Regel in der initialen Trainingsphase aus, um ein Muskelwachstum zu erwirken“ [11].

Weitere Informationen

Der Ratgeber „Sport, Bewegung und Krebs – Ein Ratgeber für mehr Sport im Leben – auch mit oder nach Krebs!“, den der Kreisverband Baden-Württemberg e. V. und die Arbeitsgruppe „Bewegung, Sport und Krebs“ am Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg herausgegeben haben, informiert ausführlich über die Möglichkeiten spezieller Trainingsformen und die therapiebedingten Grenzen sportlicher Aktivitäten für onkologische Patienten (www.nct-heidelberg.de/fileadmin/media/fuer_patienten/beratung/bewegung/OnkoAktiv/0706_Sport_und_Krebs_web.pdf). Geben Sie den Webcode S5RJ5 in die Suchfunktion auf DAZ.online unter www.deutsche.apotheker-zeitung.de ein und Sie gelangen direkt zum Ratgeber.

Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bietet für Patienten auf­bereitete, evidenzbasierte Informationen auf seine Seiten www.gesundheitsinformation.de. Zum Beispiel „Bewegung und Sport bei rheumatoider Arthritis“ (Webcode E8AC7), „Helfen Sportprogramme, fit zu bleiben?“ (Webcode E4RK8) oder „Brustkrebs: Wie Bewegung helfen kann“ (Webcode Z3VG4).

Krebserkrankungen: Das Rezidivrisiko senken, die Lebensqualität steigern

Zu einem Umdenken in puncto sportlicher Aktivität ist es in jüngster Zeit vor allem bei Krebserkrankungen gekommen. Statt wie früher zur Schonung zu raten, wird bei Tumorpatienten inzwischen eindringlich die Teilnahme an einem Sportprogramm propagiert. Denn körperliches Training ist für die Patienten „so wichtig wie ein Medikament“, betont die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) [12]. Als besonders vorteilhaft hat sich dabei ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining erwiesen, mit zusätzlichen Elementen zur Schulung von Flexibilität und Koordination. An das Krafttraining muss sich jedoch unbedingt eine Phase der Regeneration und Erholung anschließen. Klinische Studien haben nach Angaben der Gesellschaft gezeigt, dass körper­liches Training die Nebenwirkungen einer Chemo- oder antihormonellen Therapie reduzieren kann und insbeson­dere Begleiterscheinungen wie die Fatigue bessert. Es kann eine Steigerung der Leistungsfähigkeit und damit zugleich eine Stärkung des Selbstbewusstseins erwirkt werden, die Lebensqualität wird verbessert.

Körperliche Aktivität hat darüber hinaus direkte Einflüsse auf die Entstehung von Krebs, den Verlauf einer Krebserkrankung und senkt insbesondere das Rezidivrisiko. Laut DKG leistet körperliche Aktivität somit sowohl in der Primär-, Sekundär- und auch Tertiärprävention einen wichtigen Beitrag zur Krebsvorbeugung. So gehe man insgesamt davon aus, dass sportlich aktive Menschen ihr Risiko, an Krebs zu erkranken, durchschnittlich um 20 bis 30% reduzieren können. Tritt dennoch Krebs auf, haben Patienten, die vor ihrer Erkrankung regel­mäßig Sport getrieben haben, ein geringeres Rückfallrisiko. |

Literatur

 [1] Rauch B, Middeke M, Bönner G, Karoff M, Held K. Kardiologische Rehabilitation: Standards für die Praxis nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Prävention (Referenzreihe Kardiologie), Thieme Verlag, Auflage 1, 09/2007

 [2] Die Herzgruppen Deutschlands. Informationen der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen e. V., www.dgpr.de/Herzgruppen

 [3] Deutsche Herzstiftung, www.herzstiftung.de

 [4] Xu W et al. Anxiety in Patients with Chronic Cor Pulmonale and Its Effect on Exercise CapacityIran J Public Health 2016;45(8):1004-1011

 [5] Steer J et al. Predicting outcomes following hospitalization for acute exacerbations of COPD. QJM 2010;103:817-829

 [6] Puhan MA et al. Pulmonary rehabilitation following exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database Syst Rev 2016;12:CD005305

 [7] Worth H, Meyer A et al. Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga zum Sport und körperlichen Training bei Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen, www.vfg-meckenheim.de/data/empfehlungen_sport_training_COPD.pdf

 [8] Rheuma braucht Bewegung ... regelmäßig und kontinuierlich. Informationen der Deutschen Rheuma-Liga NRW, www.rheuma-liga-nrw.de/rheuma-info/bewegung/

 [9] Oehler N et al. Endoprothetischer Gelenkersatz und Sport. Sportverletz Sportschaden 2016;30(04):195-203

[10] Iversen MD, Hammond A, Betteridge N. Self-management of rheumatic diseases: state of the art and future perspectives. Ann Rheum Dis 2010;69:955-963, doi: 10.1136/ard.2010.129270

[11] Noormohammadpour K et al. The Role of a Multi-Step Core Stability Exercise Program in the Treatment of Nurses with Chronic Low Back Pain: A Single-Blinded Randomized Controlled Trial. Asian Spine J 2018;12(3):490-502

[12] Sport bei Krebs: So wichtig wie ein Medikament. Informationen der Deutschen Krebsgesellschaft e. V., www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/basis-informationen-krebs-allgemeine-informationen/sport-bei-krebs-so-wichtig-wie-.html

Autorin

Christine Vetter hat Biologie und Chemie studiert und arbeitet seit 1982 als Medizinjournalistin.

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