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Praxis

„Kurzfristig beschaffbar“

Die Notfalldepots der Apothekerkammern

Die Apotheken stellen die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicher und sind dafür im Normalfall ausreichend bevorratet. Werden seltene Seren und Impfstoffe benötigt, müssen die notwendigen Arzneimittel meist erst beschafft werden. Bei akuten Notfällen, beispielsweise bei Tierbissen oder Hepatitis-B-Infektionsverdacht, kann rasches Handeln und schnelle Verfügbarkeit für Patienten allerdings lebenswichtig sein. Daher gibt es für bestimmte Notfallarzneimittel bereits seit mehreren Jahrzehnten in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) Auflagen für eine kurzfristige Beschaffbarkeit. | Von Sigrun Rich, Isabelle Schneider und Beate Predel

Diese Verpflichtung der Apotheken wird durch die eingerichteten Notfalldepots der Apothekerkammern abgedeckt. Die ApBetrO nennt in § 15 Abs. 2 bestimmte Arzneimittel, die Apotheken vorrätig zu halten haben oder deren kurzfristige Beschaffung sie sicherstellen müssen. Diese Präparate stehen in den Notfalldepots der Apothekerkammern für eine kurzfristige Entnahme zur Verfügung.

Es handelt sich um bestimmte, selten benötigte Immunseren, Antitoxine oder Impfstoffe.

§ 15 Abs. 2 ApBetrO

Der Apothekenleiter muss sicherstellen, dass die Arzneimittel mit folgenden Wirkstoffen entweder in der Apotheke vorrätig gehalten werden oder kurzfristig beschafft werden können:

  • Botulismus-Antitoxin vom Pferd
  • Diphtherie-Antitoxin vom Pferd
  • Schlangengift-Immunserum, polyvalent, Europa
  • Tollwut-Impfstoff
  • Tollwut-Immunglobulin
  • Varizella-Zoster-Immunglobulin
  • C1-Esterase-Inhibitor
  • Hepatitis-B-Immunglobulin
  • Hepatitis-B-Impfstoff
  • Digitalis-Antitoxin
  • Opioide in transdermaler und in transmucosaler Darreichungsform

Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg beispielsweise stellt in fünf Notfalldepots im Land die notwendigen Präparate für alle Apotheken bereit, damit nicht jede Apotheke diese nur selten benötigten Arzneimittel selbst beschaffen und die Kosten für den Verfall tragen muss.

Die Notfalldepots in Baden-Württemberg befinden sich an den folgenden Standorten:

  • Stuttgart, Klinikum Stuttgart (Katharinenhospital)
  • Karlsruhe, Städtisches Klinikum
  • Freiburg, St. Josefskrankenhaus
  • Ulm, Universitätsklinikum
  • Villingen-Schwenningen, Schwarzwald-Baar-Klinikum

Traditionell werden diese Depots über die Apothekerkammern der Länder organisiert. Daher kann die Organisation von Bundesland zu Bundesland etwas unterschiedlich sein. So gibt es beispielsweise Unterschiede bei der Bevorratung mit Opioiden: In Baden-Württemberg werden in den Notfalldepots keine Betäubungsmittel eingelagert. Dies wäre organisatorisch nicht umsetzbar. Die in § 15 Abs. 2 ApBetrO vorgegebene Bevorratung oder kurzfristige Beschaffbarkeit von Opioiden in transdermaler und in transmucosaler Darreichungsform muss daher von jeder Apotheke selbst sichergestellt werden. Dabei reicht es auch hier nicht aus, sich auf die Belieferung durch den pharmazeutischen Großhandel zu verlassen. Denn diese Opioide müssen als Notfallpräparate auch an Wochenenden oder Feiertagen beschafft werden können. Im Zweifelsfall muss die Apotheke Präparate mit diesen Eigenschaften selbst einlagern.

Eine weitere Besonderheit, die nicht in allen Bundes­ländern so umgesetzt ist, ist die Verfügbarkeit von Rifampicin-Saft in den Notfalldepots. Bestimmte Mengen dieses Arzneimittels lagert die Apothekerschaft in Baden-Württemberg auf freiwilliger Basis in den Notfalldepots. Hier gab es bei diesem Präparat in der Vergangenheit immer wieder Versorgungsprobleme, wenn schwere Meningokokken-Infektionen bei Kindern und Jugendlichen aufgetreten sind.

Stimmen aus den Ländern

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„Aus Sicht der LAK Thüringen ist eine Reform des § 15 Abs. 2 ApBetrO dringend geboten, da die Verpflichtung, die dort geforderten Arzneimittel einzulagern, allein für die öffentlichen Apotheken gilt, Krankenhausapotheken sind von der Verpflichtung explizit ausgenommen. Da der Großteil der Arzneimittel jedoch allein stationär eingesetzt wird, führt die Regelung ins Leere. Darüber hinaus sind einige der Präparate in der erforderlichen Qualität gar nicht verfügbar. Wir freuen uns daher auf die Ein­ladung der Bundesapothekerkammer (BAK), die einen Vorschlag erarbeiten will, wie die Anforderungen realistisch gefasst und formuliert werden können.“ Landesapothekerkammer Thüringen

„Aufgrund ihres Status als Betäubungsmittel ist die Einlagerung der unter Punkt 11 gelisteten Opioide in transdermaler und transmucosaler Darreichungsform in die Notfalldepots leider nicht möglich. Deshalb müssen sie in jeder Apotheke verfügbar sein, um im Notfall eine schnelle Schmerzbekämpfung sicherstellen zu können. Sofern nicht ohnehin schon in der Apotheke vorrätig, weisen wir die Apotheken darauf hin, zumindest je eine Packung eines Opioid-Pflasters und eines sublingual anzuwendenden Opioids an Lager zu nehmen. In Ergänzung dazu haben sich Ärzte- und Apothekerkammer Nordrhein auf eine ‚Notfallliste Palliativversorgung‘ verständigt, mit der eine schnelle und reibungslose Versorgung ambulanter Palliativpatienten im Nachtdienst und an Sonn- und Feiertagen sichergestellt werden soll.“ Apothekerkammer Nordrhein

Eine Zusammenstellung aller Notfalldepots in Deutschland finden Sie auf DAZ.online, wenn Sie den Webcode F3KK8 in das Suchfeld eingeben.

Die Logistik der Notfalldepots

Die Arzneimittel in den fünf Notfalldepots in Baden-Württemberg können jederzeit von den Apotheken im Land oder von Apotheken an den unmittelbaren Landesgrenzen entnommen werden. Wo die Notfalldepots sind, wie sie telefonisch erreichbar sind und welche Arzneimittel dort bevorratet sind, ist in der „Gelben Notfalltafel“ aufgelistet, die jeder Apotheke als Aushang zur Verfügung steht.

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Gelbe Notfalltafel der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.

Die Notfalldepots sind entweder in der Krankenhausapotheke oder in einer Station eines Krankenhauses angesiedelt. Die Arzneimittel lagern dort in einem speziellen Kühlschrank und sind rund um die Uhr verfügbar. Die Ausgabe erfolgt durch einen Mitarbeiter in dem Krankenhausbereich, in dem das Notfalldepot lagert. Die Entnahme wird dokumentiert und an die Landesapothekerkammer gemeldet. Die entnehmende Apotheke muss dann die Kosten für das nachbestellte Präparat übernehmen. Da viele Präparate unter die Regelungen des Transfusionsgesetzes fallen, muss für die betreffenden Präparate natürlich eine entsprechende Dokumentation in den Notfalldepots und bei der Abgabe in der Apotheke erfolgen. Die Prüfung, Dokumentation und Nachbestellung der Notfallpräparate in den Depots erfolgt durch die Krankenhausapotheker vor Ort. Diese Aufgabe wird zusätzlich zur Arbeit im Krankenhaus erledigt. Für dieses Engagement ist die Apothekerschaft sehr dankbar. Bei der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg erfolgt die Organisation und Koordination der Notfalldepots durch Apothekerinnen im Bereich Pharmazie und Wissenschaft.

Aufgrund der besonderen Struktur können Arzneimittel aus den Notfalldepots nur abgeholt werden. Die Abholung kann nur durch die Apotheke oder einen von der Apotheke beauftragten Boten erfolgen. Es besteht keine Liefermöglichkeit durch das Notfalldepot. Patienten oder Ärzte können aus den Notfalldepots keine Arzneimittel entnehmen. Die entnommenen Arzneimittel müssen in der Apotheke an den Patienten abgegeben werden. Außerdem besteht in den Notfall­depots keine Möglichkeit, Apotheken oder gar Patienten zu den Präparaten zu beraten.

Zahlen, Daten, Fakten der Nacht- und Notdienste

Im vergangenen Jahr leisteten die etwa 19.748 Apotheken in Deutschland 470.000 Nacht- und Notdienste (410.000 Volldienste von 20 bis 6 Uhr sowie 60.000 Teildienste). Pro Nacht- und Notdienst waren etwa 1300 Apotheken ge­öffnet und versorgten rund 20.000 Patienten pro Dienst. Wie häufig eine Apotheke Notdienst leistet, hängt davon ab, wo sie sich befindet. In der Stadt München beispielsweise muss eine Apotheke 14 Mal Notdienst im Jahr leisten, im ländlichen Rothenburg dagegen 74 Mal.

Insgesamt wurden in den Nacht- und Notdiensten 2017 fast zwei Millionen Arzneimittel an gesetzlich Versicherte abgegeben, davon etwa eine halbe Million nicht rezeptpflichtige Arzneimittel.

Apotheken erhalten einen Zuschuss aus dem Notdienstfonds des Deutschen Apothekerverbandes (DAV). Pro geleistetem Volldienst lag diese Pauschale 2017 durchschnittlich bei 277 Euro.

Quelle: Die Apotheke - Zahlen, Daten, Fakten 2018, ABDA

„Gelbe Notfalltafeln“ weisen den Weg

Die Informationen zur Verfügbarkeit und Entnahme von Arzneimitteln aus den Notfalldepots sind in Baden-Württemberg traditionell in der „Gelben Notfalltafel“ kompakt zusammengefasst. Dieser Aushang, der den Apotheken von der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt wird, enthält alle notwendigen Informationen zur Erreichbarkeit und Bestückung der Notfalldepots mit den kurzfristig zu beschaffenden Notfallpräparaten. Dadurch sind die erforderlichen Informationen in der Apotheke jederzeit leicht zugänglich. Natürlich sind alle Informationen zu den Notfalldepots für die Apotheker im Land auch auf der Homepage der Landesapothekerkammer abrufbar. Dort gibt es auch eine Übersicht „Was lagert wo?“.

Die Nutzung der Notfalldepots variiert ständig. Insgesamt wurden im letzten Jahr 161 Packungen aus den Notfalldepots entnommen. 91 Packungen mehr als noch im Jahr 2016. Signifikant war die Entnahme des Tollwut-Impfstoffs (Tollwut-Impfstoff HDC®). Diese hohe Entnahmezahl ist größtenteils auf den Versorgungsengpass bei den in Deutschland zur Verfügung stehenden Tollwut-Impfstoffen zurückzuführen. In solch schwierigen Versorgungssituationen wird verstärkt auf die Notfalldepots der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg zurückgegriffen.

161 Packungen wurden 2017 aus den Notfalldepots der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg entnommen. Quelle: LAK BW

Neben dem Tollwut-Impfstoff wurde von den Apotheken dementsprechend auch häufig Tollwut-Immunglobulin entnommen. Aber auch Rifampicin-Sirup, Hepatitis B-Immunglobulin oder Schlangengift-Immunserum wurden von den Apotheken in Einzelfällen benötigt.

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Ausblick

Die Kosten für die Bestückung und Unterhaltung der Notfalldepots sind für die Apothekerschaft in Baden-Württemberg wie auch in den anderen Bundesländern nicht unerheblich und können pro Depot leicht über 10.000 Euro liegen. Auch der Aufwand für die Entnahme durch die Apotheke ist hoch. Neben dem zeitlichen Aspekt gibt es oft erhebliche Fahrtkosten, die bei einem solchen Notfall für die Entnahme entstehen. Zum Glück sind Notfälle, in denen diese Arzneimittel benötigt werden, sehr selten. Über die Hälfte der einzulagernden Präparate wird darüber hinaus nicht in den öffentlichen Apotheken benötigt, da sie nur unter intensivmedizinischer Betreuung im Krankenhaus zum Einsatz kommen. Diesbezüglich gibt es sicherlich auch in Zukunft noch weiteren Aktualisierungsbedarf für die Apothekenbetriebsordnung. Ein weiteres Problem, das sich in Zukunft noch verstärken wird, ist die Einstellung der Produktion von seltenen Antitoxinen und Immunseren in Europa. Diphtherie-Antitoxin ist beispielsweise nicht mehr aus Europa zu beziehen. Die Beschaffung eines Antitoxin-Präparates in ausreichender pharmazeutischer Qualität war daher in den letzten Jahren nicht mehr möglich. Schutzimpfungen werden aus diesem Grund besonders für den Schutz vor einer Diphtherie­Erkrankung immer wichtiger. Weitere der gesetzlich vorgeschriebenen Präparate müssen ebenfalls aus dem Ausland importiert werden. Dabei wird es immer schwieriger, Ersatz in ausreichender Qualität zu beziehen. Nicht nur unter diesen Aspekten müssen die Regelungen in § 15 Abs. 2 Apothekenbetriebsordnung für die Zukunft immer wieder neu überdacht werden. |

Autoren

Dr. Sigrun Rich, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Leitung des Bereichs Pharmazie und Wissenschaft und des Infocenters der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg

Isabelle Schneider, Apothekerin im Fachbereich Pharmazie und Wissenschaft und des Infocenters der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, Ansprechpartnerin für die Notfalldepots

Beate Predel, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie und Arzneimittelinformation in der Universitätsapotheke Tübingen, durch die Teilnahme an der zentralen Rufbereitschaft Einbindung in die Logistik und Notfallbeschaffung von dringend benötigten Arzneimitteln in der zentralen Arzneimittelausgabe, Mitglied des Vorstandes der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg

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