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Arzneimittel und Therapie
Ginkgo und Pentoxifyllin bei Tinnitus – mehr als teure Placebos?
Ein Kommentar von Carolin Straub
Kürzlich wurde im International Journal of Clinical Pharmacy eine Studie veröffentlicht, die die Wirksamkeit des Ginkgo-Spezialextraktes EGb 761® (enthalten in Tebonin®) im Vergleich zu Pentoxifyllin bei chronischem Tinnitus belegen soll [Procházková et al. 2018]. Randomisiert, doppelblind, aktives Vergleichspräparat, rund 200 Patienten – so stellt man sich evidenzbasierte Medizin vor! Die Daten scheinen auf den ersten Blick zu überzeugen: Nach zwölfwöchiger Behandlung besserten sich die Tinnitusbeschwerden gegenüber dem Ausgangswert in beiden Behandlungsarmen signifikant. Und das bei Patienten, die seit Jahren an Tinnitus litten und mehrere erfolglose Behandlungsversuche hinter sich hatten. Die psychische Belastung, die anhand von Fragebögen zu Angst und Depression erfasst wurde, konnte bei Patienten mit erhöhten Scores zu Therapiebeginn ebenfalls verringert werden – mit EGb 761® im Gegensatz zu Pentoxifyllin signifikant. Nebenwirkungen waren in der Ginkgo-Gruppe deutlich seltener. Soweit so gut. Doch ist Pentoxifyllin wirklich ein geeignetes Vergleichspräparat? Das durchblutungsfördernde Mittel hat zwar eine Nach(!)Zulassung in der Indikation Tinnitus („Durchblutungsbedingte Innenohr-Funktionsstörungen wie Schwerhörigkeit, Hörsturz u. a.“), ob Pentoxifyllin störende Ohrgeräusche wirksam lindern kann, steht auf einem anderen Blatt. Wirksamkeitsstudien? Fehlanzeige. Doch nicht ganz: Eine kleine placebokontrollierte Studie an 30 Tinnituspatienten aus dem Jahr 1989 ist in PubMed zu finden. Mit dem Ergebnis: Kein Unterschied zwischen Pentoxifyllin und Placebo. Zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen darf Pentoxifyllin bereits seit April 2009 nicht mehr verordnet werden. In der aktuellen S3-Leitlinie „Chronischer Tinnitus“ wird das Altarzneimittel keines Wortes gewürdigt. Empfehlung sieht anders aus.
Zweifelhafter Komparator
Wir haben die Firma Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co gefragt, wieso Pentoxifyllin als Komparator gewählt wurde. In der Originalpublikation wurde der Hersteller des Ginkgo-Spezialextraktes – obwohl dieser die Studie gemäß Eintrag im ISRCTNregistry finanziell unterstützt hat – unter „Funding“ übrigens nicht aufgeführt. Good Publication Practice war hier vielleicht nicht das größte Interesse ...Die Firma Schwabe begründet die Wahl des Komparators mit der praktischen Relevanz, da Pentoxifyllin bei Tinnitus häufig verordnet wird. Nun kann man sich fragen, ob häufig eingesetzte Mittel zwangsläufig auch sinnvoll sind. Noch häufiger kommt im klinischen Alltag Ginkgo biloba zum Einsatz. Wie sieht es hier mit Wirksamkeitsbelegen aus? Der Hersteller bringt „harte“ Evidenz ins Spiel: Dass EGb 761® wirksamer als Placebo sei, sei in acht doppelblinden Studien gezeigt worden [Review von Bötticher et al. 2011].
Schaut man sich diese Übersichtsarbeit etwas genauer an, beginnt das Bild zu bröckeln. Nur in drei der Studien wurde EGb 761® bei „echten“ Tinnituspatienten untersucht (in den anderen Studien war Tinnitus eine Komorbidität einer Demenzerkrankung). Zu der Übersichtsarbeit merkt die S3-Leitlinie außerdem an, dass nur eine der drei Studien positiv gewesen sei und diese vom Autor als Grundlage seiner Empfehlung genommen wurde. Unter Berücksichtigung aller verfügbarer Evidenz – darunter auch neue hochwertige Metaanalysen – kommt die Leitlinie zu dem Schluss: „Eine spezifische Arzneimitteltherapie mit nachgewiesener Wirksamkeit zur Behandlung des chronischen Tinnitus steht nicht zur Verfügung.“
Verpasste Chance
Was macht man nun mit den aktuellen Studiendaten? Zieht man den Schluss, dass leidenden Tinnituspatienten sowohl mit Ginkgo-Extrakt als auch mit Pentoxifyllin geholfen werden kann – oder geht man recht in der Annahme, dass es sich bei beiden „Therapieoptionen“ um nicht viel mehr als teure Placebos handelt? Schade, dass in der an und für sich gut konzipierten Studie die Chance verpasst wurde, die Diskussionen um die Wirksamkeit von Ginkgo bei Tinnitus – welche bereits in DAZ 2014, Nr. 26 ausgiebig geführt wurden – zu beenden. Durch einen zusätzlichen Placebo-Arm wäre dies vielleicht möglich gewesen. |
Quelle
Procházková K et al. Ginkgo biloba extract EGb 761® versus pentoxifylline in chronic tinnitus: a randomized, double-blind clinical trial. Int J Clin Pharm 2018; doi: 10.1007/s11096-018-0654-4
Was ist belegt für Pentoxifyllin (Trental, Generika)? a-t 2012;43:93-94; www.arznei-telegramm.de, Abruf am 24. Juli 2018
Salama NY et al. Efficacy of oral oxpentifylline in the management of idiopathic tinnitus. ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 1989;51(5):300-304
Fachinformation Trental® 400 mg, Retardtabletten, Stand Juni 2016
Chronischer Tinnitus. S3-Leitlinie. AWMF-Register Nr. 017/064, Stand 02/2015
von Boetticher A. Ginkgo biloba extract in the treatment of tinnitus: a systematic review. Neuropsychiatr Dis Treat 2011;7:441-447
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