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Feuilleton
Macht uns die Stadt krank?
Warum wir mehr Bäume und Flüsse in den Metropolen brauchen
Feinstaub und Stickoxide sind aufgrund des dichten Straßenverkehrs insbesondere in Städten ein Problem [1]. Sie begünstigen die Entstehung von Autoimmunerkrankungen, sodass es nicht verwunderlich ist, dass aktuell achtmal so viele Stadtkinder an Asthma erkranken wie im ländlichen Raum [2]. Feinstaubkonzentrationen, die bereits deutlich unter den aktuellen EU-Grenzwerten liegen, können Lungenkrebs hervorrufen [3]. Feinstaub steht zudem im Verdacht, im Gehirn Entzündungen auszulösen [4]. Dadurch kann die Entstehung von Depressionen und psychischen Störungen begünstigt werden [5]. Es wäre also möglich, dass Feinstaub neben psychosozialen Faktoren eine der Ursachen darstellt, weshalb Stadtbewohner im Vergleich zur Landbevölkerung mit 12 bis 20 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit an einer Depression und mit 68 bis 77 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit an einer Psychose erkranken – je nach Stadtgröße [6].
Von Seoul bis Leipzig – die Befreiung der Flüsse
Der Cheonggyecheon, ein Fluss in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, verlief bis vor einigen Jahren in Rohren unter der Stadt. Bis 2005 hat man ihn auf einer Strecke von elf Kilometern wieder an die Oberfläche geholt. Zwischen Wolkenkratzern und unter Schnellbahnbrücken ist ein neues Flussökosystem mit naturnaher Ufervegetation und Wasserfällen entstanden. Dadurch nehmen gesundheitsschützende Teilchen der Natur Einzug in die Millionenmetropole: Anionen. Durch Reibung laden sich Sauerstoffteilchen rund um Fließgewässer elektrisch negativ auf. Das Plasmagemisch aus Anionen und Wasserpartikeln beschleunigt, wenn wir es einatmen, durch Abgabe seiner negativen Ladung die Bewegungen unserer Flimmerhärchen und dadurch den Ausstoß von Schadstoffen und Erregern. Eine Studie der Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg, belegte einen signifikanten Rückgang der Entzündungen und klinischen Symptome asthmakranker Stadtkinder um 40 Prozent nach einem dreiwöchigen Aufenthalt an den Krimmler Wasserfällen, Europas größten. Dort wurden im Nahbereich der Wasserfälle bis zu 30.000 Anionen pro Kubikzentimeter Luft gemessen. Die Kinder spielten täglich in der Nähe des herabstürzenden Wassers. Die lindernde Wirkung hielt vier Monate an und konnte in einem weiteren Versuch auch bei asthmakranken Versuchsmäusen nachgewiesen werden [7]. Die Gesundheit der Stadtbewohner könnte also von mehr urbanen Erholungsräumen mit natürlichen Fließgewässern profitieren. Diese könnten wir, nach dem Vorbild Seouls, durch die „Befreiung“ unserer in den Untergrund verbannten Flüsse schaffen. So holte die Stadt Leipzig 2007 beispielsweise den Elstermühlgraben auf einer Strecke von einigen Hundert Metern zurück an die Oberfläche. Flussrenaturierungen leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Biodiversität in der Stadt und für den Hochwasserschutz. Wissenschaftliche Evidenzen legen sogar nahe, dass Anionen unsere psychische Stimmung verbessern. Die Symptome der klinischen Major-Depression ließen sich in einer Studie an der Columbia-Universität in New York, gemessen an der Hamilton Depression Rating Scale, durch Anionen in der Atemluft bei 32 teilnehmenden Patienten signifikant reduzieren [8].
Der Vormarsch der Stadtbäume
Auch Baumpflanzungen haben einen mehrfachen Nutzen für die Gesundheit der Stadtbewohner. Erstens absorbieren ihre Kronen und Blätter nachweislich Feinstaub und Stickoxide aus der Luft und würden somit einen Beitrag zur Eliminierung krankmachender Verkehrsabgase leisten [9]. Zweitens bringen Bäume sekundäre Pflanzenstoffe aus der Gruppe der Terpene gasförmig in die Stadtluft, die beim Einatmen nachweislich zu einer Erhöhung der Anzahl und Aktivität der natürlichen Killerzellen in unserem Blut sowie der antikarzinogenen Proteine Perforin, Granulysin und der Granzyme führen [10]. Diese Wirkung ist insbesondere für die Pinene der Gattung Pinus nachgewiesen (Kiefern).
In einer aufwendigen epidemiologischen Untersuchung zeigte der Neuropsychologe Marc Berman an der Universität von Chicago, dass die Häufigkeit chronischer Erkrankungen der Atemwege und der Herz-Kreislauf-Organe mit steigender Anzahl an Stadtbäumen zurückgehen und dass statistisch gesehen zehn zusätzliche Bäume rund um den Wohnblock eines durchschnittlichen Großstadtbewohners mit dem Gesundheitseffekt einer siebenjährigen Verjüngung oder einer Steigerung des Jahreseinkommens um 17.000 Euro vergleichbar wäre [11].
Die „biophile“ Zukunftsstadt
Die Stadt der Zukunft sollte also sowohl aus ökologischen als auch aus gesundheitspolitischen Überlegungen über mehr Stadtwälder, kleine Waldinseln und urbane Fließgewässer verfügen. Außerdem sollten wir jede freie Brache zur Begrünung nutzen und die Bepflanzung von Dächern, Terrassen und Fassaden zum architektonischen Standard machen. Die neuen Stadtökosysteme sollten wir mit „Biophilia-Korridoren“, wie ich sie nenne, miteinander vernetzen und so ein Naturnetzwerk schaffen, das die Stadt der Zukunft durchzieht und allen Stadtbewohnern jederzeit Zugang zu sauberen Naturflächen ermöglicht.
Denn: „Sogar ein New York City Girl braucht eine Verbindung zur Natur“, sagte einmal der Psychologe Mark Hoelterhoff von der britischen Universität von Cumbria zutreffend [12]. |
Literatur
[1] Dambeck H, Seibt P. In diesen Städten ist die Luft am schlechtesten. Spiegel Online, 31.01.2017, online: www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/luftverschmutzung-2016-zahlreiche-staedte-ueberschreiten-grenzwert-a-1132445.html, abgerufen am 04.06.2018
[2] Marek Kowalski, Barbara Majkowska-Wojciechowska et al. Prevalence of Allergy, Patterns of Allergic Sensitization and Allergy Risk Factors in Rural and Urban Children. Allergy, September 2017, Vol. 62 (9), S. 1044-1050
[3] Barcelona Institute for Global Health. Air Pollution kills even on Levels well below European Union Air-Quality-Limits, online: www.isglobal.org/en/-/la-contaminacion-del-aire-mata-incluso-por-debajo-de-los-limites-de-calidad-del-aire-de-la-union-europea, abgerufen am 04.06.2018
[4] Schuh H. Feinstaub im Hirn. Zeit Online, 19.02.2009, online: www. zeit.de/2009/09/Feinstaeube?page=1, abgerufen am 04.06.2018
[5] Miller A, Raison C. The Role of Inflammation in Depression: From Evolutionary Imparative to Modern Treatment Target. Nature Reviews – Immunology, 2016 Jan, 16(1) S. 22-34
[6] Sundquist K et al. Urbanisation and Incidence of Psychosis and Depression: Follow-Up Study of 4.4 Million Women and Men in Sweden. The British Journal of Psychiatry, April 2004, Vol. 184, S. 293–298
[7] Arnulf Hartl. Krimmler Wasserfälle – Therapie von Asthma bronchiale, S. 3–17, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg, 2010, online: www.wasserfalltherapie.at/docs/2010_pmu-studie.pdf, abgerufen am 05.06.2018
[8] Namni Goel et al. Controlled Trial of Bright Light and Negative Air Ions for Chronic Depression. Psychological Medicine, 2005, 35, Cambridge University Press, Cambridge 2005, S. 1–11
[9] Willis KJ, Petrokofsky G. The Natural Capital of Cities. Science, Vol. 356, Issue 6336, 28.04.2017, S. 374–376
[10] Qing Li et al. Visiting a Forest, but not City, increases Human Natural Killer Cells Activity and Expression of Anti-Cancer-Proteins. International Journal of Immunopathology and Pharmacology, Jan-Mar; 21(1), S. 117-27
[11] Berman MG et al. Neighborhood greenspace and health in a large urban center. Nature, Scientific Reports, 5 (11610), 9.7.2015
[12] Englisches Originalzitat: „Even a New York City girl needs a connection to the wild“, Mark Hoelterhoff, University of Cumbria, Artikel: New York State of Mind, in: Psychology Today, New York, 27.04.2012, online: www.psychologytoday.com/blog/second-nature/201204/newyork-state-mind, abgerufen am 05.06.2018
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