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DAZ aktuell
Verunreinigtes Valsartan führt zu Massen-Rückrufen in Europa
Wirkstoff aus chinesischer Produktion mit N-Nitrosodimethylamin verunreinigt
Die Entscheidung über den europaweiten Rückruf erfolgte laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits am 3. Juli. Einen Tag später, vergangene Woche Mittwoch, befasste sich der regelmäßig am BfArM tagende Jour Fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen intensiv mit dem Thema. An diesem Jour Fixe sind unter anderem die Verbände der Pharmazeutischen Industrie und die Arzneimittelkommissionen der Ärzte- und Apothekerschaft beteiligt. Die Tagesordnung sah vor, dass man über zwölf relevante Wirkstoffe mit aktuellen Engpässen sprechen wollte – beispielsweise Ibuprofen. Doch dann stellte bei der Besprechung im BfArM dem Vernehmen nach Valsartan alle anderen Themen in den Schatten.
Am späten Nachmittag des 4. Juli gab das BfArM eine Pressemitteilung heraus und informierte, dass in der Europäischen Union ein chargenbezogener Rückruf valsartanhaltiger Arzneimittel erfolgt, deren Wirkstoff von dem chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical produziert wurde. Grund für den Rückruf sei eine produktionsbedingte Verunreinigung des Wirkstoffs mit N-Nitrosodimethylamin. Dieser Stoff ist von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO und der EU als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen eingestuft. Bis Redaktionsschluss der DAZ war weiterhin unklar, ob und in welchen Konzentrationen die Verunreinigung in den hieraus hergestellten Arzneimitteln enthalten ist. Der Rückruf aller betroffenen Chargen erfolgt daher vorsorglich europaweit bis zur Klärung des Sachverhaltes, wie das BfArM betont. Das BfArM weist darauf hin, dass Patienten, die valsartanhaltige Arzneimittel einnehmen, diese nicht ohne Rücksprache mit ihrem Arzt absetzen sollen. Das gesundheitliche Risiko eines Absetzens liege um ein Vielfaches höher als das mögliche Risiko durch eine Verunreinigung. Ein akutes Patientenrisiko bestehe nicht.
Geänderte Synthese als Ursache?
Der chinesische Hersteller soll die Verunreinigung selbst entdeckt und gemeldet haben. Wie es seitens der Koordinierungsstelle der für die Arzneimittelüberwachung zuständigen Landesbehörden heißt, hatte er zuvor von einem seiner Kunden den Hinweis auf eine mögliche Kontamination mit einer unbekannten Verbindung erhalten. Offenbar kommt diese Verunreinigung nicht von außen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sie durch eine Änderung des Synthesewegs in den Wirkstoff gelangt ist. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen keine Erkenntnisse vor, dass der Qualitätsmangel mit dem Produktionsstandort China in Verbindung gebracht werden könnte“, erklärte eine Sprecherin der beim niedersächsischen Gesundheitsministerium angesiedelten Koordinierungsstelle. Möglicherweise könnten somit auch andere Wirkstoffhersteller betroffen sein – dies wird unter anderem im Stufenplanverfahren geprüft, das die EMA am 5. Juli auf Antrag der Europäischen Kommission eingeleitet hat.
N-Nitrosodimethylamin – ubiquitär vorhanden
N-Nitrosodimethylamin (NDMA), auch bekannt als Dimethylnitrosamin (DMN), gehört zur Gruppe der N-Nitrosamine. Diese entstehen durch Nitrosierung sekundärer Aminoverbindungen, d. h. von Molekülen mit einem zentralen Stickstoffatom und zwei Organylresten. Die Nitrosierungsreaktion kann exogen (z. B. Verbrennungsprozesse im Tabakrauch) oder endogen (z. B. im sauren pH des Magens aus Nitrat bzw. Nitrit mit nitrosierbaren Aminen in Lebensmitteln und Arzneimitteln) erfolgen. Vitamin C hemmt die Reaktion. Kontaminationen von Lebensmitteln mit Nitrosaminen sind häufig; beispielsweise sorgte das Vorkommen von NDMA in Bier bereits in den 1970er-Jahren für Aufsehen. Aber auch im Tabakrauch, in Autoabgasen, in Kosmetika, Produkten aus Natur- oder Synthesekautschuk (z. B. Luftballons) und sogar im Trinkwasser sind bereits Nitrosamine nachgewiesen worden. Schätzungsweise wird täglich ein Mikrogramm der potenziell krebserregenden Substanzen aufgenommen.
Wie gefährlich ist NDMA?
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft NDMA als Substanz der Klasse 2A ein. Ein karzinogener Effekt bei Menschen ist also wahrscheinlich. Das heißt, es gibt Daten aus Tierversuchen, die ein Krebsrisiko eindeutig belegen und deutliche Hinweise darauf, dass die Substanz auch bei Menschen durch Methylierung der DNA genotoxisch wirkt. Möglicherweise ist bereits eine geringe Exposition kanzerogen. Eine sichere toxikologische Wirkungsschwelle existiert allerdings nicht. Die Aufnahme sollte daher auf ein Minimum begrenzt sein. Extrapoliert man die Daten aus Tierversuchen, ist bei wiederholter Aufnahme von 50 bis 100 mg mit schweren Leberschädigungen zu rechnen. Man nimmt an, dass eine akute Aufnahme von 15 mg/kg Körpergewicht zum Tod infolge von Leberversagen oder massiver zerebraler Blutungen führen kann. Gemäß Chemikalienrecht zählt NDMA zu den besonders gefährlichen krebserzeugenden Gefahrstoffen (Einstufung als K2). Nach § 35 der Gefahrstoffverordnung sind Zubereitungen von ≥ 0,0001% (1 ppm, 1 mg/kg) als krebserzeugend anzusehen.
Quellen
Marquardt / Schäfer / Barth (Hrsg.) Toxikologie. 3. Auflage, 2013. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA). Dimethylnitrosamin. GESTIS-Stoffdatenbank. www.dguv.de/ifa/stoffdatenbank; Abruf am 09. Juli 2018
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Nitrosamine. www.bfr.bund.de; Abruf am 9. Juli 2018
International Agency for Research on Cancer (IARC). List of classifications, Volumes 1-122. www.iarc.fr; Abruf am 9. Juli 2018
World Health Organization (WHO). N-Nitrosodimethylamine. Concise International Chemical Assessment Document 38. www.who.int; Abruf am 9. Juli 2018
15 Hersteller rufen zurück, drei geben Entwarnung
Was heißt das für Deutschland? Das haben Apotheken in den vergangenen Tagen bereits deutlich zu spüren bekommen. Da es valsartanhaltige Arzneimittel in vielen Darreichungsformen und Wirkstärken gibt, sind zahlreiche Packungen von den Rückrufen betroffen. Seit vergangenem Donnerstag veröffentlicht die AMK eine Herstellermeldung nach der anderen. Viele Unternehmen riefen sämtliche Chargen ihres Valsartan-Monopräparats und der Kombi mit Hydrochlorothiazid zurück. Einige beschränkten sich auf bestimmte Chargen. Bis DAZ-Redaktionsschluss hatten 15 Hersteller ihren Rückruf über die Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK) bekannt gemacht: Dexcel, Heumann, Hormosan, Hexal, Zentiva, Aliud, Basics, 1A Pharma, Stada, Actavis, Puren, Ratiopharm, Hennig, AAA-Pharm und AbZ. Um welche Produkte, welche Chargen und PZN es genau geht, ist auf der AMK-Webseite, DAZ.online und unter den Wichtigen Mitteilungen am Ende dieses Heftes zu erfahren. Drei Unternehmen teilten indessen mit, dass ihre Valsartan-haltigen Arzneimittel nicht vom Rückruf betroffen sind: der Originator Novartis (Entresto®, Exforge®, Exforge HCT®, Diovan®, Codiovan®, Dafiro®, Dafiro HCT®, Provas®, Provas® Comp) sowie die Generikahersteller TAD Pharma (Valsacor®, Valsacor® comp) und Mylan (Valsartan dura, Valsartan/HCT Mylan). Nicht zuletzt die Entwarnung von TAD und Mylan ist wichtig: Valsacor® und Valsartan dura waren laut Arzneimittelverordnungsreport 2017 im Jahr 2016 die meistabgegebenen Valsartan-Mono-Präparate – fast 60 Prozent der Tagesdosen fielen auf die beiden Produkte. Valsacor® comp ist bei den Kombi-Präparaten führend. Zudem sind die beiden Unternehmen Rabattpartner zahlreicher Krankenkassen. Ob die Hersteller, die nicht zurückrufen, den Ausfall ihrer Wettbewerber kompensieren können, muss man nun sehen. Bei Pro Generika hieß es dazu: „Unternehmen, die nicht betroffen sind, prüfen derzeit intensiv, inwieweit sie ihre Produktionskapazitäten hochfahren können.“
Bedeutung in der Praxis
Fakt ist: Valsartan spielt im Apotheken- und Klinikalltag eine enorm große Rolle. Als einer der wenigen Angiotensin I Rezeptor-Antagonisten ist Valsartan neben der Hypertoniebehandlung auch zur Therapie der Herzinsuffizienz zugelassen. Laut Arzneiverordnungsreport 2017 entfällt von den insgesamt 3105 Mio. DDD (daily defined doses) der Sartan-Gruppe ein Drittel allein auf Valsartan (1096,4 Mio. DDD). Davon gehen 717,2 Mio. DDD auf Valsartan-Monopräparate zurück, zusätzlich nochmals 241,4 Mio. DDD auf die Kombinationen mit Hydrochlorothiazid und 137,8 Mio. DDD auf die Kombination von Valsartan mit Amlodipin oder Amlodipin plus HCT. Und noch immer ist der Valsartan-Markt ein nahezu stetig linear wachsender – im Gegensatz zu den ACE-Hemmern, die seit 2014 konstant im Verordnungsverhalten sind. |
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