Arzneimittel und Therapie

Cariprazin gegen Negativsymptomatik

Neue Behandlungsoption bei Schizophrenie

cst | Trotz zahlreicher Therapieoptionen ist und bleibt die Schizophrenie eine große Herausforderung für Betroffene, deren Ange­hörige und Therapeuten. Nun bereichert ein neuer Wirkstoff die Palette der atypischen Neuroleptika. Aufgrund seines Rezeptorprofils soll Cariprazin (Reagila®) besser als andere Antipsychotika gegen die Negativsymptome der Erkrankung helfen.

Das Risiko, an einer psychischen Störung des schizophrenen Formenkreises zu erkranken, liegt in der Durchschnittsbevölkerung – je nach Lebenserwartung und angelegten Diagnose­kriterien – bei 0,5% bis 3,9%. Dabei tritt die Schizophrenie meist zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr erstmalig in Erscheinung. Gekennzeichnet ist die psychische Erkrankung durch eine Reihe vielgestaltiger Veränderungen des Denkens, des Fühlens und der Wahrnehmung. Unterschieden werden Grundsymptome (Negativsymptome) und akzessorische Symptome (Positivsymptome). Zu letzteren zählen Halluzinationen, Wahnvorstellungen sowie katatone Symptome, d. h. Störungen der Motorik und des Antriebs. Pathophysiologisch liegt den Positivsymptomen eine Überfunktion der dopaminergen Neurotransmission im mesolimbischen System zugrunde. Im Gegensatz dazu beruhen die Negativsymptome auf einer dopa­minergen Unterfunktion im frontalen Kortex. Dies äußert sich beispielsweise durch Affektverflachung, Apathie (Teilnahmslosigkeit), Anhedonie (Unfähigkeit, Freude und Lust zu empfinden), Alogie (Verarmung des Sprachinhalts) und sozialen Rückzug.

Zur Behandlung der Schizophrenie werden Neuroleptika eingesetzt. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Substanzen in ihrem Rezeptorprofil, welches Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil bedingt (s. Tabelle).

Tab.: Auswirkungen unterschiedlicher Rezeptorblockade auf Krankheitssymptome und Nebenwirkungen [nach Cariprazin-Produktmonografie, Stand 2018]
Rezeptor- Antagonismus
Erwünschte Wirkung
Nebenwirkung
D2
antipsychotische Wirkung
extrapyramidale Nebenwirkungen
Prolaktin-Anstieg
D3
antipsychotische Wirkung
Verbesserung von Negativsymptomen
Verbesserung kognitiver Symptome
endokrine Probleme, Gewichts­zunahme, sexuelle Dysfunktion
5-HT1A
anxiolytische Wirkung
Gewichtszunahme, erhöhtes kardiometabolisches Risiko
5-HT2A
Verminderung extrapyramidaler Nebenwirkungen
5-HT2C
Verbesserung depressiver Symptome
5-HT7
Verbesserung depressiver Symptome
Verbesserung kognitiver Symptome
α1
Sedierung
Sedierung, Hypotonie
M1
Obstipation, Mundtrockenheit, Sedierung, Sehstörungen
H1
Sedierung
Gewichtszunahme, erhöhtes kardiometabolisches Risiko, Sedierung


Basierend auf der chemischen Struktur und den pharmakologischen Eigenschaften unterteilt man die Wirkstoffe in klassische Neuroleptika (z. B. Fluphenazin, Haloperidol, Pipamperon) und atypische Neuro­leptika (z. B. Aripiprazol, Olanzapin, Risperidon). Doch allen ist gemein, dass sie am D2-Rezeptor bzw. der D2-Rezeptorfamilie – wozu auch D3- und D4-Rezeptoren zählen – antagonistisch wirken. Die atypischen Antipsychotika greifen zudem insbesondere an Serotonin-5-HT2-Rezeptoren sowie an adrenergen α1-Rezeptoren, Histamin-H1- und cholinergen Muscarin-M1-Rezeptoren an. Dadurch wird eine bessere Verträglichkeit (Stichwort: extrapyramidal-motorische Symptome) und stärkere Wirksamkeit auf die Negativsymptome erreicht.

Zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit Schizophrenie steht nun ein weiteres Antipsychotikum zur Verfügung: Cariprazin (Reagila®) ist ein Partialagonist an Dopamin-Rezeptoren vom Subtyp D3 und D2 sowie an den Serotonin-5-HT1A-Rezeptoren. In vitro ist die Affinität am D3-Rezeptor höher als am D2-Rezeptor, in pharmakologisch wirksamen Dosierungen werden die beiden Subtypen in vivo jedoch ähnlich stark besetzt. Zudem besitzt das Neuroleptikum eine antagonistische Wirkung an 5-HT2A-, 5-HT2B- sowie H1-Rezeptoren. Die Affinität zu 5-HT2C-Rezeptoren und α1-Adreno­zeptoren ist gering, zu anderen Rezeptoren vernachlässigbar (s. Abbildung).

Abb.: Rezeptorprofil von Cariprazin [nach Cariprazin-Produktmonografie, Stand 2018]

Nicht nur Positivsymptome werden gebessert

Die Wirksamkeit einer Behandlung mit Cariprazin gegen die Symptome einer Schizophrenie wurde in drei doppelblinden Kurzzeitstudien und einer Langzeitstudie nachgewiesen. Dabei wird nicht nur die Positivsymptomatik gebessert: Aufgrund seiner Affinität am D3-Rezeptor soll Cariprazin die Negativsymptomatik stärker lindern als andere Antipsychotika. Dies konnte in einer randomisierten kontrollierten Doppelblindstudie an 461 Schizophrenie-Patienten mit überwiegender Negativsymptomatik belegt werden: Patienten, die mit Cariprazin (in einer durchschnittlichen Dosierung von 4,2 mg) behandelt wurden, sprachen im Vergleich zu Risperidon (in einer durchschnittlichen Dosierung von 3,8 mg) besser auf die 26-wöchige Therapie an. Dies äußerte sich in einem um 1,46 Punkte signi­fikant geringeren Score auf der Posi­tive and Negative Syndrome Scale (PANNS) für die Negativsymptomatik (PANNS-FSNS). Zudem kamen die Patienten unter Cariprazin besser mit ihrem Alltag zurecht: Der Personal and Social Performance Scale(PSP)-Gesamt-Score verringerte sich in der Cariprazin-Gruppe um 14,3 Punkte, in der Risperidon-Gruppe um 9,7 Punkte. Mit anderen Neuroleptika wurde Cariprazin nicht direkt verglichen. Jedoch wurde eine Studie bei Patienten mit akuten Exazerbationen einer Schizophrenie durchgeführt, in der ein Teil der Patienten mit Aripiprazol behandelt wurde. Gegenüber Placebo konnte sowohl mit Cariprazin als auch mit Aripiprazol nach sechswöchiger Behandlung eine signifikante Verbesserung der Positiv- und Negativsymptomatik erreicht werden. Numerisch betrachtet schnitt Cariprazin in einer Dosierung von 6 mg/Tag etwas besser ab als Aripiprazol 10 mg/Tag.

Foto: Recordati Pharma
Cariprazin (Reagila®) steht in Form von Hartkapseln in den Dosisstärken 1,5 mg, 3,0 mg, 4,5 mg und 6,0 mg zur Verfügung. Die Einnahme erfolgt einmal täglich unabhängig von den Mahlzeiten.

Wie die anderen Neuroleptika ist auch Cariprazin mit den typischen extra­pyramidalen Nebenwirkungen, insbesondere mit quälender Unruhe (Akathisie), verbunden. Eine Akathisie trat bei rund 15% der Patienten im klinischen Entwicklungsprogramm auf. Hingegen scheint das Risiko für eine Gewichtszunahme mit durchschnittlich 0,9 kg pro Jahr unter Cariprazin etwas geringer zu sein als unter anderen Antipsychotika. Klinisch relevante Verlängerungen der QTc-Zeit wurden nicht beobachtet. Allerdings war eine Behandlung mit Cariprazin häufiger mit Bluthochdruck bzw. einem Blutdruckanstieg verbunden (2,7%) als unter Risperidon (1,6%) oder Aripiprazol (0,7%). Aufgrund des CYP3A4-Metabolismus ist die gleichzeitige Anwendung mit starken oder moderaten CYP3A4-Inhibitoren oder -Induktoren kontraindiziert.

Zum Weiterlesen

In unserer Beilage „Neue Arzneimittel (Nr. 7)“ finden Sie weitere Informationen zu Cariprazin.

Quelle

[1] Mutschler E et al. Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxiko­logie. 10. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2013

[2] Herdegen T. Pharmako-logisch! Psychiatrie. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2015

[2] Herdegen T. Pharmako-logisch! Update. Schizophrenie und Neuroleptika. DAZ 2015, Nr. 23, S. 45

[3] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). S3-Behandlungsleitlinie Schizophrenie (2006). Kurzfasssung. Abgelaufen, NVL angemeldet, voraussichtliche Fertigstellung 1. Quartal 2018

[4] Recordati. Reagila® Produktmonografie. Stand 2018

[5] Reagila® (Cariprazin) Fachinformation. Stand Dezember 2017

[5] Németh G et al. Cariprazine versus risperidone monotherapy for treatment of predominant negative symptoms in patients with schizophrenia: a randomised, double-blind, controlled trial. Lancet 2017;389(10074):1103-1113

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