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Digitalisierung und Arbeit 4.0

Wohin bewegt sich unsere Gesellschaft?

Beim 8. Erlebnis- und Gewerkschaftstag von ADEXA sprach Professor Dr. Harald Welzer über gefährliche politische Trends, aber auch über berufliche Folgen der Digitalisierung. Er ist Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung „Futurzwei“, die sich für eine zukunftsfähige, offene Gesellschaft einsetzt.

Europa radikalisiert sich – und Deutschland bildet hier keine Ausnahme, wie Welzer feststellt. Der Experte begibt sich auf die Suche nach möglichen Ursachen. „Soziales ist durch den Wettbewerb verdrängt worden“, lautet seine Kritik. „Quantität zählt mehr als Qualität, und Messbarkeit ersetzt abstrakte Größen.“ Heute ginge es nur noch darum, den größtmöglichen Leistungsumfang zu bieten und die Arbeitskraft maximal zu nutzen.

Am gesellschaftlichen Erfolg teilhaben

Eckpfeiler unseres Wertesystems können den Trend ans rechte oder linke Spektrum kaum verhindern. „Demokratie ist eine Gesellschaftsform, die nicht nur auf unserer Verfassung basiert“, weiß der Experte. „Sie regelt das Zusammenleben formal, aber nicht sozial.“ Den Zusammenhalt einer Gesellschaft könne man nicht durch Verordnungen und Gesetze regeln, aber sehr wohl mit besseren Rahmenbedingungen.

Welzer: „Innerhalb vieler Gesellschaften, Deutschland inbegriffen, wachsen die sozialen Unterschiede weiter an, und zwar in einem Maße, dass viele Menschen für sich keine Perspektive mehr sehen. Eliten bereichern sich, was dem tief verwurzelten Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen ­widerspricht.“ Im Schnitt hätten die Deutschen heute zwar mehr Wohlstand als zu jeder früheren Zeit, doch das Einkommen verteile sich zu ungleichmäßig. Darin sieht der Experte einen Faktor, um die zunehmende ­Radikalisierung zu erklären – als Auswüchse einer „liberalen Marktwirtschaft“. Bleibt als Lösung: „Alle Bürgerinnen und Bürger müssen am Wirtschaftswachstum teilhaben, das ist der größte Schlüsselfaktor, um einem bestehenden System zuzustimmen.“

Hierzulande fällt dem Soziologen neben eklatanten Unterschieden in der Einkommensverteilung vor allem die „extrem hohe Bildungsungleichheit“ auf. Kinder akademischer Eltern tun sich leichter beim Abitur und finden einfacher ihren Weg in Richtung Hochschule. „Wir können das mit ­harten Daten belegen. Dafür wurde unsere Gesellschaft nicht geschaffen.“

„Empathieberufen“ gehört die Zukunft

Durch Digitalisierungstrends könnte sich der Unterschied weiter verschärfen, Stichwort Share Economy. „Früher half man sich auf der Ebene von Freundschaften“, erinnert sich Welzer. Für Studierende sei klar gewesen, Kommilitonen eine Schlafgelegenheit anzubieten. „Heute wird das Zimmer eher bei Airbnb vermietet“, lautet ­seine Kritik. Das soziale Miteinander würde zunehmend durch marktförmige Geschäftsmodelle ersetzt. „Anders als noch in Marx’ Lehre stellen solche Unternehmen wie Airbnb nicht einmal mehr Produktionsmittel zur Verfügung.“ Vielmehr werde eine App entwickelt und „unfassbar großer Profit“ eingestrichen.

Die Folgen betreffen alle Branchen: „Maschinen nehmen uns zwar harte körperliche Arbeit ab, aber auch Ärzte, Rechtsanwälte oder Journalisten müssen befürchten, Jobs zu verlieren.“ Im gleichen Atemzug gewännen „Empathieberufe“ mit nicht automatisierbaren Dienstleistungen an Bedeutung. Nur ärgerlich, dass genau diese Jobs „verächtlich schlecht“ bezahlt würden und „keinen Status“ hätten, Stichwort Pflege.

Radikal umdenken

Aus Welzers Mund klingt die Lösung für mehr Teilhabe einfach. In unserer Zeit sei es falsch, Arbeitsleistung zu besteuern. „Mit einer Finanztransaktionssteuer von 0,05 Prozent könnten wir sogar ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren“, sagt der Soziologe.

Normalerweise kämen solche Entscheidungen nicht von oben, sondern von Bürgerinnen und Bürgern. „Jede demokratische Gesellschaft lebt von kritisch denkenden Gruppen, die einen Modernisierungsprozess vorantreiben“, sagt Welzer. Wichtige Beispiele der Vergangenheit seien die Arbeiter-, die Frauen- und die Umweltbewegung, aber auch Parteien und Verbände. Er bedauert, dass sich mehr und mehr Menschen aus Organisationen zurückziehen und einer sich radikalisierenden Minderheit das Feld überlassen. Genau hier sollten wir ansetzen! |

Michael van den Heuvel

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