Umwelt

Darmkrebs-Gefahr!

Grenzwert für Nitrat im Trinkwasser ist zu hoch

Foto: janvier – stock.adobe.com
Von Martin Smollich | In der Deutschen Trinkwasserverordnung ist für Nitrat ein Grenzwert von maximal 50 mg pro Liter festgelegt. Nun zeigt eine dänische Studie: Bereits deutlich unterhalb dieses Grenzwertes gibt es einen Zusammenhang zwischen Nitrat-Gehalt und Darmkrebs-Risiko. Vermutlich ist der aktuelle Grenzwert deutlich zu hoch angesetzt.

Nitrate werden in der Landwirtschaft als Mineraldünger verwendet; in Böden und Gewässern werden sie außerdem im Rahmen der Nitrifikation (Nitrifizierung) durch Bodenbakterien aus organischen Stickstoffverbindungen gebildet. Hauptquelle dieser organischen Stickstoffverbindungen ist unter anderem der sogenannte „Wirtschaftsdünger“, besser bekannt als Gülle. Auf diesem Weg gelangen Nitrate auch in den Wasserkreislauf.

Die Trinkwasserversorgung wird in Deutschland zu ca. 70% aus Grund- und Quellwasser gedeckt [1]. Die restlichen 30% des Trinkwassers stammen aus Oberflächengewässern wie See- und Talsperren, wo das Wasser direkt entnommen oder über Grundwasser-Anreicherung und Uferfiltration gewonnen wird.

Europaweit einheitliche Grenzwerte

Aus Gründen des Gesundheitsschutzes gibt es gesetzliche Grenzwerte für den Nitrat-Gehalt im Trinkwasser. Auf Grundlage der EU-Grundwasserrichtlinie (GWRL) [2] wurde in der deutschen Grundwasserverordnung (GrwV) [3] ein Schwellenwert von maximal 50 mg Nitrat pro Liter festgesetzt. Daraus ergibt sich die praktische Konsequenz, dass Maßnahmen zur Senkung der Nitrat-Belastung erfolgen müssen, sobald dieser Schwellenwert im Grundwasser überschritten ist.

Auch die EU-Trinkwasserrichtlinie [4] sieht als Qualitätsstandard (Parameterwert) für Nitrat eine maximale Konzentration von 50 mg pro Liter vor; dieser Wert wurde von der deutschen Trinkwasserverordnung (TrinkwV) [5] als verbindlicher Grenzwert übernommen.

Sehr hohe Nitrat-Belastung in Deutschland

Insgesamt liegt der Nitrat-Gehalt im Grundwasser in Deutschland bei ca. 18% der repräsentativen Mess-Stellen oberhalb dieses Grenzwertes [6]. Bei Mess-Stellen mit Einzugsgebiet von landwirtschaftlichen Nutzflächen wird der Nitrat-Gehalt in ca. 28% der Mess-Stellen überschritten. Nach Auskunft des Umweltbundesamtes sind 27% der insgesamt 1200 deutschen Grundwasserkörper – also abgegrenzte Grundwasservorkommen – wegen Überschreitung des Nitrat-Schwellenwertes von 50 mg/l in einem schlechten chemischen Zustand (s. Abbildung).

Abb.: Grundwasserkörper in Deutschland, die wegen einer hohen Nitratbelastung in schlechtem Zustand sind (rot markierte Flächen mit abgegrenztem Grundwasservorkommen). [Quelle: Umweltbundesamt 11/2017]

Krebsrisiko bei Grenzwerten nicht berücksichtigt

Nitrat selbst ist für den menschlichen Organismus weitgehend unbedenklich. Allerdings wird Nitrat im Körper zu Nitrit und N-Nitroso-Verbindungen umgewandelt, die ihrerseits als kanzerogen bekannt sind. Allerdings: Grundlage der Festsetzung des Nitrat-Grenzwertes auf maximal 50 mg/l ist nicht das Krebsrisiko durch eine lebenslange Exposition, sondern die Vermeidung der Akuttoxizität bei Säuglingen. In den ersten Lebensmonaten reagieren Säuglinge besonders empfindlich auf Nitrat-Zufuhr: Das aus dem Nitrat gebildete Nitrit schränkt die Sauerstoffaufnahme des Hämoglobins ein, wodurch es zur akuten Gesundheitsgefahr für den Säugling (sogenannte Säuglingszyanose, blue infant syndrome) kommen kann. Zur Zubereitung von Säuglingsnahrung sollte daher auch möglichst nitratarmes Wasser (< 10 mg/l) verwendet werden [7].

Basis der Grenzwert-Berechnung für Nitrat im Trinkwasser ist damit die Abwehr von Gesundheitsgefahren für Säuglinge. Das langfristige Krebsrisiko für Erwachsene spielt dabei bislang keine Rolle, obwohl der Zusammenhang zwischen Nitrat-Belastung und Krebsrisiko seit Langem bekannt ist [8]. Dänische Wissenschaftler haben nun in einer aktuellen Analyse untersucht, ob es bereits bei Nitrat-Konzentrationen unterhalb des 50-mg/l-Grenzwertes Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko gibt.

Darmkrebs-Risiko bereits unterhalb des ­Grenzwertes erhöht

In der im International Journal of Cancer publizierten Studie [9] hat das Team um Jörg Schullehner von der Universität Aarhus in einer bevölkerungsbasierten Studie untersucht, in welchem Zusammenhang die langjährige Nitrat-Exposition über Trinkwasser mit dem Darmkrebs-Risiko steht. Dazu wurden die Daten des dänischen Gesundheitsregisters „Danish Civil Registration System“ herangezogen und ausgewertet. Auf Grundlage der Trinkwasseranalysen sowohl von öffentlichen Wasserwerken als auch von privaten Brunnen konnte so die durchschnittliche Nitrat-Belastung für insgesamt 2,7 Millionen Erwachsene zwischen 1978 und 2011 berechnet werden. Im Rahmen des Studienzeitraums wurde bei 11.952 Menschen ein kolorektales Karzinom, ein ­Kolonkarzinom oder ein Rektumkarzinom diagnostiziert.

Dabei zeigte sich ein eindeutiger Zusammenhang: In der Personengruppe aus Gebieten mit der höchsten Nitrat-Belastung (≥ 16,75 mg/l) war das Risiko für ein Kolorektalkarzinom um fast 20% höher als in der Personengruppe aus Gebieten mit der geringsten Nitrat-Belastung (< 0,69 mg/l) (Hazard Ratio 1,16, 95%-Konfidenzintervall 1,08 bis 1,25). Ähnlich sahen auch die Ergebnisse für das Kolonkarzinom und das Rektumkarzinom aus.

Ein Aspekt sollte dabei besonders aufmerksam machen: Der Risikoanstieg für das Auftreten von Kolorektal- und Rektumkarzinomen war bereits ab einer Nitrat-Konzentration ≥ 3,87 mg/l statistisch signifikant, der Risikoanstieg für das Auftreten des Kolonkarzinoms ab einer Nitrat-Konzentration ≥ 9,25 mg/l. Beide Werte liegen damit erheblich unter dem erlaubten Grenzwert der Trinkwasserverordnung von 50 mg/l.

Grenzwert dringend nach unten korrigieren

Insgesamt sind die Ergebnisse der aktuellen Auswertung eindeutig: Zwischen der Nitrat-Belastung des Trinkwassers und dem individuellen Darmkrebs-Risiko gibt es einen starken statistischen Zusammenhang. Eine derartige Studie liefert zwar keinen direkten Beweis für eine unmittelbare Ursache-Wirkungs-Beziehung, doch die Indizien dafür sind ziemlich eindeutig: Die gewählte Methodik der dänischen Wissenschaftler ist gut und statistisch robust, der Zusammenhang von Krebsrisiko und Nitrat-Belastung ist aus zahlreichen toxikologischen Studien bekannt, und vor allem: die aktuelle Auswertung zeigt eine direkte Dosisabhängigkeit. Das heißt, je höher die Nitrat-Konzentration im Trinkwasser, desto höher auch das individuelle Darmkrebs-Risiko. Gerade diese eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung ist ein starker Hinweis auf einen tatsächlich vorhandenen kausalen Zusammenhang.

Völlig zurecht betonen die Studienautoren deshalb, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte vermutlich deutlich zu hoch angesetzt sind. Der Risikoanstieg für eine Darmkrebs-Erkrankung war weit unterhalb der geltenden Grenzwerte signifikant. Dass dieser Zusammenhang bislang noch nicht aufgefallen ist, verwundert nicht, denn schließlich wurden die Grenzwerte ja allein auf Basis der Vermeidung von Akut-Toxizitäten bei Säuglingen aufgestellt, ohne die Risiken der Langzeitexposition zu berücksichtigen.

Ort
Nitrat-Konzentration im Trinkwasser [mg/l]
Münster
13,4
Bielefeld
15
Stuttgart
24
München
8,9
Ulm
32,5
Leipzig
28,3
Köln
21
Heidelberg
22,9

Auch in Deutschland liegen die üblichen Nitrat-Konzentrationen im Trinkwasser in einem Konzentrationsbereich, für den die dänischen Wissenschaftler ein erheblich erhöhtes Darmkrebs-Risiko finden konnten (s. Tabelle). Solange die Politik an dieser Stelle nicht reagiert, hilft nur ein Blick in die Analysenergebnisse des lokalen Trinkwasserversorgers – mit entsprechenden Konsequenzen. Die Reduktion der Nitrat-Zufuhr über das Trinkwasser sollte damit in das wirksame Konzept zur Darmkrebs-Prävention integriert werden. |

Literatur

[1] Wasserwirtschaft in Deutschland. Grundlagen, Belastungen, ­Maßnahmen. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und ­nukleare Sicherheit (BMUB)/Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.), ­Dessau-Roßlau, 2017

[2] Richtlinie 2006/118/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung. Amtsblatt der Europäischen ­Union L 372/19

[3] Grundwasserverordnung vom 9. November 2010 (BGBl. I S. 1513), ­zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 4. Mai 2017 (BGBl. I S. 1044)

[4] Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch. Amtsblatt der Europäischen Union L 330/32

[5] Trinkwasserverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. März 2016 (BGBl. I S. 459), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 3. Januar 2018 (BGBl. I S. 99)

[6] FAQs zu Nitrat im Grund- und Trinkwasser. Umweltbundesamt (UBA), www.umweltbundesamt.de/faqs-zu-nitrat-im-grund-trinkwasser#textpart-5, zuletzt abgerufen am 25. Mai 2018

[7] Expertenforum: Säuglings- und Kinderernährung (0 - 10 Jahre). Bundeszentrum für Ernährung (BZFE), www.bzfe.de/forum/index.php/forum/showExpMessage/id/47537/page1/1/searchstring/+/forumId/8, zuletzt abgerufen am 25. Mai 2018

[8] Aktueller Nitratbericht der Bundesregierung zeigt Gewässerbe­lastung auf. Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) – Krebsinformationsdienst.w ww.krebsinformationsdienst.de/aktuelles/2017/news3-nitrat-als-krebsrisiko.php, zuletzt abgerufen am 25. Mai 2018

[9] Schullehner J, Hansen B, Thygesen M et al. Nitrate in drinking water and colorectal cancer risk: A nationwide population-based ­cohort study. Int J Cancer 2018;143(1):73–79

Autor

Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich, Fachapotheker für Klinische Pharmazie, Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Seit 2013 Professor für Klinische Pharmakologie und Pharmakonutrition; Leiter des Studiengangs Clinical Nutrition an der praxisHochschule Köln. Herausgeber des Fachblogs Ernaehrungsmedizin.blog

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