Arzneimittel und Therapie

Tovedeso: günstig, aber auch gut?

Ein prüfender Blick auf das neue Blasenspasmolytikum Desfesoterodin

rr | Bereits seit März dieses Jahres gibt es etwas Neues von Ratiopharm zur Therapie der hyperaktiven Blase: das Präparat Tovedeso® mit dem Wirkstoff Desfesoterodin. Es verlangt keine Mehrkosten, ist lieferbar und nicht kontingentiert – sehr zur Freude von Apotheken und Patienten, da mittlerweile keine Selbstverständlichkeit mehr in diesem Indikationsgebiet. Aus medizinischer Sicht besteht jedoch kein Grund zur Euphorie.

Der Bezug von Kontingent-Arzneimitteln sorgt nach wie vor für Frust in den Apotheken. Am Beispiel Vesikur® (Solifenacin) wird deutlich, dass auch die zur schnelleren Versorgung eingerichteten Notfalldepots die Situation nicht entschärfen konnten. Um ein Rezept beliefern zu können, verlangen einige Großhändler mittlerweile eine eidesstattliche Erklärung über das Vorliegen der ärztlichen Verordnung. Konkret bedeutet das pro Packung Vesikur® (nicht Rezept!) ein Fax, einen Lieferschein und eine Kiste vom Großhandel – für die Apotheken ein nicht mehr hinnehmbarer Aufwand.

Professor Dr. Andreas Wiedemann, Chefarzt der urologischen Klinik am Evangelischen Krankenhaus Witten, kam in der DAZ 39/2017 bereits zu dem Schluss, dass man angesichts besserer Alternativen durchaus auf Vesikur® verzichten könnte. Einige Arzneimittel sind jedoch aus nicht medizinischen Gründen wenig attraktiv, so werden zum Beispiel für das Präparat Toviaz® (Fesoterodinfumarat) über 100 Euro Mehrkosten fällig, die viele Patienten einfach nicht zahlen können. Hersteller Pfizer hält auch weiterhin an seiner Entscheidung fest, den Preis von Toviaz® nicht auf den Festbetrag zu senken. Nun hat das strukturverwandte und deutlich preisgünstigere Tovedeso® (Desfesoterodin) erneut Bewegung in das Karussell der Therapieoptionen gebracht.

Zulassungsstudien recycelt

Als kompetitiver, spezifischer Muskarinrezeptor-Antagonist sorgt Desfesoterodin für die Entspannung des Detrusors, also jenem Muskel, dessen Kontraktion zur Entleerung der Harnblase führt. Urodynamisch kommt es zu einer Zunahme der funktionellen Blasenkapazität, gefolgt von einer Besserung der Drangsymptomatik, Verlängerung der Miktionsintervalle, Linderung des imperativen Harndranges sowie Verringerung der Inkontinenz­epi­soden. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 3,5 mg Desfesoterodin einmal täglich. Je nach Ansprechen des Patienten kann die Tagesdosis auf 7 mg erhöht werden. Die volle Wirksamkeit wird nach zwei bis acht Wochen erreicht.

Desfesoterodin ist keine neue Erfindung: Es handelt sich um den primären aktiven Metaboliten von Fesoterodin, das bereits seit 2008 unter dem Namen Toviaz® auf dem Markt ist. Die Affinität von Desfesoterodin für Muskarin-Rezeptoren ist um etwa zwei Zehnerpotenzen höher, sodass weniger Substanz für den gleichen Effekt nötig ist. Ansonsten gibt es keine großen Unterschiede zwischen den Wirkstoffen: Zum Beweis von Sicherheit und Wirksamkeit von Desfesoterodin beruft man sich sogar auf die Zulassungsstudien der Muttersubstanz. Die zu erwartenden unerwünschten Wirkungen sind naturgemäß dieselben und erklären sich aus den parasympatholytischen Nebeneffekten: Mundtrockenheit, trockene Augen, Dyspepsie und Verstopfung. Gelegentlich kann Harnverhalt auftreten. Besonders gefürchtet bei älteren Patienten sind ZNS-Nebenwirkungen mit kognitiven Defiziten, Denkstörungen, Konzentrationsmangel, Delirien und dementiven Entwicklungen. Zudem besteht bereits bei der ersten Einnahme ein gewisses Risiko für das Auftreten eines Angioödems.

Zum Weiterlesen

Schlange stehen für Vesikur® – Wann hat das Warten endlich ein Ende?

Foto: Klaus Eppele – stock.adobe.com

Dieser Frage ist unsere Redakteurin Rika Rausch schon 2017 in DAZ Nr. 39 auf S. 30 nachgegangen. Fakt ist, das Warten hat immer noch kein Ende. Und so ist die Analyse, was hinter der Problematik steckt, leider weiterhin aktuell.

Pluspunkt: bereits aktiv

Desfesoterodin ist ohne Biotransformation wirksam, sein Prodrug Fesoterodin dagegen muss zunächst zu seinem aktiven Metaboliten hydrolysiert werden. Das geschieht nach oraler Anwendung rasch und umfassend durch unspezifische Plasmaesterasen. Beide Wirkstoffe haben damit einen gewissen Vorteil gegenüber ihrem nahen Verwandten Tolterodin (Detrusitol®), ebenfalls zur Therapie der überaktiven Blase zugelassen, aber in seiner Wirkung abhängig von CYP2D6 und damit von genetischen Polymorphismen. Zumindest In-vitro-Daten zeigen, dass Fesoterodin und Desfesoterodin in klinisch relevanten Plasmakon­zentrationen keine Hemmung von CYP1A2, 2B6, 2C8, 2C9, 2C19, 2D6, 2E1 oder 3A4 und keine Induktion von CYP1A2, 2B6, 2C9, 2C19 oder 3A4 herbeiführen. Die Fachinformationen raten dennoch davon ab, gleichzeitig starke CYP3A4-Induktoren anzuwenden, und erinnern daran, dass die Wechselwirkung mit CYP2D6-Hemmern klinisch bisher nicht untersucht wurde. Solange diese Unsicherheiten herrschen, sollten Komedikationen kritisch hinterfragt werden.

Auch ohne diese Daten findet Professor Wiedemann wenig Gefallen am „neuen“ Blasenspasmolytikum Desfesoterodin – warum, erfahren Sie im Kommentar auf Seite 28. |

Quelle

Fachinformation Tovedeso®, Stand 12/2017

Fachinformation Toviaz®, Stand 09/2017

Fachinfo Detrusitol®, Stand 06/2016

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