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Ein Geist in der Toilette

Unverändert ausgeschiedene Arzneiformen können Patienten irritieren

Manchmal sehen wir Geister und erschrecken uns gehörig. Besonders unangenehm wird es, wenn die Begegnung im eigenen Badezimmer stattfindet, genauer gesagt, in der Toilette. So ist es nicht verwunderlich, dass Patienten beim Anblick ihrer Hinterlassenschaft erschrecken, wenn sie eine scheinbar unverändert wieder ausgeschiedene Tablette entdecken. Im englischsprachigen Raum bezeichnet man diese Kuriosität als „ghost“, da es sich um eine (meist weiße) leere Hülle einer Arzneiform handelt, die aufgrund technologischer Besonderheiten die Magen-Darm-Passage überlebt hat. | Von Verena Stahl

Scheinbar unverdaute Tabletten und Kapseln, die beim Stuhlgang ganz oder in Rückständen wieder auftauchen, können Patienten zutiefst verunsichern. Viele Betroffene vermuten dann, den enthaltenen Wirkstoff nicht richtig aufgenommen zu haben, und zweifeln an ihrer Verdauungskompetenz. Meist sind es retardierte Arzneiformen, deren spezielle Galenik es den Darreichungsformen ermöglicht, den Wirkstoff kontrolliert über einen längeren Zeitraum freizusetzen. Das nicht absorbierbare Vehikel wird anschließend leicht verändert oder formstabil wieder aus­geschieden.

Aufklärung tut Not

Zwar wird in den Gebrauchsinformationen betroffener Präparate hierauf aufmerksam gemacht, diese werden aber erfahrungsgemäß von den meisten Patienten nicht (gründlich genug) gelesen. Daher sollten Apotheker und PTA bei „Geistertabletten“ (siehe Tabelle 1) unbedingt auf das mögliche Auftreten des Phänomens hinweisen. So kann vermieden werden, dass Patienten unnötig verunsichert werden und die Adhärenz der Therapie bis hin zum Therapieabbruch leidet. Aus Scham spricht vermutlich auch nicht jeder Patient die intimen Erfahrungen an. Man sollte den Patienten versichern, dass die Wirksamkeit des Präparates un­eingeschränkt gegeben ist und dass es „beabsichtigt“ ist, in diesem besonderen Fall die Tablettenhülle oder Reste hiervon wieder auszuscheiden.

Tab. 1: Übersicht über in Deutschland verfügbare Präparate, die in Teilen oder als Ganzes wieder ausgeschieden werden (adaptiert und ergänzt nach [2]). Trotz sorgfältiger Recherche ist diese Auflistung unter Umständen nicht vollständig.
Wirkstoff
Präparat
sichtbare Rückstände im Stuhl (laut Fachinformation)
4-Aminosalicylsäure
Granupas® 4 g magensaftresistentes Granulat
Hüllen der Granulatkörner
Bupropion
Elontril®, Bupropion-neuraxpharm®, Bupropionhydrochlorid Hexal®
Tablettenhülle
Clarithromycin
Klacid® Uno Retardtabletten
selten Tablettenreste (bei beschleunigter Magen-Darm-Passage). Es wird empfohlen, dass Patienten, bei denen Tablettenreste im Stuhl auftreten und keine Besserung der Erkrankung erkennbar ist, auf eine andere Clarithromycin-Formulierung (z. B. Suspension) oder ein anderes Antibiotikum umgestellt werden.
Diltiazem
Dilzem® retard, Diltahexal® Retardtabletten, Diltiazem Hennig® retard
Tablettenreste
Doxazosin
Cardular® PP, Cardular® PP Uro, Diblocin® PP, retardierte Generika
Tablettenhülle, Rückstände
Hydromorphon
Jurnista® Retardtabletten
Tablettenhülle
Hydroxyethylrutoside
Venoruton® intens
Matrix
Methylphenidat
Concerta® Retardtabletten, Methylphenidathydrochlorid Hexal® Retardtabletten
Tablettenhülle
Molsidomin
Corvaton® retard, MolsiHexal® 8 mg retard
Matrix
Morphin
MST Mundipharm® Retardtabletten
Matrix
Naftidrofuryl
Dusodril® retard
(Fett)matrix
Nevirapin
Viramune® Retardtabletten, Nevirapin-ratiopharm® Retardtabletten
Restbestandteile
Oxycodon
Oxygesic® Retardtabletten
Matrix
Oxycodon + Naloxon
Targin®, Oxycodon/Naloxon Krugmann® Retardtabletten
Matrix
Paliperidon
Invega® retard
Tablettenhülle und unlösliche Bestandteile des Tablettenkerns
Pentoxifyllin
Trental® Retardtabletten
vereinzelt Tablettenreste (bei beschleunigter Magen-Darm-Passage)
Pyridostigminbromid
Mestinon® retard
Matrix
Tamsulosin
Alna® Ocas®, Omnic® Ocas®
Tablettenrückstände
Theophyllin
Bronchoretard® Retardkapseln
Pellets
Valproinsäure
Ergenyl® chrono, Valpro Tad® chrono, Valproat AbZ® Retard­tabletten, Valproat chrono-CT®,
Matrix
Orfiril® long Retard-Minitabletten
Reste der Retard-Minitabletten
Venlafaxin
Trevilor® retard, Generika mit retardierten Hartkapseln: Venla Teva®, Venlafaxin AbZ, Venlafaxin Hennig®, Venlafaxin Heumann® 225 mg, Venlafaxin Hexal®, Venlafaxin-CT, Venlafaxin-Hormosan, Venlafaxin-neuraxpharm®, Venlafaxin-ratiopharm®, Venlagamma® retard
Sphäroide (ellipsoide Kügelchen aus Kapseln)
Venlafaxin AbZ® Retardtablette, Venlafaxin-CT® Retard­tablette, Venlafaxin-neuraxpharm® 225 mg Retardtablette, Venlafaxin-ratiopharm® Retardtablette
Tablette
Schematische Darstellung eines einfachen OROS®-Sytems (Einkammersystem, oben) und eines Zweikammersystems (Push-pull-OROS®) im Aufbau und Funktion (unten). [nach: Fahr A. Voigt Pharmazeutische Technologie, Deutscher Apotheker Verlag 2015]

Achtung beim Wechsel

Die Information über mögliche sichtbare Rückstände in den Fäzes ist besonders dann zu kommunizieren, wenn sich Unterschiede aufgrund eines rabattvertragsbedingten Wechsels ergeben (z. B. Wechsel von Diltiagamma® 120 retard, Hartkapsel, retardiert, keine Reste im Stuhl) auf Dilzem® 120 mg retard (Retardtablette, Tablettenreste im Stuhl) oder wenn der Patient von einer nicht retardierten Formulierung auf eine retardierte Formulierung eines entsprechenden Präparates mit Rückstandspotenzial (z. B. von Dusodril® auf Dusodril® retard) umgestellt wird.

Foto: DAZ/ekr
Reste einer Tablette Venoruton® intens. In der Packungsbeilage wird darauf hingewiesen, „dass bei dieser Filmtablette der Wirkstoff in ein Trägergerüst eingelagert ist. In Einzelfällen kann es vorkommen, dass das Trägergerüst im Darm nicht abgebaut wird und deshalb im Stuhl erscheint. Die Wirkstoffabgabe aus den Filmtabletten in den Körper wurde dadurch jedoch nicht beeinträchtigt.“

Technologischer Hintergrund

Die Tabelle 2 listet auf, welche galenischen Tricks dazu führen, dass Arzneiformen in Teilen oder als Ganzes mit dem Stuhl wieder ausgeschieden werden. Eine wichtige Informationsquelle, ob ein Präparat diese galenischen Besonderheiten aufweist, ist die jeweilige Fachinformation. Leider findet sich die Information herstellerabhängig an unterschiedlicher Stelle, zum Beispiel in der Rubrik „Art der Anwendung“, „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ oder „Nebenwirkungen“ [2]. Hersteller geben hier zum Beispiel an:

Targin®: „Die leere Matrix der Retardtabletten wird unter Umständen sichtbar mit dem Stuhl ausgeschieden.“

Alna® Ocas®: „Es ist möglich, dass Tablettenrückstände im Stuhl auftauchen.“

Trevilor® retard: „Retardierte Venlafaxin-Kapseln enthalten Sphäroide, die den Wirkstoff langsam in den Verdauungstrakt abgeben. Der unlösliche Anteil dieser Sphäroide wird ausgeschieden und kann in den Fäzes sichtbar sein.“

Tab. 2: Galenische Besonderheiten retardierter Arzneiformen, die zu sichtbaren Rückständen im Stuhl führen [1].
Retardierungsprinzip
Funktionsweise
sichtbare Rückstände im Fäzes
osmotische Systeme
(z. B. OROS®, Osmotic Controlled Release Oral Delivery System; push-pull-Systeme; SCOTTM, single-composition osmotic technology)
Wirkstoff und osmotisch aktiver Hilfsstoff, häufig in Kombination mit einem quellenden Hydrogelbildner sind in einem Zweikammersystem voneinander getrennt. Bei einem einfachen osmotischen System ist der Wirkstoff hingegen mit dem osmotisch aktiven Hilfsstoff (z. B. Natriumchlorid oder Glucose) in einem Einkammersystem vermischt. Die Tablette ist bei beiden Systemen von einer für Wasser permeablen Membran umschlossen (semipermeable Membran, z. B. aus Celluloseacetat). Während der Magen-Darm-Passage dringt Intestinalflüssigkeit/Wasser ein, löst den Wirkstoff und lässt ihn durch den entstehenden osmotischen Druck der gesättigten Lösung bzw. durch Druck der entstehenden Quellschicht bei schwer löslichen Wirkstoffen kontrolliert durch eine (oder mehrere) kleine gelaserte Öffnungen entweichen.
Tablettenhülle (ganz)
zu Retardierungszwecken ­überzogene Arzneiformen
spezieller Überzug, der für Darmflüssigkeit und Wirkstoff permeabel ist, Wirkstoff verlässt während der Magen-Darm-Passage die Hülle
Tablettenhülle (ganz oder in Bruchstücken)
retardierte Matrix-Tabletten
Wirkstoff ist in wasserunlöslicher Matrix (z. B. Fettmatrix, Wachsmatrix, duale Polymermatrix, z. B. aus Polymethacrylat) eingebettet und wird im Magen-Darm-Trakt herausgelöst
Tablettenmatrix (ganz oder in Bruchstücken)
OCAS® (Oral Controlled ­Absorption System)
Wirkstoff ist in Gelmatrix eingebettet, im Magen-Darm-Trakt wird der Wirkstoff herausgelöst, der Wirkstoff kann über 24 Stunden im Darm freigegeben werden
Tablettenmatrix (ganz oder in Bruchstücken)

Da ist ja doch was drin!

Besonders neugierige Patienten scheinen die ausgeschiedenen Tabletten genauer unter die Lupe zu nehmen (Erfahrungsberichte siehe „Internet-Begegnung“). Besorgt wird festgestellt, dass die Tablette aufgequollen und voller Inhalt ist! Hoffentlich werden keine Beweisstücke mit in die Apotheke gebracht! Diesen Patienten sollte man versichern, dass es sich bei dem Inhalt eben nicht um den Wirkstoff handelt, sondern dass Darmflüssigkeit und sonstiger Darminhalt im Austausch mit dem Wirkstoff in die leere Hülle aufgenommen wurden. Es lohnt sich, an dieser Stelle die Gegenfrage zu stellen, ob der Patient denn weiterhin eine Wirkung verspürt bzw. seine Messwerte (z. B. bei Hypertonie) im Normbereich liegen. Aber Achtung, aufgrund der Verunsicherung kann es bereits zu Nocebo-Effekten gekommen sein.

Ist das ein Parasit?

In einem Krankenhaus in Columbia, USA, beschäftigte der rätselhafte Fall eines 67-jährigen Patienten die Ärzte [4]. Der Patient klagte seit einiger Zeit über starke Bauchschmerzen und berichtete, seit zwei Monaten auch perlenartige ovale Strukturen in seinem Stuhl zu sehen. Schnell keimte der Verdacht auf, der Patient würde unter einem Parasitenbefall leiden. Er gab an, weder im In- noch im Ausland auf Reisen gewesen zu sein und kein Brunnenwasser getrunken zu haben. Eingeleitete Stuhluntersuchungen auf Parasiten oder ihre Eier blieben negativ. Der Patient wurde gebeten, bei nächster Gelegenheit eines dieser Gebilde mitzubringen. Es stellte sich bei einer wiederholten Überprüfung der Medikationshistorie (dieses Mal unter Zuhilfenahme des Apothekers) heraus, dass es sich bei den Ausscheidungen um Nifedipin extended release Tabletten handelte, die der Patient seit zwei Monaten einnahm.

Wie erkläre ich es meinem Patienten?

Zum Beispiel könnte man bei der Abgabe einer Matrix­tablette dem Patienten erklären, dass es sich bei der Tablette XY um eine ganz besondere Tablette handelt. Normalerweise werden Tabletten und Kapseln bei der Magen-Darm-Passage durch die Verdauungssäfte aufgelöst. Diese Tablette enthält den Wirkstoff eingebettet in einem Trägergerüst. Nachdem der Wirkstoff herausgelöst wurde, bleibt das Gerüst intakt und wird wieder ausgeschieden. Es könnte also sein, dass man die Tablettenhülle oder Reste hiervon im Stuhl sieht, ähnlich wie die Reste eines Maiskorns. „Bitte lassen Sie sich hiervon nicht verunsichern, der Wirkstoff wurde von Ihrem Körper aufgenommen. Stellen Sie sich vor, dass die Tablette wie ein Schwamm ist. Wringt man ihn aus, bleibt der Schwamm dennoch bestehen.“

Wann kommt es zur Malabsorption?

Nicht informierte Patienten könnten beim Anblick einer Tablette in der Toilette besorgt sein, nicht genügend Wirkstoff aufgenommen zu haben, und sich bei der Ursachenforschung mit folgenden Fragen beschäftigen:

  • Habe ich nicht genügend Magensaft?
  • Ist mein Magensäure-pH-Wert zu hoch, zum Beispiel aufgrund einer Protonenpumpenhemmer-Therapie?
  • Soll ich die Tabletten mit mehr Flüssigkeit einnehmen bzw. trinke ich zu wenig?

Sie können beruhigt werden, es gibt keine Probleme mit ihrer Verdauung oder der Art ihrer Tabletteneinnahme. Es liegt schlichtweg an der Besonderheit der Arzneiform. Abzugrenzen hiervon sind Probleme mit der Wirkstoffaufnahme, die zwar selten sind, aber für gewöhnlich dann auftreten können, wenn beim Patient die Magen-Darm-Passage beschleunigt ist. Falls eine kurzzeitig anhaltende viral oder bakteriell bedingte Diarrhö die Ursache für ein zu schnelles, vorzeitiges Ausscheiden ist, so sollte man dem Vorgang keine Bedeutung beimessen (Ausnahme sind unter anderem Präparate zur hormonellen Empfängnisverhütung). Besonders Patienten mit Zöliakie und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa) leiden oft unter Malabsorptionsstörungen von Nahrungsbestandteilen, ebenso wie einige HIV-infizierte Patienten mit chronischer Diarrhö. In diesen Fällen kann es dazu kommen, dass auch Arzneistoffe nicht vollständig resorbiert werden. Eine Reizdarm-Erkrankung sowie Lactose- oder Nahrungsmittelintoleranz können darüber hinaus ursächlich für Durchfälle sein. Bei einigen Patienten ist auch eine arzneimittelbedingte Diarrhö zu beklagen, unter anderem durch Antibiotika oder Zytostatika, bei denen Durchfall als häufige bis sehr häufige unerwünschte Arzneimittelwirkung auftritt. Zu nennen sind auch Laxanzien, die die Magen-Darm-Passage ihrem Wirkmechanismus entsprechend beschleunigen (Achtung bei Laxanzien-Abusus). Ferner tritt eine verkürzte gastrointestinale Transitzeit auf, wenn anatomische Besonderheiten vorliegen (einschließlich Ileostomie [künstlicher Dünndarmausgang] oder Kolostomie sowie Darmresektionen wie beim Kurzdarmsyndrom). In diesen Fällen kann ein im Stuhl bzw. Beutel sichtbarer Tablettenrückstand darauf hinweisen, dass der Wirkstoff nicht vollständig resorbiert wurde. Beispielsweise wird in der Fachinformation von Salofalk® 500 mg magensaftresistente Tablette darauf hingewiesen, „dass in seltenen Fällen bei Patienten mit einer Darmresektion/Darmoperation im Ileocoecal-Bereich mit Entfernung der Ileocoecal-Klappe beobachtet wurde, dass Salofalk® 500 mg, magensaft­resistente Tabletten, unaufgelöst mit dem Stuhl ausgeschieden werden, was auf eine zu rasche Darmpassage zurückzuführen ist“ [3]. |

Literatur


[1] Bauer KH, Frömming KH, Führer C. Fortgeführt von Lippold BC, Müller-Goymann C, Schubert R. Lehrbuch der Pharmazeutischen Technologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2017

[2] „Unveränderte“ Arzneimittel im Stuhl können Patienten verunsichern. a-t 2015;46:78

[3] Fachinformation Salofalk® 500 mg magensaftresistente Tablette (Mesalazin), Dr. Falk Pharma GmbH, Stand Januar 2015

[4] Mir F et al. Undigested Pills in Stool Mimicking Parasitic Infection. Case Reports in Gastrointestinal Medicine. 2017, DOI 10.1155/2017/3718954

Autorin

Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

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