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Arzneimittel und Therapie
Die „Rosa Creme“ und die Evidenz
Ein Blick auf die aktuelle Studienlage der Vitamin-B12-Creme - mit und ohne rosarote Brille
Der ARD-Film „Heilung unerwünscht“ pries die rosafarbene Regividerm®-Creme im Oktober 2009 als Wundermittel gegen Psoriasis und Neurodermitis an: Es war von Heilung von bis dahin chronischen Hautkrankheiten die Rede. Gleichzeitig wurde in dem Beitrag die Pharmaindustrie angeprangert, aus Profitgier der Erforschung und Vermarktung dieser Formulierung im Weg zu stehen und den Patienten ein Cortison-freies Leben vorzuenthalten.
Die „Rosa Creme“ bestach damals im Vergleich zu den verteufelten Topika auf Glucocorticoid-Basis durch Purismus: 100 g der Original-Zubereitung enthielten
- 0,07 g Vitamin B12 (Cyanocobalamin),
- 46 g Avocado-Öl,
- 45,42 g Wasser,
- 8 g Methylglucosesesquistearat,
- 0,26 g Kaliumsorbat und
- 0,25 g Citronensäure.
Vitamin B12 soll eine antientzündliche Wirkung haben, indem es freie Stickstoffmonoxid-Radikale (NO) in der Haut abfängt. NO wird von Entzündungszellen im Übermaß produziert und für die Hautläsionen bei Neurodermitis und Psoriasis mitverantwortlich gemacht. Klingt plausibel, jedoch wurde die Eigenschaft von Vitamin B12 als NO-Fänger bisher nur für die innerliche Anwendung eindeutig bewiesen. Es bleiben Zweifel, ob es diese Wirkung auch bei der äußerlichen Anwendung zeigt.
Wir erinnern uns
Zumindest die Werbung verfehlte ihre Wirkung nicht: Betroffene ARD-Zuschauer liefen Sturm auf Apotheken, um das „Wundermittel“ am eigenen Leib zu testen. Da zum Zeitpunkt der TV-Ausstrahlung noch kein Fertigpräparat verfügbar war, stellten einige Kollegen die Creme in der hauseigenen Rezeptur her, um den Kundenwünschen gerecht zu werden. Das NRF reagierte zeitnah mit einem Rezepturhinweis „Cyanocobalamin zur Anwendung auf der Haut“. Wenig später kam die Creme unter dem Namen Regividerm® auf den Markt, vertrieben durch die Schweizer Firma Mavena Health Care AG.
Bekanntermaßen gelten Psoriasis und Neurodermitis nach wie vor als unheilbar – kurz: Die Creme hielt nicht, was sie versprach. Unzählige Patienten wagten den Therapieversuch und wurden enttäuscht. Bei einigen verschlimmerte sich die Symptomatik sogar. Der werbende Charakter der Sendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde massiv kritisiert.
Heute ist die Zubereitung nach Streitigkeiten um den Markennamen unter dem neuen Namen Mavena B12® als Medizinprodukt registriert. Der Hersteller ließ es sich nicht nehmen, einige Studien in Auftrag zu geben.
Zum Markteintritt der Vitamin-B12-haltigen Creme wurden drei Untersuchungen ins Feld geführt: Eine mit 13 Psoriasis-Patienten aus dem Jahre 2001 [Stücker et al.], eine mit 49 Neurodermitis-Patienten aus dem Jahr 2004 [Stücker et al.] und eine mit 21 von Ekzemen geplagten Kindern aus dem Jahr 2009 [Januchowski R]. Trotz der Veröffentlichung in renommierten Zeitschriften überzeugte die Qualität der Studien bei Weitem nicht alle Kritiker – zu wenige Patienten, zu kurze Zeiträume und obendrein noch Hersteller-gesponsert. Ärzte und Apotheker blieben misstrauisch. Deutliche Kritik kam vom Deutschen Neurodermitis Bund (DNB) und vom Deutschen Psoriasis Bund (DPB). Und selbst der an zwei Studien beteiligte Dermatologe Professor Dr. Markus Stücker, Ruhr-Universität Bochum, ruderte nach dem Medienrummel gegenüber der Deutschen Presse-Agentur zurück: „Das Präparat kann helfen, nicht heilen, aber von einem Durchbruch zu sprechen, wäre nach bisheriger Datenlage wohl nicht gerechtfertigt.“
Es gibt Neuigkeiten
Mittlerweile sind acht Jahre ins Land gegangen, und die Firma Mavena kann zwei neue Studien vorweisen. Beide stammen von einer Forschergruppe aus Italien.
Die Arbeitsgruppe um Erstautor Steven P. Nistico untersuchte in einer kontrollierten, einfach verblindeten Studie die Wirkung einer dreimal täglichen Anwendung der Vitamin-B12-Creme im Vergleich zu einem Standard-Emolliens bei milder Neurodermitis. Die Randomisierung erfolgte Halbkörper-bezogen, das heißt, jeder der eingeschlossenen 22 Patienten wurden entweder auf der linken oder der rechten Körperhälfte mit der Vitamin-B12-Creme bzw. der Kontrolle behandelt. Zur Beurteilung des Hautzustands und Ausprägungsgrads des atopischen Ekzems wurde der SCORAD (Severity Scoring of Atopic Dermatitis) herangezogen. In der zwölften Woche seit Baseline war der Score unter Anwendung der Vitamin-B12-Creme um 77,6%, unter dem Standard-Emolliens um 33,5% reduziert – für die Studienautoren Argument genug, um die Vitamin-B12-Creme als wirksame Therapieoption bei milder Neurodermitis zu bewerten.
In einer zweiten Arbeit unter Federführung von Ester Del Duca wurde die Wirkung einer zweimal täglichen Anwendung der Vitamin-B12-Creme im Vergleich zu einem Standard-Emolliens bei 24 Patienten mit milder bis moderater Plaque-Psoriasis untersucht. Diese Studie war ebenfalls kontrolliert, einfach verblindet und Halbkörper-randomisiert. Der Psoriasis Area Severity Index (PASI) wurde zu Beginn der Behandlung, zwei, vier, acht und zwölf Wochen nach Baseline sowie nach einer vierwöchigen Auswaschphase gemessen. Nach zwölf Wochen ergab sich ein statistisch hochsignifikanter Unterschied zwischen beiden Körperhälften: Der PASI war unter Anwendung der Vitamin-B12-Creme im Mittel um 87,6%, unter der Kontrolle um 23,1% gesunken (p < 0,001). Basierend auf diesen Ergebnissen fordern die Studienautoren, die Vitamin-B12-Creme in die therapeutischen Algorithmen zur Behandlung der Psoriasis aufzunehmen.
Prof. Dr. Ulrich Mrowietz, Leiter des Psoriasis-Zentrums am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, hat die Studien für die DAZ bewertet und kommt zu folgendem Urteil: „Die Ergebnisse der beiden Studien sind nicht interpretierbar und können keinesfalls als Wirkbeweis für Mavena® bei Psoriasis und atopischer Dermatitis herangezogen werden.“ In seinem Kommentar auf Seite 35 zeigt er die Schwächen der Studien im Detail auf.
Die DAZ gab der Firma Mavena Gelegenheit, auf die Kritikpunkte zu reagieren. In ihrer Stellungnahme auf Seite 35 verteidigt sie das „randomized, split-body, single-blinded clinical trial Model“ mit der Aufteilung des Körpers in zwei Seiten als „eine validierte Methode“ und weist die Bevorteilung der Vitamin-B12-Creme als „eine rein spekulative Behauptung“ zurück.
Empfehlen: ja oder nein?
Die Vitamin-B12-Creme ist nach wie vor als Medizinprodukt registriert. 50 ml des Originals sind für einen Preis von 19,50 Euro zu haben. Mavena strebt ausdrücklich keine Zulassung als Arzneimittel an, „da die belegte Wirksamkeit als Scavanger des überschüssigen NO in den oberen Hautschichten in beiden Indikationen als reine physikalische Wirkung nach Einreichung der Gutachten zum Mode of Action von der Gesundheitsbehörde beurteilt wurde.“ Um den Produktstatus wurde ein Rechtsstreit mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt, das die Einstufung der Zubereitung als Arzneimittel fordert. Diese Einstufung soll inzwischen bestandskräftig sein. Doch die Produkte sind weiterhin als Medizinprodukte im Handel (s. S. 3).
In dem im Dezember 2017 aktualisierten NRF-Rezepturhinweis zu Cyanocobalamin heißt es: „Als Hilfe zur Beurteilung zweifelhafter, nicht als Arzneimittel zugelassener Produkte hat die Arzneimittelkommission allgemein Kriterien zur Identifizierung von Schwindelpräparaten genannt. Üblicherweise ist nicht zu erwarten, dass Moleküle mit einer relativen Molekülmasse über 500 bei keratinisierter Haut das Stratum corneum überwinden können, sodass von Stoffen höherer Molekülmasse weder unerwünschte Wirkungen noch arzneiliche Wirkungen anzunehmen sind. Indikationsaussagen im Zusammenhang mit Cyanocobalamin-haltigen Dermatika sollten deshalb mit Zurückhaltung betrachtet und gegenüber dem Patienten nicht kommuniziert werden.“ Cyanocobalamin hat eine relative Molekülmasse von 1355. Die DAC/NRF-Kommission empfiehlt Patienten, die an Neurodermitis oder Psoriasis leiden, eine bisherige ärztlich kontrollierte Behandlung nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt zugunsten der versuchsweisen Anwendung einer Cyanocobalamin-Creme zu unterbrechen.
Prof. Dr. Ulrich Mrowietz sieht rot, wenn es um die „Rosa Creme“ geht: „Nach den vielen Frustrationen, die Patienten mit diesem ‚Heilversprechen‘ erleben, kann ich die Creme überhaupt nicht empfehlen, sondern rate davon ab, sie zu kaufen.“ |
Literatur
Uhl D. Dick aufgetragen: Der ARD-Film „Heilung unerwünscht“. DAZ 2009;44:64
Uhl D. Streit um Vitamin-B12-Salbe geht weiter. DAZ 2010;37:32
Wirbel um neue Salbe. Online-Meldung auf n-tv vom 22. Oktober 2009
Stücker M et al. Vitamin B12 cream containing avocado oil in the therapy of plaque psoriasis. Dermatology 2001;203(2):141-147
Stücker M et al. Topical vitamin B12– a new therapeutic approach in atopic dermatitis-evaluation of efficacy and tolerability in a randomized placebo-controlled multicentre clinical trial. Br J Dermatol 2004;150(5):977-983
Januchowski R. Evaluation of topical vitamin B12 for the treatment of childhood eczema. J Altern Complement Med 2009;15(4):387-389
Nistico et al. Superiority of a vitamin B12-barrier cream compared with standard glycerol-petrolatum-based emollient cream in the treatment of atopic dermatitis: A randomized, left-to-right comparative trial. Dermatologic Therapy 2017;e12523
Del Duca E et al. Superiority of a vitamin B12-containing emollient compared to a standard emollient in the maintenance treatment of mild-to-moderate plaque psoriasis. International Journal of Immunopathology and Pharmacology 2017, doi: 10.1177/0394632017736674
DAC/NRF-Rezepturhinweis Cyanocobalamin, Stand: 13. Dezember 2017
„Studienergebnisse sind nicht interpretierbar!“
Eine Bewertung der neuen Daten von Professor Dr. Ulrich Mrowietz, Kiel
Der wichtigste Kritikpunkt ist die Verwendung einer handelsüblichen Pflegecreme (bei Psoriasis) und einer Rezeptur (bei atopischer Dermatitis) als Vehikel-Kontrolle anstelle der Grundlage von Mavena B12® ohne den Inhaltsstoff Vitamin B12. Mavena B12® enthält neben Vitamin B12, das als Wirkprinzip bezeichnet wird, 20% Avocado-Öl und 1% Harnstoff. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Grundlage von Mavena B12® auch ohne den Zusatz von Vitamin B12 eine zumindest begrenzte Wirksamkeit bei beiden Hauterkrankungen hat. Ferner sind beide Studien nur einfach verblindet. Damit ist ein Einfluss des Untersuchers auf das Ergebnis vorhanden, ein Grund dafür, dass der heutige Standard doppelblinde Studiendesigns vorsieht […]. Beide Studien wurden von fast identischen Autorenteams publiziert. In der Arbeit zur Psoriasis ist angegeben, dass keiner der Autoren einen Interessenkonflikt hatte und dass für die Studie keine Zuwendungen erhalten wurden. In der Arbeit zur atopischen Dermatitis fehlen diese heute üblichen Angaben vollständig. Es ist allerdings nicht angegeben, wer die Kosten für Mavena B12® und die Pflegeprodukte getragen hat. Die heute geforderten Angaben zum Sponsor für die verwendeten Produkte, Fahrtkosten für Patientenvisiten etc. finden sich in keiner der beiden Arbeiten. Es gibt in der internationalen wissenschaftlichen Literatur nach wie vor keinen Hinweis dafür, warum Vitamin B12 eine Wirkung bei einer topischen Therapie von Psoriasis und atopischem Ekzem haben sollte. Die Ergebnisse der beiden Studien sind nicht interpretierbar und können keinesfalls als Wirkbeweis für Mavena B12® bei Psoriasis und atopischer Dermatitis herangezogen werden.
Antwort von Dr. Teo Albarano MD, Vizepräsident der Firma Mavena
Ein „randomized, split-body, single-blinded clinical trial Model“ mit der Aufteilung des Körpers in zwei Seiten ist sehr aktuell und eine validierte Methode, um mit einer relativ geringen Patientenzahl und Exposition signifikante Unterschiede in topischen Behandlungen aufzeigen zu können. Als Standard wurde das Emolliens Cetaphil® von Galderma gewählt, da dieses Emolliens in Italien bei Patienten in beiden Indikationen in der Dermatologie häufig eingesetzt wird. ... Es ist zu bemerken, dass sowohl die Mavena B12® Creme zur Behandlung von äußerlichen Hautläsionen bei atopischer Dermatitis als auch die Mavena B12® Salbe zur Behandlung von äußerlichen Hautläsionen bei Psoriasis bei Studienbeginn bereits registriert und im Handel waren. Ziel der Studie war, keine Registrierung zu erlangen, sondern eine direkte Postmarketing-Vergleichsstudie gegenüber einem Standard-Emolliens aufzeigen zu können. Ich gebe Ihnen Recht, dass man bei einer Registrierungsstudie die Wirksamkeit und Verträglichkeit gegenüber dem Vehikel hätte aufzeigen sollen. Bei der Notifikation beider Produkte musste aufgezeigt werden, dass Vitamin B12 als Funktionsstoff eine Wirksamkeit besitzt, ansonsten wäre Vitamin B12 nicht als Funktionsstoff für die Notifikation registriert worden. Diese Fragestellung wurde bereits in den pharmakologischen Studien erfüllt. In diesen Studien wurde gezeigt, dass die antientzündliche Wirkung von Vitamin B12 bei Psoriasis und Neurodermitis auf der Fähigkeit, im Übermaß synthetisiertes NO zu binden und damit zu neutralisieren, basiert. Durch die Bindung von überschüssigem NO in den obersten Hautschichten kann kein zytotoxisches Peroxynitrit entstehen. Wie erwähnt war diese Zielbestimmung weder der Primär- noch Sekundärendpunkt der Studie. Avocado-Öl und Harnstoff sind sicherlich für den Wiederaufbau der Hautbarriere und Rückbefeuchtung der Haut von Wichtigkeit, und beide haben keine relevante antientzündliche Wirkung. Eine einfache Verblindung in Postmarketing-Studien (nicht Registrierungsstudien) wird häufig verwendet und bedeutet per se keine Minderung des Studiendesigns. Beide Produkte sind frei auf dem Markt verkäuflich und bei den Patienten in der Haptik, Galenik, Farbe und Geruch bereits bekannt. Aus diesem Grund ist eine Bevorteilung eines Produktes eine rein spekulative Behauptung. Wichtig ist, dass die Randomisierung der Körperseiten garantiert wurde […].
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