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Arzneimittel und Therapie
Leitliniengerecht gegen Migräne
Neuerungen betreffen vor allem die medikamentöse Prophylaxe
Eine Migräneerkrankung ist oft mit einem sehr hohen Leidensdruck der betroffenen Patienten verbunden. Dennoch werden die Behandlungsmöglichkeiten zur Prophylaxe laut einer Umfrage der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) derzeit nur unzureichend ausgeschöpft. „Nur 22 Prozent der Migränepatienten, die von einer Prophylaxe profitieren könnten, erhalten auch vorbeugende Medikamente oder Maßnahmen“, so PD Dr. Charly Gaul, Generalsekretär und Pressesprecher der DMKG. Dass man hier jedoch einiges tun kann, wird in der S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“, die Ende April veröffentlicht wurde, detailliert beschrieben. Erstellt wurde die Leitlinie, die eine Fortentwicklung von sechs deutschen und internationalen Leitlinien darstellt, unter der Federführung der DMKG und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Zahlreiche Optionen zur medikamentösen Prophylaxe
Zur medikamentösen Prophylaxe bei häufigen Migräneattacken bzw. Migräneattacken mit ausgeprägten Beschwerden oder anhaltender Aura steht eine Reihe von wirksamen Substanzen zur Verfügung (s. Abbildung).
So konnte die Wirkung der Betablocker Metoprolol und Propranolol, des Calciumantagonisten Flunarizin, der Antikonvulsiva Topiramat und Valproat sowie des trizyklischen Antidepressivums Amitriptylin in klinischen Studien bei Erwachsenen eindeutig nachgewiesen werden. Auch andere medikamentöse Therapien wie ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptorblocker können Migräneattacken vorbeugen, allerdings ist die Datenlage hier dünner. Welcher Substanz der Vorzug gegeben werden sollte, hängt von der Attackenhäufigkeit (episodisch vs. chronisch), den Begleiterkrankungen und den individuellen Bedürfnissen des Patienten ab. Beispielsweise ist bei Einsatz von Valproat bei Frauen im gebärfähigen Alter aufgrund des teratogenen Potenzials äußerste Vorsicht geboten. In der Schwangerschaft darf Valproat zur Behandlung der Migräne nicht mehr eingesetzt werden.
Zur Prophylaxe bei Kindern und Jugendlichen ist die Auswahl an wirksamen Substanzen deutlich geringer: Eine gute Evidenz für die Wirksamkeit kann hier lediglich Flunarazin vorweisen. Valproat, Topiramat und Amitriptylin wurden zwar ebenfalls in Studien untersucht, waren einer Placebo-Behandlung therapeutisch jedoch nicht überlegen, da die Patienten auch auf Placebo sehr gut ansprachen.
Patienten richtig informieren
Vor Beginn einer medikamentösen Behandlung sollten die Erwartungen an den Therapieerfolg geklärt werden: Realistisch ist meist eine Verringerung der Kopfschmerzen um 50%. Wie gut eine Therapie anschlägt, kann anhand von Kopfschmerztagebüchern erfasst werden. Gleichermaßen bedeutend ist auch die Aufklärung des Patienten über mögliche Nebenwirkungen. Beispielsweise sollte auf die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte unter Topiramat und Valproat hingewiesen werden. Außer bei Flunarizin und bei Sartanen empfiehlt es sich, müde machende Medikamente abends einzunehmen. Nebenwirkungen können bereits früh in der Eindosierung auftreten – obwohl die Medikamente langsam eingeschlichen werden.
Topiramat und Botox® bei chronischer Migräne
Bei der chronischen Migräne, die durch eine episodische Migräne in der Vorgeschichte sowie während mindestens der letzten 3 Monate durch Kopfschmerzen an 15 und mehr Tagen im Monat sowie migräneartiger Kopfschmerzen an mehr als 7 Tagen gekennzeichnet ist, kommen gemäß Leitlinie lediglich zwei Wirkstoffe zur Prophylaxe infrage: Hier haben sich das Antikonvulsivum Topiramat und das Neurotoxin Onabotulinumtoxin A als wirksam erwiesen – und das unabhängig davon, ob ein Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln besteht. Onabotulinumtoxin A gehört zur Gruppe der von Clostridium botulinum gebildeten Botulinustoxine, den stärksten bekannten Giften. Bekannt ist es auch als Botox® zur Glättung von Falten. Neben der Hemmung der Acetylcholinfreisetzung vermindert Onabotulinumtoxin A auch die periphere Freisetzung von inflammatorischen Neuropeptiden und Neurotransmittern (Glutamat, Substanz P, CGRP [„calcitonin gene-related peptide“] und Neurokinin A) und kann indirekt die zentrale Übererregbarkeit – ein Kennzeichen der chronischen Migräne – modulieren. Zur Behandlung der chronischen Migräne werden im Abstand von drei Monaten kleine Mengen (155 bis 195 Einheiten) des Neurotoxins an mehreren festgelegten Injektionsorten an spezifischen Stellen des Kopf- und Halsmuskelbereichs injiziert. Die Behandlung ist erfahrenen Neurologen vorbehalten.
Nicht medikamentöse Maßnahmen nicht vergessen
Auch den nicht medikamentösen Maßnahmen räumt die aktuelle Leitlinie einen hohen Stellenwert ein und empfiehlt, die Pharmakoprophylaxe entsprechend zu ergänzen. Neben regelmäßigem aerobem Ausdauersport werden hier insbesondere Verhaltenstherapien (z. B. Entspannungsverfahren) empfohlen. Teilweise sind diese Verfahren so wirksam, dass sie als Alternative zur medikamentösen Prophylaxe infrage kommen (z. B. Biofeedback).
In der Akuttherapie bleibt alles beim Alten
In der Akuttherapie von Migräneattacken haben 5-HT1B/1D-Agonisten – die Triptane – in Bezug auf die Wirksamkeit nach wie vor die Nase vorne. Dabei ist Sumatriptan subkutan am wirksamsten. Unter den oralen Darreichungsformen scheinen Eletriptan und Rizatriptan Migräneattacken am besten zu lindern. In der Selbstmedikation stehen Naratriptan und Almotriptan zur Verfügung.
Bei leichteren und mittelstarken Migräneattacken ist jedoch erst einmal ein Therapieversuch mit Acetylsalicylsäure (ASS) oder nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) angezeigt, die oft eine ausreichende Linderung der Beschwerden verschaffen. Auch die Fixkombination aus ASS, Paracetamol und Coffein wird im Algorithmus aufgeführt. Teilweise helfen Analgetika auch Patienten mit schweren Migräneattacken. Mutterkornalkaloide wie Ergotamin werden aufgrund der geringeren Wirkung und des ungünstigeren Nebenwirkungsprofils nur noch in Ausnahmefällen empfohlen.
Wichtig für die Beratungspraxis ist es, dass Patienten bei einer akuten Migräneattacke das jeweilige Medikament so früh wie möglich einnehmen, um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen. Doch auch bei Übergebrauch drohen Gefahren: Werden Triptane über mindestens drei Monate an 10 oder mehr Tagen pro Monat eingenommen, können medikamenteninduzierte Kopfschmerzen auftreten.
Leiden Patienten während einer Migräneattacke an ausgeprägter Übelkeit oder Erbrechen, empfiehlt die Leitlinie die Antiemetika Domperidon und Metoclopramid. Diese sollten jedoch nicht generell mit Analgetika oder Triptanen kombiniert werden, sondern nur bei entsprechend starken Symptomen angewendet werden. |
Quelle
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vom 26. April 2018. Neue Migräne-Leitlinie veröffentlicht: Patienten in Deutschland müssen besser versorgt werden. www.dgn.org; Abruf am 2. Mai 2018
Diener HC et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien; Abruf am 2. Mai 2018
Chronische Migräne: Vorgehen und Empfehlungen. www.dmkg.de; Abruf am 2. Mai 2018
Göbel H, Heinze A. Prophylaxe der chronischen Migräne mit Botulinumtoxin Typ A. Schmerz 2011;25:563–571
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