Rezension

Begründung für ein flexibles Rx-Versandverbot

Hintergründe und Argumente

Das Rx-Versandverbot hat es als Mittel zur Sicherung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung in den Koalitionsvertrag geschafft und wird doch weiterhin intensiv diskutiert. Darum ist eine profunde Begründung gefragt. Diese liefert der Arzneimittelrechtsexperte Dr. Heinz-Uwe Dettling mit seinem Gutachten unter dem Titel „Arzneimittelversorgung und flexibles Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel“.

Das Gutachten wurde vom Landesapothekerverband Baden-Württemberg in Auftrag gegeben und liegt nun als Buch vor. Am Anfang steht die Frage, ob man ein Rx-Versand­verbot erlassen kann. Am Ende steht das Ergebnis: Man muss ein solches Verbot erlassen. Dazu liefert Dettling umfassende und überzeugende Begründungen, die teilweise weit aus­holen und damit eine Fundgrube an Materialien liefern. Ausgangspunkt ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober 2016, nach dem die Arzneimittelpreisverordnung nicht für ausländische Versender gelten soll. Zur Erklärung des Urteils stellt Dettling unterschiedliche Positionen zum Preiswettbewerb im Gesundheitswesen mit ihrem jeweiligen wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund dar. Dabei macht er deutlich, dass Universaldienste wie die Arzneimittelversorgung zu einem einheitlichen Preis zur Verfügung gestellt werden müssen, um die Verbraucher zu schützen und den Leistungserbringern eine Mischkalkula­tion zu ermöglichen. Damit wendet sich Dettling insbesondere gegen die These, ländliche Apotheken könnten und sollten sich durch höhere Preise finanzieren.

Arzneimittelversorgung und flexibles Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Eine unions- und verfassungsrechtliche Analyse.

Von Heinz-Uwe Dettling

304 S., kartoniert, Format 17 × 24 cm, 69,90 Euro

ISBN 978-3-7741-1393-0

Govi-Verlag Eschborn 2018 


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Anforderungen an das Versorgungssystem

Aufgrund des Urteils sieht Dettling den deutschen Gesetzgeber vor einem Dilemma. Er muss seine Bürger schützen und ist zugleich – anders als andere EU-Länder – an die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Niederlassungsfreiheit gebunden. Als Hintergrund der weiteren Argumentation analysiert Dettling juristische Grundfragen, insbesondere zu den Rechtsbeziehungen innerhalb der EU, und beschreibt umfassend die Leistungen der Apotheken in der Arzneimittelversorgung. Dabei betont er die Unterschiede zwischen Arznei- und Lebensmitteln. Beide sind lebensnotwendig, aber Arzneimittel sind nicht substituierbar und stellen damit viel größere Anforderungen an das Versorgungssystem. So baut Dettling seine Argumentation auf dem gesellschaftlichen und staatlichen Finalziel des Schutzes von Leben und Gesundheit auf und leitet daraus Instrumentalziele ab: die Versorgungssicherheit, die flächendeckende Infrastruktur aus Präsenzapotheken, die betriebswirtschaftliche Existenz­fähigkeit und Rentabilität dieser Apotheken, die Preisbindung für Rx-Arzneimittel und schließlich das flankierende Versandverbot.

Dettling macht die unterschiedlichen Leistungsmöglichkeiten von Präsenz- und Versandapotheken deutlich und analysiert die Anforderungen an eine notwendige Apothekendichte. Dabei verweist er auch auf sein früheres, gemeinsam mit Prof. Dr. Uwe May und Cosima Bauer erstelltes Gutachten zum Versandverbot. Außerdem erklärt Dettling, weshalb alle anderen zur Sicherung der deutschen Apotheken diskutierten Lösungsvorschläge das gesetzte Ziel nicht erreichen. Damit sieht Dettling nur das Rx-Versandverbot als verbleibende Alternative, um die flächendeckende Infrastruktur der Apotheken zu sichern.

Argumente für die Weiter­entwicklung der Arzneimittelversorgung

Anschließend widerlegt Dettling diverse juristische Argumente, die gegen ein solches Verbot angeführt werden. Er geht ausführlich auf die Warenverkehrsfreiheit, die Chancengleichheit zwischen in- und auslän­dischen Apothekern und die Folgen eines Preiswettbewerbs ein und betrachtet dabei vielfältige Positionen. Neben der Stringenz der Argumen­tation liegt in dieser Quellenvielfalt eine große Stärke dieses Buches. Die unterschiedlichen Sichtweisen werden gewürdigt, aber Dettling zeigt immer wieder, dass diese seiner Argumentation nicht entgegenstehen. Daraufhin fordert er ein flexibles Rx-Versandverbot. Dabei sollen Botenzustellungen bei Bedarf und der Versand in Einzelfällen, in denen dies die einzige mögliche und zumutbare Versorgungsform ist, zulässig sein. Da der Staat zum Schutz von Leben und Gesundheit verpflichtet ist, sieht Dettling den Gesetzgeber nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, ein solches Verbot zu erlassen.

Das Buch bietet allen, die an der politischen Debatte über die Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung im Allgemeinen und über das Rx-Versandverbot im Besonderen teilnehmen, eine enorme Fundgrube an Quellen, Hintergründen und Argumentationsweisen. Nicht-Pharmazeuten wird dabei auch der spezielle Hintergrund der Apotheken verdeutlicht. Damit liefert das Buch wertvolle Hilfen für Diskussionen, und es bietet den politisch Verantwortlichen eine überzeugende Rechtfertigung, das Rx-Versandverbot gemäß dem Koali­tionsvertrag umzusetzen. |

Apotheker Dr. Thomas Müller-Bohn

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