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60 Jahre Niederlassungsfreiheit
Alles andere als überholt
Das Apotheken-Urteil aus heutiger Sicht – Interview mit Prof. Dr. Hilko J. Meyer
DAZ: Das Apotheken-Urteil von 1958 bezweckte nicht, das beste Apothekensystem für die Bundesrepublik zu finden, sondern zu prüfen, ob konkrete Gesetze mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit vereinbar sind. Wurden mit dem Urteil dennoch die Voraussetzungen geschaffen, in Deutschland ein solides Apothekenwesen nachhaltig und langfristig aufzubauen?
Meyer: Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Verfassungsbeschwerde eines approbierten Apothekers zu entscheiden, der 1956 als Flüchtling aus der Sowjetischen Besatzungszone in dem bayerischen 6000-Einwohner-Städtchen Traunreut eine neue Apotheke eröffnen wollte. Die Regierung von Oberbayern verweigerte ihm jedoch die Erteilung der Betriebserlaubnis und begründete dies unter Bezugnahme auf die erst im Jahr zuvor wieder in das bayerische Apothekengesetz eingeführte Bedürfnisprüfung mit dem Fehlen des öffentlichen Interesses für die Errichtung der beantragten Apotheke. Der Apotheker sah sich dadurch in seiner Berufsfreiheit und der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit verletzt und machte die Nichtigkeit des zugrunde liegenden Art. 3 Abs. 1 des bayerischen Apothekengesetzes wegen Verstoßes gegen Art. 12 und Art. 2 GG geltend. Neun Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und Inkrafttreten des Grundgesetzes nahm das Bundesverfassungsgericht diesen Fall zum Anlass für eine Grundsatzentscheidung, die weit über das Apothekenwesen hinausreichte und noch heute das juristische Verständnis der Berufsfreiheit und der unternehmerischen Freiheit prägt. Das Grundgesetz proklamiert demnach nicht nur die Gewerbefreiheit als objektives Prinzip der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, sondern gewährleistet dem Einzelnen mit der Berufsfreiheit das Grundrecht, jede erlaubte Tätigkeit als Beruf zu ergreifen. Bei aller Grundsätzlichkeit dieser wegweisenden Entscheidung haben die Verfassungsrichter es jedoch nicht versäumt, sich mit erstaunlicher Gründlichkeit in die auch für den Kenner komplizierte und vielschichtige Materie des Apothekenrechts zu vertiefen und die damals laufenden Gesetzgebungsverfahren zur künftigen Gestaltung des bundesdeutschen Arzneimittel- und Apothekenrechts zu würdigen und zu beurteilen. Was sich formal auf das Aufzeigen der verfassungsrechtlichen Grenzen beschränkte, war faktisch ein minutiöser Arbeitsauftrag an den Gesetzgeber – und bescherte der Apothekerschaft eine Steilvorlage für ihre Forderungen, insbesondere nach Verankerung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes und Ausweitung der Apothekenpflicht. In der DAZ vom 19. Juni 1958 konstatierte der Mitherausgeber des Standardkommentars zum Arzneimittelrecht Oberregierungsrat Arno Kloesel: „Die vom Bundesverfassungsgericht insoweit aufgezeigten Möglichkeiten schöpft der Entwurf eines Arzneimittelgesetzes bei Weitem nicht aus.“
DAZ: Die Vorläufer des Apothekengesetzes von 1960 – wie z. B. das Bayerische Apothekengesetz – sahen vor, dass neue Apotheken nur errichtet werden durften, wenn sie zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beitragen und daher im öffentlichen Interesse liegen. Konkret sollte die wirtschaftliche Grundlage jeder Betriebsstätte gesichert sein und durch eine neue Apotheke nicht beeinträchtigt werden. Außerdem sollte gewährleistet werden, dass eine gleichmäßige Arzneimittelversorgung in allen Lagen stattfindet. Das hört sich ja gar nicht so schlecht an. Weshalb sahen die Verfassungsrichter trotzdem die Berufsfreiheit als höheres Gut an im Gegensatz zur Sicherung der Arzneimittelversorgung?
Meyer: Das liegt daran, dass die Verfassungsrichter der Berufsfreiheit eine herausgehobene Bedeutung für die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland beimaßen. Die Berufsfreiheit enthält eine klare materielle Wertentscheidung des Grundgesetzes dafür, die Arbeit als „Beruf“ für alle sozialen Schichten zur Lebensaufgabe und Lebensgrundlage und zugleich als Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung anzuerkennen. Im Unterschied zur formellen Bindung der öffentlichen Gewalt an den allgemeinen Gleichheitssatz, dessen konkreten Gehalt der Gesetzgeber erst für bestimmte Lebensverhältnisse unter Berücksichtigung der für sie jeweils geltenden Gerechtigkeitsgesichtspunkte zu bestimmen hat, muss der Gesetzgeber die hohe materielle Bedeutung der Berufsfreiheit in der sozialen Ordnung zum Ausgangspunkt seiner Regelung nehmen und kann den Inhalt des Grundrechts nicht frei bestimmen. Der „Schutz der Volksgesundheit“, z. B. durch die Regulierung des Arzneimittel- und Apothekenwesens, ist demnach ein legitimes Gemeinwohlziel, das gleichwohl unter dem Vorbehalt steht, nur mit Maßnahmen verfolgt zu werden, die zwingend erforderlich sind und den geringsten Eingriff in die Freiheit der Berufswahl mit sich bringen. Diesen Vorbehalt erfüllte die bedarfsabhängige Niederlassungsbeschränkung nach Auffassung der Verfassungsrichter nicht, weil die Arzneimittelversorgung mit weniger einschneidenden Maßnahmen gesichert werden könne.
DAZ: Im Laufe der Jahrzehnte nahm die Apothekendichte in Deutschland immer weiter zu. Die Niederlassungsfreiheit bedeutete also keinesfalls „das Ende der deutschen Apotheke“. Auch von einer Beeinträchtigung der Arzneimittelversorgung oder eines gefährlichen Mehrkonsums in der Bevölkerung aufgrund des Wettbewerbs kann keine Rede sein. Nun nimmt die Apothekenzahl seit einigen Jahren wieder ab, was regional schon deutlich als Problem wahrgenommen wird. Es gibt Ideen, Apotheken durch Bedarfsanalysen besser zwischen Stadt- und Landlagen zu verteilen. Wäre das nicht wieder eine Rückkehr in die Zeit vor 1958 und mit einer erheblichen Einschränkung der Berufsfreiheit verbunden?
Meyer: In der Tat hat die Entwicklung der Arzneimittelversorgung durch öffentliche Apotheken in Deutschland den Zweifeln der Verfassungsrichter an den prognostizierten Schreckensszenarien für den Wegfall der Niederlassungsbeschränkung Recht gegeben. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die besonders strengen Anforderungen des Apotheken-Urteils an den Nachweis der Notwendigkeit grundrechtsbeschränkender Maßnahmen inzwischen durch Anerkennung des Vorsorgeprinzips und der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers relativiert und verlangt nicht mehr in jedem Fall nachweisbare oder höchstwahrscheinliche schwere Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. Doch auch heute, 60 Jahre nach dem Apotheken-Urteil, erscheint mir eine Rückkehr zu bedarfsabhängigen Zulassungsbeschränkungen nur schwer vorstellbar. Nach der weiterhin geltenden Stufentheorie des Bundesverfassungsgerichts müssten die Regelungsmöglichkeiten zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung auf der Ebene der Berufsausübungsregelungen, also vor allem im Bereich der Apothekenbetriebsordnung und des Arzneimittelrechts, ausgeschöpft sein, um einen Eingriff in den am stärksten geschützten Bereich der objektiven Zulassungsbedingungen zu rechtfertigen. Dafür sehe ich keinen Anhaltspunkt. Soweit bei der „besseren Verteilung der Apotheken zwischen Stadt- und Landlagen“ an Fördermaßnahmen und Anreizsysteme gedacht ist, ist dies weniger problematisch, es müssen jedoch auch verfassungs- und unionsrechtliche Schranken beachtet werden, insbesondere das Subventionsverbot und das Vergaberecht.
Prof. Dr. Hilko J. Meyer war von 1997 bis 2018 Professor für Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Davor war der Jurist 13 Jahre in den Verbänden der Apotheker, der pharmazeutischen Industrie und des pharmazeutischen Großhandels auf Bundes- und EU-Ebene tätig. Als Mitglied des Zentrums für Gesundheitswirtschaft und -recht widmet er sich weiterhin seinem Forschungsschwerpunkt des deutschen und europäischen Arzneimittel- und Apothekenrechts.
DAZ: Die Verfassungsrichter argumentierten damals u. a., dass auch bei Ärzten eine Niederlassungsfreiheit gelte, auch wenn nicht alle Praxisinhaber Anspruch auf eine Kassenzulassung hätten. Doch die Behandlung von Privatpatienten und Selbstzahlern würde für die wirtschaftliche Rentabilität der Betriebsstätte und das Einkommen des Inhabers ausreichen. Ist es also mit dem Grundrecht auf Berufsfreiheit vereinbar, dass nicht alle selbstständigen Ärzte (und Apotheker) am Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung teilhaben können?
Meyer: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage reicht von der uneingeschränkten Anwendung des Apotheken-Urteils auf Kassenärzte im Kassenarzt-Urteil von 1960 bis zur Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde gegen Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung durch einen Beschluss von 2001. Die Vereinbarkeit der sozialrechtlichen Bedarfsplanung mit Art. 12 Abs. 1 GG begründeten die Verfassungsrichter 2001 mit der „Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der GKV“ als „Gemeinwohlbelang von hinreichendem Gewicht“ und folgten damit der These des Gesetzgebers von der „angebotsinduzierten Nachfrage“ nach ärztlichen Leistungen. Ob diese These tatsächlich – wie in manchen Denkspielen zu einer „Kassenapothekerlichen Vereinigung“ unterstellt – nahtlos auf sozialrechtlich zugelassene „Kassenapotheker“ übertragbar wäre, halte ich angesichts der Abhängigkeit der Apotheken von den vertragsärztlichen Verordnungen für fraglich. Abgesehen davon ist der im Beschluss von 2001 proklamierte generelle Vorrang der GKV-Stabilität vor dem Grundrecht der Berufsfreiheit verfassungsrechtlich fragwürdig. Das Bundesverfassungsgericht selbst verwies in einem weiteren Beschluss von 2016 auf die Anzahl der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten und die daher mit einem Ausschluss von der vertragsärztlichen Tätigkeit verbundenen Auswirkungen auf die Möglichkeit, ärztlich tätig zu sein, und stellte ausdrücklich fest, dass ein Ausschluss von der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht nur die Berufsausübung des Arztes beeinträchtigt, sondern einer Beschränkung der Berufswahlfreiheit gleichkommt. Damit bleibt nach ständiger Rechtsprechung die Anwendung der Stufentheorie maßgeblich.
DAZ: Was ist mit Distributionsformen wie z. B. Arzneimittelversandhandel? Wäre hier eine Einschränkung oder ein Verbot durch den Gesetzgeber mit dem Grundgesetz vereinbar?
Meyer: Ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist nach meiner Auffassung mit der Berufsfreiheit vereinbar, weil es dabei nicht um die Berufswahl geht, sondern um die Festlegung eines Berufsbildes. Der eigenständige Beruf eines Arzneimittelversandhändlers ist im deutschen Recht nicht vorgesehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber das Recht, Berufsbilder in bestimmter Weise zu fixieren und zu typisieren und damit auch bestimmte Tätigkeiten auszuschließen.
DAZ: In den letzten Jahrzehnten haben sich das Selbstverständnis und auch die Wahrnehmung des Berufsstandes in der Öffentlichkeit deutlich weiterentwickelt: Der weitaus größere Teil der Apothekerschaft ist nun im Angestelltenverhältnis tätig, u. a. in Forschung, Lehre, Industrie, Kliniken, Fachverlagen, Behörden oder Krankenversicherungen. Würden Verfassungsrichter heute wieder so argumentieren? Stimmt noch das Leitbild des „Apothekers in seiner Apotheke“?
Meyer: Schon das Apotheken-Urteil von 1958 hat festgestellt, dass nach allgemeiner Anschauung wie nach dem Urteil der Berufsangehörigen selbst zwei verschiedene „Berufe“ innerhalb des einen Standes der „Apotheker“ bestehen: der selbstständige Apotheker betreibt ein Unternehmen, das die Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz ist, der unselbstständige Apotheker steht im Dienste eines solchen Unternehmens (oder im Dienste eines anderen Arbeitgebers, wie man heute hinzufügen würde). Das Berufsbild des „Apothekers in seiner Apotheke“, das im Apothekengesetz von 1960 durch das Fremd- und Mehrbesitzverbot verankert und vom Bundesverfassungsgericht 1964 gebilligt wurde, bezieht sich ausschließlich auf die selbstständige Tätigkeit des Apothekers als Unternehmer. Ob dieses Berufsbild durch die Zulassung von Filialapotheken aufgegeben wurde, oder ob die Beschränkung auf drei Filialen innerhalb der gleichen Region der Wahrung dieses Berufsbildes dient, ist rechtlich umstritten. Ich neige zu der letzteren Auffassung, zumal nach dem Willen des Gesetzgebers kein Apotheker in den Besitz von mehreren Apotheken gelangen soll, der keine Apotheke betreibt und auch keine persönlich führen will.
DAZ: Ist die Lockerung des Mehrbesitzverbotes durch die Filialisierung und wäre die Aufhebung des Fremdbesitzverbotes nicht auch mit einer Einschränkung der Berufsfreiheit einzelner Apotheker verbunden? Die Eintrittshürden in den Markt würden dadurch ja wesentlich höher.
Meyer: Die verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe und verleihen keine Teilhaberechte materiellen Inhalts oder Ansprüche auf Erfolg im wirtschaftlichen Wettbewerb. Die Freiheit, eine Apotheke zu eröffnen, würde dem einzelnen Apotheker mit der Aufhebung von Fremd- und Mehrbesitzverbot de jure nicht genommen, auch wenn er im Wettbewerb mit Kapitalgesellschaften dazu de facto wirtschaftlich nicht in der Lage sein sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs ist der Gesetzgeber jedoch berechtigt – nicht verpflichtet! –, zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung den Fremdbesitz zu verbieten und den Mehrbesitz einzuschränken. Der deutsche Gesetzgeber hat sich durch das Apothekengesetz auf die Institutionalisierung dieses System festgelegt, ohne dass es dadurch jedoch Verfassungsrang erlangt hätte.
„Das EuGH-Urteil hat mit der Preisbindung einen tragenden Grundpfeiler des Arzneimittelsystems angegriffen. Dies zu ‚reparieren‘, sehe ich als die Hauptaufgabe des Gesetzgebers in dieser Legislaturperiode.“
DAZ: Als das Konzessionssystem mit dem Apotheken-Urteil 1958 für verfassungswidrig erklärt wurde, klagten viele Apotheker, da sie sich durch den drohenden Wertverlust ihrer Apotheke wirtschaftlich gefährdet sahen und vom Staat enteignet fühlten. Auch heutzutage könnten gesundheitspolitische Entscheidungen den Unternehmenswert einer Apotheke empfindlich beeinflussen, ohne dass der Inhaber selbst darauf einen Einfluss hätte. Gehört das einfach zum „Berufsrisiko“ und müssen Selbstständige und Kreditgeber dies einkalkulieren?
Meyer: Es gehört zu den Wesensmerkmalen der auf dem Schutz von Person und Eigentum beruhenden freien Marktwirtschaft, dass wirtschaftlicher Ertrag nicht allein von den eigenen Anstrengungen abhängt, sondern vom Erfolg im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern, und dass das Insolvenzrisiko Kern des unternehmerischen Risikos ist. Die Sozialbindung des Eigentums schließt ein, dass der Gesetzgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen des Marktes regelt und damit in den Wettbewerb eingreifen darf. Die verfassungsrechtlichen Grenzen werden durch die Bestimmungen über entschädigungspflichtige rechtmäßige Enteignungen und rechtswidrige enteignungsgleiche Eingriffe festgelegt. Nach europäischem Recht wird dies durch einen Staatshaftungsanspruch gegen den nationalen Gesetzgeber ergänzt, wenn ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht vorliegt. Diese Grenze ist jedoch an enge Voraussetzungen geknüpft und dürfte durch eine Liberalisierung des deutschen Apothekenmarktes nicht überschritten werden.
DAZ: Welche Marktvoraussetzungen müssten Ihrer Meinung nach vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit beeinflusst und geschaffen werden, damit die Institution Apotheke weiterhin wirtschaftlich bestehen kann?
Meyer: Neben der Apothekenpflicht, dem Fremdbesitzverbot und dem eingeschränkten Mehrbesitz gehört das Arzneimittelpreisrecht zu den wesentlichen Grundlagen des deutschen Apothekensystems. Darauf wies bereits 1958 im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht der damalige Geschäftsführer der Bayerischen Landesapothekerkammer und des Bayerischen Apothekervereins Professor Dr. Ferdinand Schlemmer hin. Das Apotheken-Urteil zitiert ihn als Sachverständigen mit der Feststellung, dass das Apothekenrecht mit dem Arzneimittelrecht und dem Arzneimittelpreisrecht in unlösbarem Zusammenhang stehe und dass man deshalb das Apothekenrecht nicht allein ordnen könne, ohne gleichzeitig auch diese anderen Rechtsgebiete neu zu regeln. Die Verfassungsrichter stellten dazu fest: „Das mag sachlich und rechtspolitisch richtig sein. Das Bundesverfassungsgericht kann aber nicht einen unzulässigen Eingriff in Grundrechte vorübergehend oder so lange zulassen, bis der Gesetzgeber von anderen Möglichkeiten, die in seinem Ermessen liegen, Gebrauch macht.“ Diese Bemerkungen machen deutlich, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19. Oktober 2016 mit der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel einen tragenden Grundpfeiler des durch Apothekenpflicht, Fremdbesitzverbot und Niederlassungsfreiheit geprägten deutschen Arzneimittelsystems angegriffen hat. Dies zu „reparieren“, sehe ich als die Hauptaufgabe des Gesetzgebers in dieser Legislaturperiode – wenn er denn die Institution der unabhängigen, in Apothekerhand befindlichen öffentlichen Apotheke weiterhin wirtschaftlich erhalten will.
DAZ: Herr Prof. Meyer, vielen Dank für das Interview. |
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