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Feuilleton
„Heilkraft der Natur“ – alles nur Esoterik?
Wie ein Waldspaziergang Einfluss auf unser Immunsystem nimmt
Alles begann in den 1970er-Jahren mit einem Architekten und Geografie-Doktoranden an der Universität von Michigan, der feststellte, dass Studierende, die am Morgen den Weg durch einen Park nahmen, von positiven psychologischen Wirkungen berichteten, die den ganzen Tag lang anhielten [1]. Roger Ulrich – so heißt er – entwickelte nach seiner Dissertation eine Vorliebe dafür, Versuchspersonen auf Spaziergänge durch verschiedene Landschaftsformen zu schicken, um dann zu untersuchen, was sich dabei am Befinden der Teilnehmer veränderte. Die Messmethoden reichten von standardisierten psychologischen Testverfahren und EKG über die Erfassung von physiologischen Stressparametern an der Hautoberfläche bis hin zu Blut-, Speichel und Urinproben, die auf ihren Gehalt an Stresshormonen analysiert wurden. Immer wieder zeigte sich, dass Aufenthalte in der Natur Stress reduzieren, die Stimmung heben und die mentale Leistungsfähigkeit verbessern. Schließlich wendete Ulrich sogar neurobiologische Messmethoden an, mit denen er die Gehirnaktivität der Probanden aufzeichnete. Beispielsweise konnte er mittels Elektroenzephalografie (EEG) nachweisen, dass die Betrachtung von Naturszenen in Form von Lichtbildern die elektrische Aktivität des Gehirns zugunsten der Alphawellen verschiebt. Diese Hirnwellen sind mit Entspannung und erhöhter Produktion des Neurotransmitters Serotonin verbunden, der stimmungsaufhellend wirkt, sich regulierend auf das Herz-Kreislauf-System sowie den Magen-Darm-Trakt auswirkt und die Schmerz-wahrnehmung abschwächt [2].
Ein Jahrzehnt später belegte Ulrich schließlich in einer über mehrere Jahre laufenden klinischen Studie, dass alleine schon der Blick auf einen Baum unsere Gesundheit positiv beeinflusst. Patienten wurden im selben Krankenhaus in identisch ausgestatteten Zimmern untergebracht und standardisierten Gallenblasenoperationen unterzogen. Diejenigen, die aus dem Krankenhausfenster auf eine Grünfläche mit einem Baum sehen konnten, konnten rascher wieder entlassen werden als die Patienten, die nur auf eine Hauswand blickten. Außerdem war der Bedarf an Schmerzmitteln bei der „Baumgruppe“, also bei den Patienten mit Ausblick auf die Natur, signifikant reduziert [3].
Literaturtipp
Auf welche Weise stärken Pflanzenstoffe im Wald unser Immunsystem? Welche Anti-Krebs-Wirkstoffe aus der Natur könnten auch in Medikamenten eingesetzt werden? Welche Rolle spielen Tiere in dem großen Organismus Erde, zu dem auch wir gehören? Und was tragen Begegnungen mit Tieren zur Herzgesundheit bei?
Clemens Arvay schildert seine Erkenntnisse als Biologe und zieht weltweit führende Forscher zurate. So etabliert er die neue Wissenschaft der Ökopsychosomatik, die unser Verständnis von uns selbst und unserer Verbindung mit der Umwelt revolutioniert.
Clemens G. Arvay
Der Heilungscode der Natur: Die verborgenen Kräfte von Pflanzen und Tieren entdecken
2018, 288 S., Taschenbuch
11,00 EUR
Goldmann Verlag
ISBN 978-3442159451
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Ein neuerlicher Meilenstein in der Erforschung der Heilwirkungen aus der Natur wurde 2013 mit einer Publikation in Japan gesetzt. Die Pionierstudien der Nippon Medical School in Tokio belegten, dass einige Terpene aus der Waldluft – das sind Botenstoffe von Bäumen, die dem pflanzlichen Sozialleben und der biologischen Kommunikation von Baum zu Baum dienen – überraschend positive Wirkungen auf unsere Gesundheit haben. Wenn wir sie einatmen oder mit der Haut mit ihnen in Kontakt kommen, reagiert unser Immunsystem mit einer Steigerung der Anzahl und Aktivität der natürlichen Killerzellen (NK-Zellen). Diese dienen der Abwehr von Viren und Bakterien. Schon ein einzelner ausgedehnter Waldspaziergang zeigt eine Wirkung. Ein ganzer Tag im Wald schlägt sich sogar mit einer 40-prozentigen Vermehrung der NK-Zellen in unserem Blut nieder. Mindestens ebenso relevant ist die aktivierende und vermehrende Wirkung der Terpene auf unsere drei wichtigsten Anti-Krebs-Proteine Perforin, Granulysin und die Granzyme, mit denen unser Immunsystem Krebserkrankungen abwehrt oder bestehende Tumorzellen bekämpft [4]. Die Pinene, die Limonene und das Cineol erwiesen sich in Begleitstudien als die wirksamsten Terpene des Waldes in Bezug auf die menschliche Immunfunktion. Sie kommen vor allem in Kiefern, Fichten, Tannen und anderen immergrünen Gehölzen vor. |
Literatur
[1] Eva Selhub und Alan Logan. Your Brain on Nature – The Science of Nature’s Influence on your Health, Happiness and Vitality, S. 14-15, Collins, Toronto, 2014
[2] Ronda Parsons. Creating Joy and Meaning for the Dementia Patient – A Caregiver‘s Guide to Connection and Hope, S. 98, Rowman & Littlefield, Lanham, 2015
[3] Roger Ulrich. View through a Window may influence Recovery from Surgery, in: Science, 27.4.1984, v224 p420(2), American Association for the Advancement of Science, Washington, D. C., 1984
[4] Qing Li und Tomoyuki Kawada. Effect of Forest Environment on Human Immune Function, in: Qing Li (Hrsg.), Forest Medicine, S. 69 – 89, Nova Biomedical, New York 2013
1 Kommentar
Heilkraft der Natur
von Kerstin am 25.01.2020 um 15:57 Uhr
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