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Interpharm 2018 - BAH-Diskussion
Selbstmedikation: Das Herzstück der Pharmazie
Diskussion zur OTC-Switch-Umfrage
In den vergangenen Jahren gab es einige prominente Beispiele für den Wechsel von der Verschreibungs- in die Apothekenpflicht: Ganz vorn dabei die Notfallkontrazeptiva Ulipristal (ellaOne®) und Levonorgestrel (Pidana®), die 2015 in die Selbstmedikation überführt wurden – ersteres sogar europaweit. Zu den jüngsten Switches gehören die Corticoide Mometason und Fluticason, Nasensprays zur symptomatischen Behandlung der saisonalen allergischen Rhinitis.
Kürzlich führte der BAH mithilfe von DAZ.online eine Umfrage zum Thema OTC-Switch durch. 940 vornehmlich am HV-Tisch Beschäftigte, vor allem Approbierte, aber auch PTA, nahmen daran teil. Prof. Dr. Niels Eckstein, Professor für Regulatory Affairs und Pharmakologie am Campus Pirmasens der Hochschule Kaiserslautern, der die Studie verantwortlich durchführte, stellte die Ergebnisse im Rahmen der Interpharm der Öffentlichkeit vor. Die DAZ berichtete hierüber bereits in ihrer Ausgabe Nr. 11, 2018, S. 75 ff. Eine wesentliche Erkenntnis der deutschlandweiten Umfrage ist: 85 Prozent der Befragten befürworten Switches – 44 Prozent ohne und 41 Prozent mit Einschränkungen. Vor allem weitere Mittel gegen Heuschnupfen, topische Mittel gegen Akne und weitere Triptane gegen Migräne können sich die Befragten gut in der Selbstmedikation vorstellen. Weniger aufgeschlossen sind sie gegenüber Präparaten gegen erektile Dysfunktion, oralen Kontrazeptiva und Statinen. Die allermeisten Apotheker sehen in OTC-Switches eine Stärkung der pharmazeutischen Kompetenz. Viele zudem einen zumindest „teilweisen“ wirtschaftlichen Vorteil. Eckstein vermutet als einen Grund für die „überraschend große Akzeptanz“, dass Apotheker im OTC-Bereich mehr Gestaltungsspielraum haben als bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln – mögen letztere auch weiterhin für den meisten Umsatz sorgen.
Becker: Apotheker können mehr
Eine andere Motivation dürfte allerdings auch der Wunsch sein, pharmazeutisch beraten zu können. So erklärte auch Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV), in der anschließenden Diskussion, die Selbstmedikation sei das „Herzstück der Pharmazie“. Er sähe es gerne, wenn Apotheker hier noch besser helfen könnten. Man denke an die Situation, dass ein Patient mit Konjunktivitis im Notdienst erscheint. „Den muss ich in die Notaufnahme schicken“, so Becker. Besser wäre es seiner Meinung nach, es stünden topisch wirksame Antibiotika in der Selbstmedikation zur Verfügung. Einen großen wirtschaftlichen Gewinn verspricht sich Becker dagegen nicht durch die Switche – allerdings auch keinen Schaden.
Eckstein wie Becker sehen die Ergebnisse der Studie zwar beide positiv – zeigten sich über einzelne Antworten ihrer Kollegen jedoch überrascht. So etwa gegen die Abneigung vieler Umfrageteilnehmer gegenüber einem Switch für hormonelle orale Kontrazeptiva. Zum einen gehe es nicht zwingend um einen generellen Weg aus der Erstattungspflicht, falls das die Befürchtung der Apotheker ist. Eckstein verwies auf den Switch der Notfallkontrazeptiva: Auch hier gibt es Ausnahmen für unter 20-Jährige. Auch gehe es nicht darum, „aus Apothekern kleine Ärzte zu machen“. So kann der Switch durchaus mit „Auflagen“ verbunden sein: Beispielsweise dürfen auch Nasensprays mit Mometason erst dann in der Selbstmedikation abgegeben werden, wenn es eine ärztliche Erstdiagnose gibt. Ähnlich könne man bei oralen Kontrazeptiva vorgehen. „Die Werkzeuge, die wir haben sind nicht schlecht, wir müssen sie nur im Einzelfall richtig anwenden“, so Eckstein. Dr. Elmar Kroth, Switch-Fachmann beim BAH, sprach von einer „goldenen Brücke“, die hier geschlagen werden könne: Über eine erste ärztliche Diagnose könne man auch Arzneimittel gegen schwere chronische Erkrankungen niedrigschwellig verfügbar machen.
Mehr Anreize für Unternehmen wünschenswert
Dr. Tobias Mück, bei der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH für OTC zuständig, kann die Ergebnisse der Umfrage ebenfalls nur begrüßen – auch aus Industriesicht. Wenngleich ein Switch für die Industrie eine schwierige Übung sein kann, die Zeit und Geld kostet. Kroth würde sich daher für die Unternehmen, die den Aufwand auf sich nehmen, den Switch zuerst durchzusehen, auch eine „Belohnung“ wünschen. Etwa einen zusätzlichen Unterlagenschutz, der sie eine Weile vor Konkurrenz schützt. Zwar gebe es schon heute einen Unterlageschutz für geswitchte Produkte für einen Zeitraum von einem Jahr. Diesen muss der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfehlen. Kroth zufolge ist das bislang noch nie geschehen – ohnehin hält er ein Jahr für zu wenig. Zwei, drei Jahre sollte es schon sein. Eine solche Incentivierung würde sicherlich zu mehr Switchen führen, so Kroth.
Becker hofft jedenfalls darauf, dass es weiterhin Unternehmen gibt, die den ersten Schritt wagen: „Nur Mut!“, appellierte er an die Industrie. „Wir sind dankbar und werden die Switche umsetzen“. Eine Gefahr, dass Arzneimittel durch den Übergang in die Selbstmedikation trivialisiert werden, sieht übrigens keiner der Diskussionsteilnehmer – so lange die Präparate in der Apotheke bleiben. Kroth sieht in OTC-Switches sogar ein „Fundament für den Erhalt der Apothekenpflicht“. |
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