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Interpharm 2018 - Der Fall Bottrop
Der Fall Bottrop – ein Albtraum
Diskussion über die Lehren, die aus dem Zyto-Skandal gezogen werden müssen
Die Vorwürfe wiegen sehr schwer: Mehr als 60.000 Krebsmittel sollen laut Anklage seit 2012 in der Bottroper Apotheke von Peter S. unter unhygienischen Zuständen zubereitet und in sehr vielen Fällen unterdosiert worden sein. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Pharmazeuten fahrlässige Körperverletzung vor – und Betrug in Höhe von 56 Millionen Euro. Auch bei der Interpharm spielten der Prozess und die Zytostatika-Versorgung im Allgemeinen eine wichtige Rolle: Unter Leitung von DAZ-Chefredakteurin Dr. Doris Uhl diskutierten der ehemalige kaufmännische Leiter der Bottroper Apotheke, Martin Porwoll, die Geschäftsführerin Versorgung des AOK-Bundesverbandes, Dr. Sabine Richard, Amtsapotheker Torsten Wessel, zuständig für den Kreis Wesel und Krefeld, sowie Dr. Klaus Peterseim, Präsident des Verbandes Zytostatika herstellender Apothekerinnen und Apotheker (VZA) über die Nachbeben des Skandals.
„Nicht so genau genommen!“
Porwoll war seit 2014 in der Bottroper Apotheke tätig. Von Anfang an habe es eine Gerüchtelage gegeben, S. habe Dosierung und Hygienebestimmungen „nicht so genau genommen“, erklärte er. Bei einem Vergleich der rezeptierten und der eingekauften Wirkstoffmenge fiel ihm auf, dass teils womöglich nur 20 bis 40 Prozent bezogen worden seien. „Das habe ich dann zur Anzeige gebracht“, sagte er. „Dafür sind wir natürlich sehr dankbar“, erklärte Richard. Allein aufgrund der Verunsicherung sei der Fall sehr tragisch.
Machtlos gegen kriminelle Energie
Über die Zahl der schwarzen Schafe im Zytostatika-Bereich wollte sie keine Prognose abgeben, erinnerte aber an die Holmsland-Affäre. „Möglicherweise ist es gar nicht so schwer, in dieser Branche ein schwarzes Schaf zu sein.“ Die Apothekerschaft müsste ein großes Interesse haben, das nun zu bereinigen. „Wie kann man die Branche so sicher machen, dass die Patientinnen und Patienten auf Dauer vertrauen können?“, fragte sie.
Peterseim verwies auf die 2012 deutlich verschärfte Apothekenbetriebsordnung: Da bei der Sterilherstellung keine routinemäßige Endkontrolle möglich ist, müssten ständige Kontrollen wie auch Personalschulungen eine so hohe Sicherheit erzeugen, dass nichts passieren kann. Doch die Regeln sollten Liederlichkeiten und Unachtsamkeiten verhindern – „nicht kriminelles Verhalten“, erklärte Peterseim.
Die Grenzen der Überwachung
Amtsapotheker Wessel verwies auf die praktischen Grenzen der Überwachung. In Nordrhein-Westfalen (NRW) sei die Planquote von einem Amtsapotheker pro rund 600.000 Einwohner früher vielleicht ausreichend gewesen, doch mit dem Aufgabenzuwachs sei dies nicht mehr adäquat. Bis vor einigen Jahren seien die Amtsapotheker mit unangekündigten Kontrollen ganz gut gefahren – doch durch Gesetzesänderungen sollten Inspektionen nur angemeldet erfolgen. In NRW werde aufgrund des Skandals bis zum Sommer jedoch jede Zytostatika-herstellende Apotheke unangekündigt begangen – mit Probenziehung. Dies sei „problemlos möglich“, erklärte auch Peterseim. Doch könne es sich nur um Stichprobenkontrollen handeln.
Die Rolle des Finanzamtes und der Pharmaindustrie
Hätten nicht auch andere Stellen mögliche Auffälligkeiten bemerken müssen? Kassen hätten keine eigenen Möglichkeiten, die einzelnen Vertragspartner einer Überprüfung zu unterziehen, sagte Richard – und keine Einsicht in die Einkäufe. Jeder Apotheker bekäme regelmäßig Betriebsprüfungen, erinnerte Peterseim: In dem Bottroper Fall hätte das Finanzamt eine „exorbitant hohe Marge“ finden müssen, wenn die Vorwürfe zutreffen – doch die Beamten würden womöglich nur tätig, wenn es Anhaltspunkte für Steuerhinterziehung gebe. „Über ausreichend gezahlte Steuern wird sich kein Finanzamt beschweren“, ergänzte Porwoll. Die Marge der Apotheke habe sich tatsächlich am oberen Ende des Erklärbaren befunden. Sollten die Vorwürfe stimmen, hätte auch die Pharmaindustrie hellhörig werden können, immerhin wird der zu gewährleistende Herstellerrabatt aus der Rezeptabrechnung generiert. Peterseim betont, dass hier doch eine Diskrepanz auffallen muss, wenn Rabatte auf nicht gelieferte Packungen abgeführt werden müssen.
Die Diskussion um die wohnortnahe Versorgung
Die AOKs möchten mit den herstellenden Apotheken noch stärker ins Gespräch kommen, sagte Richard – auch um für mehr Transparenz zu sorgen. Aus ihrer Sicht sei die Diskussion um die wohnortnahe Versorgung widersprüchlich: Der angeklagte Bottroper Apotheker habe nämlich in weit entfernte Gegenden geliefert. Wie könne es sein, dass ein Apotheker Ärzte in sechs Bundesländern dazu bringt, sich von ihm beliefern zu lassen, fragte die AOK-Versorgungschefin: Welche Art der „vertrauensvollen Beziehung“ zwischen Arzt und Apotheker habe dort geherrscht? „Diese Möglichkeit der Versorgung lassen Sie weiterhin in der Regelversorgung zu“, sagte sie in Richtung Peterseim: Bislang sei dieser Aspekt nicht von Zytostatika-herstellenden Apothekern auf die Agenda gebracht worden.
„Eine absurde Lücke“
Peterseim bezeichnete dies als „wunden Punkt“ – da es vom Gesetz her möglich sei, dass eine Zytostatika-abgebende Apotheke die Zubereitung von einer anderen Apotheke oder einem Herstellbetrieb bezieht. „Das kann dann sehr weit entfernt sein – das halten wir nicht für gut und richtig. Der Gesetzgeber muss diese absurde Gesetzeslücke schließen.“
„Wir hätten mit unseren Ausschreibungen genau das erreicht“, sagte Richard. Das, was als Geschütz hiergegen in Anschlag gebracht wurde, sei derzeit Alltag in der Regelversorgung. Doch hier erntete sie sowohl von Peterseim als auch von Porwoll Widerspruch. Denn der Bottroper Apotheker hatte in mehreren Ausschreibungen den Zuschlag erhalten und konnte über abgebende Apotheken in mehrere Bundesländer liefern.
Doch für Richard sind die eigentlichen Fragen andere: „Gibt es Wettbewerb in der Versorgung, wollen sich Apotheken dem Wettbewerb stellen“, sagte sie. „Wenn wir so weitermachen, bleiben die Probleme auch.“
Mit dem Stopp der Ausschreibungen und der Neuverhandlung der Hilfstaxe wurde der Versuch unternommen, die Honorierung der Zytostatika-Zubereitung von den Einkaufskonditionen loszulösen. So hätte das viele Geld aus dem System genommen und Anreize für kriminelle Energie reduziert werden können, erklärte die Moderatorin und DAZ-Chefredakteurin Doris Uhl. Eine Einigung zwischen dem Deutschen Apotheker Verband (DAV) und dem GKV-Spitzenverband kam jedoch nicht zustande, die Schiedsstelle musste angerufen werden. Es gab einen Schiedsspruch, den Peterseim scharf kritisierte. Mit der Herstellungspauschale könne der Aufwand nicht abgedeckt werden. Dem Deutschen Apothekerverband sei es nicht gelungen, dass an anderer Stelle mehr Geld ins System müsse. Wenn Zytostatika-herstellenden Apothekern die Einkaufsmarge weggenommen wird, funktioniere der Betrieb nicht, erklärte er. „Die Lücke hätten die Hilfstaxenverhandlungen schließen müssen. Das ist nicht gelungen, deshalb gibt es in unserer Kollegenschaft eine große Unruhe.“
Richard erinnerte daran, dass die Schiedsstelle nach langen Verhandlungen entschieden hat. Existenznöte kann sie nicht verstehen. Bislang sei sie davon ausgegangen, dass es keine überhöhten Margen gibt, welche in den Verhandlungen auch nicht thematisiert worden seien. Auch das Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums sehe Einsparpotenziale, betonte sie. „Insofern wäre es schön, die Zahlen auf den Tisch zu legen und sich auszutauschen.“
„Grundsätzliches Vertrauen in die Therapien ist zerbrochen“
Zum Schluss der Diskussion ging es nochmals um den Vertrauensverlust. „Auch bei mir rufen verunsicherte Patienten an“, erklärte Amtsapotheker Wessel. Erst in der vergangenen Woche habe sich ein Patient gemeldet, der eine Probe untersuchen lassen wollte. Er sei von Bekannten aufgezogen worden, da er das Mittel so gut vertrage: Enthalte es womöglich keinen Wirkstoff?
„Ich habe sehr viel Kontakt mit Betroffenen – da ist schon etwas zerbrochen, was das grundsätzliche Vertrauen in die Therapiesicherheit angeht. Das wird sich so einfach nicht wiederherstellen lassen“, sagte Porwoll. Wenn zukünftig die Ergebnisse von Kontrollen öffentlich gemacht werden, seien dies kleine Schritte, die Vertrauen wiederherstellen können. „Wir haben ja in Bottrop zu Recht eine große Verunsicherung unter den Betroffenen“, sagte Peterseim – wie auch in anderen Gegenden. Er würde das Personal von onkologischen Praxen zu einem Besuch oder einem Praktikum in der Sterilherstellung einladen – wie auch Patienten. „Die waren immer ganz beeindruckt – die hatten sich das so nicht vorgestellt“, erklärte er.
Doch Porwoll berichtete aus Bottrop: „Die Praxen waren leider auch bei uns zu Besuch“, sagte er. Dabei sei ein Bild vermittelt worden, das der Wahrheit „offensichtlich nicht entsprochen hat“. |
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