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Arzneimittel und Therapie
ASS nach Rivaroxaban-Therapie
Thromboseprophylaxe gelingt auch mit Hybridstrategie
Eine antikoagulatorische Therapie nach Hüft- oder Kniegelenkersatz-Operationen wird üblicherweise für mindestens 14 Tage nach dem Eingriff empfohlen. Bei einem Ersatz des Hüftgelenks sind es bis zu 35 Tage. Nachdem die nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK), die auch als neue orale Antikoagulanzien bezeichnet werden, in der Vergangenheit aufgrund ihrer Wirksamkeit, Sicherheit und der einfachen Einnahme sehr häufig zum Einsatz kamen, rückt nun die gute, alte Acetylsalicylsäure (ASS) in den Fokus. ASS ist günstig, als Generikum erhältlich und weist ein positives Sicherheitsprofil auf. In niedriger Dosierung von 100 mg wird sie aufgrund ihrer thrombozytenaggregationshemmenden Eigenschaften zur Infarkt- und Schlaganfallprophylaxe eingesetzt. Klinische Studien und Metaanalysen liefern Hinweise darauf, dass ASS auch zur Vorbeugung venöser Thromboembolien nach operativen Eingriffen geeignet sein könnte. Eine aktuelle Studie zeigt nun, wie ASS in der Thromboseprophylaxe sinnvoll eingesetzt werden kann.
Die EPCAT-II-Studie
In der EPCAT (Extended Venous Thromboembolism Prophylaxis Comparing Rivaroxaban to Aspirin Following Total Hip and Knee Arthroplasty)-II-Studie untersuchte ein kanadisches Forscherteam die Wirksamkeit und Sicherheit einer Umstellung auf ASS im Vergleich zur Beibehaltung einer Rivaroxaban-Therapie zur Prophylaxe venöser Thromboembolien nach Hüft- oder Kniegelenkersatz-Operationen. In die multizentrische, randomisierte Doppelblindstudie wurden Patienten eingeschlossen, bei denen ein elektiver Hüft- oder Kniegelenkersatz bevorstand. Die Patienten erhielten nach dem Eingriff 10 mg Rivaroxaban einmal täglich für insgesamt fünf Tage. Dann wurden sie randomisiert in zwei Gruppen eingeteilt und erhielten entweder weiterhin Rivaroxaban oder 81 mg ASS einmal täglich für weitere neun Tage (Kniegelenkersatz) oder 30 Tage (Hüftgelenkersatz). Darauf folgte eine 90-tägige Nachbeobachtung, bei der als primärer Wirksamkeitsparameter das Auftreten venöser Thromboembolien sowie als primärer Sicherheitsparameter das Auftreten von Blutungen ermittelt wurde. Insgesamt wurden 3424 Patienten (1804 mit Hüft- und 1620 mit Kniegelenkersatz) in die Studie eingeschlossen. In der Nachbeobachtungsphase traten symptomatische venöse Thromboembolien (proximale Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien) bei 11 von 1707 Patienten (0,64%) in der ASS-Gruppe und bei 12 von 1717 Patienten (0,70%) in der Rivaroxaban-Gruppe auf. Zu schwerwiegenden Blutungen kam es bei acht Patienten (0,47%) in der ASS-Gruppe und bei fünf Patienten (0,29%) in der Rivaroxaban-Gruppe.
ASS und Rivaroxaban gleichauf
Als erweiterte Thromboseprophylaxe nach vorheriger fünftägiger Rivaroxaban-Gabe war zwischen ASS und Rivaroxaban kein nennenswerter Unterschied feststellbar (p < 0,001 für Nichtunterlegenheit). Nach der 90-tägigen Nachbeobachtung war das Auftreten von tiefer Beinvenenthrombose und Lungenembolie in beiden Gruppen ähnlich. Das Gleiche galt für das Auftreten von Blutungen. Somit könnte die vorliegende Studie das Potenzial zu einer Trendwende in der klinischen Praxis haben, wie Dr. Garcia vom Medizin-Department der Universität Washington in seinem Kommentar zur Studie schreibt. Die Sicherheits- und Wirksamkeitsparameter seien präzise erfasst worden, und das Patientenkollektiv sei durchaus repräsentativ. Aufgrund der äußerst geringen Blutungs- und Thromboseraten unter der preisgünstigen und unkompliziert einzunehmenden ASS-basierten Therapie müssten sich zukünftig alle anderen Therapien an der Prophylaxestrategie der EPCAT-II-Studie messen, meint Dr. Garcia.
Was empfiehlt die Leitlinie?
Ein Blick in die aktuelle S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie” vom 15. Oktober 2015 zeigt, dass die ASS darin nicht zu den Therapieempfehlungen zählt: Bei elektiven Hüftgelenkersatz-Operationen werden zur medikamentösen Thromboembolieprophylaxe niedermolekulare Heparine, Fondaparinux oder NOAK für eine Dauer von 28 bis 35 Tagen postoperativ empfohlen. Bei elektiven Kniegelenkersatz-Operationen werden dieselben Wirkstoffe zur Prophylaxe empfohlen. Die empfohlene Therapiedauer ist in diesem Fall mit 11 bis 14 Tagen deutlich kürzer. In dem Abschnitt „elektive Hüftgelenkersatz-Operationen” wird die ASS erwähnt und eine Studie von Anderson et al. zitiert (übrigens der gleiche Autor, der auch die oben vorgestellte EPCAT-II-Studie publiziert hat). In dieser Studie wurde ASS mit dem niedermolekularen Heparin Dalteparin von Tag 10 bis 38 postoperativ verglichen. Es fand sich in dieser Studie zwar kein signifikanter Unterschied zwischen ASS und Dalteparin, die Aussagekraft der Studie wurde jedoch aus verschiedenen Gründen als unsicher bewertet. Deshalb – so heißt es in der Leitlinie – „kann eine prolongierte Fortführung der medikamentösen Prophylaxe mit ASS statt z. B. niedermolekularer Heparine nicht empfohlen werden”. Es gilt nun abzuwarten, wie die Ergebnisse der EPCAT-II-Studie von der Leitlinien-Kommission bewertet werden. Die aktuelle Fassung der Leitlinie ist noch bis 2020 gültig. Wir dürfen gespannt sein, ob und in welcher Form die ASS in die nächste Fassung Eingang findet. |
Quelle
Anderson DR et al. Aspirin or Rivaroxaban for VTE Prophylaxis after Hip or Knee Arthroplasty. N Engl J Med 2018;378(8):699-707
Garcia D. Hybrid Strategy to Prevent Venous Thromboembolism after Joint Arthroplasty. N Engl J Med 2018;378(8):762-763
AWMF Leitlinien-Register Nr. 003/001. S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE), Stand 15. Oktober 2015
Wichtiger Meilenstein in der Thromboseprophylaxe
Ein Gastkommentar der Koordinatoren der S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)
Die Rolle von Acetylsalicylsäure (ASS) zur Prophylaxe und Therapie arterieller Thromboembolien ist unbestritten, aber der Stellenwert dieses Thrombozytenfunktionshemmers zur Prävention venöser Thromboembolien ist seit langer Zeit ungeklärt. Nach bisherigem Verständnis der Pathophysiologie arterieller und venöser Thromboembolien (VTE) wurde eine strikte Trennlinie zwischen der Rolle der Blutplättchen bei der Thrombogenese im arteriellen Bereich und der Rolle der Blutgerinnung im venösen Bereich gezogen. Umfangreiche randomisierte Studien mit großer statistischer Power haben den hohen Stellenwert von Antikoagulanzien in niedriger Dosierung zur VTE-Prävention unter Beweis gestellt. Dies gilt für die niedermolekularen Heparine, Fondaparinux und die nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK). Trotzdem gab es immer wieder Ansätze, auch den Stellenwert der preisgünstigeren ASS für diese Indikation zu erforschen, jedoch mit unterschiedlichem Erfolg. Uneinheitliche Empfehlungen der beiden einschlägigen amerikanischen Leitlinien der American Academy of Orthopedic Surgeons (AAOS) und des American College of Chest Physicians (ACCP) zum Einsatz von ASS zur VTE-Prophylaxe haben schließlich den Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern einer ASS-Prophylaxe bis heute aufrechterhalten [1]. Deshalb ist die kürzlich publizierte EPCAT-II-Studie von großem Interesse, die einen neuen Ansatz zur Beantwortung der Frage des Stellenwerts von ASS zur prolongierten Prophylaxe gewählt hat [2].
Innovatives Prophylaxekonzept
Prinzipiell ist die EPCAT-II-Studie ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem neuen Prophylaxekonzept, das vor einer Verallgemeinerung aber noch durch weitere Studien bestätigt werden sollte. Es handelt sich um eine Hybridstrategie, bei der alle Patienten initial einen potenten Gerinnungshemmer während der ersten fünf postoperativen Tage erhielten, d. h. während des Zeitraums, in dem die operationsbedingte Übergerinnbarkeit des Blutes am stärksten ausgeprägt ist. Erst nach dieser initialen Prophylaxe mit einem Antikoagulans wurden die Patienten randomisiert der einen oder anderen Prophylaxegruppe zugeteilt, d. h. über die Fortführung der Prophylaxe mit dem Thrombozytenfunktionshemmer ASS oder dem Gerinnungshemmer Rivaroxaban wurde erst nach fünf Tagen entschieden. Dies ist ein innovatives Prophylaxekonzept, das zu Recht den Namen Hybridstrategie verdient. Es handelt sich um ein aus unterschiedlichen Arten der Prophylaxe zusammengesetztes Ganzes, wobei die zusammengebrachten Elemente für sich schon Lösungen darstellen (ASS und Rivaroxaban), durch das Zusammenbringen aber neue erwünschte Eigenschaften entstehen können.
Da die Patienten erst nach der „Vorbehandlung“ mit einmal täglich Rivaroxaban zur Fortführung der Prophylaxe mit ASS oder Rivaroxaban randomisiert wurden, untersuchte die Arbeitsgruppe von Anderson et al. deshalb nicht die Frage, ob ein Thrombozytenfunktionshemmer generell besser als ein Gerinnungshemmer zur VTE-Prophylaxe nach großen orthopädischen Eingriffen geeignet ist, sondern ob nach initialer Prophylaxe mit Rivaroxaban eine Fortführung der Prophylaxe mit ASS eine vergleichbare Wirksamkeit und Sicherheit erbringt wie eine fortgeführte Rivaroxaban-Prophylaxe. Somit bleibt die Vorbehandlung mit dem Gerinnungshemmer (in diesem Fall Rivaroxaban) im Falle der Umstellung auf ASS ein fester Bestandteil dieses neuen Prophylaxekonzepts. Dies geht aus dem Titel der Publikation leider nicht hervor; die Autoren schreiben verkürzt „Aspirin or Rivaroxaban for VTE Prophylaxis after Hip or Knee Arthroplasty“.
„Das Kind beim richtigen Namen“ nennen
Lediglich im Editorial zu dieser Arbeit wird im Titel „Hybrid Strategy to Prevent VTE after Joint Arthroplasty“ korrekt benannt, worum es geht: Nämlich um die Hybridprophylaxe [3].
Als Limitierung der EPCAT-II-Studie ist zu erwähnen, dass wegen eines fehlenden dritten Studienarms mit ASS ohne „Vorbehandlung“ mit Rivaroxaban die von den Autoren oftmals gewählte Bezeichnung „ASS-Prophylaxe“ eigentlich nicht gerechtfertigt ist. Prinzipiell schmälert dies nicht den Stellenwert dieses neuen Hybridprophylaxekonzepts, es sollte aber bei der Kommunikation über diese Studie „das Kind beim richtigen Namen“ genannt werden. Das heißt, es muss darauf hingewiesen werden, dass es sich wegen der Notwendigkeit der initialen Gabe eines Gerinnungshemmers nicht um einen direkten Vergleich von Rivaroxaban und ASS handelt. Sonst besteht die Gefahr, dass die guten Ergebnisse dieser Studie durch falsche Durchführung der Prophylaxe in der klinischen Routine nicht reproduziert werden können.
Relevanz für die Leitlinie
Das Konzept der sogenannten Hybridprophylaxe wurde ansatzweise schon vor längerer Zeit von derselben Arbeitsgruppe untersucht. Damals wurden Patienten mit Hüftgelenkersatz-Operationen durch initiale Gabe des niedermolekularen Heparins Dalteparin „vorbehandelt“ und nachfolgend auf ASS umgestellt. Die damalige Studie konnte wegen unzureichender Patientenrekrutierung aber nicht zu Ende geführt werden, sodass die Frage der prolongierten Prophylaxe mit einem Thrombozytenfunktionshemmer nach initialer Verabreichung eines Antikoagulans unbeantwortet blieb [4]. Deshalb konnte diese Studie in der letzten Aktualisierung der AWMF S3-Leitlinie zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) nur deskriptiv erwähnt, aber keine Empfehlung formuliert werden. Die EPCAT-II-Studie entspricht jedoch den Anforderungen der evidenzbasierten Medizin und muss deshalb bei der Bewertung der Studien zur Überprüfung der Empfehlungen zur Thromboembolieprophylaxe nach Hüft- und Kniegelenkersatz-Operationen berücksichtigt werden. Dies erfolgt frühestens Ende 2019 im Rahmen der geplanten Revision der Leitlinie. |
Quelle
[1] Stewart DW, Freshour JE. Aspirin for the prophylaxis of venous thromboembolic events in orthopedic surgery patients: a comparison of the AAOS and ACCP guidelines with review of the evidence. Ann Pharmacother 2013;47(1):63-74
[2] Anderson et al. Aspirin or Rivaroxaban for VTE Prophylaxis after Hip or Knee Arthroplasty. N Engl J Med 2018;378(8):699-707
[3] Garcia D. Hybrid Strategy to Prevent Venous Thromboembolism after Joint Arthroplasty. N Engl J Med 2018;378(8):762-763
[4] Anderson DR et al. Aspirin versus low-molecular-weight heparin after total hip arthroplasty. Ann Intern Med 2013;159(7):502-3
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