Aus den Ländern

Im Mittelpunkt der Patient Kind

Fortbildung der Landesapothekerkammer Brandenburg

RHEINSBERG (ck) | Die 3. Hermann-Hager-Tagung fand wieder im brandenburgischen Rheinsberg statt. Erstmals wurden neben den Veranstaltungen für Apotheker auch für PTA und PKA Vorträge angeboten, denn zur Arzneimitteltherapie bei Kindern sollte das gesamte Apothekenteam den Eltern akut oder chronisch kranker Kinder mit Rat und Tat zur Seite stehen können.
Foto: M. Nowy/LAK Brandenburg
Ungefähr 200 interessierte Apotheker, PTA und PKA informierten sich in Rheinsberg rund um die Arzneimitteltherapie bei Kindern.

In seiner Eröffnung wies Kammerpräsident Jens Dobbert auf die Bedeutung aller pharmazeutischer Berufe in der Apotheke hin. Besorgniserregend nannte er den Mangel an Nachwuchs – sowohl bei den Apothekern als auch bei den PTA und PKA.

Tacheles reden!

Foto: DAZ/ck
Jens Dobbert

In allen Gesprächen mit Politikern habe Dobbert immer dargelegt, wie dringlich es sei, das Nachwuchsproblem zu lösen. Seine Hoffnung, einen Studiengang Pharmazie in Potsdam oder an einem anderen Standort in Brandenburg zu etablieren, sowie mehr Geld für die Ausbildung von PTA und PKA zu erhalten, habe er noch nicht begraben. Er sei immer noch „guter Hoffnung, dass die Fachkräfteproblematik bei der Landesregierung angekommen ist“, so Dobbert. Auch in Zukunft werde man jede Gelegenheit nutzen, dieses Thema in der Politik und der Öffentlichkeit zu positionieren. Die Öffentlichkeitsarbeit werde massiv verstärkt. Neben einer eigenen Plakataktion ist auch geplant, ein eigenes Magazin herauszugeben, mit dem unter dem Titel „Tacheles“ Politiker und Abgeordnete „ungefiltert“ über die wirtschaftlichen und personellen Probleme der Apotheken informiert werden sollen.

Der Zappelphilipp ist keine Modeerscheinung

Foto: M. Nowy/LAK Brandenburg
Margit Schlenk

In Deutschland sind ca. 4 bis 12% aller Kinder von AD(H)S betroffen. Apothekerin Margit Schlenk, Neumark, betonte, dass die gestiegenen Fallzahlen positiv gesehen werden sollten. Bei immer mehr Kindern werde die Erkrankung korrekt diagnostiziert und sie erhalten eine adäquate Therapie. Wichtig ist für die Diagnose, dass alle drei Kernsymptome – Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität – in einem nicht normalen Ausmaß auftreten, und zwar beginnend vor dem sechsten Lebensjahr, in mindestens zwei Lebensbereichen (Schule, Familie, Untersuchungssituation) über mehr als sechs Monate. Den Eltern sollte erklärt werden, dass ihr Kind ein Defizit des Neurotransmitters Dopamin hat, eine echte Substanz-bezogene Erkrankung. Schlenk verglich es mit einem Diabetiker, dem könne man auch nicht sagen, „streng Dich mal an und produzier mehr Insulin“. Der Dopamin-­Mangel macht es dem Kind unmöglich, seinen Alltag so zu gestalten, wie es das möchte. Wichtig ist eine multimodale Therapie: evidenz­basierte Arzneimittel plus Verhaltenstherapie und Psychoedukation. Bei jedem Rezept über Methylphenidat sollte man in der Apotheke aktiv nachfragen, wann zum letzten Mal die Schilddrüsenfunktion des Kindes überprüft wurde. Reagieren Kind und Eltern mit Unverständnis oder können nicht antworten, so sollten dringend Diagnose und Medikation hinterfragt werden. Die Leitlinie zur Diagnostik eines ADHS sieht eine Abklärung der Schilddrüsenfunktion vor, denn eine Hypothyreose geht immer mit einem Dopamin-Defizit in der Hypophyse einher. Wurde die Schilddrüsenfunktion nicht überprüft, so kann man nicht von einer gesicherten ADHS-Diagnose ausgehen.

Richtig dosieren

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Dr. Christian Ude

Dr. Christian Ude von der Stern Apotheke aus Dortmund bedauerte, dass es keine Weiterbildung zum „pädiatrischen Pharmazeuten“ gibt. Kinder sind etwas besonderes, es müssen biografische und biologische Aspekte berücksichtigt werden. Dazu zählen die Ernährung und der Flüssigkeitsbedarf ebenso wie die besondere Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. Bei Wirkstoffauswahl, Dosisfestlegung und Auswahl der Darreichungsform sollte immer der Reifegrad des Kindes beachtet werden. Wie im Alter auch muss die Dosis individuell angepasst werden. Die Magensaftsekretion ist reduziert, die Bioverfügbarkeit von säureempfindlichen Wirkstoffen (z. B. Penicillin G) kann erhöht sein, die Bioverfügbarkeit von schwach sauren Wirkstoffen (z. B. Phenobarbital) dagegen erniedrigt. Die Gallensalzbildung ist vermindert, so dass die Bioverfügbarkeit lipophiler Wirkstoffe (z. B. Itraconazol, Vitamin E) vermindert ist. Magenentleerung und Darmmotilität sind reduziert, die Blut-Hirn-Schranke ist noch nicht vollständig ausgereift, sie ist z. B. für Opioide durchlässiger. Mit Wachstum und Reifung ändert sich die Körperzusammensetzung, so dass eine rein gewichtsadaptierte Dosierung zu niedrigen Plasmaspiegeln bei hydrophilen Arzneistoffen führen würde bzw. zu erhöhten Spiegeln lipophiler Arzneistoffe. Die Dosis festzulegen, ist Aufgabe des Arztes, die Apotheker müssen sich viel mehr darum kümmern, wie man die Arzneiform – und damit den Wirkstoff – dann dauerhaft in das Kind hineinbekommt. Kind­gerechte Darreichungsformen (Säfte, Zäpfchen oder Granulate) stehen in großer Auswahl zur Verfügung. Man müsse auch die Eltern überzeugen, eine Therapie zu akzeptieren. Und dazu beitragen, mögliche Fehlerquellen zu reduzieren. Ganz oben stehen Handhabung und Dosierung von Trockensäften. Hier wird über Erfolg oder Misserfolg einer Therapie entschieden. So vielfältig das Angebot, so vielfältig die Art der Herstellung der Säfte: Mit Trinkwasser bis zu einer Volumenmarkierung, mit Messbecher auffüllen, mit wässrigen Lösungsmitteln bis zur Volumenmarkierung im Glas oder zur Strichmarkierung auf dem Etikett. In der Apotheke sollte man für die Eltern immer dann den Saft herstellen, wenn eine Kommunikation schwierig ist, wenn Motorik oder Sehfähigkeit eingeschränkt sind, die Zubereitungsprozedur sehr störanfällig ist oder eine besondere Wasserqualität erfordert wird. Kritisch sieht Ude die korrekte Dosierung der Säfte. Mit beigelegten Dosierhilfen sei sie sehr fehleranfällig. So besteht die Gefahr des Überlaufens oder Verschüttens und die Markierungen lassen oft keine genaue Dosierung zu. Eine ­größere Dosiergenauigkeit kann mit Messbechern erreicht werden, optimal sind jedoch Dosierspritzen, die auch bei kleinen Volumina eine exakte und sichere Applikation ermöglichen.

„Kinder brauchen Trinken, Dreck und Liebe“

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Dr. med. Ulrich Enzel

Dr. med Ulrich Enzel, Kinder- und Jugendarzt aus Schwaigern, berichtete von kranken Kindern und Kinderkrankheiten. Sein Fazit: „Kinder brauchen Trinken, Dreck und Liebe – und oft auch Rat und Hilfe aus der Apotheke.“ Besorgte Eltern sollten aufgeklärt werden, dass Fieber ein Symptom ist und keine Krankheit. „Fieber nützt“, so Enzel. Von einem routinemäßigen Einsatz von Antipyretika rät er ab. „Wir therapieren Kinder, keine Thermometer.“ Die Eltern sollten sich am Kind mit seinem individuellen Verhalten orientieren. Die Normalisierung der Körpertemperatur stehe nicht im Vordergrund, sondern eine engmaschige Beobachtung des Kindes (Atmung, Hautzustand, Verhalten, Bewusstseinszustand). Nur bei einer raschen Verschlechterung einer fieberhaften Erkrankung, beim Auftreten von Komplikationen wie Kopfschmerzen, Erbrechen oder einem Exanthem sollten die Eltern mit dem Kind zum Arzt geschickt werden. Warnsignal sind auch lang anhaltende Fieberzustände, bei Säuglingen wenn das Fieber länger als vier bis sechs Stunden anhält, bei Kleinkindern länger als 24 Stunden, bei Schulkindern länger als zwei Tage. Antipyretika sollten eingesetzt werden, wenn das Kind stark beeinträchtigt ist, sehr hohes Fieber hat (> 40 °C) und nur noch sehr wenig Flüssigkeit trinkt. In der Schmerz-Fieber-Medikation gilt Ibuprofen als erste Wahl (5 bis 7,5 mg /kg Körpergewicht, bis zu viermal täglich), als zweite Wahl Paracetamol (10 bis 15 mg/kg Körpergewicht, bis zu viermal täglich). Vermieden werden sollte unter 16 Jahren Acetylsalicylsäure, da die Gefahr des Reye-Syndroms besteht. Enzel betonte, wie wichtig aus seiner ärztlichen Sicht eine gute Zusammenarbeit mit den Apothekern ist, gerade um die Grenzen der Selbstmedikation von Kinderkrankheiten einzuhalten.

Von der Mitbehandlung eines gesunden „Zweitpatienten“

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Prof. Dr. Christof Schaefer

Da fast alle Arzneimittel, die eine Schwangere einnimmt, das ungeborene Kind erreichen, sollte bei jeder Medikation daran gedacht werden, dass ein gesunder „Zweitpatient“ mitbehandelt wird. Die Arzneimitteltherapie bei Schwangeren ist ein sehr angstbesetztes Thema, das zu teilweise irrationalen Fehlentscheidungen – auch bei Ärzten – führt, wie Prof. Dr. Christof Schaefer vom Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité Berlin (Embryotox), zeigte. Ein Grund dafür sei auch, dass die Standardinformationen zu Wirkstoffen zwar eine Risikoklassifizierung bieten, aber keine Quantifizierung von Risiken bzw. Sicherheit von Arzneimitteln ermöglichen. In Deutschland ist das Teratogen mit dem größten Risiko nach wie vor Alkohol, und nach wie vor handhaben Frauen den Umgang damit leichtfertig. Allein in Deutschland werden jedes Jahr ca. 600 Kinder mit einem fetalen Alkohol-Syndrom (FAS) geboren und 4000 Kinder mit fetalen Alkohol-Effekten. Unter den Arzneistoffen zählen zu den relevanten Teratogenen Thalidomid, Retinoide (z. B. Isotretinoin) sowie Mycophenolat – sie erhöhen zehnfach das Risiko für große Fehlbildungen –, sowie Valproinsäure, Cumarin-Derivate sowie Methotrexat – sie erhöhen das Risiko um das Zwei- bis Dreifache. Die meisten Arzneistoffe gehen in die Muttermilch über, aber häufig schätzen auch Ärzte das Risiko falsch ein und geben unnötigerweise eine Empfehlung zur Stillpause. Das sei bedauerlich, da die Muttermilch nach wie vor als beste Säuglingsnahrung gilt. Schaefer nannte beispielhaft eine Narkose (z. B. nach einem Kaiserschnitt), eine Lokalanästhesie (bei Zahnbehandlungen), Standard-Antibiotika (Makrolide), Ergotamin-Abkömmlinge oder hormonelle Kontrazeptiva – alles kein Grund, nicht zu Stillen.

Schaefer betonte, dass es für fast alle Erkrankungen hinreichend gut untersuchte Arzneistoffe gibt, die in Schwangerschaft und Stillzeit eingesetzt werden können. Das Problem sei nur, sie zu finden. Das belegen die ca. 70 Anfragen, die täglich bei Embryotox eingehen. Da die Hälfte aller Schwangerschaften ungeplant entstehen, sollten im gesamten reproduktionsfähigen Alter gut erprobte Wirkstoffe bevorzugt eingesetzt werden. |

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