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Arzneimittel und Therapie
Abenteuerliche Vorwürfe
Frauenärzte machen Apotheker für vermehrte Schwangerschaftsabbrüche verantwortlich
Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) spricht in einer aktuellen Pressemitteilung von einer „alarmierenden Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen“. Tatsächlich haben diese im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent zugenommen. In absoluten Zahlen ist das eine zusätzliche Abtreibung pro 10.000 Frauen – nämlich 57 im Jahr 2016 und 58 im Jahr 2017. Dabei war die Rate der Schwangerschaftsabbrüche bei älteren Frauen höher als bei jüngeren: In der Altersgruppe von 30 bis 40 Jahren lag der Anstieg bei 4%, bei Frauen über 40 sogar noch höher. Bei den unter 30-Jährigen war die Zuwachsrate allerdings deutlich niedriger und bei den unter 20-Jährigen rückläufig – dies wird in der Pressemitteilung jedoch nicht erwähnt. Der BVF hält es für naheliegend, dass die Zunahme der Schwangerschaftsabbrüche insgesamt mit zwei Ereignissen aus dem Jahr 2015 zusammenhängt.
„Pille danach“ ohne Rezept
Da wäre zum einen der OTC-Switch der „Pille danach“, seit dem die Notfallkontrazeptiva ohne Rezept in der Apotheke erhältlich sind. „Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass die Apotheker durch ihre eigene Standesorganisation ungenügend auf diese anspruchsvolle Beratung vorbereitet wurden und das zu einer Zunahme unerwünschter Schwangerschaften führen könnte“, erläutert Dr. med. Christian Albring, Präsident des BVF. Eine ähnliche Steigerung hat es übrigens auch von 2016 auf 2017 gegeben. Für Albring ein weiterer, möglicher Beweis für einen Zusammenhang. Er geht davon aus, dass der neue Bundesgesundheitsminister die Qualität der Apothekenberatung kritisch überprüfen wird, schließlich habe das Bundesgesundheitsministerium im Zuge der Rezeptfreigabe der „Pille danach“ eine Evaluation dieses Prozesses angekündigt. Dass jedoch aus einem zeitlichen Zusammenhang nicht zwangsläufig ein kausaler Zusammenhang resultiert, verdeutlicht die ABDA in ihrer Stellungnahme eindrücklich: „Einen Zusammenhang zwischen der Entlassung von Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht und Schwangerschaftsabbrüchen zu postulieren, ist abenteuerlich und vergleichbar mit dem ‚Zusammenhang‘ zwischen dem Schokoladenkonsum verschiedener Länder und der Anzahl der Nobelpreisträger aus diesen.“ Gegen solch einen Zusammenhang spricht auch der Anstieg der Abgabezahlen von Notfallkontrazeptiva seit 2015. Nach Ansicht der ABDA entbehrt die Behauptung, dass Apotheker nicht zuverlässig zur „Pille danach“ beraten würden, folglich jeder Grundlage. Tatsächlich wurden mit der Entlassung aus der Verschreibungspflicht zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen auf Basis eines bereits Anfang 2015 konsentierten Curriculums durchgeführt. Wie die ABDA mitteilt, wurde bezüglich dieses Curriculums von keiner der beteiligten Institutionen, Verbänden und Fachgesellschaften Aktualisierungsbedarf angemeldet. Die Handlungsempfehlungen der Bundesapothekerkammer (BAK), an deren Erstellung und Aktualisierung neben anderen Gynäkologenverbänden auch der BVF beteiligt war, wurden hingegen gerade aktualisiert. Diese wurden vom BVF gegenüber der DAZ jedoch kritisiert, da hier beispielsweise – wohlgemerkt im Einklang mit den Fachinformationen – darauf hingewiesen werde, dass bei kombinierten oralen Kontrazeptiva eine Notfallverhütung normalerweise nicht notwendig sei, wenn die Einnahme in der zweiten Einnahmewoche vergessen wurde. Weshalb die erneuten Diskussionen um den Verschreibungsstatus der Notfallkontrazeptiva auch aus regulatorischer Sicht wenig zielführend sind, beleuchtet Prof. Dr. Niels Eckstein in seinem Gastkommentar (siehe unten).
Schlechter Ruf der „Pille“
Der andere Grund, der nach Ansicht der Frauenärzte zum Anstieg der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche geführt hat, ist, dass im besagten Jahr 2015 ein Prozess gegen Bayer begonnen hatte. Danach häuften sich die negativen Schlagzeilen zur hormonellen Verhütung in den Medien, neben dem Thromboembolie-Risiko ging es beispielsweise auch um Depressionen, die durch die „Pille“ verursacht werden können, und die zu leichtfertige Verordnung von „Pillen“ mit unklarem Risiko. Auch wiederholte Berichte zu erhöhtem Brustkrebsrisiko im Zusammenhang mit hormoneller Verhütung – über aktuelle Studienergebnisse berichten wir auf der folgenden Seite – tragen nicht zur Beruhigung bei. Anscheinend hat das dazu geführt, dass einige Frauen angefangen haben, ihre Verhütungsmethode zu überdenken. Laut dem Berufsverband ging der Verkauf der hormonellen Kontrazeptiva um 4 Prozent zurück. Aber wie verhüten die Frauen stattdessen? Die Frauenärzte befürchten, dass sich in vielen Fällen leichtfertig auf Apps verlassen wird. Mit natürlichen Verhütungsmethoden, also ohne Hormone, ohne Kupfer in ihrem Körper und ohne Barrieremethoden, kann tatsächlich eine Sicherheit erreicht werden, die ähnlich hoch ist wie die der Pille oder Spirale. Das erfordert aber Sorgfalt und Disziplin. Eine App kann lediglich als Unterstützung bei den Methoden der natürlichen Verhütung dienen und erfordert ein gutes Verständnis des weiblichen Zyklusablaufs und eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Im Vorfeld bedarf es natürlich einer entsprechenden Beratung. Laut BVF wären, um eine Frau in die natürliche Verhütung einzuführen, inklusive der obligatorischen Beobachtung des Zervixschleims zwei, drei oder mehr Schulungstermine notwendig. So sehe es etwa das Sensiplan-Programm, ein Programm zur natürlichen Familienplanung (NFP), vor, heißt es. Die NFP-Beraterinnen von Sensiplan nehmen dafür 180 Euro. Die GKV hingegen zahle 11 Euro für die Beratung zur Verhütung, das zeige, wie das Thema dort bewertet wird. |
Quelle
Pressemitteilung des Berufsverbandes der Frauenärzte e. V. vom 07. März 2018. http://www.bvf.de/, Abruf am 07. März 2018
Statistik der Schwangerschaftsabbrüche des Statistischen Bundesamtes (Destatis) vom 06. März 2018, www.destatis.de/, Abruf am 09. März 2018
Absatz von Notfallkontrazeptiva in öffentlichen Apotheken. Stand Ende 2016. www.abda.de/fileadmin/assets/ZDF/ZDF_2017/ZDF_17_48_Versorgung_Notfallverhuetungsmittel.pdf, Abruf am 09. März 2018
Curriculum der Bundesapothekerkammer. Notfallkontrazeptiva („Pille danach“) in der Selbstmedikation. www.abda.de/fileadmin/assets/Praktische_Hilfen/Leitlinien/Selbstmedikation/Curriculum_NFK_20180228.pdf, Abruf am 09. März 2018
Rezeptfreie Abgabe von oralen Notfallkontrazeptiva („Pille danach“). Handlungsempfehlungen der Bundesapothekerkammer. Stand 28. Februar 2018. www.abda.de/fileadmin/assets/Praktische_Hilfen/Leitlinien/Selbstmedikation/BAK_Handlungsempfehlungen-Checkliste-NFK_20180228.pdf, Abruf am 09. März 2018
„Ein fachlich unbeholfener Versuch!“
Ein Gastkommentar von Prof. Dr. Niels Eckstein
Einmal mehr äußert sich Herr Dr. Albring in seiner Funktion als Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte zur Entlassung von PiDaNa® (und EllaOne® – dies verschweigt er, es ist regulatorisch allerdings von entscheidender Bedeutung, wie unten ausgeführt) aus der Verschreibungspflicht. Einmal mehr geschieht dies allerdings auf einer Ebene, die eher gefühlt ist, als dass sie mit Zahlen, Daten und Fakten untermauert wird.
Zunächst einmal fällt auf, dass die Überschrift wenig oder sogar gar nichts mit dem Inhalt des Textes zu tun hat. Die Überschrift sagt vermeintlich etwas zu Schwangerschaftsabbrüchen, der Fließtext zur postkoitalen Notfallkontrazeption:
- Ein medikamentös induzierter Schwangerschaftsabbruch ist keine postkoitale Notfallkontrazeption.
- Mifepriston als Progesteron-Rezeptor-Antagonist hat mit Levonorgestrel und/oder Ulipristalacetat als Agonist wenig gemein.
Hiernach kritisiert er – man kann schon fast von einem Ritual sprechen – die angeblich schlechte Beratung der niedergelassenen Apothekerinnen und Apotheker, die zu einer Steigerung der Rate an Schwangerschaftsabbrüchen führen würde. Der einzige Datensatz, der diese krude These zu untermauern vermocht hätte, wäre eine statistische Datenerhebung, wie viele Frauen nach einem erfolglosen Versuch der postkoitalen Notfallkontrazeption abtreiben mussten seit dem Jahr 2015. Diese Daten bleibt Herr Dr. Albring in seiner Einlassung allerdings schuldig – wissenschaftliche Daten scheinen seine Sache nicht zu sein. In diesem Zusammenhang sei an einen Fall vor wenigen Jahren in Köln erinnert: Einer vergewaltigten Frau wurde der Zugang zur postkoitalen Notfallkontrazeption mit dem vermeintlichen Argument einer Abtreibung in vorauseilendem Gehorsam an einer katholischen Klinik verweigert. Dieser Fall zeigt wie wohl kein anderer, wie wertvoll der niedrigschwellige Zugang in diesem Indikationsbereich ist. Vor diesem Hintergrund die Leitlinien-gerechte Beratungstätigkeit der niedergelassenen Apothekerinnen und Apotheker zu kritisieren, erscheint dann doch etwas mehr als nur befremdlich. Zudem wird auch diese Einlassung getätigt, ohne sie mit Zahlen, Daten oder Fakten zu untermauern. Wiederum präsentiert Herr Dr. Albring keine Daten o. Ä., warum die Beratung schlecht sein soll oder woran er dies festmacht. Die Leitlinien der Bundesapothekerkammer finden keine Erwähnung und dementsprechend auch keine fokussierte Kritik, an welchem Punkt der Beratungsleitlinien seine Kritik ansetzt. Hinzu kommt eine augenscheinliche Unkenntnis der regulatorischen Historie beider Präparate: EllaOne® wurde zentral nach einer entsprechenden Empfehlung der europäischen Zulassungsbehörde durch die Europäische Kommission zugelassen. Bei einer zentralen, pan-europäischen Zulassung wird auch der Prozess des OTC-Switches zentral vollzogen – so auch geschehen im Fall von EllaOne®. Anders der Fall bei PiDaNa® – hier handelt es sich um eine nationale Zulassung. Demzufolge war auch die Entlassung aus der Verschreibungspflicht hier in nationaler Zuständigkeit. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat jedoch dem nationalen Switch von PiDaNa® über viele Jahre hinweg (entgegen der Empfehlung des Sachverständigenausschusses für die Verschreibungspflicht) nicht zugestimmt. Dies geschah erst, nachdem EllaOne® auf europäischer Ebene bereits aus der Verschreibungspflicht entlassen worden war (bzw. die Entscheidung gefällt worden war). Das BMG hat also nur verhindert, dass zwei Präparate mit einer fast identischen Indikation (drei Tage bei PiDaNa® versus fünf Tage bei EllaOne®) unterschiedlichen Abgabebestimmungen unterliegen – nicht mehr, nicht weniger. Es ist somit aus Sicht der europäischen Regulatorik völlig unerheblich, ob die deutsche Ärzte- oder Apothekerschaft für oder gegen den nationalen OTC-Switch von PiDaNa® ist. Warum Herr Dr. Albring im Lichte dieser regulatorischen Historie eine längst abgeschlossene Diskussion erneut anzustoßen versucht, bleibt sein Geheimnis.
Fazit: Herr Dr. Albring unternimmt hier wohl den fachlich etwas unbeholfenen Versuch, die politisch angekündigte Überprüfung für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Stützt man eine Betrachtung des Sachverhalts jedoch auf eine wissenschaftliche Datenerhebung, sollten alle Beteiligten (Ärzteschaft, Politik, Apothekerschaft – insbesondere jedoch die Patientinnen) einer solchen Überprüfung mit einer gewissen Gelassenheit entgegensehen.
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