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Klinische Pharmazie

Plötzlich Stationsapotheker

Wie in der Psychiatrie die Medikation eines Patienten optimiert werden kann

Immer mehr Apotheker in Deutschland arbeiten auf Station. Demnächst gibt es ein Vorhaben in Niedersachsen, dass Stationsapotheker regelhaft innerhalb der Psychiatrie eingesetzt werden sollen. Doch wie geht man bei diesem Patientenklientel strategisch vor, um die Psychopharmakotherapie zu optimieren und Interaktionen zu vermeiden? | Von Martina Hahn und Gudrun Hefner

Ein neues Modell zur Optimierung der Psychopharmakotherapie bei psychiatrischen Patienten ist das „Eichberger Modell“ [1]. Hierbei wurde in der Vitos Klinik Eichberg seit August 2011 erstmalig eine Apothekerin und klinische Pharmazeutin im Klinikteam beschäftigt. Die Einführung von Prof. Dr. Martina Hahn erfolgte stufenweise über neun Monate. Sie kooperiert mit den Ärzten der Klinik als pharmazeutische Beraterin und überprüft unter anderem die Medikamentenliste der Patienten, die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Medikation. Des Weiteren berät sie die Ärzte in Bezug auf Arzneimittelinteraktionen. Studien haben bereits bestätigt, dass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen dem behandelnden Arzt und einem klinischen Pharmazeuten die Effektivität und Verträglichkeit der Pharmakotherapie von psychiatrischen Patienten steigern kann.

Aus dem innovativen „Eichberger Modell“ leiten sich Maßnahmen ab, die die Arzneimitteltherapiesicherheit und die Effektivität der medikamentösen Therapie aufgrund einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker steigern können (Abb. 1).

Abb. 1: Auswahl an Erhebungstechniken und Parametern zur Optimierung der Pharmakotherapie bei psychiatrischen Patienten

Ausführliche Patientenanamnese

Komorbiditäten und individuelle Risikofaktoren. Für eine optimal verträgliche und effektive Psychopharmakotherapie ist es unerlässlich, detailliert patientenindividuelle (Risiko-)Faktoren inklusive Allergien und unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) in der Vorgeschichte und Komorbiditäten zu erfassen.

!! Eine detaillierte Anamnese von Komorbiditäten und in­dividuellen Risikofaktoren ist vor Beginn einer Pharmakotherapie essenziell.

Die Auswahl eines neuen Arzneistoffes sollte anhand der zu behandelnden Symptomatik des Patienten, dessen Medikation und den bestehenden Komorbiditäten und Risikofak­toren des Patienten ausgewählt werden. In Abhängigkeit vom pharmakodynamischen Rezeptorprofil bestehen wirkstoffspezifisch auch innerhalb von Substanzklassen deutliche Unterschiede bzgl. des Risikos für unerwünschte Arzneimittelwirkungen, des Risikos für Arzneimittelinteraktionen und des Risikos einer Interaktion mit einer Begleiterkrankung, unter anderem bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen [2]. Je nach Komorbidität des Patienten ist der für die Begleiterkrankung risikoärmste Arzneistoff nach Evidenzlage zu wählen. In der Fachliteratur finden sich Risikoeinschätzungen der Arzneistoffe bezüglich diverser Komorbiditäten [3].

!! Die Wahl eines neuen Arzneistoffes ist abhängig von der Diagnose, Komedikation, Komorbiditäten und individuellen Risikofaktoren.

Raucherstatus. Bei der Patientenanamnese sollte der Raucherstatus des Patienten standardmäßig abgefragt werden. Bei Rauchern ist das Erfragen des Konsums von mehr oder weniger als zehn Zigaretten bedeutsam, da die Induktion des Cytochrom-P450(CYP)-Enzyms 1A2 mit steigender Anzahl an konsumierten Zigaretten verstärkt wird und somit eine entsprechende Anpassung der Dosis von CYP1A2-Substraten erfolgen sollte [4]. Bei Behandlung mit Agomelatin, Asenapin, Clozapin, Duloxetin, Imipramin oder Olanzapin sollte der Raucherstatus des Patienten demnach ermittelt und die Dosis patientenindividuell angepasst werden [4].

!! Bei Verschreibung u. a. von Agomelatin, Clozapin, Duloxetin und Olanzapin Raucherstatus erfragen.

Die Fachliteratur empfiehlt, bei Rauchern aufgrund der beschleunigten Clearance eine Tagesdosis von 120 mg Duloxetin anzustreben [3]. Vorsicht ist geboten bei Änderungen des Raucherstatus, dann ist eine erneute Dosisanpassung empfohlen. Bereits drei Tage nach Beendigung des Rauchens ist die Deinduktion des CYP1A2 abgeschlossen, sodass es zu einem schnellen Anstieg der entsprechenden Arzneistoff-Serumkonzentration kommen kann [5].

Erhöhte Entzündungswerte im Blut. Wird ein Patient mit einer (akuten) entzündlichen Erkrankung eingewiesen bzw. entwickelt der Patient im stationären Verlauf eine Infektion, so sollten die Entzündungsparameter, insbesondere C-reaktives Protein (CRP), labortechnisch bestimmt werden. Erhöhte Entzündungswerte sind ein Indikator für einen verminderten Metabolismus der Psychopharmaka Clozapin und Risperidon [6]. Demzufolge können die Serumspiegel bei erhöhtem CRP, insbesondere bei stark erhöhten Werten > 25,0 mg/l, stark ansteigen. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen bis hin zur Intoxikation können die Folge sein. Für die meisten Psychopharmaka liegen jedoch noch keine pharmakokinetischen Studien bei entzündlichen Erkrankungen vor. Eine patientenindividuelle Dosisanpassung des Arzneistoffes ist bei entzündlichen Erkrankungen und wiederum nach Remission zu empfehlen.

!! Erhöhte Entzündungswerte (CRP) können den Metabolismus von Clozapin und Risperidon hemmen und somit zu Unverträglichkeiten führen.

Ausführliche Medikamentenanamnese

Bezüglich der Komedikation sollte zu Beginn der Behandlung eine detaillierte Medikamentenanamnese, inklusive Präparaten aus der Selbstmedikation aus der Apotheke, vorgenommen werden [7, 8].

!! Eine detaillierte Anamnese der Komedikation, inklusive OTC-Präparaten, ist vor Beginn einer Pharmakotherapie essenziell.

Arzneimittelinteraktionen. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind häufig die Folge von pharmakokinetischen und/oder pharmakodynamischen Arzneimittelinteraktionen (AM-IA). Das Risiko für AM-IA steigt mit zunehmender Anzahl an eingenommenen Medikamenten des Patienten exponenziell an (i = [n2 - n]/2) und somit auch das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Dennoch müssen Arzneimittelinteraktionen nicht generell vermieden werden und sind vereinzelt sogar therapeutisch erwünscht [9]. Letztendlich hat der Arzt anhand des individuellen Patienten die medikamentöse Therapie und deren Management zu beurteilen [7]. Detaillierte Informationen bezüglich pharmakodynamischer und pharmakokinetischer Arzneimittelinteraktionen und deren Auswirkungen sind speziellen Fachartikeln zu entnehmen (z. B. [7, 8]).

!! Arzneimittelinteraktionen müssen nicht generell ver­mieden werden.

Einflussgrößen für die Beurteilung von pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Arzneimittelinteraktionen finden sich nach Hefner et al. 2014 [10] im Kasten „Einflussgrößen“. Generell sollten die behandelnden Ärzte zur Prüfung von Einflussgrößen nach dem WEBB-Schema nach Hefner et al. vorgehen (Kasten „Das WEBB-System“). Auch bei dem WEBB-Schema sind patientenindividuelle Risikofaktoren und Lebensgewohnheiten (z. B. Raucherstatus) mit einzubeziehen. Das komplexe pharmakologische Gesamtbild der einzelnen medikamentösen Interventionen muss zur Beurteilung der klinischen Relevanz beachtet werden.

Das WEBB-System

Zur praktischen Handhabung von Kombinationstherapien und um klinisch relevante pharmakokinetische und pharmakodynamische Interaktionen beim individuellen Patienten zu detektieren, dient das sogenannte WEBB-System:

  • Wirkstoffliste inklusive Eigenmedikation erstellen und die Lebensgewohnheiten (z. B. Raucherstatus) beachten
  • Erkennen von interaktionsträchtigen Wirkstoffen (z. B. CYP-Inhibitoren oder -Induktoren)
  • Bildung von Kombinationspaaren
  • Beurteilung der Wechselwirkungspaare

Patientenindividuelle Risikofaktoren für die Entwicklung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen beachten.

Gegebenenfalls multi drug-drug interactions (MDDI) bei Beteiligung von mehr als zwei Arzneistoffen beachten.

CYP-Substrateigenschaften, CYP-inhibitorische oder -induktorische Eigenschaften von Arzneistoffen sowie pharmakodynamische Wirkprofile von Arzneistoffen lassen sich den Konsensus-Leitlinien und der Fachinformation bzw. der Fachliteratur [3, 4] entnehmen.

Klinisch relevant sind pharmakodynamische und pharmakokinetische Arzneimittelinteraktionen, wenn die erwünschten oder unerwünschten Effekte eines Arzneistoffes in dem Ausmaß verändert werden, dass eine Dosisan­passung oder ein medizinisches Einschreiten nötig wird [8].

!! Das komplexe pharmakologische Gesamtbild sämtlicher Einflussgrößen muss zur Beurteilung der klinischen Relevanz von Arzneimittelinteraktionen beachtet werden.

Einflussgrößen

Um die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Arzneimittelinteraktionen beurteilen zu können, spielen verschiedene Einflussgrößen eine Rolle (modifiziert nach [10]):

  • pharmakodynamisches Profil der kombinierten Arzneimittel beachten

– Rezeptorprofil

– therapeutisches Wirkprofil

– Nebenwirkungsprofil

  • pharmakokinetisches Profil der kombinierten Arzneimittel beachten

– CYP-Inhibitor- und -Induktor-Eigenschaften

– CYP-Substrat-Eigenschaften

  • Patientenindividualität beachten

– Pharmakogenetik

– Komorbidität

– individuelle Risikofaktoren für die Entwicklung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen

– sonstige Besonderheiten (z. B. erhöhte Entzündungswerte, Raucherstatus)

Hiemke und Eckermann veröffentlichten einen Algorithmus zur Identifizierung klinisch relevanter Interaktionen [8]. Nach den Autoren muss nicht jede denkbare Kombination einer Arzneimittelliste überprüft werden. Nach Hiemke und Eckermann besteht die Kunst der individuellen Risikoeinschätzung von potenziellen Wechselwirkungen bei Polypharmazie darin, in der Liste der verordneten Arzneimittel interaktionsträchtige Wirkstoffe/Risikoarzneistoffe zu identifizieren – im Sinne einer Signalerkennung [8].

Aufgrund des hohen Interaktionspotenzials empfehlen ­Hefner und Kollegen unter anderem, bei Bedarf anstatt des interaktionsträchtigen Melperon Pipamperon zu verschreiben, welches ein sehr ähnliches pharmakodynamisches Wirkprofil besitzt [11]. Des Weiteren sollten in der klinischen Praxis Pantoprazol anstatt Omeprazol und – wenn möglich – z. B. Lamotrigin oder Valproat anstatt Carbamazepin (als Mood-Stabilizer) verschrieben werden, um Arz­neimittelinteraktionen zu ver­meiden.

Die klinische Relevanz vieler theoretischer Interaktionen wurde bisher jedoch unzureichend untersucht. Demzufolge existieren nur wenige Evidenzen bezüglich der praktischen klinischen Relevanz einzelner Arzneistoffkombinationen.

Eine Aufzählung von publizierten pharmakokinetischen Arzneimittelinteraktionen und deren Einfluss auf die Serum-Konzentration selektiver CYP-Substrate findet sich nach Hefner et al. 2015 [12] in Tabelle 1.

Tab. 1: Beispiele klinisch relevanter, evidenzbasierter pharmakokinetischer Arzneimittelinteraktionen. Das genaue Ausmaß der pharmakokinetischen Arzneimittelinteraktion und die Referenzen sind der Arbeit von Hefner et al. 2015 zu entnehmen (modifiziert nach [12]).
CYP-Induktor/ -Inhibitor + victim drug
klinische, evidenzbasierte Konsequenz
Übertragbarkeit der klinischen Relevanz der Ergebnisse auf ­folgende CYP-Substrate
Carbamazepin
+ Aripiprazol
Abnahme der Serumspiegel um > 50%
→ Wirkverlust möglich
CYP3A4, CYP2C9
+ Quetiapin
+ Zolpidem
Bupropion
+ Venlafaxin
Zunahme der Serumspiegel um > 50%
→ Unverträglichkeiten bis hin zur Intoxikation möglich
CYP2D6
Duloxetin
+ Metoprolol
CYP2D6
Fluvoxamin
+ Amitriptylin
CYP1A2, CYP2C19
+ Clozapin
Melperon
+ Nortriptylin
CYP2D6
+ Venlafaxin
Paroxetin
+ Oxycodon
CYP2D6
+ Risperidon

Bei Verdacht auf eine klinisch relevante, pharmakokinetische Arzneimittelinteraktion ist grundsätzlich nach Indikation ein therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) des bevorzugten Substrats (victim-drug) vorzunehmen und gegebenenfalls wird die Dosis angepasst [4]. Ist kein therapeutisches Drug-Monitoring möglich, sollten stattdessen klinische Parameter geprüft werden.

!! Bei Verdacht auf eine pharmakokinetische Arzneimittelinteraktion ist ein therapeutisches Drug-Monitoring des bevorzugten Substrats vorzunehmen und gegebenenfalls die Dosis anzupassen.

Aus den Rezeptorprofilen von Arzneistoffen lässt sich auf pharmakodynamische Arzneimittelinteraktionen schließen. !! Bei Verdacht auf unerwünschte pharmakodynamische Interaktion ist die Medikation patientenindividuell zu prüfen und gegebenenfalls umzustellen. Bei Beibehalten der Medikation ist der Patient engmaschig klinisch zu überwachen.

Risikoarzneistoffe für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Kardiale und anticholinerge Hochrisikoarzneistoffe (Tab. 2 und Tab. 3) [8] sollten generell nicht verschrieben werden, nur bei fehlenden Alternativen sollten sie eingesetzt werden. Zum Beispiel sollte das in der Psychiatrie häufig verschriebene Promethazin aufgrund eines hohen Nebenwirkungs- und Interaktionsrisikos und geringer therapeu­tischer Breite nicht als erste Wahl bei verträglicheren Alternativen eingesetzt werden [3].

!! Die Verschreibung von Hochrisikoarzneistoffen vermeiden, gegebenenfalls über die Arzneimittelliste des Krankenhauses steuern.

Tab. 2: Klinisch relevante QTc-Zeit-verlängernde Potenziale von Arzneistoffen und ihre bei Kombination anzunehmende Wirkstärke (nach Hiemke und Eckermann [8]).
Wirkstoffe mit hohem Risiko
Wirkstoffe mit moderatem der Risiko
Amiodaron
Amitriptylin
Arsentrioxid
Astemizol
Azithromycin
Bepridil
Bretylium
Chinidin
Chloroquin
Cisaprid
Clarithromycin
Diltiazem
Disopyramid
Dofetilid
Domperidon
Doxepin
Droperidol
Erythromycin
Flecainid
Gallopamil
Halofantrin
Haloperidol i.v.
Ibutilid
Levomepromazin
Levomethadon
Methadon
Moxifloxacin
Pentamidin
Pimozid
Probucol
Procain
Sertindol
Sevofluran
Sotalol
Sparfloxacin
Terfenadin
Thioridazin
Tiaprid
Vandetanib
Verapamil
Vernakalant
Alfuzosin
Amisulprid
Artenimol
Atazanavir
Citalopram
Clozapin
Dolasetron
Doxylamin
Dronedaron
Eribulin
Escitalopram
Famotidin
Felbamat
Fingolimod
Foscarnet
Granisetron
Indapamid
Isradipin
Lapatinib
Levofloxacin
Lithium
Melperon
Mianserin
Moexipril
Nicardipin
Nortriptylin
Ofloxacin
Ondansetron
Oxytocin
Paliperidon
Pasireotid
Perflutren
Promethazin
Quetiapin
Ranolazin
Risperidon
Roxithromycin
Saquinavir
Sunitinib
Tacrolimus
Tamoxifen
Telithromycin
Tizanidin
Tolterodin
Vardenafil
Venlafaxin
Voriconazol
Ziprasidon
Tab. 3: Klinisch relevante anticholinerge Potenziale von Arzneistoffen und ihre bei Kombination anzunehmende Wirkstärke (nach Hiemke und Eckermann [8]).
Wirkstoffe mit hohem Risiko
Wirkstoffe mit moderatem der Risiko
Amitriptylin
Atropin
Benzatropin
Biperiden
Butylscopolaminiumbromid
Carbinoxamin
Clomipramin
Clozapin
Darifenacin
Desipramin
Dimenhydrinat
Doxepin
Fesoterodin
Flavoxat
Glycopyrronium
Hydroxyzin
Hyoscyamin
Ipratropiumbromid
Meclizin
Orphenadrin
Oxybutynin
Pirenzepin
Promethazin
Scopolamin
Solifenacin
Thioridazin
Tiotropium
Tolterodin
Trifluoperazin
Trihexyphenidyl
Trimipramin
Trospium
Amantadin
Chlorpromazin
Cimetidin
Cyclobenzaprin
Cyproheptadin
Diphenhydramin
Loxapin
Molindon
Nortriptylin
Olanzapin
Oxcarbazepin
Oxycodon
Paroxetin
Pimozid

Insbesondere ist auf internistische Risikosubstanzen (z. B. Domperidon [8]) zu achten, da deren pharmakodynamisches Risikoprofil dem behandelnden Arzt in der Psychiatrie häufig nicht bekannt ist.

Potenziell inadäquate Medikation im Alter. Aufgrund pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Veränderungen im Alter und einer hieraus resultierenden gesteigerten Sensitivität für unerwünschte Arzneimittelwirkungen [10] gelten einige Arzneistoffe als potenziell inadäquat für ältere Patienten, z. B. viele tricyclische Antidepressiva. Stark anticholinerg wirksame Arzneistoffe sind z. B. als potenziell inadäquat gelistet, da diese unter anderem das Delir­risiko erhöhen. Potenziell inadäquate Arzneistoffe für ältere Patienten sind z. B. in der Priscus- oder Forta-Liste aufgeführt [13 – 14]. Diese Arzneistoffe gelten für Alterspatienten nicht generell als kontraindiziert, jedoch sollten (laut Expertengruppe) zunächst Arzneistoffe mit einem günstigeren Profil gewählt werden. Auch wenn der erzielbare Nutzen dieser Listen bisher im psychiatrischen Setting nur unzureichend untersucht worden ist, so sollte man insbesondere gebrechlichen, multimorbiden Patienten diese Arzneistoffe erst nach sorgfältiger und individueller Nutzen-Risiko-­Abwägung verschreiben [15].

!! Potenziell inadäquate Medikation laut Priscus- oder FORTA-Liste insbesondere bei gebrechlichen Alterspatienten meiden.

Polypsychopharmakotherapie. Die Anzahl der Arzneimittel, die ein Patient einnimmt, sollte für eine bessere Verträglichkeit der Psychopharmakotherapie möglichst gering sein. Polypharmazie ist aufgrund des exponenziell steigenden Risikos für Arzneimittelinteraktionen zu vermeiden [8]. Hierfür sollte regelmäßig die Medikation auf Notwendigkeit geprüft werden, auch bezüglich internistischer Medikation. Bei Kombination von mehreren Psychopharmaka sollten sich die einzelnen Wirkprofile sinnvoll ergänzen [3, 8, 16]. Die psychopharmakologische Bedarfsmedikation sollte kurzfristig und auf ein Minimum begrenzt werden. Verschreibungskaskaden aufgrund unerwünschter Arzneimittelwirkungen, z. B. die Verschreibung von Biperiden aufgrund extrapyramidal-­motorischer Störungen (EPMS), sind zu vermeiden. Stattdessen sollte die Dosierung des Antipsychotikums unter Serumspiegel-Kontrolle reduziert werden.

!! Polypsychopharmakotherapie (inklusive Bedarfsmedikation) vermeiden und die Medikation regelmäßig auf Indikation prüfen.

Therapeutisches Drug-Monitoring

Die Expertengruppe für therapeutisches Drug-Monitoring der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) veröffentlichte im September 2017 ein Update der Konsensus-Leitlinien für therapeutisches Drug-Monitoring in der Psychiatrie und aktualisierte unter anderem dosisbezogene und therapeutische Referenzbereiche von Psychopharmaka [4].

Dass die Effektivität und Verträglichkeit einer Psychopharmakotherapie, unter anderem aufgrund optimaler Dosiseinstellung eines Psychopharmakons, gesteigert werden können [11, 17] und dass ein therapeutisches Drug-Monitoring kosteneffektiv ist, konnte durch eine Vielzahl von Studien bestätigt werden [4]. Zahlreiche Indikationen (Adhärenzkontrolle, Verdacht auf Arzneimittelinteraktionen, Risikogruppen wie geronto­psychiatrische Patienten) begründen den regelmäßigen Einsatz eines therapeutischen Drug-Monitorings für Psychopharmaka [4]. Das therapeutische Drug-Monitoring ist jedoch nur effektiv, wenn es von allen Beteiligten korrekt umgesetzt wird und die Messwerte richtig interpretiert werden, so wie es in den entsprechenden Leitlinien beschrieben wird [4].

!! Therapeutisches Drug-Monitoring kann die Effektivität und Verträglichkeit der Psychopharmakotherapie steigern.

!! Der Apotheker kann den Arzt durch sein umfangreiches Wissen in Pharmakokinetik bei der Interpretation der TDM-Befunde optimal unterstützen.

Standardisierte Verlaufs­dokumentation

Therapieansprechen und Umstellung der Medikation. Die Konsensus-Leitlinien zeigen gute Evidenz dafür, dass eine 20%ige Besserung der Symptomatik an Tag 14 nach stabiler Dosiseinstellung ein guter Prädiktor für ein späteres Therapieansprechen auf ein Psychopharmakon ist [4]. Bei Nichtansprechen (unter 20% Besserung) sollte in der zweiten Woche bereits eine frühe Umstellung der aktuellen Medikation in Erwägung gezogen werden. Um die klinische Verbesserung des Patienten zu messen, wird in diesem Zusammenhang empfohlen, routinemäßig bei Aufnahme und in der zweiten Woche nach stabiler Dosiseinstellung (innerhalb des therapeutischen Referenzbereiches) ein Rating der Symptomatik des Patienten (z. B. PANSS, CGI, GAF) durchzuführen [4]. Eine standardisierte Verlaufsdokumentation, unter anderem von der Verbesserung der Symptomatik des Patienten, ist hilfreich für die Evaluation der Effizienz von Behandlungsmaßnahmen [18].

!! Eine standardisierte Verlaufsdokumentation ist hilfreich, um die Effizienz von Behandlungsmaßnahmen zu evaluieren.

Adhärenz und Nichtwirksamkeit. Das Medikamenten-Management wird bei psychiatrischen Patienten oft erschwert durch die hohe Rate an mangelhafter Ad­härenz bei der Einnahme der Psychopharmaka. Die Gründe hierfür können vielfältig sein [19]. Auch bei glaubhafter Einnahme der Medikation durch den Patienten ist bei unzureichendem Therapieansprechen auf eine psychopharmakologische Behandlung zunächst – vor Umstellung der Medikation – ein therapeutisches Drug-Monitoring der Psychopharmaka indiziert, um die Adhärenz zu überprüfen [4]. Dabei ist es zudem wichtig, die Serumspiegel des Psychopharmakons richtig zu ­interpretieren [4].

!! Bei Nichtansprechen auf eine Psychopharmakotherapie Adhärenz mittels therapeutischen Drug-Monitorings prüfen.

Die Effektivität der Psychopharmakotherapie ist bei Non-Adhärenz nicht gewährleistet, und die Gründe dafür sind zu erörtern. Zur Förderung der Adhärenz sollten unter anderem psychosoziale und ethnische Faktoren berücksichtigt werden. Unkomplizierte Behandlungsschemata sollten gewählt werden, inklusive eines möglichst einfachen Dosisschemas. Aufgrund ethnischer Gegebenheiten ist insbesondere bei Migranten u. a. der Wille zur Einnahme von Schweinegelatine-haltigen Kapseln und alkoholhaltigen Arzneimitteln zu hinterfragen.

Auch auf Festbeträge der verschriebenen Psychopharmaka, das heißt Obergrenzen der Kostenübernahmen durch Krankenkassen (s. www.iqwig.de), sollte geachtet werden, da hohe Medikamentenkosten aufgrund notwendiger Zuzahlungen nach dem Krankenhausaufenthalt dazu führen könnten, dass die Adhärenz verringert ist. Psychoedukative Einheiten für Patienten und deren Angehörige können die Adhärenz fördern [19]. Hierzu gehört unter anderem eine gute und verständliche Aufklärung bezüglich der erwünschten und unerwünschten Wirkungen der verschriebenen Arzneistoffe. Die Patientenaufklärung sollte als Nachweis für die Klinik dokumentiert werden.

Kontrolluntersuchungen

Empfehlungen für Routineuntersuchungen bei Aufnahme und im Verlauf einer psychopharmakologischen Behandlung (z. B. EKG-Messungen) finden sich substanzklassen- und auch stoffspezifisch in der Fachliteratur [3]. Diese Empfehlungen sollten möglichst eingehalten werden. Bei zusätzlichen Risikofaktoren für eine unerwünschte Arzneimittelwirkung sollten die Untersuchungen häufiger durchgeführt werden.

!! Routineuntersuchungen sollten bei jeder Altersklasse nach Empfehlung der Fachliteratur durchgeführt werden.

Tools der Informationstechnik

IT-Tools können dem behandelnden Arzt Hilfestellung bei der Wahl der optimal verträglichen und effektiven Medikation geben [20]. Mittlerweile existieren viele Informationsquellen im Internet [7], ein speziell für die Psychiatrie entwickeltes Tool zur Prüfung von Arzneimittelinteraktionen ist z. B. PSIAConline (www.psiac.de). Die Trefferquote bezüglich klinisch relevanter Interaktionen in den Datenbanken ist jedoch häufig unzureichend [21], und zudem kommt es bei der Prüfung von Arzneimittelinteraktionen durch Computerprogramme auch zu einem over-alerting [22]. Letztendlich hat der Arzt immer die Medikation individuell anhand patientenspezifischer Faktoren zu beurteilen.

!! IT-Tools können Hilfestellung bei der Psychopharmakotherapie geben, jedoch keine zuverlässige Therapieentscheidung geben.

Fazit

Die pharmakologische Behandlung des sehr heterogenen Patientenklientels innerhalb der Psychiatrie ist hochkomplex. Insbesondere bei der Pharmakotherapie mit Psychopharmaka kann ein Apotheker den Arzt optimal durch sein pharmakologisches Fachwissen unterstützen, unter anderem können viele Arzneimittelinteraktionen vermieden werden. Insofern Arzt und Apotheker interdisziplinär kooperieren, kann die Effektivität und Verträglichkeit der Psychopharmakotherapie verbessert werden. Ein therapeutisches Drug-Monitoring in der Psychiatrie kann als effektives Instrument eingesetzt werden, um die Psychopharmakotherapie zu optimieren, das heißt eine optimal effektive und verträgliche Dosis zu finden und die Adhärenz eines Patienten zu prüfen. Zudem kann der Apotheker durch Schulungen der Ärzte dazu beitragen, dass Arzneimittelinteraktionen vermieden werden. |

Literatur

[1] Hahn M, Roll SC. Das Eichberger Modell. Psych Pflege 2015;21(03):142-144

[2] Cordes J, Lange-Asschenfeldt C, Hiemke C et al. Psychopharmacotherapy in patients with cardiovascular diseases. Internist (Berlin) 2012;53(11):1304, 1306-1312, 1314

[3] Benkert O, Hippius H. Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, 11. Auflage Springer, Heidelberg, 2016

[4] Hiemke C, Bergemann N, Clement HW, Conca A, Deckert J, Domschke K et al. Consensus Guidelines for Therapeutic Drug Monitoring in Neuropsychopharmacology: Update 2017. Pharmacopsychiatry 14. September 2017, doi: 10.1055/s-0043-116492 [Epub ahead of print]

[5] Faber MS, Fuhr U. Time response of cytochrome P450 1A2 activity on cessation of heavy smoking. Clin Pharmacol Ther 2004;76(2):178-184

[6] Hefner G, Shams ME, Unterecker S et al. Inflammation and psychotropic drugs: the relationship between C-reactive protein and antipsychotic drug levels. Psychopharmacology (Berlin) 2016;233(9):1695-1705

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[13] Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA. Potenzially inappropriate medications in the elderly: the PRISCUS list. Dtsch Arztebl Int 2010;107(31-32):543-551

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[21] Hahn M, Roll SC. Validation of interaction databases in psychopharmacotherapy. Nervenarzt 24. Juli 2017

[22] Van der Sijs H, Aarts J, Vulto A et al. Overriding of drug safety alerts in computerized physician order entry. J Am Med Inform Assoc 2006;13(2):138-147

Autoren

Martina Hahn, PharmD, Fachapothekerin für klinische Pharmazie; Studium der Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg; Doctor of Pharmacy an der University of Florida (USA); Promotion an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Lehraufträge an den Universitäten Marburg und Frankfurt in klinischer Pharmazie; seit 2011 klinische Pharmazeutin in der Vitos Klinik Eichberg, Entwicklung des „Eichberger Modells“ mit Prof. Dr. med. Sibylle C. Roll

Dr. Gudrun Hefner, Studium der Pharmazie an der Johannes Gutenberg-Universität, seit April 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin/Klinische Pharmazeutin bei der Vitos Hochtaunus gemeinnützige GmbH, Friedrichsdorf; Mitarbeit an der Studie „Optimierung der stationären Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Patienten (OSA-PSY)“

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