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Darf ich oder darf ich nicht?
Fahreignung bei Schmerzen und Schmerzmitteleinnahme
Interessanterweise stehen zumeist Opioide unter dem Verdacht, eine zwangsweise Fahruntauglichkeit hervorzurufen – zumindest aus juristischer Sicht. Recherchiert man in Pubmed, so zeigt sich, dass die wissenschaftliche Datenlage insgesamt dünn ist und nicht darauf hindeutet, dass Opioide stärker beeinträchtigend wären als andere Arzneimittel. Auch werden sie im deutschen Verkehrsrecht nicht anders behandelt als andere Wirkstoffe.
Zahlreiche andere Substanzen können durchaus die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen, beachtet man, dass z. B. Pregabalin mit Nebenwirkungen wie Somnolenz zu hohen Dropout-Raten in klinischen Studien führt [2]. Gleichzeitig stellt dieser Wirkstoff einen Blockbuster in der Therapie neuropathischer Schmerzen dar. Anfragen zur Fahreignung von Patienten, die Pregabalin einnehmen, sind jedoch in der täglichen Praxis deutlich seltener als jene in Bezug auf die Einnahme von Opioiden. Es gibt jedoch nur wenige Daten zur klinisch relevanten Beeinträchtigung durch Arzneimittel. Gibt man bei Pubmed beispielsweise die Suchanfrage „Pregabalin AND (driving OR driver)“ ein, so erhält man genau sieben Resultate. Ähnlich sieht es mit der gleichen Suchabfrage zu Amitriptylin aus. Hier erhält man auch nur zwölf Resultate. Dabei ist auch für Amitriptylin gezeigt, dass bei einer nicht gewohnheitsmäßigen Einnahme akut die Fahrfähigkeit stärker beeinträchtigt ist, als mit einem Blutalkohol-Spiegel von 0,5 mg/l. Nach zwei Wochen der Behandlung waren in der Studie [3] hingegen keine Beeinträchtigungen mehr im Vergleich zu Placebo feststellbar. Es kann vermutlich von einer Gewöhnung ausgegangen werden, die vielleicht die Beeinträchtigung durch dauerhaft eingenommene Arzneimittel klinisch nicht relevant werden lässt. Darüber hinaus besteht rechtlich gar kein wesentlicher Konflikt zwischen Fahrtätigkeit und Medikamenteneinnahme.
Rechtliche Grundlage
Die Einschätzung der Fahreignung folgt in Deutschland neben den Anforderungen der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) den „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung“. Diese werden herausgegeben von der Bundesanstalt für Straßenwesen (www.bast.de). In ihnen werden neben einem allgemeinen Teil auch spezifische Erkrankungen und Substanzen erläutert. Hierbei sind Synkopen beispielsweise acht Seiten gewidmet, dem Diabetes mellitus vier Seiten. Arzneimittel werden gemeinsam mit Betäubungsmitteln abgehandelt, dies insgesamt auf auch nur vier Seiten, wobei der Dauerbehandlung mit Arzneimitteln insgesamt nur zwei Seiten gewidmet werden [4]. Warum das so ist, wird aus der Einführung in das Kapitel „Betäubungsmittel und Arzneimittel“ in den Begutachtungsleitlinien deutlich. Unter „Leitsätze“ findet man folgende Ausführung:
„Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes nimmt oder von ihnen abhängig ist, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Dies gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für den konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.“
Dies bedeutet konkret, dass weniger die Substanz entscheidet, ob eine Fahruntauglichkeit resultiert, als der Grund, warum sie eingenommen werden. So kann die gleiche Substanz, beispielsweise Morphin, illegal – also im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes – eingenommen, eine Fahruntauglichkeit bedingen, die verordnete Einnahme von Morphin aus einem Krankheitsgrund heraus jedoch durchaus gesetzeskonform sein.
Hiervon abweichend geregelt ist Cannabis, das bei Dauergebrauch als nicht mit den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen vereinbar eingeschätzt wird. Allerdings sind die Begutachtungsleitlinien noch nicht mit der Cannabis-Freigabe durch die gesetzlichen Krankenversicherungen ab März 2017 aktualisiert.
Als Begründung zu der Einschätzung für Arzneimittel wird genannt:
„Vor allem ist zu beachten, dass eine ganze Reihe Erkrankungen, die von sich aus die Voraussetzung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen können, durch Arzneimittelbehandlungen soweit gebessert oder sogar geheilt werden, dass erst durch die Behandlung die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen wieder erreicht werden können.“
Konkret bedeutet dies, dass die resultierende Beeinträchtigung durch die eingenommene Medikation unter der liegt, die durch die Grunderkrankung hervorgerufen wird, die die Einnahme der Medikamente bedingt. Kurioserweise ist dies in unserem Nachbarland Schweiz anders geregelt. Hier wird im entsprechenden Anhang 4 („Empfehlungen zur Tauglichkeitsbeurteilung“) vom „Bundesamt für Verkehr“ zu Analgetika Folgendes ausgeführt:
„...
- Opiate, Opioide, Codein: untauglich
- Salicylate, Propyphenazon, Paracetamol: tauglich
- Analgetika und Rheumamittel beeinflussen im Allgemeinen die Fahrtauglichkeit günstig, da die Aufmerksamkeit beim Fahren durch Schmerzen stark abgelenkt werden kann.“ [5]
Deutlich ausführlicher als in den deutschen Begutachtungsleitlinien sind hier zudem einzelne Arzneimittel mit jeweils detaillierten Empfehlungen aufgeführt. Die schweizerische Einschätzung verwundert insofern, weil auch für die dort als eher günstig beurteilten Nicht-Opioid-Analgetika in Fachinformationen und Packungsbeilagen mögliche Einschränkungen für verschiedene NSAR (z. B. Ibuprofen, Diclofenac und auch für Metamizol) beschrieben werden. Insgesamt scheint also die kategorische Einteilung von Arzneimitteln in „geeignet“ und „nicht geeignet“, nicht allgemeingültig möglich zu sein.
Auch in einer Übersichtsarbeit aus 2014 [6] wird zum einen beschrieben, dass vermutlich einerseits die kontinuierliche Einnahme von Opioid-Analgetika zu einer physiologischen Adaptation führt, andererseits ein 58% bis hin zu 70% höheres Unfallrisiko bei NSAR-Einnahme zitiert wird. Letztlich folgert dieser Review, dass individuell eine risk to benefit ratio im Rahmen der Beurteilung erhoben werden muss.
Jedoch beeinträchtigen nicht nur Arzneimittel die Fähigkeit, ein Fahrzeug zu führen: In einer Untersuchung, in der vergleichbare Paare (matched pairs) mit Kraftfahrern gleichen Alters und gleicher Fahrerfahrung, jedoch dem Unterschiedsfaktor „chronische Schmerzen“, sowohl eine apparative Testung als auch eine Fahrprobe durchführten, konnte eine statistisch signifikant schlechtere Fahrleistung bei den Schmerzpatienten gezeigt werden [7]. Diese schätzten ihre Fahrleistung jedoch selbst gar nicht so schlecht ein. Hingegen konnte kein signifikanter Unterschied in der verkehrsmedizinischen apparativen Testung beobachtet werden. Beispiele für Erkrankungen die zu einer Fahruntüchtigkeit führen, zeigt der Kasten „Nicht fahrtauglich“.
Nicht fahrtauglich
Eine Fahreignung oder bedingte Eignung ist unter anderem nicht gegeben bei:
- Herzrhythmusstörungen mit anfallsweiser Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit
- erhöhtem Blutdruck mit zerebraler Symptomatik und/oder Sehstörungen
- Herzleistungsschwäche (NYHA IV)
- peripherer arterieller Verschlusskrankheit, bei Ruheschmerz
- Diabetes mellitus, bei Neigung zu schweren Stoffwechselentgleisungen
- akuten psychischen Störungen
- schweren chronischen hirnorganischen Psychosyndromen
- schwerer Altersdemenz und schweren Persönlichkeitsveränderungen durch pathologische Alterungsprozesse
- allen Manien und sehr schweren Depressionen
- mehreren manischen oder sehr schweren depressiven Phasen mit kurzen Intervallen
- Alkoholmissbrauch (nach Beendigung des Missbrauchs, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist, ist die Fahreignung gegeben)
- Alkoholabhängigkeit (wenn nach einer Entwöhnungsbehandlung keine Abhängigkeit mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist, ist die Fahreignung gegeben)
- Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis)
- regelmäßiger Einnahme von Cannabis (siehe Text)
- Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen
- missbräuchlicher Einnahme (regelmäßig übermäßiger Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen (die Fahreignung ist gegeben nach Entgiftung und Entwöhnung nach einjähriger Abstinenz)
- schwerer Niereninsuffizienz mit erheblicher Beeinträchtigung
- messbarer auffälliger Tagesschläfrigkeit
- schweren Lungen- und Bronchial-Erkrankungen mit schweren Rückwirkungen auf die Herz-Kreislauf-Dynamik
- Störung des Gleichgewichtssinnes
Quelle
nach: Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) Anlage 4 (zu den §§ 11, 13 und 14) Eignung und bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
Einschätzung der Fahreignung und Fahrsicherheit
Um zu Testmöglichkeiten und Einschränkungen Auskunft geben zu können, müssen zunächst Begrifflichkeiten definiert werden.
Voraussetzungen für eine Teilnahme am Straßenverkehr sind unter anderem
- die grundlegende Fahreignung (synonym: Fahrtauglichkeit) und zum anderen
- die Fahrsicherheit (synonym: Fahrtüchtigkeit).
Unter der Fahreignung versteht man dabei die übergeordnete, von aktuellen Befindlichkeitsparametern unabhängige Fähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs, in die auch Persönlichkeitsfaktoren eingehen. Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit können diese zum Beispiel negativ beeinflussen und dann zu einem Verbot führen.
Die Fahrsicherheit beschreibt hingegen die aktuelle, also zeitbezogene Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeugs. Sie unterliegt rasch aktuellen Veränderungen und wird dabei z. B. durch Faktoren wie Trinken von Alkohol, Schlafmangel, Medikamenteneinfluss mitbedingt [8].
Vor Antritt einer jeden Fahrt muss sich ein Verkehrsteilnehmer – unabhängig davon, ob eine Erkrankung oder andere Faktoren vorliegen – im Rahmen einer kritischen Selbstprüfung seiner aktuellen Leistungsfähigkeit vergewissern [9]. Eine Testung bei Einnahme von Analgetika ist nicht generell vorgesehen. Das heißt, ein Positiv-Gutachten ist weder vorgeschrieben noch empfohlen, sofern die Einnahme von Substanzen medizinisch indiziert erfolgt, was sich beispielsweise durch die Verordnung (z. B. Kopie des BtM-Rezeptes) oder einen (behördlich nicht vorgeschriebenen) Opioid-Ausweis belegen lässt. In den Leitlinien zur Begutachtung sind daher Gutachten nur auf behördliche Durchführung thematisiert. Eine Begutachtung erfolgt nur dann, wenn die Fahrerlaubnisbehörde die Fahreignung bereits in Zweifel gezogen hat und eine Fahreignung dem widersprechend wieder erlangt werden soll.
In der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) ist eine Anlage 4 aufgeführt, in der Krankheiten und Mängel tabellarisch aufgelistet sind mit jeweiliger Beschreibung der Eignung und bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, differenziert nach Kraftfahrzeuggruppen bzw. Klassen [10]. Unter 9.6 „Dauerbehandlung mit Arzneimitteln“ ist hier lediglich aufgeführt, dass im Falle der Vergiftung oder der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit unter das erforderliche Maß keine Fahreignung vorliegt. Weitere Regelungen sind nicht getroffen. Interessanterweise ist in der Anlage Cannabis unabhängig von anderen Betäubungsmitteln separat geregelt. Fast etwas überraschend (siehe Punkt 9.2 der Anlage 4 der FeV) ist bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis auch das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2, also Fahrzeugklassen mit erhöhten Anforderungen, dann ausdrücklich möglich, „wenn Trennung von Konsum und Fahren und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit, kein Kontrollverlust“ vorliegen. Dies verdient eine nähere Betrachtung:
Diskussion um Cannabis
Cannabis ist nicht nur in der Anlage 4 der FeV separat geregelt, auch die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung nehmen hierzu gleichlautend und dezidiert Stellung. Es ist aufgeführt:
„Wer regelmäßig (täglich oder gewohnheitsmäßig) Cannabis konsumiert, ist in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Ausnahmen sind nur in seltenen Fällen möglich, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass Konsum und Fahren getrennt werden, und wenn keine Leistungsmängel vorliegen. Wer gelegentlich Cannabis konsumiert, ist in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden, wenn er Konsum und Fahren trennen kann, wenn kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und wenn keine Störung der Persönlichkeit, kein Kontrollverlust, vorliegen.“
Dies deckt sich mit der Betrachtung in der FeV, ist jedoch vor dem Hintergrund, dass Cannabis mit März 2017 eine breitere Zulassung und Verordnungsfähigkeit in der GKV erfahren hat, näher zu betrachten. Auf der einen Seite werden somit pauschal Analgetika, darunter verkehrsfähige Betäubungsmittel, als grundsätzlich nicht fahreignungseinschränkend definiert, zum anderen ist anders als bei anderen Betäubungsmitteln und Opioiden Cannabis explizit als bei regelmäßigem Gebrauch nicht mit einer Fahreignung vereinbar klassifiziert. Über die Fraktion der Linken ist im März 2017 eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt worden, die so beantwortet wurde [11], dass Cannabis-Patienten hinsichtlich der Teilnahme am Straßenverkehr genauso behandelt werden, wie andere Patienten, die unter einer Dauermedikation stehen, also analog der Regelung der Betäubungsmittel. Somit liegt hier (noch) eine sich widersprechende Einschätzung vor, die sich aber vermutlich in der nächsten Zeit konkretisieren und mit mehr Rechtssicherheit ausgestalten lassen wird.
Inhaltlich ist diese Einschätzung durchaus kritisch und differenziert zu sehen, da Nebenwirkungen bei Cannabis-Konsum durchaus zu beobachten sind. Im Rahmen eines europäischen Verkehrsprojektes [12] war das Risiko nach kurz zurückliegendem Cannabis-Konsum einen tödlichen Verkehrsunfall zu verursachen, mindestens doppelt so hoch, zudem steigt die Gefahr insbesondere in Kombination mit Alkoholkonsum.
Möglichkeiten zur Beurteilung
In der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) sind Gutachten zur Beurteilung der Fahreignung abgestuft aufgeführt.
- Zum einen besteht die Möglichkeit für (fach-)ärztliche Gutachten gemäß § 11 Abs. 2. Oft sind dies unfallchirurgische oder psychiatrische Gutachten, bei unfallchirurgischen Gutachten häufig im Zusammenhang mit technischen Prüfungen und Umrüstungsvoraussetzungen.
- Je nach Schwere der Beeinträchtigung ist als zweite Stufe eine erneute Fahrprüfung durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr gemäß § 11 Abs. 4 FeV nötig.
- Darüber hinaus besteht als dritte Stufe die Möglichkeit für die weiterhin bekannten medizinisch-psychologischen Untersuchungen/Begutachtungen (MPU) gemäß § 11 Abs. 3 FeV.
Beispiele für technische Prüfungen finden sich in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung in der Anlage 2. Hier wird beispielsweise beschrieben, dass bei Ausfall des linken Armes das Führen von Kraftfahrrädern nicht mehr möglich ist, dass für das Führen von mehrspurigen Kfz bis 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht ein fachärztlich orthopädisches oder chirurgisches Gutachten notwendig ist, bei Besonderheiten ein Gutachten auch im Rahmen einer MPU, eine Fahrprobe durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer erwogen werden soll.
Darauf folgend sind mehrere Beschränkungen technischer Natur aufgeführt. Zum Beispiel, dass
- ein Automatikgetriebe notwendig ist,
- eine Lenkhilfe ab 1,2 t zulässiges Gesamtgewicht zu erwägen ist und
- ab 1,5 t zulässiges Gesamtgewicht ein Drehknopf am Lenkrad erforderlich ist.
Solche Auflistungen finden sich für zahlreiche körperliche Einschränkungen, nicht jedoch für die Beeinträchtigungen durch Schmerzen oder Schmerzmittel, was dann eine Grauzone bei der Beurteilung bewirkt:
Ist die Funktion beispielsweise des rechten Fußes nicht zwingend strukturell, aber zum Beispiel bei einer nervenschadenbedingten Hyperalgesie der Fußsohle oder bei Arthrose schmerzbedingt im Sprunggelenk eingeschränkt, so liegt zwar gemäß des technischen Kataloges kein Ausfall und keine „völlige Gebrauchsunfähigkeit“ vor, dennoch könnten die beschriebenen technischen Unterstützungen zumindest anteilig sinnvoll sein. Hier empfiehlt sich die unfallchirurgische Beratung oft dennoch.
Verkehrsmedizinische Beratung
Eine verkehrsmedizinische Beratung ist von der behördlich zu initiierenden Begutachtung zu trennen. Diese sollte, bleibt man bei dem Beispiel der schmerzbedingten Einschränkung des rechten Fußes bei Arthrose, dann möglichst interdisziplinär erfolgen, hier unfallchirurgisch und schmerzmedizinisch. Aus schmerzmedizinischer Sicht kann beispielsweise die Schmerzbehandlung durch nichtmedikamentöse oder zumindest nichtsystemisch wirksame Maßnahmen optimiert werden. Arthroseschmerzen können beispielsweise durch Akupunktur, durch topische NSAR, durch Phytotherapeutika (z. B. Teufelskralle, Brennessel-Extrakt oder Grünlippmuschel-Extrakt), die über eine zumindest ansatzweise Evidenz bei Arthroseschmerzen verfügen, (mit)behandelt werden. So kann eventuell der Einsatz von potenziell beeinträchtigenden Arzneimitteln vermieden werden. Auch eine Versorgung mit (dann sinnvollerweise nicht funktionseinschränkenden) Orthesen kann hilfreich sein. Letztlich kann die unter optimierter schmerzmedizinischer Einstellung verbleibende Beeinträchtigung auch apparativ getestet werden. Hierzu verfügen verkehrsmedizinisch tätige Ärzte oft über eine durch die Fahrerlaubnis-Verordnung zugelassene Testvorrichtung (z. B. das Wiener Testsystem), mit der die geforderten Dimensionen
- Reaktionsfähigkeit
- Konzentrationsleistung
- Orientierungsleistung
- Belastbarkeit
- Aufmerksamkeitsleistung
getestet werden können.
Obschon diese Tests validiert und normiert und mit vorherigen Trainingsphasen versehen sind, ist in der Praxis häufig zu beobachten, dass computerungeübte Probanden schlechter abschneiden als in einer tatsächlichen Fahrprobe, die – mit dann natürlich höherem Aufwand – ebenfalls zur Evaluation der Fahreignung außerhalb eines Gutachtens möglich ist. Für Versicherte der gesetzlichen Unfallversicherung wird im BG-Klinikum Duisburg beispielsweise eine zweitägige, sehr ausführliche Evaluation der Fahreignung angeboten (siehe Abb. 1). Diese beinhaltet am ersten Tag
- eine ärztliche Untersuchung und Evaluation medikamentöser oder nicht medikamentöser Behandlungsalternativen,
- eine Serumspiegel-Kontrolle der eingenommenen Medikation,
- eine Fragebogen-Diagnostik,
- eine psychologische Exploration hinsichtlich möglicher konkurrierend bestehender Einschränkungen sowie eine
- apparative Fahreignungsdiagnostik mit dem Wiener Testsystem gemäß Fahrerlaubnisverordnung.
Am zweiten Tag erfolgt dann
- eine chirurgische Untersuchung mit Überprüfung von möglichen Hilfsmitteln und Evaluation der körperlichen Einschränkung,
- physio- und ergotherapeutische Messung der Kraft, Koordination und Funktion nebst Bewegungsausmaßen sowie
- abschließend eine Fahrprobe durch einen Fahrlehrer, bei Bedarf auch inklusive Nebentätigkeiten wie Ladungssicherung bei Berufskraftfahrern.
Hierbei handelt es sich zwar um sehr ausführliche und damit auch kostenintensive Untersuchungen, die jedoch auch qualitativ über die rein apparative Testung hinausgehen.
In der praktischen Erfahrung zeigt sich, dass es häufig noch Möglichkeiten gibt, um eine medikamentöse Beeinträchtigung zu vermeiden: Neben den schon oben genannten topischen Maßnahmen beispielsweise durch Behandlung mit 8%-igem Capsaicin bei Nervenschmerzen, durch Anwendung von rückenmarknaher Neurostimulation (epidurale Rückenmarkstimulation [SCS] oder Stimulation der Spinalganglien [DRG]) anstelle von systemischen Antikonvulsiva oder Antidepressiva zur Nervenschmerzbehandlung sowie auch durch nichtmedikamentöse Verfahren wie Erlernen von Entspannungsverfahren, Anwendung von Hypnotherapie oder das Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR).
Überprüfung außerhalb der Fahrerlaubnisverordnung
Die oben genannten Grundlagen und Einschätzungsmöglichkeiten gelten primär innerhalb der Fahrerlaubnisverordnung, also im öffentlichen Verkehr. Darüber hinaus bestehen zusätzliche Gesetze und Vorschriften für spezielle Verkehrsformen. Eine Übersicht findet sich im Leitfaden für Betriebsärzte zur Anwendung des G25 (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung [DGUV] Grundsatz Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten) [13]. Hierin aufgeführt sind gültige Regelungen beispielsweise für
- den Schienenverkehr (Eisenbahn, Bau- und Betriebsordnung, EBO), Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (BOStrab),
- für den innerbetrieblichen Transport und Verkehr in verschiedenen Unfallverhütungsvorschriften (UVV): Krane, Flurförderfahrzeuge, Fahrzeuge, Schienenbahnen, Luftfahrt und andere.
Diese Vielfalt der gültigen Regelungen erschwert die Beurteilung von Fahreignung und Arbeitsfähigkeit für den praktisch tätigen Verkehrsmediziner, da zum Teil zudem Regelungen innerhalb des Arbeitsvertrages bestehen können, die sich dann der generellen Beurteilung entziehen. Auch können Arbeitsplatzprofile und Eignungsuntersuchung vom Arbeitgeber erstellt und von einem Arzt durchgeführt werden, Stellungsnahmen anderer Ärzte müssen hier nicht anerkannt werden.
Fazit
- Unter Analgetika – gleich welcher Wirkstoffklasse – ist grundsätzlich eine Teilnahme am Straßenverkehr möglich, sofern es nach einer kritischen Selbstüberprüfung keine Einschränkungen gibt und keine aus schmerzmedizinischer Sicht relevanten beeinträchtigenden Schmerzen.
- Eine vorauseilende Begutachtung oder Positiv-Bescheinigung ist nicht notwendig. Jedoch hilft es im Falle von Kontrollen, dass die Einnahme mit einer medizinischen Verordnung belegt werden kann, beispielsweise durch eine Kopie der Arzneimittelverordnung oder einen (jedoch nicht vorgeschriebenen) Opioid- oder Medikamentenausweis.
- Eine Begutachtung ist erst durch behördliche Anordnung vorgeschrieben, dann in der Regel zur Wiedererlangung einer Fahrerlaubnis, wenn bereits Zweifel geäußert wurden.
- Eine verkehrsmedizinische Überprüfung und Beratung, um Rechtsunsicherheiten und Einschränkungen zu vermeiden, ist jedoch davon unbenommen und außerhalb des öffentlichen Begutachtungswesens zu sehen.
- Die Anwendung von Cannabis mit medizinischer Indikation ist noch nicht rechtssicher ausgestaltet. Sie wird nach Einschätzung der letzten Bundesregierung zunächst mit der Beurteilung von anderen verkehrsfähigen Betäubungsmitteln gleichgesetzt, obschon es hier abweichende Einschätzungen in der Fahrerlaubnisverordnung gibt, übernommen von den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung.
- Die Beurteilung der Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeit innerhalb des beruflichen Bereiches obliegt Betriebsärzten. Hierzu existieren zahlreiche weitere Gesetze und Verordnungen sowie Unfallverhütungsvorschriften seitens der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). |
Literatur
[1] Orientierungslos und verwirrt. Polizei-Video zeigt Tiger Woods‘ Festnahme. www.ntv.de 1. Juni 2017, www.n-tv.de/leute/Polizei-Video-zeigt-Tiger-Woods-Festnahme-article19870967.html
[2] Lo YL, Cheong PW, George JM, Tan SB, Yue WM, Guo CM, Fook-Chong S. Pregabalin and Radicular Pain Study (PARPS) for Cervical Spondylosis in a Multiracial Asian Population. J Clin Med Res 2014;6(1):66-71
[3] Veldhuijzen DS, van Wijck AJ, Verster JC, Kenemans JL, Kalkman CJ, Olivier B, Volkerts ER. Acute and subchronic effects of amitriptyline 25mg on actual driving in chronic neuropathic pain patients. J Psychopharmacol 2006;20(6):782-788
[4] Gräcmann N, Albrecht M. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung. Bundesanstalt für Straßenwesen, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - Mensch und Sicherheit, Heft M 115, 14. August 2017, http://www.bast.de/DE/Verkehrssicherheit/Fachthemen/BLL/Begutachtungsleitlinien-2017.pdf?__blob=publicationFile&v=12
[5] Empfehlungen zur Tauglichkeitsbeurteilung bei verkehrsmedizinisch relevanten Krankheitsbildern. Bundesamt für Verkehr, Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, Version 1.2 vom 1. Mai 2014, www.bav.admin.ch/dam/bav/de/dokumente/richtlinien/eisenbahn/anhang_4_empfehlungenzurtauglichkeitsbeurteilung.pdf.download.pdf/anhang_4_empfehlungenzurtauglichkeitsbeurteilung.pdf
[6] Hetland A, Carr DB. Medications and Impaired Driving: A Review of the Literature. Ann Pharmacother 2014;48(4):494–506
[7] Veldhuijzen DS, van Wijck AJ, Wille F, Verster JC, Kenemans JL, Kalkman CJ, Olivier B, Volkerts ER. Effect of chronic nonmalignant pain on highway driving performance. Pain 2006;122(1-2):28-35
[8] Madea B, Mußhoff F, Berghaus G (Hrsg.). Verkehrsmedizin. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 2012
[9] Berghaus G, Käferstein H, Rothschild MA. Arzneimittel und Fahrsicherheit. Dtsch Arztebl 2006;103(31–32):A 2104–2109
[10] Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) Anlage 4 (zu den §§ 11, 13 und 14) Eignung und bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. www.gesetze-im-internet.de/fev_2010/anlage_4.html
[11] Cannabispatienten dürfen Auto fahren. Deutscher Bundestag – Parlamentsnachrichten Gesundheit/Antwort, 5. April 2017, www.bundestag.de/presse/hib/2017_04/-/502018
[12] Driving under the Influence of Drugs, Alcohol and Medicines – DRUID, Stand 21. Oktober 2011, www.bast.de/EN/Traffic_Safety/Subjects/druid/Deliverable_2_1_3.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[13] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) Grundsatz Fahr-, Steuer und Überwachungstätigkeiten. Leitfaden für Betriebsärzte zur Anwendung des G 25. http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/g25.pdf
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