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Erste Auswertungen des ATHINA-Projekts
Nutzen von Brown-bag-Review und Medikationsanalyse wird untersucht
Das ursprünglich von der Apothekerkammer Nordrhein ins Leben gerufene ATHINA-Projekt wird heute von fünf Kammerbereichen (Nordrhein, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hessen, Bremen) regelhaft angeboten. Zur Erlangung eines ATHINA-Zertifikats nimmt der Apotheker zunächst an einer zweitägigen, standardisierten Schulung teil und führt anschließend vier Medikationsanalysen mit Patienten in seiner Apotheke durch, die dokumentiert und bei der Kammer eingereicht werden (Qualifikationsphase). Außerdem nehmen die Apotheker an vier ATHINA-Fortbildungs-Webinaren teil, bevor sie anschließend als zertifizierte ATHINA-Apotheker Medikationsanalysen für ihre Patienten anbieten können. Über die Kammer kann der Apotheker auch ein Tutorenfeedback einfordern, bei dem ein fachspezifisch ausgebildeter Apotheker die Ergebnisse der Medikationsanalyse gegenprüft und den durchführenden Apotheker mit Feedback unterstützt. Die Durchführung der Medikationsanalyse wird durch ein strukturiertes Excelfile unterstützt, in dem der Apotheker die Medikation des Patienten erfasst, die identifizierten ABP dokumentiert, angestoßene und durchgeführte Maßnahmen festhält und am Ende klassifiziert, ob das ABP gelöst werden konnte oder weiterbesteht. In diesem Excelfile können strukturiert drei unterschiedliche Informationsbedarfe (Informationsbedarf bezüglich der Indikation, der Dosierung oder der Anwendung) und fünf Kategorien von Problemen (Interaktion, unerwünschte Arzneimittelwirkung, Nonadhärenz, potenziell inadäquate Medikation oder Kontraindikation) dokumentiert werden. Insgesamt vergehen zwischen Einschluss des Patienten in das ATHINA-Projekt, Durchführung eines Brown-bag-Reviews zur Erfassung der Therapie, anschließender Medikationsanalyse und einem abschließenden Gespräch mit dem Patienten, bei dem die Ergebnisse der Medikationsanalyse diskutiert werden, etwa zwei Wochen.
Umfang und Art der im ATHINA-Projekt erfassten und gelösten ABP wurden in einer retrospektiven Stichprobe von 912 Patientenfällen durch die Abt. Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie/Kooperationseinheit Klinische Pharmazie am Universitätsklinikum Heidelberg analysiert und Ende 2016 veröffentlicht [2]. Die Hauptergebnisse werden im Folgenden berichtet, wobei unter ABP alle dokumentierten Informationsbedarfe und Probleme zusammengefasst werden.
ABP bei fast jedem Patienten
Tatsächlich dokumentierten die Apotheker bei nahezu jedem Patienten (N = 869/912, 95,3%) bei mindestens einem Arzneimittel mindestens ein ABP. Durchschnittlich war unabhängig von der Gesamtzahl an Arzneimitteln circa die Hälfte der Arzneimittel eines Patienten mit einem ABP assoziiert. In den meisten Fällen dokumentierte der Apotheker genau ein ABP pro Arzneimittel, in knapp 40% der Arzneimittel war ein Arzneimittel mit mehreren Problemen behaftet, z. B., wenn ein Patient einen Informationsbedarf zur Arzneimittelanwendung hatte und gleichzeitig nicht adhärent war.
Interaktionen auf Platz 1
Das häufigste ABP, das bei einem Arzneimittel dokumentiert wurde, waren Arzneimittelinteraktionen. Diese kamen sowohl alleine (59,1%) als auch in ABP-Kombinationen (39,5%) am häufigsten vor, gefolgt von einem Informationsbedarf zur Anwendung (13,4% alleine und 15,8% in Kombination), zur Dosierung (8,7% alleine und 13,7% in Kombination) und zur Indikation (8,1% alleine und 11,3% in Kombination).
Bei etwa einem Drittel der Arzneimittel mit ABP gaben die Apotheker an, den Arzt in die Problemlösung zu involvieren, entweder, indem sie ihn direkt kontaktierten oder indem sie den Patienten baten, mit dem Arzt Kontakt aufzunehmen. Bei 14% aller Arzneimittel mit ABP war die Beratung durch den Apotheker die einzige durchgeführte Maßnahme.
Am Ende gaben die Apotheker an, dass 60,9% der Probleme gelöst waren, 22,7% teilweise gelöst und 5,5% nicht als problematisch zu werten waren. Etwa jedes zehnte Arzneimittel mit ABP war jedoch auch nach der Medikationsanalyse noch problembehaftet.
ABP nahmen ab
Im Durchschnitt nahm die Rate an problembehafteten Arzneimitteln pro Patient von 56,0 ± 22,7% auf 28,9 ± 18,3% ab und im Umkehrschluss stieg der Anteil der Patienten, deren Medikation kein einziges (ungelöstes) ABP mehr enthielt, signifikant auf 39,4% (verglichen mit 4,7% der Patienten, bei denen schon zu Beginn der Analyse kein einziges ABP in der Medikation identifiziert wurde, p < 0,001).
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein ABP gelöst wurde, war 1,4 fach erhöht, wenn es sich um ein OTC-Arzneimittel handelte, und OTC-Arzneimittel waren seltener mit einem ABP assoziiert als verschreibungspflichtige Arzneimittel. Erwartungsgemäß wurden bei den OTC-Arzneimitteln häufiger ein Informationsbedarf als verordnungsspezifische Probleme dokumentiert, während es sich bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln umgekehrt verhielt.
Medikationsanalyse lohnt sich
Auch die Art des ABPs beeinflusste die Wahrscheinlichkeit, dass das Problem am Ende als gelöst dokumentiert wurde. So wurden Arzneimittel-Anwendungsfragen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit gelöst als verordnungsspezifische Probleme wie potenziell inadäquate Medikation, Nonadhärenz, unerwünschte Arzneimittelwirkungen oder Kontraindikationen, bei denen möglicherweise Therapieumstellungen bzw. eine konzertierte Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker erforderlich waren, die innerhalb des relativ kurzen verfügbaren Dokumentationszeitraums am Ende oft nicht organisiert werden konnten.
Dass eine Medikationsanalyse durchführbar und lohnenswert ist, zeigt die hohe Anzahl der als gelöst dokumentierten ABP (Beweis der Machbarkeit); dies lässt vermuten, dass auch das Risiko für tatsächliche unerwünschte Folgen der Medikation dadurch gesenkt werden kann, was aber bisher nicht untersucht wurde. Inwiefern eine Medikationsanalyse langfristig klinische Endpunkte wie Krankheitslast, Hospitalisierungen oder gar Mortalität senken kann, wird derzeit in der Literatur kontrovers diskutiert [3, 4] und muss daher wahrscheinlich für jede Intervention gezeigt werden. Um den mittelfristigen Einfluss einer ATHINA-Intervention auf die Medikation und patientenbezogene Endpunkte zu evaluieren, wird im ATHINA-Konsortium derzeit eine prospektive Studie durchgeführt – Ende 2017 werden hierzu erste Ergebnisse vorliegen. |
Literatur
[1] Die Apotheke. Zahlen Daten Fakten 2016. Verfügbar unter: https://www.abda.de/uploads/tx_news/ABDA_ZDF_2015_Brosch.pdf. Zuletzt aufgerufen am 24.01.2017
[2] Seidling HM, Send AF, Bittmann J, Renner K, Dewald B, Lange D, Bruckner T, Haefeli WE. Medication review in German community pharmacies – Post-hoc analysis of documented drug-related problems and subsequent interventions in the ATHINA-project. Res Social Adm Pharm 2016 (Epub). doi: 10.1016/j.sapharm.2016.10.016
[3] Christensen M, Lundh A. Medication review in hospitalised patients to reduce morbidity and mortality. Cochrane Database Syst Rev 2016;2:CD008986.
[4] Huiskes VJ, Burger DM, van den Ende CH, van den Bemt BJ. Effectiveness of medication review: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. BMC Fam Pract 2017;18:5.
Autoren
Dr. Hanna M. Seidling und Prof. Dr. Walter E. Haefeli, Universitätsklinikum Heidelberg, Abt. Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie, Kooperationseinheit Klinische Pharmazie; Carina John, PharmD, Apothekerkammer Nordrhein; Julia Fabricius, Apothekerkammer Niedersachsen; Johanna Hauser, Landesapothekerkammer Hessen, Patrick Schäfer, Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, und das ATHINA study team mit Bernd Dewald,PharmD, Wera Holthaus, Simone Küpping, Dörte Lange, Birgit Neuhold, Dr. Katja Renner, Dr. Ulrich Weißenborn, Isabelle Wendel (Athina-Projekt); Janina Bittmann, Dr. Alexander Send, Dr. Thomas Bruckner (Universitätsklinikum Heidelberg)
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