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Kongresse
„Eine Höchstpreisverordnung halten wir nicht aus“
Bericht vom 9. Kooperationsgipfel des BVDAK
Der Kooperationsgipfel des BVDAK, der am 15. und 16. Februar im Münchner Leonardo Hotel stattfand, hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr zu einem Branchentreff entwickelt. In diesem Jahr nahmen über 400 Repräsentanten von Apothekenkooperationen, der Pharmaindustrie, des pharmazeutischen Großhandels und der Warenwirtschaftsanbieter teil. Über 15 Referate beleuchteten den Markt aus unterschiedlicher Perspektive und stellten Trends vor. Die Digitalisierung, der OTC-Markt und die Entwicklung der Apotheken und Kooperationen standen im Mittelpunkt.
Vor über 400 Teilnehmern machte Hartmann deutlich: „Die Arzneimittelpreisverordnung muss erhalten bleiben! Sie ist eine wesentliche Säule der Arzneimittelversorgung.“ Käme eine Höchstpreisverordnung bei Rx-Arzneimitteln, wäre dies für viele Apotheken nicht auszuhalten. Allein ein Rabatt von zwei Euro auf Rx-Arzneimittel könne für eine Apotheke ein Betriebsergebnis bedeuten, das bei Null liege. Hartmann ist überzeugt, dass die Apotheken die Herausforderung aufnehmen und kämpfen. Der BVDAK empfiehlt, die Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen, sich weiter zu vernetzen, auch kooperationsübergreifend, und Veränderungen als Chance zu betrachten.
Hartmanns Fazit: „Wenn der einheitliche Arzneimittelpreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel fällt, wird die ‚Konsolidierung‘ an Fahrt aufnehmen. Da die Standesvertretung keine gewinnbringende Rx-Vergütung durchsetzt“, so der BVDAK-Chef, „wollen die Apotheker wenigstens die Hoheit über effiziente Prozesse und die Einkaufskosten steuern können. Das bieten ihnen die Kooperationen.“
Kooperationsmarkt stagniert
Klaus Hölzel vom Apotheken Management Institut, der zusammen mit Hartmann durch die Vorträge des Kongresses führte, gab einen kurzen Überblick über die Kooperationslandschaft. Er stellte fest: Der Markt der Kooperationen stagniert heute weitgehend. Rund drei Viertel aller Apotheken sind in einer oder mehreren Kooperationen, „hier sind wir wohl an einer Obergrenze angekommen“, so Hölzel. Zu den größten Kooperationen zählen heute Linda und MVDA mit rund 4500 Mitgliedern, gefolgt von mea und EMK (3300), E-plus und A-plus (3100), gesund leben (2300) und Alphega (1750). Der Bindungsgrad der Apotheker an ihre Kooperation sei relativ niedrig, so Hölzel: „Die überwiegende Zahl der Kooperationsapotheker will sich Freiheiten behalten, sie wählt in der Regel die niedrigste Stufe der Verpflichtungen“ (siehe auch den Bericht in der Apotheker Zeitung Nr. 8 vom 20. Februar).
„Die Preisbindung wird fallen ...“
Als Überraschungsgast hatten die Veranstalter Professor Gerd Glaeske eingeladen, um ihm Fragen zur Lage der Apotheken zu stellen. Zum Beispiel: Wie sieht er Tendenzen der Apotheken zur Differenzierung? Für Glaeske ist die Differenzierung ein Ausdruck von Wettbewerb, die Suche nach besseren Lösungen. Nicht mehr alle Apotheken werden alles gleich gut können.
„Wenn eine Apotheke etwas besser kann, dann muss das honoriert werden“, sagte Glaeske, der sich vom Apotheker eine Gegenöffentlichkeit erhofft, beispielsweise im Bereich der Selbstmedikation: „Eine selbstbewusste Entscheidung eines Apothekers für empfehlenswerte Arzneimittel anhand von Studien“, fügte Glaeske hinzu.
Beim Thema Medikationsmanagement und Medikationsplan stellte sich Glaeske auf die Seite der Apotheker. „Ich kritisiere, dass die Apotheker beim Medikationsplan nicht gleichberechtigt mit den Ärzten sind.“ Dass Apotheker nicht als Arzneimittelfachleute angesprochen werden, ist ein politischer Fehlgriff, zeigte sich der Pharmazeut und Versorgungsforscher überzeugt. Ein Medikationsmanagement könnten natürlich nicht alle Apotheken leisten, Fortbildung sei nötig und man müsse Voraussetzungen definieren, damit klar sei, wer mitmachen darf.
Beim Thema Fremdbesitz ist Glaeske überzeugt: Er wird noch weiter fallen, als er schon gefallen ist. Er ist überzeugt, dass es heute schon Apothekenstrukturen gibt, bei denen es im Hintergrund finanzielle Unterstützung von verschiedener Seite gibt, weil Geldgeber, Großhandlungen oder Beraterfirmen investiert hätten.
Mit Blick auf das EuGH-Urteil riet Glaeske den Apothekern, in Zukunft lieber auf Kundenbindung als auf Preisbindung zu setzen, „denn“, so ist Professor Glaeske überzeugt, „die Preisbindung wird irgendwann fallen, das weiß jeder, der sich damit befasst“.
Am Schluss der Talkrunde ließ er das Auditorium wissen, dass es schon bald eine neue Gesundheitssendung im ZDF geben werde, „ich werde darin die Apotheker vertreten“.
Die Zeit läuft …
Rechtsanwalt Morton Douglas befasste sich mit Konsequenzen nach dem EuGH-Urteil. Die Frage sei, ob man den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, der mittlerweile über zwölf Jahren arbeite, verbieten könne. Es wäre ein deutlicher Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Versender. Dieser Eingriff müsste aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden, so Douglas. Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums, ein Rx-Versandverbot durchzusetzen, sei zwar eine Möglichkeit, allerdings, so Douglas, läuft hier die Zeit gegen eine Gesetzesänderung. Denn alles, was nicht bis Ende März ins Gesetzgebungsverfahren eingeleitet sei, könne in dieser Legislaturperiode nicht mehr abgeschlossen werden. Nach der Wahl müsste das Verfahren ganz von vorne beginnen.
Welche Optionen hat der Gesetzgeber noch? Eine Höchstpreisregelung ist theoretisch denkbar, ein Teil des Apothekenhonorars könnte als Variable zu Zwecken des Wettbewerbs zur Verfügung gestellt werden. Allerdings stellt sich hier die Frage, wo die Grenze zu ziehen sei. Und die GKV werde diesen Teil für sich reklamieren. Denkbar wäre auch, das gesamte Arzneimittelpreisrecht ins Sozialrecht zu übertragen und ein vertragliches Zugabenverbot festzulegen. Als rein sozialrechtliche Regelung wäre der Arzneimittelpreis wohl auch dem Zugriff des europäischen Rechts entzogen. Auch eine Absenkung des Honorars im Versand wäre denkbar, zu rechtfertigen mit dem geringeren Aufwand. Dies würde allerdings Begehrlichkeiten bei der GKV wecken und Fragen der Vergütung insgesamt aufwerfen. Fraglich sei, ob eine Klage auf Inländerdiskriminierung zielführend sei. Eine Option ist natürlich auch, den Status quo vorerst beizubehalten. Douglas geht davon aus, dass die Politik genau darauf spekuliert, um nach der Wahl ohne Druck eine grundlegende Änderung vorzunehmen.
Super-Chancen für Apotheken
Dass auch die Apotheke vor Ort im Netz vertreten sein sollte, machte Joss Hertle, früher Mitarbeiter bei Google, heute selbstständig mit dem Unternehmen Xeomed, deutlich. 37 Mio. Suchanfragen pro Jahr lauten „Wo ist die nächste Apotheke?“. Ein deutlicher Trend: Der Kunde sucht online und geht offline in der Apotheke vor Ort einkaufen. Der lokale Service gewinnt, so Hertle, denn die Präsenz-Apotheke stehe für Beratung und Service, wie Umfragen zeigten. Die Apotheke könnte der „amazon prime now“-Service sein, die Lieferung der Arzneimittel in einer Stunde, „die Super-Chance für Apotheken“. Die Apotheke könnte auch Bestellungen über WhatsApp aufbauen, „macht zwar Arbeit und benötigt kontinuierliche Pflege, kann aber einen echten Mehrwert bringen“, so Hertle, der auch dazu riet, den Kundenkarten und den damit verbundenen Daten mehr Aufmerksamkeit zu schenken, das sei „ein Goldschatz“.
Potenzial für die Apotheke sieht Martin Spengler von L’Oréal Deutschland im Freiwahlauftritt der Apotheke. Für Spengler ist dieser Auftritt eher ein „Aschenputtel“ der Apotheke, dabei könnte die Freiwahl mit dem richtigen Know-how schnell zur Prinzessin für Kunden und Apotheke werden. Dazu gehöre vor allem, sein Umfeld zu analysieren, Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten und relevante Zielgruppen für die Freiwahl festzulegen. Wichtig sei auch die systematische Planung der Kundenansprache: Auf den Kunden zugehen, auch in der Freiwahl, auch im wahrsten Sinn des Wortes.
Für Dr. Anna Laven vom Fortbildungsunternehmen Pharmabrain stecken in der richtigen Anwendung der evidenzbasierten Selbstmedikation Chancen für die Apotheke. Zu einer evidenzbasierten Pharmazie gehörten neben evidenzbasierten Inhalten auch die persönlich gesammelte Erfahrung mit Patienten und der ex- und implizite Kundenwunsch. Um evidenzbasierte Empfehlungen in der Selbstmedikation machen zu können, benötigen Apotheken eine Aufstellung der besten verfügbaren Evidenz zu den eingesetzten Wirkstoffen, ein zielgerichtetes Interaktionstraining zur Beratung ihrer Chroniker, Dokumentation und Austausch klinischer Erfahrungen und Gesprächstechniken, um patientenzentriert kommunizieren zu können.
Chancen, die eine erfolgreiche Werbekampagne bringt, stellte Tobias Dillinger von DNMC, einer Agentur für Online-Kommunikation, Schwerpunkt Social Media, vor. Die von dieser Agentur (im Auftrag der Klosterfrau Healthcare Group) entworfene satirische Kampagne zum Thema „Männergrippe“ ist die erfolgreichste Social-Media-Kampagne im Bereich Pharma. Die Kampagne hat über 650.000 Fans auf Facebook, mehr als 640 Mio. Aufrufe. Neben Facebook werden auch die Kanäle Twitter, Instagram und WhatsApp bespielt. Nur ein Beispiel dafür: „Mein Mann hat die Männergrippe. Familie steht versammelt in unserem Schlafzimmer, Kerzen brennen. Warten nun auf den Pfarrer.“
Apotheke mit Miniklinik
In der Schweiz sehen Vordenker Chancen für Apotheken, wenn sie sich mit der Telemedizin befassen. Dr. Andy Fischer vom Dienstleister Medgate und Dr. René Jenni von der Kooperation TopPharm denken darüber nach, eine Miniklinik in den Apothekenräumen einzurichten. Ihr Konzept: Ein separater Raum, von der Apotheke aus zugänglich, in dem auf Veranlassung des Apothekers eine medizinische Praxisassistentin eine diagnostische Untersuchung durchführt, unterstützt durch verschiedene Diagnosegeräte. Die Daten werden telemedizinisch an einen Arzt übertragen, der sich die Werte ansieht und per Video umgehend mit dem Patienten in dieser Miniklinik Kontakt aufnimmt. Testversuche hätten ergeben, dass 90 Prozent der Patienten einen Besuch in der Miniklinik gleich oder sogar besser beurteilten als einen traditionellen Arztbesuch. Eine der wichtigsten Fragen wird sein, so Fischer, welche Patienten geeignet sind, darin behandelt zu werden.
Was heute bereits in der Schweiz läuft: Zwei Krankenkassen bieten ihren Patienten vergünstigte Prämienzahlungen an, wenn sie vor einem möglichen Arztbesuch erst eine Apotheke aufsuchen, um sich beraten zu lassen. Der Apotheker entscheidet dann, ob die Beschwerden über die Selbstmedikation gelindert werden können oder ob ein Arztbesuch notwendig wird. Apotheker dürfen in bestimmten Fällen sogar Diagnosen stellen und Antibiotika abgeben (z. B. bei Harnwegsinfektionen, Konjunktivitis, Ekzemen u. a.). Die Kassen honorieren diese Dienstleistungen der Apotheke mit 50 Franken. Auch Impfungen durch Apotheken (Grippeschutzimpfung, FSME-Impfung) sind in den meisten Schweizer Kantonen erlaubt. Für die Patienten sei dies sehr bequem, immer weniger gingen wegen einer Impfung zum Arzt. Die Patienten bezahlen für die Impfungen zwischen 30 und 50 Euro plus den Impfstoff. Anfangs habe es natürlich von verschiedenen Seiten Widerstand gegeben, „aber“, so Jenni, „man muss Grenzen überschreiten, dann bekommt man auch etwas von der Politik zurück“. |
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