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Kongresse

Rx-Versandverbot ist alternativlos

9. Zukunftskongress des Apothekerverbands Nordrhein

BONN (diz) | Die Entscheidung der Politik für ein Rx-Versandhandelsverbot noch in dieser Legislatur­periode ist alternativlos, sonst steht die Zerstörung des Apothekenwesens bevor. Mit deutlichen Worten führte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, auf dem 9. Zukunftskongress in Bonn die Bedrohung durch das ­EuGH-Urteil vor Augen. Barbara Steffens, Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen, unterstrich in ihrem Grußwort die Notwendigkeit eines Rx-Versandverbots. Die Apotheker sollten sich allerdings auch „hinter verschlossenen Türen“ Alternativen überlegen, falls das Verbot keine Mehrheit findet.
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Thomas Preis appelliert an die Bundes-SPD, dem Rx-Versandverbot zuzustimmen

Vor rund 400 Teilnehmern eröffnete Thomas Preis den Zukunftskongress im Bonner World Trade Center. In seiner Begrüßung stand das EuGH-Urteil im Mittelpunkt. Über die frühzeitige politische Rückendeckung für ein Rx-Versandverbot vonseiten des Bundesrats habe er sich gefreut. Allerdings habe sich die SPD trotz dieses Votums und eines Gesetzentwurfs von Bundesgesundheitsminister Gröhe gegen ein Rx-Versandverbot positioniert. Mit ihrer Argumentation, der Versandhandel sei zur Sicherstellung der Arzneiversorgung nötig, „geht die SPD an der Realität vorbei“, so Preis, „die Apotheke hat auch den Botendienst!“ Der Verbandschef zitierte den NRW-Minister für Bundesangelegenheiten und Europa, Franz-Josef Lersch-Mense, der in einer Stellungnahme herausstellte, dass die Arzneimittelversorgung durch öffentliche Apotheken nicht durch den Versandhandel ersetzbar sei. Ob es gelinge, ein Rx-Versandverbot durchzusetzen, hänge von der SPD im Bund ab, so Preis: „Wir appellieren deutlich an die SPD-Parlamentarier, sich den NRW-Positionen anzuschließen!“ Die SPD-Abgeordneten sollten nicht die partiellen Interessen einiger weniger vertreten. Für Preis ist es klar: Noch in dieser Legislaturperiode müsse die Entscheidung für das Rx-Versandhandelsverbot fallen, das sei alternativlos. Sonst schreite die Verschlechterung der Arzneimittelversorgung voran.

Die Versender bezeichneten sich zwar als Treiber der Digitalisierung, so Preis weiter, es sei allerdings nicht zu verstehen, was am Verschicken von Päckchen digital sei, „Neckermann und Otto machen das schon seit Langem“. Die Apotheken dagegen seien schon früh im digitalen Zeitalter angekommen zum Nutzen ihrer Patienten. Die Beratung und Aufklärung der Patienten bei den Rabattverträgen wäre ohne Digitalisierung und IT nicht denkbar. Und Preis fügte hinzu: „Das wird nicht honoriert trotz hoher Einsparungen von den Krankenkassen!“ Mit Blick auf das Wahljahr 2017 habe der Verband ein Positionspapier an die Landtags-Parteien verschickt, das die Wünsche und Forderungen der Apotheker enthält, nämlich ein klares Bekenntnis zur Freiberuflichkeit im Gesundheitswesen, den Ausbau der Arzneimitteltherapiesicherheit mit dem Sachverstand der Apotheker, Stärkung der Patientenorientierung, gemeinsame Weiterentwicklung der Telematik und eine Erhöhung der Anzahl der Studienplätze, da die demografische Entwicklung mehr pharmazeutischen Sachverstand erfordere.

Steffens: „Wir brauchen Sie!“

Eindeutiger kann ein Bekenntnis zur Apotheke vor Ort nicht sein: „Wir brauchen Sie“, rief Nordrhein-West­falens Gesundheitsministerin Barbara Steffens in ihrem Grußwort den Apothekern zu. Nicht weil sie eine Lobbyvertreterin der Apotheker sei, sondern weil sie die Apotheke aus Überzeugung vor Ort für äußerst wichtig halte.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat auch unter Mithilfe der Grünen, so die Grünen-Politikerin Steffens, eine klare Stellungnahme zum EuGH-Urteil abgegeben: pro Rx-Versandverbot. Der Arzneimittelpreis könne zwar eine Rolle spielen, räumte Steffens ein, aber wer in Richtung Preis etwas für Verbraucher tun wolle, sollte über andere Stellschrauben nachdenken, Entlastungen für Verbraucher zu schaffen, z. B. Mehrwertsteuer und Zuzahlung, so die Ministerin.

NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens: Die Beratung in der Apotheke ist nicht ersetzbar.

Allerdings sei es fraglich, ob man das Rx-Versandverbot noch in dieser Legislaturperiode durchbekomme. „Angesichts der Verfahrensprozesse wissen wir nicht, wo wir ankommen“, so Steffens, womit sie das EU-Notifizierungsverfahren ansprach, das ein Rx‑Versandverbot durchlaufen müsse. Sie sei zwar optimistisch, riet aber der Apothekerschaft dennoch, „hinter verschlossenen Türen zu überlegen, was wäre wenn“. Für diesen Fall: „Sie müssen eine konstruktive Lösung finden, aber diese Vorschläge müssen von ­Ihnen kommen!“ Steffens Position für ein Verbot des Rx-Versandhandels ist allerdings eindeutig: Versandhandel habe nichts mit dem Zeitgeist zu tun, wie immer wieder behauptet werde. Es sei ein Pseudozeitgeist. Menschliche Zuwendung, eine Face-to-Face-Beratung sei durch nichts zu ersetzen. Und vor allem ältere Menschen brauchen die Beratung: „Kein Versandhandel der Welt kann so beraten, aber Sie können das.“

Sie forderte die Apothekerinnen und Apotheker auf, zu überlegen, die Lieferdienste nach Hause zu verbessern, neue Wege zu finden, um beispielsweise chronisch Kranke zu Hause besser zu versorgen. Sie sehe Lösungen allerdings nicht im reisenden Apotheker im Wohnmobil und auch nicht darin, Apotheken auf Rädern durch die Gegend fahren zu lassen, sondern in den Vor-Ort-Apotheken, die versorgen.

Steffens nutzte ihr Grußwort, auf ein weiteres Anliegen aufmerksam zu machen: Sie kämpfe darum, auch mit Bundesgesundheitsminister Gröhe, Hannelore Kraft und Malu Dreyer, dass nach dem Brexit die europäische Zulassungsbehörde EMA von London nach Bonn umziehe: „Hier in Bonn haben wir Kompetenzen“, so Steffens.

„Wir arbeiten dran“

Das EuGH-Urteil dominierte die Podiumsdiskussion auf dem Zukunftskongress. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion NRW, Michael Scheffler, glaubt, dass Bewegung in die Position der SPD zu einem Rx-Versandverbot kommen könnte, nicht zuletzt durch seine klare Stellungnahme, die er in einem Interview auf DAZ.online publik gemacht hat. Scheffler bekennt sich darin deutlich zum Rx-Versandverbot.

Für die inhabergeführte Apotheke sind sie alle (v. l.): Arif Ünal, Peter Preuß, Thomas Preis, Stefan Schöneberger, Michael Scheffler.

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in NRW, Peter Preuß, pflichtet ihm bei: „Der EuGH geht an der Realität vorbei, weil er nur den Wettbewerb vor Augen hat, aber nicht die Werteentscheidungen.“ Der Gesetzentwurf von Gröhe sei grundsätzlich der richtige Weg, es könne allerdings sein, dass man diesen Entwurf noch besser begründen müsse.

Und Arif Ünal, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen in der NRW-Landtagsfraktion, ist überzeugt, dass mittelfristig ein Versorgungsdefizit entstünde, wenn kein Rx-Versandverbot käme. Arzneimittel sind besondere Waren, die fachlicher Beratung bedürften. Ein Versandhandel lasse sich mit keinem Argument rechtfertigen.

Nur der FDP-Vertreter Stefan Schönberger, Vorsitzender des FDP-Landesfachausschusses Gesundheit, wollte sich nicht klar zum Rx-Versandverbot positionieren. Eine Einschränkung des Versandhandels könne man zwar einführen, meinte er, aber ihm fehlten noch die Argumente, die zudem mit Fakten unterstrichen werden müssten. Außerdem fragte er, ob ein Versandverbot „zeitgemäß“ sei. „Ich möchte als Patient selbst entscheiden, ob ich in der Versandapotheke bestelle oder nicht.“ Die Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Gabriele Overwiening, fragte den FDP-Politiker, was an einer Briefmarke zeitgemäß und digital sei, und schlug ihm vor, sein Rezept zu fotografieren, an seine Apotheke zu schicken, wo er es noch am gleichen Tag abholen könne. Doch Schöneberger blieb uneinsichtig: Ein Versandverbot helfe ihm nicht weiter, er suche „sattelfeste Lösungen“, er wolle den Menschen die Wahlfreiheit erhalten. Immerhin: „Wir sind für die inhabergeführte Apotheke, auch auf dem Land, ich will die Apotheke vor Ort nicht weg haben.“ Er glaube allerdings, dass der Gesetzentwurf für ein Rx-Versandverbot nicht EU-konform sei.

Preis beklagte die ablehnende Haltung der Bundes-SPD und fragte Scheffler: „Wann können wir darauf vertrauen, dass Ihre Ansicht SPD-konform ist?“ „Wir arbeiten dran“, vertröstete der SPD-Mann, „wann es so weit ist, weiß ich auch nicht.“

Beim Thema Freiberuflichkeit war ­Einigkeit unter den Parteien festzustellen. Für Preuß und Ünal muss die Freiberuflichkeit der Apotheker erhalten bleiben, um fachlich unabhängig zu beraten. Der Apotheker soll auch in Zukunft Heilberuf sein, so Scheffler, und daher freiberuflich arbeiten können. Der FDP-Vertreter sah hier keinen Dissens.

Der Nachwuchsmangel und die Frage, wie man die Attraktivität des Apothekerberufs steigern könnte, standen am Ende der Diskussions­runde. Preuß schlug vor, eine gesellschaftspolitische Diskussion zu führen, wie man einen besseren Zugang zum Apothekerberuf ermöglichen könne. Stimmen aus dem Auditorium beklagten den gestiegenen Dokumentationsaufwand in der Apotheke, die bürokratischen Anforderungen. Vielleicht könnten hier Initiativen helfen, so Scheffler, sich zu überlegen, wie man Dokumentationspflichten verringern könnte, beispielsweise durch mehr Digitalisierung.

Die Forderung von Preis nach mehr Ausbildungsplätzen im Land griff Schöneberger auf: Die FDP könne sich vorstellen, eine pharmazeutische Fakultät in Bielefeld anzusiedeln. Preis: „Wir messen Parteien auch an ihren Taten.“ Und noch konkreter: „Wir messen die SPD in NRW auch daran, was in Berlin passiert.“

Nachwuchspreis öffentliche Apotheke

Zukunft ohne Nachwuchs geht nicht. Deshalb verlieh der Apothekerverband Nordrhein in diesem Jahr zum ersten Mal einen „Nachwuchspreis öffentliche Apotheke“. Ausgezeichnet wurden Initiativen und Arbeiten von jungen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten. Die Landesgesundheitsministerin von NRW, Barbara Steffens, hatte die Schirmherrschaft für die Ausschreibung „Nachwuchspreis öffentliche Apotheke“ des Apothekerverbandes Nordrhein e.V. übernommen. Die Gewinner:

1. Preis: Farid Dawd, Apotheker aus Syrien, zurzeit Apotheker im Praktikum in einer Apotheke in Bornheim, für die „Initiierung einer Erfahrungsgruppe für syrische Apotheker vor Ort“.

2. Preis: Julia Lanzenrath, Pharmaziestudentin, Uni Bonn, für ihre Initiative „Blutspendemarathon Vampire Cup“.

3. Preis: Aufgrund der Qualität der eingereichten Beiträge hat die Jury den 3. Preis zweimal vergeben, und zwar an:

Maira Anna Deters, Doktorandin im Fach Pharmazie, Uni Düsseldorf, für das Projekt „Subanalyse der DIADEMA-Studiendaten“.

Anita Petric, Pharmazeutin im Praktikum, Uni Bonn, für das Projekt „Nothilfe-Einsatz von Apotheker ohne Grenzen e.V. Haiti 2016“.

Preisverleihung des „Nachwuchspreises öffentliche Apotheke“ (v.l.): Thomas Preis (AV Nordrhein); Anita Petric, Maira Deters, Julia Lanzenrath, Farid Dawd, Ministerin Barbara Steffens.

„Es besteht Optimierungsbedarf!“

Mit dem aktuellen Stand der Apotheker-Rolle beim Medikationsplan und der Medikationsanalyse befasste sich Prof. Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. Seit 1. Oktober 2016 haben Versicherte, die mehr als drei Arzneimittel verordnet bekommen, einen Anspruch auf einen Medikationsplan, ausgestellt von ihrem Hausarzt. Die Aktualisierung des Plans erfolgt ebenfalls durch den ausstellenden Arzt, auf Wunsch des Patienten auch durch die Apotheke, allerdings nur bei Abgabe von Arzneimitteln, wie Schulz herausstellte. Und so soll es mit dem Plan weitergehen: Derzeit laufen ­zwischen den beteiligten Akteuren (Kassenärztliche Bundesvereinigung, Bundesärztekammer und Deutschem Apothekerverband) wieder Verhandlungen, wie der Plan in den Praxisverwaltungssystemen abgebildet werden kann. Denn 2018 soll dann die elektronische Anwendung des Medikationsplans eingeführt werden, und ab 2019 soll der Patient einen Anspruch auf die elektronische Aktualisierung gegenüber jedem Vertragsarzt und jeder abgebenden Apotheke haben, zudem soll auf Wunsch des Patienten auch die Speicherung auf der elektronischen Gesundheitskarte erfolgen. Schulz ist überzeugt: „Dieser Zeitplan wird nicht funktionieren.“

Probleme gibt es derzeit beispielsweise beim uneinheitlichen Aussehen des Medikationsplans. Dem heutigen Medikationsplan sieht man nicht an, ob der Plan beispielsweise halbwegs richtig ist, vollständig, aktuell, AMTS-geprüft. Unklar ist auch, ob der Patient den Plan überhaupt richtig lesen kann, die Angaben versteht und entsprechend umsetzt. Schulz sprach vier Themenkomplexe an, die es zu klären gilt:

1. Wie sehen Patienten ihre Medikamente? (Schulz: „Nehmen Sie nie an, dass Patienten mit ihren Arzneimitteln das tun, was Sie denken, was sie damit tun!“)

2. Verständlichkeit des Medikationsplans

3. Datenvollständigkeit/Diskrepanzen („Der Patient hat immer noch ein Arzneimittel, von dem keiner was weiß.“)

4. Kommunikation

Am Beispiel von ARMIN, dem laufenden Modellprojekt zur Medikationsanalyse in Sachsen und Thüringen, machte Schulz deutlich, dass man durchaus verbindlich vereinbaren kann, wer wofür bei einem Medikationsplan und einer Medikationsanalyse zuständig ist. ARMIN zeigt allerdings auch, wo die Schwierigkeiten liegen, beispielsweise ist dort die Technik der limitierende Schritt, der Anschluss der Praxisrechner und Apothekenrechner an ein gemeinsames sicheres System. Probleme gebe es auch bei den hinterlegten Daten zur PZN, die in den Datenbanken der Ärzte und Apotheker zu unterschiedlichen Ergebnissen führten. Und was die Kommuni­kation zwischen Arzt und Apotheker zum Medikationsplan betrifft: Es muss geregelt sein, wie sie ablaufen soll, so Schulz. So viel wie möglich sollte vorher vereinbart werden, damit später so wenig wie möglich kommuniziert werden muss.

Dem Zufall eine Chance

Als Keynote-Speaker hatte der Apothekerverband Vince Ebert eingeladen, Kabarettist, Autor und Diplom-Physiker, der vergnüglich darüber philosophierte, warum die Welt nicht berechenbar ist und wie wir das nutzen können. Anhand zahlreicher Beispiele zeigte er, dass es kein gesichertes Wissen gibt: „Wir irren uns nach oben.“ Menschliche Kreativität, Sensibilität, Fantasie seien nicht ersetzbar. Freilich, Flexibilität und Fantasie gingen immer auf Kosten der Effizienz: „Je effizienter ein System ist, umso unflexibler kann es reagieren“, so Ebert. Dennoch rief er dazu auf: „Fördern Sie Vielfalt, Kreativität und Flexibilität!“ Und um kreativ zu sein, braucht man Raum, Zeit und einen gewissen Schlendrian, ist der Physiker überzeugt. „Die Unberechenbarkeit der Zukunft hat auch etwas Positives. Geben Sie dem Zufall eine Chance!“ |

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