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Zwei Urteile kritisch beleuchtet
Mitgliederversammlung von Integritas – Verband für lautere Heilmittelwerbung
Am 29. September 2016 (Az.: I ZB 34/15) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass ein Schuldner, dem gerichtlich untersagt worden ist, ein Produkt mit einer bestimmten Aufmachung zu vertreiben oder für ein Produkt mit bestimmten Angaben zu werben, zusätzlich auch für den Rückruf des Produktes Sorge tragen muss, und zwar ohne dass hierfür ein separater Beseitigungsantrag gestellt worden ist. Die Bedeutung und die Auswirkungen dieses BGH-Beschlusses kommentierte Christian Karle aus Hamburg.
Konkret ging es in dem Verfahren um den Vertrieb verschiedener Produkte („Rescue Tropfen“ und „Rescue Night Sprays“) und einen damit verbundenen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Nachdem das Oberlandesgericht (OLG) München es dem Inverkehrbringer mit einem Urteil vom 31. Januar 2013 untersagt hatte, diese weiterhin zu bewerben und/oder zu vertreiben (Unterlassung), hatte das Unternehmen die mit den Produkten belieferten Apotheken zwar auf diese Entscheidung aufmerksam gemacht, darüber hinaus aber nichts weiter unternommen. Dies ergaben Testkäufe in dem darauffolgenden Zeitraum sowie Internetausdrucke und ein Werbetext. Das OLG hat die Firma schließlich zu einer Zahlung von 45.000 Euro verurteilt und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Neu: Einwirkung auf Dritte erforderlich
Der Bundesgerichtshof befand dann am 29. September 2016, dass die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, regelmäßig auch Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfasse und dass dazu im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auch auf Dritte eingewirkt werden müsse. So müsse ein Schuldner, dem der Vertrieb eines Produkts untersagt worden ist, grundsätzlich durch einen Rückruf dafür sorgen, dass seine Abnehmer bereits ausgelieferte Produkte nicht weiter vertreiben. Karle betonte zunächst, dass Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung zwei wesensverschiedene Ansprüche seien, die auch unterschiedliche Vollstreckungen nach sich zögen. Zwar sei in der Rechtsprechung seit Langem anerkannt, dass man bei einer Pflicht zur Unterlassung und einem fortdauernden Störungszustand etwas tun müsse, bislang sei jedoch streitig gewesen, inwieweit hierbei auch auf Dritte eingewirkt werden müsse.
Die Entscheidung des BGH hat laut Karle weitreichende Folgen für die Praxis. Bisher sei der Unterlassungsverpflichtung damit Genüge getan gewesen, wenn der bisherige Störungszustand nicht weiter fortgesetzt wurde. Jetzt gehe es so weit, dass alles versucht werden müsse, um die betroffenen Produkte aus dem Handel herauszunehmen. Dabei muss der Inverkehrbringer seiner Auffassung nach aber nicht so weit gehen, sich beim Handel, wie etwa in den Apotheken, rückzuversichern, dass seine Information oder Aufforderung, ein Produkt etwa nicht weiter zu verkaufen, auch tatsächlich befolgt wird. Auch ein Rückruf vom Endverbraucher sei danach nicht vorgesehen. Ebenso dürfte es aus Karles Sicht unrealistisch sein, etwa bereits beim Kunden verteilte Werbeflyer zurückzuholen. Sollte eine Apotheke jedoch dazu aufgefordert werden, z. B. einen Aufsteller aus den Verkaufsräumen zu entfernen oder ein Produkt nicht mehr abzugeben, so täte sie gut daran, dies zu befolgen, wenn sie nicht selbst auf Unterlassung in Anspruch genommen werden möchte.
Health-Claims-Werberegeln gelten auch für Fachkreise
Im zweiten Vortrag bei der Jahresmitgliederversammlung von Integritas befasste sich Prof. Dr. Wilfried Kügel, Stuttgart, mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Geltung der Health-Claims-Verordnung (HCV) bei Werbung gegenüber den Fachkreisen (Entscheidung vom 14. Juli 2016, Az.: C-19/15). Der EuGH befand hierin, dass die Vorschriften der HCV hinsichtlich „kommerzieller Mitteilungen“ für Lebensmittel, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, auch bei der Werbung gegenüber Fachpublikum anwendbar sein soll. Die HCV definiert laut Kügel allerdings weder die Adressaten solcher „kommerzieller Mitteilungen“ noch, was konkret damit gemeint ist.
Hinsichtlich der Definition habe sich der EuGH in seinem Urteil an der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr orientiert. Hiernach könne der Begriff „Mitteilungen“ auch Aussagen in der Lebensmittelwerbung umfassen, die der unmittelbaren oder mittelbaren Absatzförderung der Produkte dienen.
Hinsichtlich der Adressaten der Werbung habe der EuGH geltend gemacht, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Fachkreise jederzeit über ausreichend wissenschaftliche Kenntnisse verfügen, um einzelne Werbeaussagen fundiert bewerten zu können. Deshalb könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch sie durch falsche Angaben irregeführt werden und diese dann gutgläubig an die Endverbraucher weitergeben.
Kritik: EuGH-Entscheidung zu weitgehend
Kritiker der EuGH-Entscheidung führen laut Kügel ins Feld, dass die Health-Claims-Verordnung nicht dem Schutz der Fachkreise, sondern der Verbraucher diene, und halten die Entscheidung für zu weitgehend.
Überdies traue der EuGH den Ärzten und Apothekern offenbar wenig Kompetenz im Hinblick auf den verantwortungsvollen Umgang mit Fachkenntnissen zu.
Im Übrigen sei in der HCV gar nicht geregelt, wer überhaupt zu den Fachkreisen gehöre. Bei den Angehörigen der Heil- und der Heilhilfsberufe dürfte dies nach Meinung von Kügel allerdings unstrittig sein.
Für Kügel lässt das EuGH-Urteil viele Fragen offen. Wer mit einer kommerziellen Mitteilung mit einem konkreten Bezug zu einem Produkt, wie etwa einem Nahrungsergänzungsmittel, Werbung gegenüber den Fachkreisen betreibt, bewegt sich nach seiner Einschätzung auf jeden Fall auf einem schmalen Grat. Objektive Informationen über neue wissenschaftliche Entwicklungen sollen zulässig sein, wenn sie keinen kommerziellen Charakter haben, meint der Rechtsanwalt. Hierbei wäre z. B. an offizielle Ernährungsrichtlinien oder auch redaktionelle Beiträge in den Medien sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen zu denken. |
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