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Kongresse
Von Diabetes bis Rheuma
Der Heidelberger Herbstkongress fand zum 40. Mal statt
Es heißt, dass der Schwabe erst ab dem 40. Lebensjahr weise wird – das sogenannte Schwabenalter. Zwar habe der Heidelberger Herbstkongress dieses Alter nun auch erreicht, im Gegensatz zum Schwabenalter seien die Teilnehmer aber schon seit dem ersten Kongress jedes Jahr ein „bissl gscheiter“. Mit diesen Worten eröffnete Kammerpräsident Dr. Günther Hanke den Jubiläumskongress der LAK, der dieses Jahr in „wunderschöner Atmosphäre“ stattfinde, wie er betonte.
Hanke dankte auch Silke Laubscher, Andrea Litzinger und Bianca Scholz, die den Kongress bereits zum sechsten Mal inhaltlich verantworten. Neben dem Ambiente hatte der Zwangsumzug ans Neckarufer aber noch einen anderen positiven Nebeneffekt: Es konnten mehr Teilnehmer zugelassen werden, nämlich 1100 statt 1000. Der Kongress ist seit zehn Jahren immer ausgebucht, dieses Jahr war das bereits im Juli der Fall. Im Gegensatz zu den Vorjahren gab es zum Jubiläum aber nicht einen Themenschwerpunkt, sondern ein Best-of der großen Volkskrankheiten Diabetes, Asthma und COPD, Herzinsuffizienz, Rheuma und Krebs und als besonderes Schmankerl am Schluss noch einen Festvortrag.
Doch bevor es an die Vorträge ging, stand noch die Auszeichnung der besten Projektarbeit des Jahres 2016 an, die im Rahmen der Weiterbildung zum Fachapotheker für Allgemeinpharmazie erstellt wurde. Eines der Kriterien ist dabei immer der Nutzen für den Alltag in der Offizin. Und so ging der Preis an Nicole Springer für die Entwicklung eines Wissensmanagementsystems in der Apotheke, mit dem das Team auf alle vorhandenen Informationen zugreifen und diese auch editieren und ergänzen kann. In Anlehnung an „die“ Datenbank schlechthin – Wikipedia – und zu Ehren der Erfinderin wurde es von den Kollegen „Nici-Wiki“ genannt.
Diabetes Typ 2 – individuell therapieren
Dr. med. Frank Merfort, Diabetologe aus Grevenbroich, erläuterte die aktuellen Therapieempfehlungen bei Diabetes Typ 2. Die steigende Prävalenz sei erschreckend, jedoch seien – noch bemerkenswerter – ca. eine Millionen Menschen krank, ohne es zu wissen. Merfort betonte, dass der Typ-2-Diabetes einer individuellen Therapie bedarf, weil man sich im Spannungsfeld zwischen Insulinresistenz und Insulinmangel bewege. Außerdem – je nachdem, wie lange man an Diabetes leidet – seien die Blutzuckerwerte prä- oder postprandial unterschiedlich stark erhöht, und danach richte sich der Einsatz der Arzneimittel. Ein bisschen politisch wurde Merfort auch: Es sei traurig, dass die aktuellen Therapieleitlinien aufgrund der Bewertung durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung in der Praxis oft nicht umgesetzt werden. Im KBV-Medikationskatalog erhalten nur Metformin und Insulin ein „Grün“. Dass dies eine Entscheidungshilfe darstellen soll, hält Merfort für „frech“.
Differenzierte Therapie bei Asthma und COPD
Dr. med. Maren Schuhmann von der Thoraxklinik Heidelberg brachte die Apotheker bezüglich der Atemwege auf den neuesten Stand. Auch sie betonte die Individualität der einzelnen Patienten: Asthma sei nicht mehr gleich Asthma, sondern es ergebe sich mittlerweile ein recht heterogenes Bild: Während bei Kindern beispielsweise das allergische Asthma vorherrsche, müsse man an weitere Formen wie das Sportlerasthma oder an eine Form des Asthmas denken, die bei Frauen erst sehr spät im Alter einsetzt. Oft sei nicht so leicht zu erkennen, ob ein schwer einstellbares Asthma vorliegt oder ob die Therapie sich durch fehlende Adhärenz als „schwierig“ erweist. Die wirklich „schweren“ Asthmatiker seien jedoch eine relativ kleine Gruppe, die aber zusätzlicher Therapiemöglichkeiten bedarf.
Bei der COPD steht klar die Obstruktion im Vordergrund, die im Gegensatz zum Asthma nicht reversibel ist. Während sich die Leitlinien ständig zu ändern scheinen, hinke die Praxis hinterher: Die Verschreibungsrealität sehe anders aus als die Leitlinien von 2011 und 2017. Gruppe A und B nach Gold-Definition sollten z. B. keine inhalativen Glucocorticoide mehr bekommen.
Auch Herzinsuffizienz ist nicht gleich Herzinsuffizienz
Prof. Dr. med. Markus Haass aus Mannheim stellte die Herzinsuffizienz als häufigste internistische Aufnahme-Diagnose vor. Auch bei seinem Vortrag stand die differenzierte Betrachtung der Krankheit im Vordergrund. Vor allem ältere Damen leiden an einer diastolischen Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFpEF = Heart Failure with preserved Ejection Fraction), die sich durch verdickte und starre Strukturen auszeichnet – bedingt durch jahrelange Hypertonie. Jedoch gebe es zur Therapie der HFpEF nur wenige Daten. Die Patienten werden auch heute noch rein symptomatisch behandelt. Medikamentöse, prognoseverbessernde Therapiekonzepte seien nur für Patienten mit einer „systolischen“ Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion etabliert (HFrEF = Heart Failure with reduced Ejection Fraction).
Von Gold bis TNF-α
Prof. Dr. Gerd Bendas, Institut für Pharmazeutische Chemie in Bonn, führte das Publikum durch die Geschichte der Therapie der rheumatoiden Arthritis. Was früher wie das Gold in der Basistherapie ganz oben stand, stehe heute ganz unten. Heute ist das Methotrexat (MTX) der Goldstandard. Während man die Basistherapie früher nur symptomatisch durch NSAR und Glucocorticoide ergänzen und modifizieren konnte, seien heute vor allem die TNF-α-Antagonisten entscheidend bei Versagen der DMARDs (Disease Modifying Antirheumatic Drugs). Sie haben sich in den letzten Jahren „felsenfest“ in der Therapie etabliert. 25 Prozent der Patienten sprechen jedoch nicht auf TNF-α-Hemmer an. Dann gebe es heute vier weitere Strategien: IL-6-Hemmung, Januskinase-Inhibitoren, Abatacept und Rituximab.
„Die Entwicklung der Zytostatika ist abgeschlossen“?
Auch Prof. Dr. Hans-Peter Lipp begann seinen Vortrag historisch – mit den Alkylanzien. Bis heute spiele N-Lost in den USA eine Rolle. Bei den Wirkungsmechanismen der Zytostatika habe es jedoch seit Langem nichts Neues mehr gegeben. Innovationen hatten in letzter Zeit vor allem die Darreichungsformen betroffen: „In der Tat. Wir haben die Wirkungsmechanismen einfach abgegrast. Es gibt im Bereich der Zytostatika nichts Neues mehr.“
„Ich würfle mir eine Studie“
Auf sehr unterhaltsame Weise zeigte Prof. Dr. Björn Christensen aus Kiel zum Abschluss in seinem Festvortrag, wie sehr vermeintlich objektive Zahlen uns täuschen können. Als Beispiele nannte er den Vatikan mit der vermeintlich höchsten Kriminalitätsrate und erklärte, warum es auf Sylt scheinbar zu viele Ärzte gibt und warum „die dümmsten Neuseeländer nach Australien gehen“. Auch der „PISA-Schock“ zeigte sich mit Christensens Erläuterungen in anderem Licht. Behauptungen wie „mit Baby im Bauch steigt das Unfallrisiko“ und „Pessimisten leben länger“ konnte er genauso entlarven. |
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