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Phytotherapie

Selbstmedikation in den Wechseljahren

Der Sibirische oder Rhapontik-Rhabarber wirkt estrogen

Ein Spezialextrakt aus der Wurzel des Sibirischen Rhabarbers dient zur Selbstmedikation klimakterischer Beschwerden. Im Gegensatz zu ­Zubereitungen aus dem Medizinalrhabarber enthält er keine Anthranoide und wirkt nicht abführend. Als Wirkprinzip gelten Stilben­derivate mit estrogener Wirkung.
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Sibirischer oder Rhapontik-Rhabarber. Als Arzneidroge dient seine Wurzel, die Hydroxystilben-Derivate mit estrogener Wirkung enthält.

Wenn etwa ab dem 45. Lebensjahr die Produktion weiblicher Sexualhormone in den Ovarien langsam zurückgeht, kann dies bei Frauen zu einer Reihe von klimakterischen Symptomen führen. Zur Behandlung stärkerer Beschwerden können laut Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäko­logie und Geburtshilfe Estrogene, Estrogen-Gestagen-Kombinationen und Tibolon eingesetzt werden, wobei wegen der bekannten Nebenwirkungen einer Hormontherapie eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung er­folgen muss. Für die Selbstmedikation klimakterischer Beschwerden stehen Phytopharmaka mit Extrakten aus der Traubensilberkerze (s. DAZ 2017, Nr. 44, S. 48) und dem Sibirischen Rhabarber zur Verfügung.

Stammpflanze

Der Sibirische oder Rhapontik-Rha­barber (Rheum rhaponticum) ist eine bis zu zwei Meter hoch werdende ausdauernde Staude aus der Familie der Knöterichgewächse. Die Herkunft der Pflanze ist nicht eindeutig gesichert, möglicherweise ist sie ursprünglich im südlichen Bulgarien oder aber in Zentralasien beheimatet gewesen. Auch bei anderen Rhabarber-Arten, die schon seit Jahrhunderten als ­Gemüse- und Medizinalpflanzen ­kultiviert werden, ist eine eindeutige Bestimmung der Heimat der Wildpflanzen schwierig. Wesentliche Einsatzgebiete von Rhabarber-Arten in der traditionellen Medizin beruhen auf ihrem Gehalt

  • an Hydroxyanthracenglykosiden (Anthranoide; abführende Wirkung),
  • an Gerbstoffen (adstringierende und entzündungshemmende Wirkung) sowie
  • an Stilben-Derivaten (estrogene Wirkung).

Der Rhapontik-Rhabarber hat aufgrund letzterer Wirkung seinen Eingang in die deutsche Phytotherapie ­gefunden und ist von dem anthranoidreichen Medizinalrhabarber (Rheum palmatum und R. officinale) zu unterscheiden. Seit 1993 wird ERr 371® (Phytoestrol® N), ein mittels wässriger Calciumoxid-Lösung aus der Wurzel des Rhapontik-Rhabarbers gewonnener, anthranoidfreier Spezialextrakt, hierzulande zur Behandlung von Wechseljahrsbeschwerden vermarktet (femiLoges®).

Inhaltsstoffe und Pharmakologie

Wesentliche Inhaltsstoffe des Extraktes ERr 371 sind die Hydroxystilben-Derivate Rhaponticin und Desoxy­rhaponticin sowie deren Aglyka.

Hydroxystilbene weisen eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit zum weiblichen Sexualhormon 17β-Estra­diol auf. Rhapontigenin besitzt wie das Estradiol einen hydroxylierten Benzolring und eine etwa in gleichem Abstand positionierte zweite Hydroxyl-Funk­tion, die über eine lipophile Struktur miteinander verbunden sind (Abb. 1). Somit würde das Rhapontigenin sowohl die räumlichen als auch die funktionellen Voraussetzungen erfüllen, um an die Ligandenbindungsstelle der Estrogenrezeptoren in ähnlicher Weise wie die Estrogene anzudocken.

Abb. 1: Strukturvergleich zwischen 17β-Estradiol und Rhapontigenin, dem Aglykon von Rhaponticin.

Tatsächlich konnte eine schwache Bindung der Aglyka an Estrogenrezepto­ren (ER) nachgewiesen werden, mit einer leichten Bevorzugung des ER-β [1]. Untersuchungen an verschiedenen Zelllinien hatten unterschiedliche Ergebnisse: Sowohl der Extrakt als auch die isolierten Hydroxystilbene zeigten in Endometriumkarzinom-Zellen ausschließlich ER-β-vermittelte Effekte, während in Osteosarkom-Zellen (U2OS) außerdem eine schwache Stimulation der ER-α-vermittelten Reportergen-­Aktivität beobachtet wurde [2, 3]. Die Autoren postulieren deshalb eine gewisse Gewebespezifität und somit eine SERM-Aktivität des Extraktes ERr 371 (SERM = selektiver Estrogenrezeptormodulator).

Trotz der SERM-Aktivität an Knochenzellen ließ sich keine knochenprotek­tive Wirkung des Extraktes an ovar­ektomierten Ratten nachweisen, denn im Unterschied zu 17β-Estradiol beeinflusste er die Knochendichte der Tiere nicht. Im gleichen Modell konnte allerdings ein positives Ergebnis bezüglich seiner Unbedenklichkeit erzielt werden, da am Uterus keine proliferationsfördernden Effekte beobachtet wurden [4].

Klinische Studien

Die klinische Wirksamkeit des Extraktes aus dem Rhapontik-Rhabarber ist zwischenzeitlich in drei kleineren placebokontrollierten Doppelblindstudien, die 12 bzw. 84 Wochen dauerten, untersucht worden. Hier zeigte sich eine signifikante Überlegenheit der Prüfmedikation gegenüber Placebo für verschiedene Endpunkte (Menopause-Rating-Skala, Zahl der Hitzewallungen pro Tag, Ängstlichkeit) [5, 6, 7]. Hinsichtlich der Qualität der Studien bleiben allerdings einige Fragen offen. So sind die Drop-out-Raten teilweise erheblich, und der angegebene Placeboeffekt erscheint vergleichsweise gering.

Darüber hinaus existieren verschiedene Anwendungsbeobachtungen, die die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Therapie belegen sollen [8, 9].

Hinweise für die Praxis

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Frauen mit klimakterischen Symptomen einen Behandlungsversuch mit dem Extrakt ERr 371 unternehmen können, denn es existieren drei kleine klinische Studien, die seine Überlegenheit gegenüber Placebo zeigen. Allerdings sollten sie das Präparat ohne ärztlichen Rat nicht länger als vier Monate einnehmen.

Nicht geeignet ist ERr 371 für Frauen, die an einem estrogenabhängigen Tumor leiden oder litten, da die im Extrakt enthaltenen Hydroxystilbene an Estrogenrezeptoren der Tumorzellen binden und die Erkrankung negativ beeinflussen können. |

Literatur

[1] Vollmer G, Papke A, Zierau O. Treatment of menopausal symptoms by an extract from the roots of rhapontic rhubarb: the role of estrogen receptors. Chin Med 2010;5:7-10

[2] Wober J et al. Activation of estrogen re­ceptor-beta by a special extract of Rheum rhaponticum (ERr 731®), its aglycones and structurally related compounds. J Steroid Biochem Mol Biol 2007;107:191-201

[3] Möller F et al. Subtype-specific activation of estrogen receptors by a special extract of Rheum rhaponticum (ERr 731), its aglycones and structurally related compounds in U2OS human osteosarcoma cells. Phyto­medicine 2007;14:716-726

[4] Keiler AM et al. Long-term effects of the rhapontic rhubarb extract ERr 731® on ­estrogen-regulated targets in the uterus and on the bone in ovariectomized rats. J Steroid Biochem Mol Biol 2012;128:62-68

[5] Heger M et al. Efficacy and safety of a special extract of Rheum rhaponticum (ERr731) in perimenopausal women with climacteric complaints: a 12 week randomized, doubleblind, placebo-controlled trial. Menopause 2006;13:744-759

[6] Kaszkin-Bettag M et al. The special extract ERr 731 of the roots of Rheum rhaponticum decreases anxiety and improves health state and general well-being in perimenopausal women. Menopause 2007;14:270-283

[7] Kaszkin-Bettag M et al. Confirmation of the efficacy of ERr 731 in perimenopausal women with menopausal symptoms. Altern Ther Health Med 2009;15:24-34

[8] Kaszkin-Bettag M et al. Efficacy of the special extract ERr 731 from rhapontic rhubarb for menopausal complaints: A 6-month open observational study. Altern Ther Health Med 2008;14:32-38

[9] Hasper I et al. Long-term efficacy and safety of the special extract ERr 731 of Rheum rhaponticum in perimenopausal women with climacteric complaints. Menopause 2009;16:117-31

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems

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