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Aus den Ländern
„Schmerz ist, wenn der Patient sagt, dass es weh tut“
Was Palliativpharmazie leisten kann und sollte
Das Interesse an Fortbildung ist ungebrochen, und das, obwohl die politische Lage sehr unbefriedigend sei, so Funke. Das erfreuliche Moment in der ganzen unerfreulichen Situation sei der Zusammenhalt in der Apothekerschaft, sagte die Kammerpräsidentin. Die Politik will die Probleme der Apotheker nicht sehen und nicht verstehen. Auch die besten Argumente werden mit einem wohlwollenden Nicken zur Kenntnis genommen, um dann im gleichen Atemzug das Gegenteil zu veranlassen – verbunden mit der Aussage: Es ist der Zeitgeist. Das, so Funke, sei keine zielorientierte Politik für die Menschen in unserem Lande. Für die persönliche Beratung am Krankenbett und beim Erkennen arzneimittelbezogener Probleme bedarf es des persönlichen Kontaktes mit dem Patienten und hier sind Apotheker nicht zu ersetzen.
Was heißt Leiden heilen im medizinischen Sinne?
Dr. med. Bernd Oliver Maier vom St. Josefs-Hospital Wiesbaden führte in das Selbstverständnis der Palliativmediziner ein. Palliativversorgung ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen im Zusammenhang mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Dies geschieht durch Prävention und Linderung des Leidens durch frühzeitiges Erkennen und umfassende Beurteilung sowie die Behandlung von Schmerzen und anderen Beschwerden auf körperlicher, psychologischer und spiritueller Ebene. Die Definition zeige aber auch schon die bestehenden Unschärfen. So sei unklar, was „Leiden“ eigentlich bedeutet. Der Begriff entspricht keiner klassischen medizinischen Kategorie. Leiden wird intuitiv mit medizinischen Begriffen wie Symptombelastung verbunden, aber Leiden ist auch ein vages Konglomerat aus Nichterfüllen von Wünschen, Hoffnungen und Bedürfnissen. Was macht Leiden am Lebensende zu einem behandlungsbedürftigen Zustand? Voraussetzung für eine palliativmedizinische Intervention – wie für jede andere medizinische Intervention auch – ist eine Indikation. Solche Indikationen sind lebensbedrohliche Erkrankungen mit progredientem Verlauf und limitierter Prognose, aber auch die Fokussierung auf Symptombehandlung und ein nicht gedeckter Bedarf in einer der vier Dimensionen, die als relevant für eine umfassende Palliativversorgung angesehen werden: physisch, psychologisch, sozial und spirituell-religiös. Unklar ist auch die Frage, wann man das Lebensende erreicht hat. Es gibt medizinische, pathologische Faktoren wie das Alter, die definieren, wann jemand am Ende seines Lebens steht, aber auch andere Veränderungen wie Bindungsverlust oder Bewusstseinseinschränkungen führen dazu, dass Patienten sich selbst vielleicht wesentlich früher am Lebensende wahrnehmen, als es allein die somatischen Faktoren zeigen. Patienten haben nicht immer einen Therapiewunsch, wie ihn die Ärzte gern unterstellen, Patienten haben eher einen Lebenswunsch. Es solle nicht nur auf (Über-)Lebenszeit fokussiert werden, sondern auf Lebensqualität. Leider ein „Plastikwort“, wie Maier sagte, das jeder als gewichtiges Argument benutzt. Maier stellte seine Sicht auf eine gesundheitsbezogene Lebensqualität dar: Er befürworte einen Wandel weg vom Blick auf den Befund hin zum Blick auf das Befinden. Sein Fazit: Palliativmedizin bietet keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Doch die Palliativmedizin kann einen sicheren Ort bieten für den Menschen mit seinen individuellen Werten, Ängsten, Hoffnungen und Sorgen. Das kann, muss und sollte ambulant und stationär möglich sein. Eine große Herausforderung an die Gesellschaft.
In der Schmerztherapie gilt noch immer das Stufenschema
Die drei Grundregeln der Schmerztherapie stellte Prof. Dr. Achim Schmidtko, Pharmakologisches Institut für Naturwissenschaften de
r Goethe-Universität Frankfurt, vor: „By the ladder“ bedeutet, individuell nach dem Stufenschema der WHO zu dosieren. Dabei muss der Patient nicht alle drei Stufen durchlaufen. Es ist durchaus ein Einstieg auf der Stufe 2 oder 3 möglich. „By the mouth“: Es sollte die orale Applikation gegenüber einer intravenösen bevorzugt werden. Falls die orale Applikation unerwünscht oder nicht möglich ist, sollte alternativ eine transdermale oder subkutane erwogen werden. „By the clock“ beschreibt eine pünktliche und regelmäßige Einnahme von Basis- und Bedarfsmedikation gemäß eines Therapieplans. Das Stufenschema ermöglicht je nach Intensität und Qualität der Schmerzen die Anwendung von Nicht-Opioid-Analgetika, schwachen Opioiden und starken Opioiden. Es ist immer dann die nächst höhere Stufe indiziert, wenn die Wirkung nicht ausreicht. Nicht-Opioide spielen bei Tumorschmerzen nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Opioiden. Sie sind nur zur kurzzeitigen Anwendung indiziert und werden in der Regel mit Opioiden der Stufe 2 und 3 kombiniert. Coxibe sind nicht bei Tumorschmerzen zugelassen. Unter ASS besteht eine sehr hohe Blutungsgefahr bei Tumorassoziierten Gerinnungsstörungen. Für Paracetamol ist eine analgetische Wirksamkeit bei Tumorschmerzen nicht belegt. Bei Nicht-Opioid-Analgetika sollte die Gastrotoxizität und kardiovaskuläre Toxizität beachtet werden. Bei den schwachen Opioiden spielt vor allem die Kombination Tilidin und Naloxon eine Rolle. Dabei ist nicht Tilidin, sondern der Metabolit Nortilidin analgetisch wirksam. Die Aktivierung erfolgt bei der ersten Leberpassage. Bei den starken Opioiden konnte in klinischen Studien mit Tumorschmerzpatienten eine ähnliche analgetische Wirksamkeit von peroralem Morphin, Oxycodon oder Hydromorphon gezeigt werden. Zu Therapiebeginn erfolgt eine Dosistitration mit schnell oder langsam freisetzenden Opioiden bis die gewünschte klinischen Wirkung erreicht ist. Bei unzureichender Wirksamkeit oder nicht tolerierbaren Nebenwirkungen ist ein Wechsel zu einem anderen Opioid in adäquater Dosis möglich (Opioidrotation). Treten Durchbruchschmerzen auf, so stehen schnell und kurz wirkende Fentanyl-Präparate zur Verfügung. Zu diesen rapid onset opioids zählen oral-transmukal applizierbare Lutsch-, Buccal- oder Sublingualtablette oder intranasal applizierbare Nasensprays. Daneben gibt es unretardierte Opioide (short akting opioids), die eine Wirkungslatenz von 30 bis 40 Minuten haben und eine Wirkdauer von mehreren Stunden.
Andauernde Symptome auch andauernd behandeln
Die Grundlagen der palliativmedizinischen Symptomkontrolle stellte Dr. Constanze Rémi von der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin der Universität München vor. Es ist schwer zu bestimmen, wann Palliativmedizin anfängt. Es sollte bedacht werden, dass ein Patient nicht erst am Lebensende zu einem Palliativpatienten wird, sondern bereits dann, wenn noch gar nicht ganz klar ist, ob eine Krankheit noch geheilt werden kann oder nicht. Und hier spielen Apotheker eine ganz wichtige Rolle, denn sie sind es, die den Patienten schon frühzeitig kennenlernen und ihn über den gesamten Krankheitsverlauf begleiten.
Fatigue, Schmerzen, Appetitlosigkeit, Atemnot, Angst, Verstopfung Übelkeit, Erbrechen – das sind Symptome, die Patienten belasten, wenn sie in eine palliativmedizinische Einrichtung aufgenommen werden. Für einige Hauptsymptome stehen Arzneimittel zur Verfügung, bei anderen Symptomen weniger. Es ist wichtig, ein Konzept für die Arzneimitteltherapie und für die Symptomkontrolle zu besitzen. Dabei sollten Fragen gestellt und nicht gleich „aus der Hüfte geschossen“ werden. Nur so können körperliche Beschwerden und psychisch belastende Probleme erfasst werden. Zum strukturierten Vorgehen empfahl Rémi das EEMMA-Schema – und zwar nicht nur für die Palliativmedizin. Evaluation, Erklärung, Management, Monitoring und Aufmerksamkeit im Detail – für diese Begriffe steht die Abkürzung. Leider gehe gerade der letzte Punkt in der Praxis sehr schnell unter. Rémi empfiehlt, sich im Alltag das Schema immer wieder ins Gedächtnis zu rufen und sich daran zu orientieren, ob alle Aspekte berücksichtigt sind. Dabei, so betonte Rémi, stehen die Probleme des Patienten eindeutig im Vordergrund, nicht die Erkrankung!
Symptome sind aber subjektiv. Auch wenn der Patient eine – messbare – perfekte Sauerstoffsättigung hat, so kann er doch das Gefühl einer Atemnot beschreiben. Und dann müsse man die Atemnot dem Patienten auch glauben. Wichtiges Instrument ist dabei ein Fragebogen, der körperliche und nichtkörperliche Symptome abfragt. Entscheidend ist, dass gefragt wird, welche Symptome den Patienten in den letzten drei zurückliegenden Tagen am meisten beeinträchtigt haben, nicht welche Symptome jetzt im Moment präsent sind. Wird dieser Fragebogen mehrfach erhoben, ergibt sich eine Chronologie und es treten „Baustellen“ hervor, die wirklich angegangen werden müssen. Dann gilt es nachzuforschen, wo die Ursache für das aktuelle Problem sitzt: Ist es die Erkrankung, das Organ – oder sind es psychische Probleme, die den Patienten belasten, Faktoren die nicht mit körperlichen Problemen assoziiert sind, wie die Angst oder Muskelschwäche. Psychische, soziale und spirituelle Aspekte eines Symptoms sollten ernst genommen werden, avisiere man „nur“ Körperliches an, so sei das nur begrenzt erfolgreich. Essenziell ist für Rémi, dass andauernde Symptome auch andauernd behandelt werden durch eine regelmäßige, antizipatorische Gabe. Es sollten klare Behandlungsziele definiert werden. Sie geben dem Patienten und dem Behandlungsteam Orientierung und Sicherheit. Wenn es möglich ist, sollten ein Arzneimittelregime nur schrittweise geändert werden. Zum einen weiß man sonst nicht, was wirklich geholfen hat und wodurch die Symptome vielleicht verschlimmert wurden. Und zum anderen hat man dann immer noch einen Pfeil im Köcher und kann nach und nach einzelne Optionen einsetzen. Immer sollte versucht werden, nach Möglichkeit ein Arzneimittel zur Behandlung mehrerer Symptome einzusetzen. Und dazu zählt auch, gezielt und bewusst Nebenwirkungen auszunutzen. Als Beispiel nannte Rémi Butylscopolamin zur Behandlung kolikartiger abdomineller Schmerzen und zur Reduktion der gastrointestinalen Sektretion bei Erbrechen. Auch kann Mirtazapin abends eingenommen werden: die Patienten schlafen besser, haben einen gesteigerten Appetit und es wirkt auch noch gegen neuropathische Schmerzen.
Phytopharmaka und Musik als komplementäre Medizin?
Zu einem modernen, ganzheitlichen palliativen Versorgungskonzept gehört es auch, zu schauen, ob es komplementärmedizinische Maßnahmen gibt, die unterstützend eingesetzt werden könnten. Diese stellte Jörg Riedl vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, vor. Komplementärmedizinische Maßnahmen sind dann sinnvoll, wenn sie begleitend mit konventionellen schulmedizinischen Methoden angewendet werden und dies in Absprache mit dem therapeutischen Team erfolgt. Der Einsatz dieser Methoden darf vor allem nicht dazu führen, dass Patienten Morphin oder andere wirksame Arzneimittel zur Symptomkontrolle vorenthalten werden. Die Anzahl von Methoden und Behandlungskonzepten ist aber fast unüberschaubar. Umso wichtiger ist es, diese hinsichtlich Nutzen und Risiken zu bewerten. Für die Musiktherapie sieht es Riedl als belegt an, dass sie Gemütsstörungen, Angstsymptome und Schmerzen bessern kann. Musik steigere nachweislich die Stimmung und die Lebensqualität. Massage kann zur Reduktion von Fatigue, Schmerzen, Stress und Angst sowie Übelkeit und Depressionen beitragen. Es gibt Untersuchungen, die Erfolge der Fußreflexzonenmassage bei Übelkeit und Erbrechen zeigen. Neben diesem Blick aus einer verfahrensorientierten Herangehensweise kann man auch symptomorientiert handeln. So helfen bei einer Mukositis Heilerde (innerlich), Leinsamenschleim und Sandornfruchtfleischöl. Prophylaktisch kann ein Mundspray aus Tormentill, Ratanhiawurzel und Myrrhe eingesetzt werden. Riedl und seine Mitarbeiter verarbeiten sogar selber Sanddorn, denn Sandornfruchtfleischöl wirkt antibakteriell, schmerz- und reizlindernd und beschleunigt die Granulation von beschädigter Haut und Schleimhaut. |
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