Arzneimittel und Therapie

Telotristatethyl lindert Karzinoid-­Syndrom-bedingte Diarrhö

Add-on-Therapie für Patienten mit neuroendokrinen Tumoren

Seit dem 16. Oktober 2017 ist in Deutschland Telotristatethyl (Xermelo®) zur Behandlung der Karzinoid-Syndrom-bedingten Diarrhö in Kombination mit einer Somatostatin-Analogon-Therapie verfügbar. Durch die Senkung des peripheren Serotonin-Spiegels wird die Anzahl der Stuhlgänge reduziert, und die Lebensqualität der Karzinoid-Syndrom-Patienten steigt.

Neuroendokrine Tumore (NET) gehören mit einer Inzidenz von 5,86 pro 100.000 Personen pro Jahr zu den seltenen Erkrankungen [1]. Neuroendokrine Tumore können übermäßig Neurotransmitter oder Peptid- und Steroidhormone produzieren. Häufig sind sie im gastroentero-pankreatischen System (75%) oder der Lunge lokalisiert [2]. In vielen Fällen wird über­mäßig Serotonin durch die neuroendokrinen Tumore sezerniert und das Karzinoid-Syndrom als häufigstes funktionelles Syndrom (20% der NET-Patienten) verursacht. Dieser Symptomenkomplex ist gekennzeichnet von Flush (starke Rot- oder Violettfärbung des Gesichts, Rückens oder der Beine) sowie bei etwa 80% der Karzinoid-Syndrom-Patienten von häufigen, wässrigen Durchfällen [3]. Bei langfristigem peripherem Serotonin-Exzess entstehen Fibrosen des Endokards, die zu Klappenveränderungen des rechten Herzens führen, dem sogenannten Karzinoid-Herz-Syndrom [4]. Die Lebensqualität der Karzinoid-Syndrom-Patienten ist stark durch den Flush und die Diarrhö beeinträchtigt. Sie leiden unter vier bis zwölf Stuhlgängen täglich. Da die Serotonin-Freisetzung schubweise erfolgt und somit schwere und unerwartete Diarrhöen auslöst, ist der Leidensdruck groß.

Hemmung der exzessiven Serotonin-Bildung

Da die exzessive Serotonin-Ausschüttung für viele Symptome des Karzinoid-Syndroms verantwortlich ist, ins­besondere für die beeinträchtigende Diarrhö, ist es wichtig, einen geeigneten Serotonin-Hemmer einzusetzen. Karzinoid-Syndrom-Patienten werden üblicherweise mit Somatostatin-Analoga (SSA) behandelt. Diese hemmen die Hypersekretion der neuroendokrinen Hormone über Bindung an die Somatostatin-Rezeptoren auf den Tumorzellen. Telotristatethyl unterbindet die Bildung von Serotonin in der Tumorzelle (Abb. 1).

Abb. 1: Wirkmechanismus von Telotristatethyl in der neuroendokrinen Tumorzelle. Während der Serotonin-Biosynthese wird Tryptophan über die Tryptophanhydroxylase (TPH) in die Serotonin-Vorstufe 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) umgewandelt. Telotristat, der aktive Metabolit von Telotristatethyl, hemmt dieses Enzym. Folglich sinkt die 5-HTP- und Serotonin-Konzentration.

Telotristatethyl hemmt die intrazelluläre Serotonin-Produktion. Folglich wird in den Tumorzellen weniger Serotonin gebildet und sezerniert. Dies lässt sich mit dem Serotonin-Abbauprodukt 5-Hydroxyindolylessigsäure (5-HIES) als Marker im 24-Stunden-Sammelurin gut nachweisen.

Telotristatethyl ist ein Prodrug, das in seinen aktiven Metaboliten Telotristat hydrolysiert wird. Wirkstoff und Metabolit passieren nicht die Blut-Hirn-Schranke, wirken somit nicht im zentralen Nervensystem und bergen nicht das Risiko schwerer Depressionen [5].

Studienlage zu Telotristatethyl

Für die Zulassung durch die Europä­ische Kommission von Telotristatethyl wurden zwei randomisierte Phase-III-Studien eingereicht: TELESTAR [6] und TELECAST [7]. Die TELESTAR-Studie wurde über zwölf Wochen, doppelblind, placebokontrolliert, randomisiert und multizentrisch mit 135 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 64 Jahren (37 bis 88 Jahre) und 52% männlichen Patienten durchgeführt. Eingeschlossen wurden erwachsene Karzinoid-Syndrom-Patienten mit mindestens vier Stuhlgängen pro Tag, die bereits mindestens drei Monate stabil auf Somatostatin-Analoga eingestellt waren und die Therapie mit den Somatostatin-Analoga fortführten. Zudem gab es eine 36-wöchige offene Verlängerungsphase, während der alle Patienten eine Open-Label-Behandlung mit Telotristatethyl erhielten. Primärer Endpunkt der Studie war die durchschnittliche Veränderung der täglichen Stuhlfrequenz gegenüber Baseline, gemittelt über die zwölf­wöchige doppelblinde Behandlungs­phase.

Ein dauerhaftes Ansprechen war definiert mit einer mindestens 30%igen Reduktion der täglichen Stuhlfrequenz über mindestens die Hälfte der Tage der zwölfwöchigen Behandlung. Dies wurde in 44% unter Telotristat­ethyl vs. 20% unter Placebo (p < 0,040) erreicht. Auch die prozentuale Ver­änderung der Ausscheidung von 5-Hydroxy­indolylessigsäure im Urin war unter Telotristat­ethyl gegenüber Placebo signifikant verringert. Dies führte zu einer relevanten Verbesserung der Lebensqualität der Patienten mit anhaltender Symptomkontrolle.

Die TELECAST-Studie als Begleitstudie war ähnlich aufgebaut wie die Schlüsselstudie. Es wurden 76 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren (35 bis 84 Jahre), von denen 55% männlich waren, eingeschlossen. Von diesen Probanden hatten 92,1% weniger als vier Stuhlgänge täglich. Primäre Endpunkte waren die prozentuale Veränderung der 5-HIES-Ausscheidung im Urin in Woche zwölf und das Auftreten unerwünschter Wirkungen. Ergebnis war die signifikante Reduktion der 5-HIES-Werte und der mittleren Stuhlfrequenz durch Telotristat­ethyl bei guter Verträglichkeit.

Aktuell wird die TELEPATH-Studie mit 160 Patienten als Erweiterungsstudie zu TELESTAR, TELECAST und früheren Phase-II-Studien durchgeführt, um die Langzeitsicherheit von Telotristat zu untersuchen [8].

Unerwünschte Wirkungen

Die am häufigsten bei mit Telotristat behandelten Patienten berichteten unerwünschten Wirkungen waren Abdominalschmerzen (26%), erhöhte Gamma-Glutamyl-Transferase (11%) und Müdigkeit (10%). Die Anwendung von Telotristatethyl kann zu erhöhten Leberenzymwerten führen. Des Weiteren ist aufgrund der Verringerung der Stuhlfrequenz Verstopfung möglich. In den klinischen Studien wurden Depressionen, depressive Verstimmungen und vermindertes Interesse beobachtet [9].

Dosierung und Einnahme

Jede Filmtablette enthält 250 mg Telo­tristatethyl und 168 mg Lactose. Die Einnahme der Tablette erfolgt dreimal täglich zu den Mahlzeiten. Die Studien zeigen eine hohe Compliance, da beim Vergessen einer Tablette wieder Durchfälle auftreten. Sollten länger anhaltende Verstopfung sowie Bauchkrämpfe auftreten, ist umgehend ein Arzt aufzusuchen, um einen Darmverschluss auszuschließen. Da eine Akkumulation nicht ausgeschlossen werden kann, sollte die Einnahme höherer Dosen unterbleiben. Bei versäumter Dosis sollten die Patienten die darauffolgende Dosis zur üblichen Zeit einnehmen und nicht die versäumte Dosis nachholen.

Innerhalb von zwölf Behandlungswochen sollte ein klinisches Ansprechen erreicht werden, andernfalls steht der Nutzen der Xermelo®-Therapie infrage. Telotristat induziert CYP2B6 in vitro und könnte die Wirksamkeit von Arzneimitteln, die CYP2B6-Substrate sind (z. B. Valproinsäure, Bupropion, Sertralin), verringern. Telotristatethyl kann die Wirksamkeit von Arzneimitteln, die CYP3A4-Substrate sind (z. B. Midazolam, Everolimus, Sunitinib, Simvastatin, Ethinylestradiol, Amlodipin, Cyclosporin), verringern. Das Produkt ist nicht für Schwangere und Stillende geeignet [9]. |

Quelle

[1] Hallet J et al. Exploring the rising incidence of neuroendocrine tumors: a population-based analysis of epidemiology, metastatic presentation, and outcomes. Cancer 2015;121(4):589-598

[2] Pape UF. Diagnostik und Therapie gastroenteropankreatischer neuroendokriner Tumore aus internistischer Sicht. In: Der Onkologe. Springer-Verlag 2000;6/7:105-113

[3] Modlin I et al. Gastroenteropancreatic neuroendocrine tumours. Lancet Oncol 2008;9(1):61-72

[4] Grozinsky-Glasberg S et al. Carcinoid Heart Disease: From Pathophysiology to Treatment - „Something in the Way It Moves“. Neuroendocrinology 2015;101(4):263-273

[5] Lapuerta P et al. Telotristat etiprate, a novel inhibitor of serotonin synthesis for the treatment of carcinoid syndrome. Clin Invest 2015;5(5):447-456

[6] Kulke MH et al. Telotristat ethyl, a tryptophan hydroxylase inhibitor for the treatment of carcinoid syndrome. JCO 2017;35(1):14-23

[7] Pavel M et al. Efficacy and safety results of telotristat ethyl in patients with carcinoid syndrome during the double-blind treatment period of the TELECAST phase 3 clinical trial. Abstract C8, NANETS 2016

[8] ClinicalTrials.gov: NCT02026063

[9] Fachinformation Xermelo®, Stand: September 2017

Dr. Miriam Neuenfeldt

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