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Interaktionen
Pharmakogene Herzrhythmusstörungen
Was ist im Apothekenalltag bei QT-Zeit-verlängernden Arzneimitteln zu beachten?
QT-Zeit – Norm und Abweichungen
Die QT-Zeit bildet auf dem peripheren EKG die Dauer des kardialen Aktionspotenzials ab, das zwischen der Q-Zacke und der T-Welle liegt (Abb. 1). Sie hängt natürlich auch vom individuellen Puls des Patienten ab (Herzfrequenz pro Minute). Vergleiche zwischen mehreren Patienten sind daher nur über die korrigierte QTc -Zeit möglich. Zu ihrer Berechnung gibt es diverse Formeln; am gebräuchlichsten ist die Bazett-Formel, wobei die Herzfrequenz als Abstand zwischen zwei R-Zacken im EKG definiert ist: QTc = QT [ms] / √RR-Abstand [s]
Sowohl bei höheren als auch recht niedrigen Herzfrequenzen ist die Bazett-Formel jedoch ungenau, sodass bei einem Puls über 80 die Friderica-Formel, die die dritte Wurzel des RR-Abstands verwendet, bessere Ergebnisse bringt. Weiterhin gibt es die Hodges- und die Framingham-Formel, die beide mit einer empirisch ermittelten Konstante rechnen.
Die QTc -Zeit gilt als verlängert, wenn sie bei Männern 450 ms, bei Frauen 480 ms überschreitet. Man geht davon aus, dass bei höheren Werten das Risiko für eine Torsade-de-pointes-Arrhythmie, welche potenziell tödlich verlaufen kann, stark ansteigt.
Verlängerungen in allen Bereichen des QT-Intervalls können durch genetische Dispositionen (Romano-Ward-Syndrom, Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom) oder durch Wirkstoffe entstehen. Arzneimittel wirken hier in erster Linie durch die Blockade des spannungsgesteuerten hERG-Kanals (human Ether-a-go-go-Related Gene). Dieser transportiert Kaliumionen aus der Zelle in den extrazellulären Raum und ist an der Repolarisation von Zellen der Herzmuskulatur beteiligt. Wenn der hERG-Kanal blockiert ist, verlängert sich das Aktionspotenzial.
Retrospektive Studie mit geriatrischen Patienten
Gemeinsam mit der geriatrischen Rehabilitationsklinik Ehingen, die uns Zugang zu Patientendaten gewährte, wollten wir uns ein Bild über die Relevanz und die Häufigkeit von QT-Zeit-Verlängerungen bei einer Patientengruppe verschaffen, die schon von vornherein als besonders vulnerabel gilt.
Im Zeitraum August 2016 bis Februar 2017 konnten wir auf die EKG-Daten von insgesamt 196 Neuzugängen dieser Klinik zugreifen. Wir erhielten auch die Medikationslisten dieser Patienten, die wir anhand der Liste auf CredibleMeds.org (s. Kasten) sowie der Fachinformationen von Arzneimitteln mit bekannten QT-Zeit-Verlängerungen überprüften, und suchten nach Korrelationen mit den EKG-Daten.
CredibleMeds.org
Die Liste auf der Website CredibleMeds.org enthält eine sehr umfangreiche und gute Sammlung an Arzneistoffen, die einen Einfluss auf die QT-Zeit haben. Dennoch kommen dort einige Arzneistoffe nicht vor, obwohl in deren Fachinformationen die QT-Zeit-Verlängerung erwähnt wird. Dazu zählen Melperon, Opipramol, Pregabalin, Propafenon, Trospiumchlorid und Xipamid. Es ist also unverzichtbar, sich selbst ein Bild zu verschaffen und sich nicht ausschließlich auf diese Website zu verlassen.
Ergebnisse
Unter den 196 Patienten waren 57 Männer und 139 Frauen. 39 Patienten (19,9%) lagen über den Grenzwerten der QTc -Zeit von 450 ms bzw. 480 ms. Es waren 19 Männer (33,3%) und 20 Frauen (14,4%).
Aus den vorliegenden Daten lassen sich keine klaren Aussagen bezüglich der QT-Zeit-Verlängerung bestimmter Arzneimittel ablesen. Lediglich schwache Tendenzen zeigt der Vergleich der 39 Patienten, die über den Grenzwerten lagen, mit dem Gesamtkollektiv bei folgenden Arzneimitteln (die Zahlen beziehen sich auf die behandelten Patienten in beiden Gruppen):
- das Antidepressivum (Es-)Citalopram: 6 vs. 10,
- das breit einsetzbare Pregabalin: 4 vs. 11,
- das Antidiabetikum Sitagliptin 2 vs. 7,
- das Antidepressivum Mirtazapin 2 vs. 12,
- das Urologikum Trospiumchlorid 3 vs. 6,
- das Antiarrhythmikum Amiodaron 1 vs. 3 (Abb. 2).
Aufgrund des etwas unklaren Bildes fragten wir bei der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) Ehingen nach, wie sie das Problem der QT-Zeit-Verlängerung durch Arzneimittel handhabt. Die Antwort lautete, dass dort ein Cut-off bei 500 ms gilt, d.h. bei Erreichen dieses Wertes wird das jeweilige Arzneimittel nicht weiter eingesetzt. Bei den von uns ausgewerteten 196 Patienten sind es zehn Patienten (5,1%), die eine QT-Zeit über 500 ms aufweisen. Aber auch bei ihnen lassen sich keine eindeutigeren Korrelationen finden, außer dass die Anzahl der QT-Zeit-verlängernden Arzneimittel pro Patient zugenommen hat.
Weitere Gründe für eine QT-Zeit-Verlängerung
Offensichtlich kommen bei dem Phänomen der QT-Zeit-Verlängerung mehrere Komponenten zum Tragen, sodass die alleinige Betrachtung der Arzneimittel nicht zielführend erscheint. Aus diesem Grund wird wohl auch in den Fachinformationen bekannter QT-Zeit-verlängernder Arzneimittel immer ein Eingangs- und Kontroll-EKG gefordert, um die Auswirkung einschätzen zu können.
Insgesamt zeigen unsere Daten, dass die Kombination mehrerer bekannter QT-Zeit-verlängernder Arzneimittel zu einer deutlich erhöhten QT-Zeit führen kann. Unter unseren „Spitzenreitern“ waren zwei Patienten, die mindestens zwei Arzneimittel mit bekannter QT-Zeit-Verlängerung einnahmen.
Einen zusätzlichen Aspekt zu dieser Problematik liefert die kombinierte Anwendung von Schleifen- und Thiazid-Diuretika (z. B. Furosemid + Hydrochlorothiazid) – die sogenannte sequenzielle Nephronblockade. Sie scheint additiv zu QT-Zeit-verlängernden Medikamenten, teilweise aber auch schon allein, ebenfalls kritisch zu sein, denn zehn von 25 Patienten mit dieser Medikation hatten eine verlängerte QTc -Zeit; bei vier Patienten lag diese über 500 ms. Dies lässt sich wegen des Eingriffs in das Elektrolyt-Gleichgewicht (v. a. Kalium-Werte) und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Herztätigkeit gut nachvollziehen.
Zum Weiterlesen
O. Rose: Herzrhythmusstörungen – Grundlagen für das Medikationsmanagement. DAZ 2017, Nr. 40, S. 65
Fazit
Aufgrund der geringen Patientenzahl und der sehr vielfältigen Medikationslisten erlauben unsere Beobachtungen keine generelle Aussage über die Relevanz von Arzneimitteln auf die QT-Zeit-Verlängerung.
Die auffälligsten Arzneistoffe in unseren Beobachtungen waren (Es-)Citalopram und Pregabalin (Abb. 2). Tendenziell scheinen auch Trospiumchlorid sowie Sitagliptin relevant zu sein. Naheliegend ist der Zusammenhang bei Amiodaron aufgrund seiner Herzwirksamkeit.
Bei Patienten, die zusätzlich zu QT-Zeit-verlängernden Medikamenten mit einer sequenziellen Nephronblockade behandelt werden, zeigte sich auffällig häufig eine verlängerte QT-Zeit. Darauf wollen wir in Zukunft ein größeres Augenmerk richten, wenn QT-Zeit-Verlängerungen in unserer Datenbank angezeigt werden.
Für die Arbeit im Apothekenalltag haben wir die Schlussfolgerung gezogen, Ärzte nur dann zu kontaktieren, wenn mehr als zwei QT-Zeit-verlängernde Medikamente (laut Datenbank) verordnet sind oder wenn ein neues QT-Zeit-verlängerndes Medikament zusätzlich zur bisherigen Medikation verordnet wurde, ohne dass ein EKG des Patienten gemacht wurde. Psychiatrisch bzw. kardiologisch tätige Ärzte kontaktieren wir nicht wegen QT-Zeit-Verlängerungen, da sie mit dieser Arzneimittelnebenwirkung vertraut sind. |
Literatur (Auswahl)
http://crediblemeds.org, Stand: Mai 2017
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