Kongresse

Stammzellen, Immunonkologie, Mikrobiom

Kongressbericht zur DGHO-Jahrestagung 2017

STUTTGART (pj) | Die diesjährige Tagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie, einer der größten Kongresse für diese Fachgebiete im deutschsprachigen Raum, fand vom 29. September bis 3. Oktober 2017 in Stuttgart statt. Es diskutierten mehr als 5000 Teilnehmer in zahlreichen Übersichtsreferaten und Vorträgen sowie vor dem Hintergrund mehrerer hundert wissenschaftlicher Präsentationen über aktuelle Herausforderungen sowie über Chancen, Risiken und Erfolge neuer diagnostischer und medikamentöser Möglichkeiten.

Parallel dazu fanden eine Fachtagung für die Pflege, ein integrierter Studententag, Firmensymposien, eine Indus­trieausstellung sowie ein Patiententag statt.

Traditionsgemäß wurde der Kongress mit einem Rückblick auf die wichtigsten Neuigkeiten des letzten Jahres eröffnet. In dieser Plenarsitzung erläuterten ein Hämatologe, ein Onkologe und ein Experte der translationalen Forschung die aus ihrer Sicht wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen zwölf Monate. Prof. Dr. Jakob Passweg, Basel, zufolge konnte die Erforschung molekularer und immunologischer Vorgänge vor allem bei der Therapie der akuten lymphatischen Leukämie, der akuten myeloischen Leukämie und dem multiplen Myelom umgesetzt werden. Beachtenswertes aus onkologischer Sicht stellte Prof. Dr. Wolfgang Hilbe, Wien, vor. Etliche neue ­Erkenntnisse haben zu einer Ver­änderung oder Verbesserung der Standardtherapien geführt. Hier einige Beispiele: Die PD1-Blockade bei selektionierten Patienten mit einem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom, eine kürzere chemotherapeutische Behandlung von Patienten mit Darmkrebs sowie die frühzeitige Gabe von Abirateron beim Prostatakarzinom, um den Zeitpunkt einer Chemotherapie zu verzögern. Neu sind auch die Behandlung des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms mit CDK4/6-Inhibitoren und der Einsatz von PARP-Inhi­bitoren beim BRCA1-mutierten Brustkrebs.

Foto: DAZ/Jungmayr
Experten der Hämatologie und Medizinischen Onkologie berichteten in Stuttgart über Fortschritte im Bereich der Diagnostik und Therapie von Tumorerkrankungen.

Aus translationaler Sicht wies Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow, Heidelberg, auf die zunehmende Bedeutung des Genomic Editing hin, bei dem Patientenzellen entnommen, verändert und wieder zugeführt werden. Bekanntestes Beispiel hierfür ist die CART(Chimeric antigen receptor–modified T-cells)-Technologie, mit deren Hilfe genetisch manipulierte, zelluläre Immuntherapeutika hergestellt werden können. Ende August 2017 hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) erstmals ein genetisch manipuliertes, zelluläres Immuntherapeutikum für die Behandlung von B-Zell-akuter lymphatischer Leukämie bei Kindern und jungen Erwachsenen zugelassen. Es ist anzunehmen, dass zellbasierte Therapien in Zukunft eine immer größere Rolle spielen werden.

Stammzellforschung, Immunonkologie und Mikrobiom

Kongresspräsident Prof. Dr. med. Lothar Kanz, Tübingen, wies bei einer Pressekonferenz auf einige Schwerpunkte der Jahrestagung hin. Dies sind neben der sich rasch entwickelnden translationalen Stammzellforschung die Immunonkologie sowie die Rolle des Mikrobioms für das Immunsystem. Das intestinale Mikrobiom ist ein potenter Modulator systemischer Immunreaktionen und hat konsekutive Auswirkungen auf die Autoimmunität, aber auch auf das Tumorgeschehen. Eine gestörte Immunreaktion führt zu einer Dysbiose, die – so die theoretische Vorstellung – mithilfe manipulierter Keime wieder ins Gleichgewicht gebracht werden soll. Eine neu etablierte Säule bei der Tumorbehandlung ist die Immunonkologie. Besonders eindrucksvoll sind ihre Erfolge beim fortgeschrittenen Bronchialkarzinom und beim malignen Melanom, zwei Tumorentitäten, die besonders auf immuntherapeutische Interventionen wie etwa Checkpoint-Inhibitoren ansprechen. Allerdings profitiert nur ein Teil der Patienten von einer immunologischen Therapie. Warum dem so ist und ob diese Patienten im Vorfeld erkannt werden können, ist noch nicht bekannt. Des Weiteren müssen Resistenzmechanismen, die sich im Rahmen immuntherapeutischer Interventionen entwickeln, geklärt werden.

Neben wissenschaftlichen Themen wurden im Verlauf des Kongresses auch gesundheitspolitische Aspekte angesprochen. Darunter fallen unter anderem die Stärkung der unabhängigen akademischen Forschung, eine späte Nutzenbewertung auf der Basis von Daten aus Versorgungsregistern sowie eine nachhaltige Sicherung der Finanzierbarkeit medizinisch notwendiger hochpreisiger Krebsarzneimittel.

Debatte um Methadon

In einer von einem großen Auditorium verfolgten Debatte wurde der Einsatz von Methadon in der Tumortherapie diskutiert. In ihren Eingangsstatements legten die Vertreter der Pro- und Contra-Seite ihre jeweiligen Positionen dar. Die Chemikerin Dr. Claudia Friesen, Ulm, erläuterte den Wirkmechanismus von Methadon – die Wirkverstärkung einer Chemotherapie bei Tumoren mit hoher Opioid-Rezeptordichte – anhand von Tierversuchen und Einzelfallberichten. Für die Wirksamkeit von Methadon spreche der in mehreren Fällen beobachtete Rückgang des Tumorwachstums, so Friese. Die Gegenseite, der Palliativmediziner Priv.-Doz. Dr. Ulrich Schuler, Dresden, bemängelte unter anderem die „flexible“ Darstellung der von Friesen publizierten präklinischen Daten und die unklare Darlegung der Nebenwirkungen von Methadon. Aufgrund von Einzelfallberichten könne nicht auf eine klinische Wirksamkeit geschlossen werden. Bei den dargestellten Krankheitsbildern sei unklar, ob die günstigen Therapieverläufe zwingend auf die Methadon-Einnahme zurückzuführen seien, so Schuler. Bei der anschließenden lebhaften Diskussion wurde vor allem die mediale Darstellung der vermeintlichen therapeutischen Effekte bemängelt. Des Weiteren war sich das Auditorium darüber einig, dass präklinische Daten und Einzelfallberichte keine Grundlage für eine seriöse Bewertung einer möglichen Therapieoption sind. Eine Beurteilung könne erst aufgrund von Daten klinischer Studien stattfinden. Zurzeit sind drei klinische Studien geplant, die geforderten Unterlagen aber noch nicht eingereicht. Eine abschließende Umfrage unter den anwesenden Hämatologen und Onkologen, ob sie Methadon als Tumortherapeutikum einsetzen würden, wurde beinahe einstimmig mit Nein beantwortet. |

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