Schwerpunkt: Vegane Ernährung

Den Bedarf decken

Fragen und Antworten rund um die vegane Ernährung

Welche Vitamine und Mineralstoffe müssen substituiert werden, wie wird der Kalorienbedarf gedeckt, wie der Proteinbedarf ...? Hier sind die Antworten zu den wichtigsten Fragen.

Vitamin B12

Wann muss mit der Substitution von Vitamin B12 begonnen werden? In aller Regel wird die Entscheidung, sich ab jetzt vegan zu ernähren, nicht im Steakhouse getroffen, sondern stellt einen weiteren Schritt eines Menschen dar, der bereits vorher Vegetarier war. Insofern ist davon auszugehen, dass die Vitamin-B12-Speicher in der Leber bereits von Beginn an nicht mehr voll waren und ein Abwarten von Monaten oder Jahren mit einem Mangelrisiko verbunden ist. Die Bestimmung der Vit­amin-B12-Spiegel durch den Hausarzt kann irreführend sein, da wie bei vielen Mikronährstoffen die Blutspiegel erst signifikant sinken, wenn die Speicher bereits nahezu entleert sind. Auch wenn mit dem Gesamt-Transcobalamin (Holo-TC) ein etwas aussagekräftigerer Parameter zur Verfügung steht, kann dennoch nicht garantiert werden, dass neurologische Mangelsymptome nicht bereits bei Spiegeln im Normbereich auftreten.

Welche Symptome verursacht ein Vitamin-B12-Mangel?

Es gibt neurologische und hämatologische Symptome. Neurologisch werden kognitive Defizite, Parästhesien (z. B. Kribbeln, Brennen), Ataxie und Gangstörungen beobachtet. Diese Störungen können bei zu später Diagnose irreversibel sein. Hämatologisch äußert sich der Vitamin-B12-Mangel in einer makrozytären Anämie, d. h. der Hb-Wert ist niedrig, die Erythrozyten sind angeschwollen (MCV-Wert > 100 fl). Diese diagnostischen Kriterien sind jedoch unsicher, da in eine Anämie weitere B-Vitamine involviert sein können und bei gleichzeitigem Eisen-Mangel der MCV-Wert im Normbereich sein kann (Eisen-Mangel macht eine mikrozytäre Anämie). Für die Diagnostik sollten weitere Parameter herangezogen werden, neben dem Blutbild und Holo-TC auch Methylmalonsäure und Homocystein. Im Extremfall kann der Vitamin-B12-Mangel eine Panzytopenie verursachen.

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Calcium

Wie kann man als Veganer den Calcium-Bedarf decken? Interessant ist, dass die Nationale Versorgungsleitlinie die Nährstoffaufnahme der Allgemeinbevölkerung völlig unabhängig von der Bioverfügbarkeit beurteilt. Es wurde also nur der Gehalt des jeweiligen Nährstoffs in der Nahrung registriert und nicht be­achtet, wie viel davon resorbiert wird [1]. Beim Calcium ist das von besonderer Bedeutung, da dessen Bioverfügbarkeit von mehreren Faktoren abhängt. Calcium u. a. in den Gemüsen, die auf der veganen Ernährungspyramide abgebildet sind (z. B. Brokkoli, Grünkohl, Chinakohl, Rosenkohl, Kohlrabi, Kresse), wird zu 50 bis 60% resorbiert, Calcium aus Oxalat-haltigem Gemüse (z. B. Spinat, Mangold, Rote Bete) dagegen nur zu 10 bis 20%, weil Oxalat mit Calcium Komplexe bildet. Calcium aus angereicherter Sojamilch hat eine Bioverfügbarkeit von 30 bis 35%, das entspricht der von Milchprodukten. Allgemein scheint Soja-Protein die Calcium-Resorption zu verbessern. Zusätzlich kann Calcium-reiches Mineralwasser empfohlen werden.

Was kann zusätzlich getan werden, um das in der EPIC-Studie behauptete Frakturrisiko zu vermindern? Calcium ist nicht der einzige Faktor für das Fraktur- und Osteoporoserisiko. Vitamin D (s. u.) spielt hier ebenso eine Rolle wie körperliche Betätigung. Jeder Zug, den eine Sehne infolge der Muskeltätigkeit auf den Knochen ausübt, ist ein Reiz gegen den Knochenabbau.

Proteine

Welche bedarfsdeckenden pflanz­lichen Eiweißquellen gibt es für Veganer? Hülsenfrüchte wie Soja (z. B. als Tofu), Erbsen und Bohnen sind gute Eiweißquellen. Daneben sind Getreide, Amaranth und Kartoffeln eine wertvolle Ergänzung. Wichtig ist, die pflanzlichen Eiweißquellen zu kombinieren, da jeder pflanzliche Protein-Lieferant eine Lücke bei bestimmten essenziellen Aminosäuren aufweist: Hülsenfrüchten und Kartoffeln fehlt Methionin, dem Weizenprotein Seitan (Vorsicht – ein Synonym für Gluten!). Lysin und Proteine aus Reis und Mais sind arm an Tryptophan. Erst die Kombination der verschiedenen Quellen führt also zur vollständigen Bedarfsdeckung.

Gibt es, z. B. für Leistungssportler mit einem hohen Eiweißbedarf, pflanz­liche Eiweißkonzentrate? Da sich der Markt mittlerweile auf die zunehmende Zahl an Veganern eingestellt hat, gibt es auch das. Ein Beispiel dafür ist Reisprotein (z. B. Brown Rice Protein). Solche Supplemente sollten eine Typanalyse, also die Angabe der Aminosäure-Zusammensetzung, enthalten. Die Wertigkeit des Proteins kann man nur mit der Kenntnis aller essenzieller Aminosäuren beurteilen. Dazu dient die alte Ökotrophologen-Esels­brücke: „Die…

Phenomenale (Phenylalanin)

Isolde (Isoleucin)

Trypt (Tryptophan)

Metunter (Methionin)

Leutnant (Leucin)

Valentins (Valin)

Lysterne (Lysin)

Thräume (Threonin)“

Fettsäuren

Gibt es überhaupt einen Bedarf an langkettigen ω-3-Fettsäuren und wie kann er gedeckt werden?

Die essenziellen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren mit einer Kettenlänge von 20 bis 22 C-Atomen, das sind die Arachidonsäure (ω-6) sowie die Eicosapentaen- und Docosahexaensäure (EPA und DHA, jeweils ω-3), dienen im Organismus als Vorstufen der Eicosanoide. Säuge­tiere können die pflanzlichen C-18-Fettsäuren (im Falle der ω-3-Fettsäuren die α-Linolensäure) verlängern. Infolge der geringen Enzymaktivität der Elongasen ist dies bei uns jedoch nur in begrenztem Umfang möglich. Wer die pflanzlichen ω-3-Quellen nutzt (Leinöl, Nussöle und Rapsöl enthalten viel α-Linolen­säure), deckt damit dennoch einen großen Teil seines Bedarfs an essenziellen Fettsäuren. Da Veganer die im Fleisch enthaltene Arachidonsäure nicht aufnehmen, haben sie es theoretisch leichter, ein ausgewogenes Verhältnis von ω-3- und ω-6-Fettsäuren in ihrem Körper herzustellen, wenn sie weniger pflanzliche ω-6-Quellen (z. B. Soja-, Weizenkeim-, Distelöl) verwenden. Verschiedene Studien (u. a. EPIC) zeigen niedrige EPA- und DHA-Blutspiegel bei Veganern, ohne dass jedoch daraus resultierende Probleme dokumentiert wären. EPA und DHA in veganen Nahrungsergänzungsmitteln stammen in der Regel aus Algen, die letztlich auch die ω-3-Quellen der Fische sind.

Eisen

Riskiert man bei fleischloser Ernährung eine Eisenmangelanämie? Der tägliche Verlust an Eisen, der aus der Nahrung ergänzt werden muss, liegt beim Mann bei 1 mg, bei der (prämenopausalen) Frau zwischen 1,5 und 2 mg. Die Bioverfügbarkeit von Eisen liegt bei Mischkost zwischen 14 und 18%, bei rein pflanzlicher Kost zwischen 5 und 12%. Das liegt v. a. daran, dass zweiwertiges Eisen tierischen Ursprungs besser resorbiert wird als dreiwertiges Eisen pflanzlichen Ursprungs. Vitamin C als Reduktionsmittel verbessert die Resorption. Dagegen bilden Phytinsäure aus Getreide und Polyphenole aus Tee oder Kaffee Komplexe mit Eisen und vermindern die Bioverfügbarkeit. Dennoch zählt Vollkorngetreide zu den bevorzugten Eisenquellen in der vegetarischen bzw. veganen Ernährung. Insofern sind Hb, Transferrin /-sättigung und Ferritin Parameter, die insbesondere in Belastungssituationen wie hoher körperlicher Aktivität oder Schwangerschaft unbedingt zu überwachen sind.

Vitamin D

Kann man den Vitamin-D-Bedarf alleine durch Sonnenlicht decken? Das hängt vom Alter und vom Breitengrad ab. Vom 30. bis zum 65. Lebensjahr verliert die Haut bis zu 80% ihrer Synthesekapazität für Vitamin D [1]. In den Wintermonaten steht in Deutschland die Sonne so tief, dass der für die Vitamin-D-Synthese notwendige UV-B-Anteil von der Atmosphäre herausgefiltert wird. Weitere Risikofaktoren sind Sunblocker (auch in Tagescremes) und dunkle Hautfarbe. Obwohl es eine fettlösliche Substanz ist, wird Vitamin D nicht sehr lange im Körper gespeichert. Zumindest in den weniger sonnigen Monaten des Jahres sollte es also substituiert werden. Das gilt für Veganer ebenso wie für die Allgemeinbevölkerung, bei der die NVSII eine deutliche Unterversorgung feststellt [2].

Gibt es vegane Vitamin-D-Quellen? In der Bio-/Vitalpilz-Szene im Internet werden immer wieder Pilze (Champignons, Steinpilze, Pfifferlinge u. a.) als vegane Quelle für Vitamin D2 genannt. Vitamin D2 ist dem Vitamin D3 entgegen früheren Aussagen nicht unterlegen [1]. Dabei ist die Frage, wie hoch der Gehalt der Pilze unter welchen Bedingungen sein kann, von den Faktoren UV-Bestrahlung und Lagerung abhängig [3]. Pilze können demnach selbst nach der Ernte unter UV-B- oder UV-C-Strahlung aus der Vorstufe Ergosterol Vitamin D2 (Ergocalciferol) bilden und so bei reichlichem Konsum auch in den Wintermonaten eine Nahrungsergänzung erübrigen. Das in vielen Pflanzen, u. a. in der Avocado, enthaltene Ergosterol selbst kann dagegen vom Menschen nicht in Vitamin D umgewandelt werden.

Iod

Wie kann man ohne Fisch einem Iod-Mangel vorbeugen?

Die NVSII stellt in der deutschen Allgemeinbevölkerung einen weit verbreiteten Iodmangel fest [2]. Veganer sind davon ebenso betroffen. Iodiertes Speisesalz kann diesen Mangel nur zum Teil beheben, da man zur vollständigen Bedarfsdeckung ein Mehrfaches der pro Tag empfohlenen Kochsalz-Menge von maximal 6 g zu sich nehmen müsste. Teure Salz-Spezialitäten wie Himalaya-Steinsalz enthalten selbst dann keine nennenswerten Mengen an Iodid, wenn sie tatsächlich aus dem Himalaya und nicht aus Pakistan stammen. Bei in Bio-Märkten angebotenen marinen Zubereitungen ist häufig das Gegenteil der Fall. Ein Ex­trembeispiel sind „Meeres-Spaghetti“. Dabei handelt es sich um in Streifen geschnittene und getrocknete Algen, bei denen etwa eine (!) Spaghetti den Tagesbedarf an Iodid abdeckt. Wer hier die Packungsbeilage nicht liest und den fischigen Algengeschmack schätzt, hat sich schnell eine Iodid-Dosis zugeführt, die sonst der Iod-Blockade der Schilddrüse nach Reaktorunfällen vorbehalten ist. Auch wenn das Bundesinstitut für Risikobewertung ausdrücklich davor warnt, sind Algenpräparate die einzige vegane Möglichkeit einer bedarfsdeckenden Iodzufuhr mit Ausnahme der Nahrungsergänzungsmittel. Daher sollten die Schilddrüsenparameter einem regelmäßigen Monitoring unterliegen und ggf. frühzeitig mit einer Iodid-Zufuhr begonnen werden.

Vitamin A

Reicht das Betacarotin im Gemüse als Vitamin-A-Quelle aus?

Carotinoide aus Gemüse werden nicht vollständig in Vitamin A (Retinol) umgewandelt. Die Ernährungswissenschaft gibt hier Retinoläquivalente (RE) an. 1 RE ist 1 µg all-trans-Retinol oder 12 µg all-trans-Betacarotin in Lebensmitteln [1]. Um die empfohlene Tagesmenge von einem Milligramm Retinol zu erreichen, braucht man also 12 mg Betacarotin aus Lebensmitteln, was eine beachtliche Menge darstellt. Die Bioverfügbarkeit von Betacarotin lässt sich durch Garen (Rohköstler haben hier also ein Problem!) und Zugabe von Öl (idealerweise etwas Leinöl als ω-3-Quelle) verbessern. Veganer gelten insbesondere dann als Risikogruppe für Vitamin-A-Mangel, wenn zusätzliche Belastungen vorliegen, z. B. Schwangerschaft. In diesen Situationen sollte es in moderaten Dosen substituiert werden, zumal die Messung der Spiegel aus dem Blut unzuverlässig ist. Aufgrund der Speicherung in der Leber bleiben die Spiegel über weite Bereiche des Vitaminstatus hinweg konstant, die Mangelsymptome (Anämie, Nachtblindheit, Atemwegsinfekte und weitere, oft unspezifische Symptomatiken) können also vor oder zeitgleich mit einer Spiegelabsenkung auftreten. In der Embryogenese führt ein akuter Mangel an Vitamin A zu Entwicklungsstörungen v. a. am Herzen, am Urogenitaltrakt und an den Atemwegen [1].

Zink

Gibt es pflanzliche Quellen für Zink?

Pflanzliche Zink-Quellen sind v. a. Nüsse, Blattgemüse und Vollkornprodukte. Allerdings benötigt man große Mengen davon, um den täglichen Bedarf von 10 mg Zink zu decken, zumal wie beim Eisen Phytate aus Getreide Komplexe bilden und die Resorption verschlechtern können. Wird Eisen durch Arzneimittel substituiert, sollte auch Zink zusätzlich gegeben werden, um ein durch den verminderten Transport bedingtes Defizit auszu­gleichen.

Vitamin B2, Selen

Gibt es sonstige Risiken für Mikronährstoffmangel bei Veganern?

Vitamin B2 (Riboflavin) kommt hauptsächlich in Leber und Milchprodukten vor, in Obst, Gemüse und Getreide nur in deutlich geringeren Mengen. Symptome einer Unterversorgung sind Appetitverlust und Muskelschwäche [1]. In der Schwangerschaft kann man an eine Substitution denken, ein nach den Regeln der veganen Ernährungspyramiden ernährter Veganer wird wohl kein Problem damit haben. Ein Riboflavin-Mangel tritt eher bei chronischem Alkoholabusus auf, der in der Allgemeinbevölkerung häufiger vorkommt als bei Veganern.

Theoretisch stellt auch Selen ein Spurenelement dar, bei dem – ähnlich wie in der Allgemeinbevölkerung – bei Veganern ein Mangel möglich ist. Der Trend zu „regional / saisonal“ könnte hier eine Rolle spielen, da Deutschland z. B. im Vergleich zu den USA sehr selenarme Böden hat. Eine Aussage zur Relevanz dieses Problems ist jedoch weder in Bezug auf Veganer noch auf die Allgemeinbevölkerung möglich, da ein marginaler Selenmangel keine spezifische Symptomatik aufweist und die Selenversorgung in der NVSII überhaupt nicht erfasst wurde [2]. |

Literatur

[1] Biesalski HK. Vitamine und Minerale. Thieme Verlag 2016

[2] www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ernaehrung/NVS_Ergebnisbericht.pdf

[3] Guan W et al. Effects of UV-C treatment and cold storage on ergosterol and vitamin D2 contents in different parts of white and brown mushroom (Agaricus bisporus). Food Chem 2016;210:129-134

Apotheker Dr. Markus Zieglmeier

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