Arzneimittel und Therapie

Digitalis: Auslaufmodell oder Perspektive?

Deutsche Wissenschaftler wollen endlich Klarheit in die Evidenz bringen

Digitalisglykoside hatten lange Zeit ihren festen Platz in der Therapie der Herzinsuffizienz. In den letzten zwanzig Jahren wurde ihr Nutzen allerdings zunehmend angezweifelt. Qualitativ hochwertige Studien fehlen, die Evidenz ist schwach. Angesichts neuer Therapieoptionen stellt sich die Frage, welche Rolle Herzglykoside in Zukunft überhaupt noch spielen werden.

Bereits 1775 beobachtete der englische Arzt William Withering, dass Auszüge aus den Blättern des Roten Fingerhuts in der Lage waren, bestimmte Formen der „Wassersucht“ positiv zu beeinflussen. Bald erkannte man, dass der Effekt auf einer primären Wirkung auf das Herz beruhte. Digitalisglykoside wurden in den folgenden Jahrhunderten erfolgreich in der Behandlung von Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern eingesetzt. Therapeutisch angewendet werden heutzutage Digitoxin, Digoxin und einige wenige Partialsynthetika (siehe Tab.). Trotz früh einsetzender Kritik behielten die Digitalisglykoside bis vor einigen Jahren ihren Stellenwert in der Therapie der Herzinsuffizienz, obwohl die Studienlage als ausgesprochen unbefriedigend zu bezeichnen ist. In der Tat beruht die Bewertung der Digitalisglykoside derzeit auf einer einzigen kontrollierten, randomisierten und prospektiven Untersuchung, die 1997 mit Digoxin als Studienmedikation durchgeführt wurde (DIG-Studie). 6800 Herzinsuffizienzpatienten mit einer Auswurffraktion ≤ 45% wurden entweder mit Digoxin oder Placebo behandelt. Es konnten ein positiver Einfluss auf die Symptome und eine Reduktion der Hospitalisierungsrate gezeigt werden.

Starke Konkurrenz

Allerdings waren damals Betablocker und Spironolacton noch nicht in die Therapie der Herzinsuffizienz eingeführt. Im letzten Jahr kam zudem Entresto® auf den Markt, das mit Sacubitril den ersten therapeutisch eingesetzten Angiotensin-Neprilysin-Inhibitor enthält und dem vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ein beträchtlicher Zusatznutzen bescheinigt wurde. Vor dem Hintergrund der aktuellen Therapieoptionen ist der Stellenwert der Digitalisglykoside auf Basis der 1997 erhaltenen Daten eigentlich nicht sinnvoll zu beurteilen. Zudem führten in der Folgezeit Beobachtungsstudien und retrospektive Post-hoc-Auswertungen klinischer Studien, die eine erhöhte Mortalität unter Digoxin nahelegten, zu einer weiteren Verunsicherung. Die schwache Evidenz und die veränderten aktuellen Therapieoptionen spiegeln sich dann auch in den aktuellen Leitlinienempfehlungen wider, so findet sich beispielsweise in der Leitlinie der europäischen Kardiologie-Gesellschaft eine IIb-Empfehlung („… kann in Betracht gezogen werden …“), wenn Betablocker nicht toleriert werden oder nach Gabe anderer Substanzen Symptome persistieren.

Foto: H. Brauer – Fotolia.com
Die große Zeit von Digitalis zur Behandlung der Herzinsuffizienz scheint vorüber. Ein deutsches Forscherteam möchte mit einer prospektiven Studie nun noch einmal einen Versuch unternehmen, endgültig die Frage zu klären: wirksam oder nicht?

Ein letzter Versuch?

Entgegen dem allgemeinen Trend, dass für Herzglykoside deutlich sinkende Verordnungszahlen registriert werden, wurde aktuell von Wissenschaftlern der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) eine durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Studie initiiert, die den Einfluss von Digitoxin auf Krankheitsverlauf und Gesamt­sterblichkeit bei fortgeschrittener chronischer Herzinsuffizienz untersuchen soll. Vor diesem Hintergrund soll nun mit der DIGIT-HF-Studie der Versuch unternommen werden, einen Zusatznutzen von Digitalisglykosiden zu belegen. Dafür sollen rund 2200 Patienten mit Herzinsuffizienz rekrutiert und fünf Jahre lang zusätzlich zu einer leitliniengerechten Basistherapie mit Digitoxin oder Placebo behandelt werden. Dieser wissenschaftliche Ansatz, endlich Licht ins Evidenzdunkel zu bringen, ist sicherlich zu begrüßen. Ob damit der Stellenwert der Digitalisglykoside tatsächlich aufgewertet werden kann oder ob man sich doch eingestehen muss, dass angesichts neuer Therapiemöglichkeiten deren große Zeit vorüber ist, bleibt abzuwarten. Lesen Sie dazu den Kommentar von Professor Thomas Eschenhagen vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf auf Seite 30. |

Quelle

Bavendiek U, Davila LA, Koch A et al. Assumption versus evidence: the case of digoxin in atrial fibrillation and heart failure. European Heart Journal 2017;0:1–5

ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. European Heart Journal 2016;37:2129–2200

Aktuelle Fachinformationen (siehe Tab.)

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems

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