Kongresse

Mit einem Blick in die Geschichte die Gegenwart besser verstehen

Internationaler pharmaziehistorischer Kongress in Warschau

Vom 12. bis 15. September fand in Warschau der 43. Internationale Kongress für Geschichte der Pharmazie statt, der neben einem breit gefächerten Vortragsprogramm auch zahlreiche weitere Gelegenheiten zum fachlichen Austausch bot.

Die Geschichte von Kräuterbüchern, Antidotarien, Dispensatorien und Pharmakopöen sowie von pharmazeutischen Organisationen bildeten die thematischen Schwerpunkte. Die Präsidentin des Kongresses Iwona Arabas (Polen) begrüßte die mehr als 169 Teilnehmer aus 27 Ländern in der Alten Bibliothek der Universität Warschau. Auf die Grußworte folgte ihr Einführungsvortrag, der sich mit der Entstehung des Polnischen Arzneibuchs vor 200 Jahren sowie der Gründung der Pharmazeutischen Gesellschaft Polens vor nunmehr 70 Jahren befasste. Anschließend brillierte der Leiter der Klavierklasse der Warschauer Hochschule für Musik mit einem Chopin-Programm.

Plenarvorträge

Die Themenschwerpunkte wurden auch in den Plenarvorträgen aufgegriffen. Christa Kletter (Österreich), die Präsidentin der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (IGGP), untersuchte, welchen Einfluss pharmazeutische Gesellschaften in Österreich Ende des 18. und im 19. Jh. auf die dortige Pharmazie hatten. So stellte sie unter anderem eine um 1790 in Linz gegründete Lesegesellschaft vor, die ihren Mitgliedern den Zugang zu Fachliteratur ermöglichte. Wenige Jahre später entstanden solche Gesellschaften auch in Wien und Prag.

Kiichiro Tsutani (Japan) gab einen Einblick in die 131 Jahre umfassende Geschichte der Japanischen Pharmakopöe. Nach der Meiji-Restauration im Jahr 1868, nach der sich der Feudalstaat Japan in einen modernen Staat wandelte, wurden in Japan zunehmend westliche Drogen importiert, deren Qualität oft unzureichend war, sodass eine Pharmakopöe in Auftrag gegeben wurde. Die erste Version der Japanischen Pharmakopöe (JP1) wurde 1886 veröffentlicht und orientierte sich zunächst am Dänischen und Amerikanischen Arzneibuch. Von der JP1 bis zur aktuellen Ausgabe (JP17) war es ein langer Weg der Harmonisierung von japanischen, europäischen und chinesischen Rezepturen mit international anerkannten Standards.

Foto: Ariane Retzar
In der alten Bibliothek der Universität Warschau fand der Kongress statt.

Gregory Higby (USA) ging auf die Entstehung der US-amerikanischen Pharmakopöe ein. Aufgrund der fehlerhaften bzw. wenig detaillierten Vorschriften fand das Werk jedoch zunächst kaum Verwendung. Größere Bedeutung hatte dagegen das Dispensatory of the United States. Apotheker und Drogisten trafen sich schließlich 1851 in New York, um bessere Standards zu entwickeln. Im darauffolgenden Jahr wurde dann die American Pharmaceutical Association gegründet, der heute mehr als 60.000 Mitglieder angehören.

Stuart Anderson (Großbritannien) untersuchte die Entstehung von Pharmakopöen in England, Schottland und Irland. Die Londoner Pharmakopöe erschien erstmals 1618 und besaß für ganz England Gültigkeit, nicht jedoch für Schottland und Irland. Hier wurden 1699 bzw. 1794 in Edinburgh und Dublin eigene Pharmakopöen publiziert, insbesondere auch, um der eigenen nationalen Identität Ausdruck zu verleihen.

Sabine Anagnostou (Marburg), die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP), beleuchtete die Geschichte der Erforschung des asiatischen Arzneischatzes im 17. und 18. Jh., die durch große Forschungsreisende und Naturkundler wie den polnischen Jesuiten Michal Piotr Boym (1612 – 1659) bestimmt wurde. Sie betonte dabei, dass eine kritische Analyse der traditionellen Verwendung von Arzneipflanzen unter Berücksichtigung zeitgenössischer Konzepte nicht nur interkulturelle Parallelen und Einflüsse aufzeigen kann, sondern auch große Chancen bietet, bisher unbekannte ­Indikationen von Arzneipflanzen zu entdecken und so neue Arzneimittel entwickeln zu können.

Neuer IGGP-Vorstand gewählt

Foto: Wiktor Szukiel
Axel Helmstädter ist neuer Präsident der IGGP.

In Warschau wurde der neue Vorstand der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (IGGP) gewählt. Die bisherige Präsidentin, die Wiener Professorin Christa Kletter, übergab ihr Amt an den Frankfurter Professor für Pharmaziegeschichte Axel Helmstädter. Zu den weiteren Mitgliedern gehören: Die Vizepräsidenten Bruno Bonnemain (Frankreich), Halil Tekiner (Türkei) sowie Vilma Gudiene (Litauen), Generalsekretärin Dusanka Krajnovic (Serbien), die Beisitzer Gregory Higby und Szablocs Dobson (Ungarn). Das Amt des Schatzmeisters übernimmt Axel Schneider (Deutschland).

Kurzvorträge und Posterpräsentationen

Neben den Plenarvorträgen standen zudem 70 Kurzvorträge auf dem Programm. Die deutsche Pharmazie­geschichte war auch hier sehr gut vertreten. Christoph Friedrich (Marburg) widmete sich der Entstehung homöopathischer Arzneibücher in Deutschland und ging insbesondere auf das 1872 von Wilmar Schwabe (1839 –  1917) veröffentlichte Werk Pharmacopoea homoeopathica polyglottica ein. Amalia-Sophia Sakkas (Marburg) untersuchte am Beispiel der Universität Erlangen Promotionen von Pharmazeuten im 19. Jh. Diesem Thema widmete sich auch Johannes Müller (Berlin), der über zwei Apotheker berichtete, die in Marburg versucht hatten, die Doktorwürde zu erlangen, aber als Plagiatoren überführt wurden. Jochen Schröder (Marburg) schilderte die Geschichte der Interessengemeinschaft heimatloser Apotheker. Markus Maxim (Marburg) berichtete von seiner Forschungsreise nach Tansania und der schwierigen Suche nach Quellen zur Arzneimitteltherapie in den ehemaligen Niederlassungen der Bethel Mission in Ostafrika. Maximilian Haars (Marburg) analysierte die Arbeitsweise des byzantinischen Arztes Oreibasios von Pergamon in seinen pharmakologischen Exzerpten aus Galens Schriften. Mada Chahoud (Marburg) berichtete über gynäkologische Anwendungsgebiete von Myrrhe in der mittelalterlich-arabischen Medizin und zeigte Perspektiven für die moderne Phytotherapie auf. Kerstin Grothusheitkamp (Marburg) stellte die traditionellen Anwendungsgebiete des Abendländischen Lebensbaums (Thuja occidentalis L.) aktuellen Studien gegenüber und evaluierte dessen pharmakologisches Potenzial. Die Entwicklung von Fachinformationen in der DDR und in der Bundesrepublik skizzierte Ariane Retzar (Marburg). Ayman Atat (Braunschweig) stellte ein Drogenglossar des osmanischen Autors al Shirwani (15. Jh.) vor. Michael Mönnich (Tübingen) informierte über ein Projekt, bei dem Studenten pharmazie- und chemiehistorische Beiträge erarbeiten, die dann in Wikipedia veröffentlicht werden.

Foto: Wiktor Szukiel
Ariane Retzar erhielt den Carmen Francés Prize.

Eine Posterausstellung rundete das wissenschaftliche Programm ab. Stefanie Boman-Degen (Osnabrück) und Thomas Rötz (Neumünster) stellten die beiden Pharmaziehistoriker Walther Zimmermann (1890 – 1945) und Georg Edmund Dann (1898 – 1979) vor. Jochen Schröder untersuchte die Lebenswege sudetendeutscher Apotheker nach dem Zweiten Weltkrieg. Ariane Retzar ging näher auf ein von der DFG gefördertes Projekt zur Erarbeitung des 3. Ergänzungsbandes der „Deutschen Apotheker-Biographie“ ein, das derzeit am ­Institut für Geschichte der Pharmazie der Philipps-Universität in Marburg unter der Leitung von Christoph ­Friedrich durchgeführt wird. Die tra­ditionelle Anwendung von Arzneipflanzen in Madagaskar analysierte Axel Helmstädter (Frankfurt a. M.) ­anhand der Korrespondenz des britischen ­Missionars Joseph John Freeman (1794 – 1851).

Feierliche Akademiesitzung

An der Spitze der Internationalen Akademie für Geschichte der Pharmazie vollzog sich ebenfalls ein Wechsel. Der bisherige Präsident Stuart Anderson übergab sein Amt an Bruno Bonnemain. Zudem wurden elf neue Mitglieder in die Akademie aufgenommen. Ariane Retzar erhielt für ihre Dissertation über die Erfassung und Bewertung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen in der DDR den Carmen Francés Prize. Sabine Anagnostou überreichte die Schelenz-Plakette an Antonio Gonzales Bueno (Spanien). François Ledermann (Schweiz) wurde mit der Georg Urdang Medaille ausgezeichnet. |

Ariane Retzar, Kerstin Grothusheitkamp und Maximilian Haars, Marburg

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