Arzneimittel und Therapie

Aufklärung tut Not

Ein Kommentar von Theo Dingermann und Ilse Zündorf

Theo Dingermann
Ilse Zündorf

Beim Euroforum „Biosimilare Antikörper in der Onkologie“ in Berlin warnte Dr. med. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG), vor einem zu schnellen Einsatz von Biosimilars, da die Zulassung dieser Wirkstoffe auf dem Prinzip der Extrapolation der Indikation und nicht auf kontrollierten klinischen Studien in jeder onkologischen Indikation beruhe. Dies entspreche nicht den Regeln der evidenzbasierten Medizin.

Die Systematik der Biosimilar-Zulassung wird oft nicht verstanden!

Dieses Statement ist ein Beispiel dafür, wie ungenügend die Systematik der Zulassung von Biosimilars bei vielen Medizinern verstanden ist und wie dringend weiterer Aufklärungsbedarf besteht.

Das Prinzip der Biosimilar-Zulassung beruht im Kern auf dem Nachweis der strukturellen Ähnlichkeit zwischen einer Referenzarznei (Original) und einer molekularen Kopie (Biosimilar). Dazu werden in einem aufwändigen Head-to-Head-Evaluationsverfahren, das als comparability exercise bezeichnet wird, die physikochemischen, die präklinischen und die klinischen Charakteristika des Biosimilars mit denen der Referenzarznei verglichen. Nach dem Beleg der Ähnlichkeit auf molekularer Ebene sind alle anderen Charakterisierungen im Wesentlichen konfirmatorisch, da sie in allen Analyseparametern zu ähnlichen Resultaten führen müssen, falls tatsächlich die Strukturen sehr ähnlich sind. Das gilt auch für die zwingend geforderten klinischen Studien, die keineswegs in irgendwelchen beliebigen, sondern vielmehr in besonders sensitiven Indikationen durchzuführen sind, so dass mögliche Unterschiede gut erkennbar wären. Dies alles geschieht in enger Abstimmung mit den Zulassungsbehörden bzw. wird im Wesentlichen von diesen vorgegeben.

Molekulare Heterogenität auch beim Original

Prinzipiell können Original und Biosimilar nicht identisch sein, denn molekulare Mikroheterogenität ist ein inhärentes Merkmal aller biologischer Arzneimittel. Das ist sicherlich für molekular nicht intensiv Geschulte eine überraschende Aussage, schließlich sind chemisch synthetisierte, niedermolekulare Substanzen molekular immer homogen.

Werden allerdings verschiedene Chargen z. B. eines Original-Antikörperwirkstoffs untersucht, weisen auch hier die Moleküle teils deutliche strukturelle Schwankungen auf. Diese prinzipielle molekulare Heterogenität von proteinogenen Biomolekülen ist natürlich extrem gut belegt und vielfach publiziert [1]. Dennoch ist der Grad der unvermeidbaren molekularen Heterogenität keineswegs beliebig. Vielmehr werden von der Referenzarznei die Korridore, in denen sich molekulare Variationen bewegen, festgelegt. Genau diese Korridore sind auch von den Biosimilars strikt einzuhalten. Die inhärente und somit unvermeidbare molekulare Heterogenität ist letztlich auch der Grund dafür, dass man bei Nachahmerprodukten von rekombinanten Wirkstoffen korrekterweise auch nicht von „Kopien“, sondern von „Biosimilars“ spricht.

Belegt ein Biosimilar-Hersteller in umfangreichen bioanalytischen Studien die akzeptable strukturelle Übereinstimmung von Referenzarznei und Biosimilar, muss diese strukturelle Übereinstimmung in präklinischen und klinischen Studien bestätigt werden. Nach eingehender Prüfung durch eine extrem kompetente Expertengruppe bei der EMA, in deren Verlauf auch Erfahrungen mit keineswegs selten vorkommenden Strukturänderungen der Referenzarznei im Laufe ihres Lebens­zyklus einfließen, wird eine Zulassung für alle Indikationen der Referenzarznei erteilt. Dabei entsprechen auch Dosis und Applikationsart denen der Referenzarznei. Dies ist gut begründet und bildet die wissenschaftliche Basis der Extrapolation, denn bei nachgewiesener sehr großer molekularer Ähnlichkeit ist es plausibel anzunehmen, dass sich die beiden Molekülpräparationen präklinisch und klinisch wie Kopien verhalten, so dass alle Evidenzdaten der Referenzarznei auch von dem Biosimilar beansprucht werden können. Seit mittlerweile mehr als zehn Jahren ist das Vorgehen empirisch erprobt, und die Extrapolation ist wichtig, um unnötige klinische Studien zu vermeiden und die Kosten der Wirkstoffentwicklung nicht künstlich, ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn, in die Höhe zu treiben.

Die wissenschaftliche Basis des Konzepts der Extrapolation wurde im Übrigen von der EMA-Expertengruppe in einer lesenswerten Arbeit publiziert [2].

Erstaunliche Unschärfen in der Argumentation

Es muss konstatiert werden, dass es auch für Fachkreise nicht ganz einfach ist, dieses allgemeine Prinzip der Zulassung von Biosimilars, das nicht auf den klassischen RCT-Zulassungsstudien, sondern auf dem Prinzip der comparability exercise beruht, zu akzeptieren, da das klassische Zulassungsprinzip von innovativen Wirkstoffen, das letztlich auf einem positiven Ergebnis aus Phase-III-Zulassungsstudien fußt, in der Medizin so dominant wahrgenommen wird.

Allerdings enthält das Statement des Generalsekretärs der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. aber auch erstaunliche Unschärfen.

Biosimilars für die Onkologie auch in onkologischer Indikation geprüft

Es wird zumindest suggeriert, Biosimilar-Antikörper, die in der Rheumatologie eingesetzt werden und auch dort klinisch getestet wurden, würden nun mit Indikationen in der Onkologie belegt. Dies ist jedoch zumindest bisher nicht der Fall. Diejenigen Biosimilar-Antikörper, denen eine Indikation im onkologischen Bereich zugesprochen wurde oder wird, sind bisher alle auch in einer onkologischen Indikation klinisch überprüft worden. Grund zur Skepsis hätten somit bestenfalls die Rheumatologen. Mit Rituximab stehen ihnen seit Kurzem Biosimilar-Antikörper zur Verfügung, die primär in der Onkologie klinisch überprüft wurden.

Die Evidenz liefert das Labor!

Zwar ist denkbar, dass es beispielsweise Anti-CD20-Antikörper geben wird, die Rituximab überlegen sein könnten und die dann selbstverständlich bei kurativen Ansätzen gegenüber Rituximab zu bevorzugen sind. Allerdings gilt dies dann nicht nur für die Rituximab-Biosimilars, sondern auch für die Rituximab-Referenzarznei.

Daher sollten Innovation und dokumentierte Überlegenheit die adäquate Antwort der Originatoren auf den verschärften Wettbewerb mit den Biosimilar-Anbietern sein.

Schließlich muss der Aussage widersprochen werden, die Zulassung von Biosimilar-Wirkstoffen folge nicht den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin. Richtig ist vielmehr, dass die Evidenz bei der Bewertung von Biosimilars zwar nicht aus der Klinik, sondern aus dem Labor stammt. Dies ist sicher ungewöhnlich, aber keineswegs beliebig. Denn Laboranalysen lassen sich mit einer wesentlich höheren Sensitivität durchführen als klinische Studien, so dass Signale für eine unzureichende Übereinstimmung der Moleküle im Labor deutlich empfindlicher aufscheinen, als dies in klinischen Studien möglich wäre.

Fazit: Es ist wichtig, dass Medizinern das Prinzip der Zulassungssystematik von Biosimilars vertraut ist und dass sie schließlich diesem Verfahren auch vertrauen. Denn ­sollten Ärzte der Meinung sein, Biosimilars seien Biologicals 2. Klasse, werden das auch die Patienten merken, was sich wiederum fatal auf den Therapieverlauf auswirken könnte. |

Literatur:

[1] Schiestl M, Stangler T, Torella C et al.: Acceptable changes in quality attributes of glycosylated biopharmaceuticals. Nat Biotechnol 2011;29:310-312.

[2] Weise M, Kurki P, Wolff-Holz E et al.: Biosimilars: the science of extrapolation. Blood 2014;124:3191-31962.

Prof. Dr. Theo Dingermann, Dr. Ilse Zündorf, Institut für Pharmazeutische Biologie, Goethe-Universität Frankfurt, Max-von-Laue-Str. 9, 60438 Frankfurt

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