Arzneimittel und Therapie

Wenn Statine nicht vertragen werden

Therapieabbruch, Therapiewechsel oder „Augen zu und durch“?

rr | Ihr schlechter Ruf eilt Statinen nicht selten voraus: Kaum wurde die Therapie begonnen, klagen Patienten über Muskelschmerzen und möchten den Cholesterinsenker so schnell wie möglich absetzen. Wie sollte in solchen Situationen verfahren werden? Fakt ist: Ohne Therapie geht es nicht. Doch es braucht gute Argumente, den Patienten zu motivieren. Studien zeigen, dass dem ersten Impuls – das Statin abzusetzen – nicht gleich nachgegeben werden sollte.

Nach seinem Schlaganfall verließ Herr B. die Klinik mit einer langen Liste neuer Arzneimittel, darunter auch einem Statin. Die Erleichterung, noch einmal mit dem Schrecken davongekommen zu sein, währte nicht lange: Zu Hause litt er unter starken Muskelschmerzen in Armen und Beinen, die sich auch im Laufe des Tages nicht besserten. Als er kaum noch gehen konnte, konsultierte er seinen Hausarzt, der kurzerhand einen Wechsel von Simvastatin 40 mg auf Atorvastatin 20 mg einleitete. Die Schmerzen hielten an und schränkten Herrn B. so sehr ein, dass er erwog, ganz auf den Cholesterinsenker zu verzichten. Ein Therapieabbruch könnte für einen Hochrisikopatienten wie ihn jedoch fatal enden. Der behandelnde Kardiologe entschied sich schließlich für einen Wechsel auf den PCSK9-Inhibitor Alirocumab (Praluent®). Am Ende gab es doch ein Wiedersehen mit Statinen: Um den LDL-Cholesterol-Wert weiter zu korrigieren, wurde die Medikation um Fluva­statin 40 mg ergänzt – und vertragen.

Statine mit Imageschaden

Statine senken nachweislich die Mortalität und das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit hohem Risiko – dennoch sind sie nicht besonders beliebt. In der klinischen Praxis und in Beobachtungsstudien berichtet jeder dritte bis zehnte Patient über Muskelschmerzen im Zusammenhang mit einer Statin-Einnahme. Randomisierte Studien sprechen eine andere Sprache: Hier liegt die Prävalenz meist auf Placeboniveau. Die meisten Arbeiten kommen deshalb zu dem Schluss, dass die Muskelbeschwerden häufig gar nicht auf Statine zurückzuführen sind.

Als reine Einbildung können diese unerwünschten Wirkungen jedoch nicht abgetan werden. Es wird eine Reihe molekularer Mechanismen diskutiert, die in der Pathophysiologie eine Rolle spielen könnten, unter anderem Veränderungen im zellulären Energiestoffwechsel. Beobachtet wird eine Dosis-Wirkungs-Beziehung unter den Statinen. Körperlich aktive Personen scheinen häufiger von Muskelbeschwerden betroffen zu sein. Zudem können Polymorphismen das Risiko für diese Nebenwirkung erhöhen.

Patienten sind in der Regel wenig bereit, ein Arzneimittel einzunehmen, das Schmerzen verursacht, gegen eine Erkrankung, die sie nicht spüren. Studien zeigen, dass 25 bis 50% der Patienten die Statin-Therapie innerhalb von sechs bis zwölf Monaten beenden, nach zwei Jahren bis zu 75%. Der Behandler steht vor dem Problem, echte Statin-assoziierte Muskelschmerzen zu identifizieren, einen wirksamen Behandlungsweg zu finden und den Patienten zu motivieren, diesen mit ihm gemeinsam zu gehen.

Abbruch vs. Weitermachen

Mithilfe einer retrospektiven Kohortenstudie wurde untersucht, welche Auswirkung das Fortführen bzw. der Abbruch einer Statin-Therapie nach dem Auftreten von unerwünschten Wirkungen auf die klinischen Out­comes hat. Die Informationen stammen aus Patientenakten vom Zeitraum 2000 bis 2011. Der primäre Endpunkt setzte sich zusammen aus der Zeit bis zu einem kardiovaskulären Ereignis (Herzinfarkt oder Schlaganfall) oder Tod jeglicher Ursache.

Von insgesamt 28.266 Patienten führten 70,7% die Statin-Therapie trotz Nebenwirkungen fort. Am häufigsten wurde über Myalgie oder Myopathie berichtet. Nach vier Jahren betrug die kumulative Inzidenz des primären Endpunkts 12,2% bei Patienten, die die Therapie fortführten, und 13,9% bei denen, die sie abbrachen (p < 0,001). Bei 7,6% der Patienten kam es unter Statin-Therapie zu einem kardiovaskulären Ereignis im Vergleich zu 8,5% ohne Statin-Therapie (p = 0,024). 5,4% vs. 6,6% waren verstorben (p < 0,001).

7604 Patienten erhielten nach dem Auftreten von unerwünschten Wirkungen ein anderes Statin. Von ihnen klagten 26,5% auch unter dem zweiten Statin über Nebenwirkungen. 84,2% setzten die Therapie dennoch fort. 11,9% vs. 14,5% erreichten den primären Endpunkt (p = 0,024). 80% der Patienten, bei denen es wiederholt zu Nebenwirkungen kam, beschrieben die Symptome als mild und tolerabel.

Die Autoren schlussfolgern, dass das Fortführen einer Statin-Therapie trotz Nebenwirkungen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Tod jeglicher Ursache um 10 bis 20% senkt im Vergleich zu einem Therapieabbruch. Dennoch müssen Nutzen und Risiken bei jedem Patienten individuell abgewogen werden. Eine intensive Statin-Therapie ist angezeigt bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko.

Wie geht man konkret vor?

Um das Risiko für Muskelbeschwerden unter Statin-Einnahme von vornherein zu senken, sollten Kontraindikationen und Interaktionen berücksichtigt werden. Generelle Vorsicht ist geboten bei älteren gebrechlichen Patienten (> 80 Jahre), bei gleichzeitiger Hypothyreose und bekannten Fällen von Myopathie in der Familie.

Wie beim Auftreten Statin-assoziierter Muskelbeschwerden verfahren werden sollte: Ein Vorschlag aus dem Deutschen Ärzteblatt (Laufs U et al.). CK: Kreatinkinase; ULN: upper limit of normal; LDL: Low-Density-Protein; PCSK9: Proprotein-Convertase-Subtilisin/Kexin-9

Treten dennoch Muskelschmerzen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Statin-Einnahme auf, sollte zunächst abgeklärt werden, ob die Beschwerden beispielsweise durch virale Infekte oder starke körperliche Aktivität bedingt sind. Vor sportlichen Höchstleistungen wie einem Marathonlauf sollte die Therapie pausiert werden.

Eine deutlich erhöhte Kreatinkinase-Aktivität kann ein Hinweis auf Statin-assoziierte Muskelbeschwerden sein; eine regelmäßige Überprüfung ist jedoch nicht sinnvoll, da dieser Wert weder sensitiv noch spezifisch ist.

Beim Auftreten von Muskelbeschwerden kann ein Wechsel des Statins psychologisch sinnvoll sein. Simvastatin hat im Vergleich das höchste Interaktionspotenzial und birgt die größte Gefahr für unerwünschte Wirkungen. Ein Umstellversuch auf Atorvastatin kann erfolgreich sein. Fluvastatin und Pravastatin sind weniger potent und rufen daher auch seltener Nebenwirkungen hervor. Grundsätzlich sollte mit einer niedrigen Dosierung begonnen und diese nicht schneller als im Zweiwochenrhythmus gesteigert werden. Auch ist es möglich, langwirksame Statine (z. B. Atorvastatin) nur jeden zweiten Tag einzunehmen.

Wird der LDL-Cholesterol-Zielwert mit dem Statin auch in der höchsten Dosierung nicht erreicht, kann die Medikation um Ezetimib oder Gallen­säure-bindende Ionenaustauscher wie Colestyramin erweitert werden.

Im Fall von Herrn B. entschied sich der Arzt für einen Wechsel auf Alirocumab: PCSK9-Inhibitoren sind für Patienten zugelassen, die unter konventioneller Therapie die LDL-­Cholesterol-Zielwerte nicht erreichen. Allerdings sprechen die hohen Therapiekosten gegen eine breite Anwendung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat die Verordnungen mit klar definierten Ausnahmekri­terien eingeschränkt.

Und immerhin scheint die überwiegende Zahl der Patienten Statine ja letztlich doch zu vertragen, wie Prof. Dr. Dietmar Trenk in seinem Kommentar auf S. 26 darlegt. |

Quelle

Zhang H et al. Continued Statin Prescriptions After Adverse Reactions and Patient Outcomes. Ann Intern Med 2017;167(4):221-227

Laufs U et al. Behandlungsoptionen bei Statin-assoziierten Muskelbeschwerden. Dtsch Ärztebl Int 2015;112:748–755

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