Foto: Medgate

Telemedizin

Telemedizin – die Medizin der Zukunft?

So arbeitet Medgate in der Schweiz / Mini Clinic in Apotheken

Ärzte, die rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche erreichbar sind, die ihre Sprechstunde per Telefon abhalten, Behandlungspläne, Rezepte und Überweisungen per Fax oder Mail verschicken – man nennt es Telemedizin, was das Schweizerische Unternehmen Medgate und seine Ärzte seit einigen Jahren praktizieren. Über das Programm netCare werden Apotheken mit eingebunden. Und jetzt kommt mit der Mini Clinic die ärztliche Behandlung in die Apotheke. Sind das die Versorgungskonzepte der Zukunft? Ich habe Medgate besucht, mich mit dem Medgate-Sprecher Cédric Berset in Basel unterhalten und einen Blick in das digitalisierte Gesundheitswesen der Telemedizin geworfen. Und ich habe Apotheker René Jenni in Zürich besucht, der mit dem Beratungsmodell netCare mit Medgate zusammenarbeitet und auch in seiner Apotheke impft. | Von Peter Ditzel

Sonntagabend, gegen 19:30 Uhr. Bei Heidi S. aus Zürich setzen krampfartige Schmerzen im Unterleib ein. Sie greift zum Telefon, wählt die 0844 844 911 und ist mit der ­telemedizinischen Beratung von Medgate verbunden. Ihre Daten werden aufgenommen und nach wenigen Minuten ruft ein Medgate-Arzt zurück, um mit ihr die Beratung und Behandlung zu beginnen. Im Verlauf des Gesprächs stellt er ihr zahlreiche Fragen, hakt nach, bis er ein „scharfes Bild“ des Gesundheitsproblems von Heidi S. hat. Nach ein paar Minuten hat er eine Verdachtsdiagnose und empfiehlt ein krampflösendes Präparat. Der Arzt sieht auf seinem Monitor, dass die Leonhards Apotheke in Zürich Notdienst hat. Er fragt Heidi S., ob jemand für sie diese Apotheke noch am Abend aufsuchen kann, er wird dann sein Rezept dorthin faxen. So oder ähnlich läuft die telemedizinische Behandlung durch Medgate-Ärzte ab. Und natürlich nutzen diese Ärzte auch ihr ärztliches Netzwerk, überweisen an ein Medgate Ärztezentrum vor Ort, an Fachärzte und Spezialisten, wenn sie telemedizinisch nicht weiterkommen und eine Vor-Ort-Behandlung des Patienten notwendig wird.

Medgate – die Idee

Medgate wurde 1999 gegründet. Es begann mit einer Idee des Arztes Andy Fischer: Man sollte doch Patienten auch über Distanz betreuen können, bevor sie in der Notfallaufnahme oder im Krankenhaus erscheinen müssen und so Kosten verursachen, die vielleicht nicht nötig wären. Diese Überlegung diskutierte er mit zwei Freunden, die schon damals eine IT-Firma hatten, was zur Gründung von Medgate führte und der Idee, den Kontakt zwischen Arzt und Patient per Telefon herzustellen. Bei den Krankenversicherern fand man für diese Idee aufgeschlossene Partner, die bereit waren, in die Leistungserbringung einzusteigen und telemedizinische Leistungen zu bezahlen. Diese Versicherer konnten ihren Kunden anbieten, einen Arzt Tag und Nacht ans Telefon zu bekommen – das war der Beginn der Tele­medizin in der Schweiz.

Als Beispiel zwei Zahlen zu den Medgate-Dienstleistungen: Pro Monat wurden im ersten Quartal 2016 knapp 5000 Behandlungspläne an Patienten verschickt und über 1600 Rezepte ausgestellt.

Der Arzt am Telefon

Das Telemedizinische Zentrum von Medgate sitzt in Basel in der Dufourstraße 49, 3. Stock. Es ist ein großer Raum mit Arbeitsplätzen, vergleichbar mit einem Callcenter in einem Großraumbüro. In der Mitte des Raums ist die Zentrale mit den leitenden Ärzten. An den einzelnen Arbeitsplätzen sitzen die diensthabenden Ärzte, aber z. T. auch nichtärzt­liches Personal, vor zwei oder drei Monitoren. Die ankommenden Anrufe werden an den jeweils freien Mitarbeiter weitergeleitet. Medgate ist rund um die Uhr erreichbar, d. h., der Patient kann zu jeder Tages- und Nachtzeit an­rufen, er wird immer einen Arzt finden, der ihn telemedizinisch betreut.

Die Anrufe treffen aus der gesamten Schweiz bei Medgate ein. Derzeit sind rund 70 Ärzte für das Telemedizinische Zentrum von Medgate tätig, Tendenz steigend. „Wir stellen immer noch Ärzte ein“, so der Medgate-Sprecher. Etwa 20 Ärzte arbeiten hier im telemedizinischen Zentrum in Basel, etwa 50 Ärzte arbeiten in Home Offices, „sie sind also von zu Hause aus für uns tätig“, so Berset, „sie haben das dafür notwendige Equipment, einen Rechner, zwei Monitore etc., das zu Hause an einem Ort stehen muss, der die Datenschutzrichtlinien erfüllt. Die Patientendaten liegen allerdings nicht auf dem Rechner der Ärzte zu Hause, sondern auf unseren zentralen Servern. Die Ärzte loggen sich in das System ein und sind dann so erreichbar, als wenn sie bei uns in der Zentrale säßen. Das ist sehr interessant natürlich für Ärztinnen und Ärzte, die Kleinkinder haben, die wegen Familiennachwuchs nicht von zu Hause weg können.“ Da sich auch in der Schweiz der Ärzteberuf mehr und mehr feminisiert, ermöglicht die Telemedizin auch Ärztinnen mit kleinen Kindern einen Weg, ihren Beruf zumindest stundenweise auszuüben. Berset: „Für uns ist dies ideal, dass wir hier vor allem zu den Spitzenzeiten zwischen 9 und 12 am Morgen oder gegen 15 Uhr am Nach­mittag Verstärkung erhalten von Ärztinnen und Ärzten, die im Home-Office arbeiten.“

Für die Patientenbetreuung hat Medgate ein eigenes Patientenmanagementsystem entwickelt, eine Art Praxissoftware, mit dem die Patientendaten erfasst und gespeichert werden. Zum System gehören auch medizinische Richtlinien, die Medgate entwickelt hat und die Basis für alle telemedizinischen Tätigkeiten bilden. „Damit können die Ärzte ihre Leistungen mit gleichbleibend hoher Qualität erbringen“, so Berset, „auch unsere Nachschulungskon­zepte sind mittlerweile so aufgebaut, dass die Ärzte diese Schulungen übers Internet in Form von Webinaren ab­solvieren können.“

Die telemedizinische Behandlung

Und so läuft eine telemedizinische Behandlung im Detail ab: Ruft ein Patient bei Medgate an, hat er zunächst mit dem Patientenempfang Kontakt. Hier sitzt nichtärztliches Personal, das ein Patientendossier eröffnet, die Daten aufnimmt, Kontrollfragen stellt und das Gespräch mit dem Hinweis beendet, dass in Kürze ein Arzt zurückruft. Nach wenigen Minuten meldet sich telefonisch ein Medgate-Arzt beim Patienten und beginnt die telemedizinische Konsultation. Er befragt den Patienten anhand seiner zuvor gemachten Angaben. „Unsere Ärzte sind speziell für diese telemedizinische Betreuung geschult“, erklärt es der Medgate-Sprecher, ­„jeder Arzt muss eine telemedizinische Ausbildung absolvieren und eine entsprechende theoretische und praktische Prüfung ablegen, die benotet wird. Nur wer diese Prüfung besteht, bekommt eine Lizenz, die für ein Jahr gilt. Die Ärzte sind auch beim Gesundheitsdepartement gemeldet, so dass die Behörde weiß, welche Ärzte diese Lizenz haben. Das ­gehört zu unserem Qualitätsstandard, den wir sehr hoch halten.“

Bei rund der Hälfte aller Anrufe können die Medgate-Ärzte die Patienten abschließend am Telefon beraten, sodass kein weiterer Arztbesuch nötig ist. Über die Medgate-App kann der Patient im Rahmen einer Telekonsultation auch Fotos übermitteln, beispielsweise bei dermatologischen Problemen u. ä. Der Arzt gibt dann die erforderlichen Ratschläge und stellt, falls notwendig, ein Rezept aus, das er an eine vom Patienten gewünschte Apotheke per Fax oder E-Mail übermittelt. Auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen können von den Medgate-Ärzten auf diesem Weg aus­gestellt werden.

Kommt der Medgate-Arzt zu dem Schluss, dass eine Behandlung bei einem Arzt vor Ort notwendig ist, bietet er dem Patienten einen Termin in einem Medgate Health Center oder einem Partner Health Center an, die es bereits in einigen Städten der Schweiz gibt. Der weiterbehandelnde Arzt dieser Zentren kann dann auf die Patientendossiers zu­greifen.

Foto: Medgate
Telemedizin in der Mini Clinic: Über einen Monitor kann ein Arzt live hinzugeschaltet werden.

Darüber hinaus kann der Telemediziner seine Patienten nach der telefonischen Beratung auch an einen Facharzt, z. B. einen Dermatologen, aus dem Medgate Partner Network überweisen, oder auch an einen anderen niedergelassenen Spezialisten. Medgate hat heute ein Netzwerk von über 2000 Ärzten in der Schweiz, die einen Vertrag mit Medgate haben und Patienten annehmen. Welchen Arzt Medgate empfiehlt, hängt dann ab vom Wohnort des Patienten und der Facharzt­richtung, die der Patient benötigt. Der Medgate-Arzt übermittelt dann dem Facharzt das Überweisungsschreiben mit allen wichtigen Informationen zu den Symptomen.

Berset erklärt dazu: „Uns liegt ein Verzeichnis von allen in der Schweiz tätigen Ärzten vor. Wir erfassen alle Patientenkontakte elektronisch, so dass eine Managed-Care-Führung möglich ist und der Krankenversicherer zwar nicht Einblick in die medizinischen Daten (Arztgeheimnis), aber in die administrativen Eckpunkte hat. Die Telefongespräche werden, sofern der Patient nicht widerspricht, zur Qualitätssicherung aufgezeichnet. Die Gesundheitsdaten werden bei Medgate gespeichert, der Patient hat hier sein Einverständnis gegeben – wie in jeder Arztpraxis auch.“

Leider ist es nicht immer möglich, den Patienten auch bei Folgekonsultationen mit demselben Arzt zu verbinden, der ihn anfangs betreute, „aber wir arbeiten daran. Wir möchten das in Zukunft ermöglichen“. Das Problem dabei ist das Rund-um-die-Uhr-Angebot und die Arbeitszeiten der Ärzte. Aber bei einem ausdrücklichen Wunsch des Patienten könne man dies terminieren.

Nach der telefonischen Beratung und Behandlung erhält der Medgate-Patient mit seinem Einverständnis seinen persön­lichen Behandlungsplan per E-Mail oder SMS zugesandt. Dieser Plan ist eine Zusammenfassung des Gesprächs mit dem Medgate-Arzt, er enthält die besprochenen Therapieempfehlungen und bei einer Überweisung alle Informa­tionen zum weiterbehandelnden Arzt.

Übrigens, wenn dem Patienten ein Arzneimittel verordnet wurde, dann ruft der Medgate-Arzt den Patienten im Rahmen eines Follow-up nach drei Tagen zurück, um sich zu erkundigen, ob die Medikation vertragen wird, ob es dazu noch Fragen gibt.

Im Durchschnitt gehen etwa 3000 Anrufe pro Tag im Telemedizinischen Zentrum von Medgate ein, an lebhafteren Tagen können das aber auch schon mal 5000 Anrufe sein.

Medgate plant derzeit, für den Patienten eine Videokonsultation zu ermöglichen, auch übers Smartphone. „Das wird in Kürze der Fall sein“, kündigt es Berset an, „wir haben hierfür bereits eine App entwickelt.“

Alternative Versicherungsmodelle im Aufwind

Das telemedizinische Angebot von Medgate stößt schon bei vielen Schweizern auf Zuspruch – und jährlich werden es mehr. „Ein Grund dafür sieht das Unternehmen darin“, wie Berset erläutert, „dass der Patient eine qualitativ hochstehende Betreuung erhält zu attraktiven Versicherungsprämien.“

Ein Blick in das Versicherungssystem der Schweiz: Eine Grundversicherung ist für jeden Schweizer obligatorisch, dafür bekommt er ein standardisiertes Angebot. Vor über zehn Jahren führte man dann die alternativen Versicherungsmodelle ein, die über Health Maintenance Organisations (HMOs) laufen. Ziel der HMOs ist es, den Patienten möglichst kosteneffektiv an die zuständige Stelle zu steuern, wo ihm am schnellsten und kostengünstigsten geholfen wird. Das bedeutet, dass sich der Patient dazu verpflichtet, im Krankheitsfall einen bestimmten Weg einzuhalten: Beim Hausarzt-Modell nimmt der Patient immer zuerst mit einem bestimmten Hausarzt Kontakt auf, für den er sich entschieden hat. Oder er wendet sich an eine Gruppenpraxis, die seine erste Anlaufstelle für ihn darstellt. Oder der Patient nutzt das Telmed-Modell von Medgate, bei dem er zunächst per Telefon Kontakt mit einem Tele-Mediziner aufnimmt, der dann als erste Anlaufstelle (Gatekeeper) fungiert.

Entscheidet sich der Patient für eines dieser alternativen Versicherungssysteme, erhält er dafür im Gegenzug von ­seiner Krankenkasse einen Prämienrabatt zwischen 10 und 20 Prozent, je nach Versicherer und Modell. Dies wird vom Bundesamt für Gesundheit der Schweiz zusammen mit dem Versicherer jährlich definiert. Die Einsparungen müssen nachgewiesen werden, sonst dürfen die Prämienrabatte nicht gewährt werden. Diese Modelle haben mittlerweile eine so hohe Beliebtheit in der Bevölkerung gefunden, dass sie schon zum Standard geworden sind. Man nennt sie zwar immer noch alternative Versicherungsmodelle, aber mittlerweile sind weit über 60 Prozent der gesamten Schweizer Bevölkerung in einem dieser Modelle versichert: „Der Prämienrabatt ist entscheidend und dafür ist man bereit, die freie Arztwahl aufzugeben“, so Berset. Medgate profitiert davon: „Es werden immer mehr, die sich für den telemedizinischen Weg der Betreuung entscheiden“, weiß der Medgate-Sprecher, „wir sind in den letzten Jahren durchschnittlich 20 Prozent gewachsen. Ein Grund für das stetige Wachstum sind mit Sicherheit die niedrigeren Prämien – in der Telemedizin bekommt der Patient eine sehr gute Leistung zu attraktiven Krankenkassenbeiträgen. Aber es ist für viele Patienten auch eine Frage der Convenience, der Bequemlichkeit, einen Arzt auf diesem Weg zu konsultieren, und das Angebot, dies rund um die Uhr tun zu können.“

netCare: erstmal in die Apotheke statt zum Arzt

Eine weitere Alternative für viele Schweizer Bürger ist netCare. „Mit netCare können Sie sich den Gang zum Arzt ersparen: Bei Krankheiten und kleinen Verletzungen erhalten Sie direkt in der netCare-Apotheke medizinische Beratung und Medikamente“ – so fasst der Schweizerische Apothekerverband pharmaSuisse seine Zusammenarbeit mit Medgate unter dem Namen netCare zusammen: die Beratung in der Apotheke mit der Möglichkeit einer Telekonsultation mit einem Arzt. Vor etwa fünf Jahren wurde das Projekt netcare ins Leben gerufen. Mittlerweile haben sich etwa 300 Apotheken diesem Projekt angeschlossen. Die Idee hinter netCare: Der Patient besucht bei Befindlichkeits- und Gesundheitsstörungen zunächst die Apotheke, wo er vom Apotheker zu seinen Symptomen beraten wird. Bei seinem Beratungsgespräch wird der Apotheker durch schriftlich ausgearbeitete Algorithmen unterstützt, die Medgate zusammen mit pharmaSuisse erarbeitet hat. Kommt der Apotheker im Laufe dieses Beratungsgesprächs an einen Punkt, der das Hinzuziehen eines Arztes erfordert, wird der Medgate-Arzt in der Apotheke per Telefon, in manchen Apotheken auch per Video dazugeschaltet. Hierfür gehen Apotheker und Patient in einen Beratungsraum der Apotheke, wo die telemedizinische Konsultation stattfindet, in der Regel per Telefon. Besteht die Möglichkeit für eine Videoverbindung, nimmt der Patient vor einem Monitor mit Kamera Platz. Der Apotheker oder sein Assistent baut eine Video-Verbindung zu Medgate auf. Der Arzt führt dann mit dem Patienten ein Live-Konsultationsgespräch per Video, behandelt den Patienten telemedizinisch und stellt im Bedarfsfall auch ein Rezept aus, das er dann an die Apotheke übermittelt. Der Patient erhält sein Arzneimittel unmittelbar nach der Behandlung in dieser Apotheke.

Die Erstabklärung durch den Apotheker sowie die mögliche ärztliche Konsultation sind für den Patienten kostenpflichtig. Die Kosten variieren je nach Krankenversicherung. Für den Patienten kann sich dies dennoch lohnen: Entscheidet er sich dafür, im Krankheitsfall zuerst in die Apotheke zu gehen und sich beraten zu lassen, profitiert er auch bei diesem Modell von günstigeren Versicherungstarifen.

Apotheker Dr. René Jenni, Inhaber der Leonhards Apotheke in Zürich, ist einer von den rund 220 Apothekern, die sich zur Kooperation TopPharm zusammengeschlossen haben. Viele der TopPharm-Apotheken bieten schon netCare in ihrer Apotheke an. Um bei netCare dabei sein zu können, musste Jenni eine Zusatzausbildung absolvieren. Hier lernte er u. a., den Patienten anhand von vorgegebenen Algorithmen zu beraten. Zu den häufigsten Beratungsfällen gehören beispielsweise eine Konjunktivitis und einfache Harnwegsinfekte. Im Notfall darf ein schweizerischer Apotheker sogar ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel abgeben. Die Arzneimittel, die für die Therapiemöglichkeiten vorgesehen sind, sind bei den entsprechenden Leitlinien und Algorithmen mit aufgeführt.

Und was sagen die Ärzte dazu?

„Anfangs waren die Hausärzte nicht sehr erfreut darüber. Die Fachärzte hatten dagegen nie ein Problem damit“, so der Medgate-Sprecher Berset, „doch mittlerweile haben sich auch die Hausärzte mit der Telemedizin abgefunden. Sie wird akzeptiert als fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung in der Schweiz. Aber bei unserer neuesten Entwicklung, der Mini Clinic, gibt es natürlich erneut Skeptiker.“ Man habe allerdings die Ärzte und ihre Verbände rechtzeitig informiert und sie mit allem erdenklichen Infomaterial versorgt. Danach habe man trotz vereinzelter Skepsis enorm positive Rückmeldungen erhalten.

„Für dieses Managed-Care-Modell bei dem die Kunden zuerst in eine TopPharm-Apotheke gehen müssen, und nur bei Bedarf durch die Apotheke an einen Arzt überwiesen werden, läuft derzeit ein Pilotversuch über fünf Jahre mit zwei Krankenkassen, Vivao Sympany und Swica“, so Jenni, „die Versicherten bekommen bei Teilnahme an diesem Managed Care-Modell bis 20% Prämienrabatt.“ Da die Versicherten in der Schweiz den Selbstbehalt bei ihren Krankenkassen selbst wählen können, sparen sie, wenn sie erst in die Apotheke gehen und sich dort beraten lassen. „Als TopPharm-Apotheken verlangen wir 50 Franken für die Abklärung der Gesundheitsstörung mittels unseres Algorithmus plus die Arzneimittel. Die Kunden nehmen dies gerne wahr und zahlen dies problemlos. Unterm Strich ist das alles günstiger als wenn sie sofort ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen würden. Immerhin, drei von vier Fälle können in der Apotheke gelöst bzw. versorgt werden, das funktioniert extrem gut“, so der Apotheker, „ich denke, wir werden solche Modelle weiterentwickeln.“

Von netCare zur Medgate Mini Clinic

Die Idee von netCare hat Medgate weiterentwickelt zur Mini Clinic in der Apotheke, einem kleinen Behandlungsraum in der Apotheke, geleitet von einer Medizinischen Praxis­assistentin (MPA), bei Bedarf telemedizinisch mit Medgate-Ärzten verbunden.

Die Apotheke stellt einen kleinen Raum zur Verfügung, der auch in einem anderen Stockwerk des Apothekengebäudes liegen kann, oder sie schafft durch einen kleinen Umbau den notwendigen Platz. Der Raumbedarf für die Medgate Mini Clinic ist relativ gering, 12 bis 15 Quadratmeter reichen vollkommen aus. Eingerichtet ist der Raum mit einem medizinischen Liegestuhl und der Ausrüstung für die telemedizinische Videokonsultation (Rechner, Monitor, Mikrofon, Kamera), an die eine Telebiometrie-Station angeschlossen ist, eine Untersuchungsstation mit der Möglichkeit zur Fernüber­tragung von Biodaten.

Foto: Medgate
So oder ähnlich sieht eine Mini Clinic in der Apotheke aus. Der Platzbedarf ist gering. Eine Medizinische Praxisassistentin kann hier einfache diagnostische Untersuchungen vornehmen, die telemedizinisch an den Medgate-Arzt übertragen werden.

Und so läuft die Patientenbetreuung in einer Apotheke mit Medgate Mini Clinic ab: Hat der Apotheker in seinem Beratungsgespräch mit dem Patienten festgestellt, dass dieser einer weitergehenden ärztlichen Untersuchung und Betreuung bedarf, „überweist“ er den Patienten an die Mini Clinic, wo die weiteren Untersuchungen durch die MPA, eventuell auch über eine Videokonsultation mit dem Arzt, stattfinden. Die MPA kann Blut abnehmen, Abstriche machen, Schnelltests vornehmen, Daten und Bilder des Patienten (z. B. Bilder vom Gehörgang und Rachenraum) sowie weitere Unter­suchungsergebnisse an den Arzt übermitteln. Wird ein ärztliches Gespräch mit dem Patienten notwendig, wird der Medgate-Arzt per Video dazugeschaltet.

Die MPA kann dann, quasi als verlängerter Arm des Arztes, bestimmte weitere Behandlungsschritte am Patienten unter der Videoaufsicht des Arztes vornehmen. Die Unter­suchungsergebnisse werden in Echtzeit an den Arzt übertragen. Ist eine medikamentöse Therapie angezeigt, stellt der Arzt ein Rezept aus und übermittelt es an die Apotheke. Der Patient kann dann in dieser Apotheke sofort seine benötigten Arzneimittel beziehen.

„Die Grenze dieses Konzepts ist dann erreicht, wenn ein Arzt persönlich Handlungen am Patienten vornehmen muss oder bei Notfällen, die eine sofortige ärztliche Entscheidung erfordern. Aber über die Mini Clinic hat der Patient“, so der Medgate-Sprecher Berset, „einen niedrigschwelligen Zugang zu diagnostischen und ärztlichen Leistungen, ohne Voranmeldung, er wird nicht schon vorher am Telefon von den Praxishilfen abgewiesen. Es ist ein einfaches Walk-in-Prinzip: schnell, einfach und von hoher Qualität, das ist das Credo der Mini Clinic.“

Für die Mini Clinic gibt es drei Zielgruppen, die dafür prädestiniert sind:

  • der Patient, der sich ein Arzneimittel in der Selbstmedikation kaufen will und vom Apotheker auf die Mini Clinic hingewiesen wird;
  • der Patient, der bereits gute Erfahrung mit der Mini Clinic sammelte und wiederkommt;
  • und der Patient, dem über die telemedizinische Betreuung durch Medgate empfohlen wird, die Mini Clinic einer Apotheke aufzusuchen, z. B. um kleine diagnostische Leistungen vornehmen zu lassen.

Der Startschuss für die Mini Clinic fällt Anfang September. Die erste ist bereits eingerichtet, sie wird in der TopPharm health & go Apotheke im Zentrum von Basel in Betrieb gehen. Eine Konsultation in der Mini Clinic kostet in der Einführungsphase CHF 58. Werden eine Videokonsultation mit einem Arzt oder Laborabklärungen fällig, wird dies separat nach Tarifen verrechnet, die über die Krankenversicherung abrechenbar sind. Weitere Mini Clinics sollen in Zusammenarbeit mit TopPharm-Apotheken folgen.

„Viele Apotheken haben bereits ihr Interesse dafür angemeldet“, so Berset, „aber es kommt darauf an, dass das Konzept richtig eingesetzt wird. Wir legen daher schon im Vorfeld großen Wert auf die Zusatzausbildung der Apotheker und des Apothekenpersonals in Form von Workshops und Rollenspielen, um die richtige Ansprache der Patienten zu üben.“ Die Apotheke profitiert vom Einbau einer Mini Clinic durch eine höhere Kundenfrequenz und durch den dadurch veranlassten Mehrumsatz. Für die Apotheke soll es aber auch ein finanzielles Anreizsystem geben, einen Patienten die Mini Clinic zu empfehlen. Berset: „Wie hoch dieser Anreiz sein wird, darüber wird noch zu sprechen sein.“

Was aus Sicht von Medgate für das Konzept der Mini Clinic spricht: „Der Apotheker wird in Zukunft eine stärkere Rolle in der Gesundheitsversorgung spielen“, ist Berset überzeugt. „Zudem gehen wir davon aus, dass es im Gesundheitswesen zu Rollenverschiebungen kommen wird, weil wir auch aufgrund demografischer Veränderungen mit einer stärkeren Nachfrage nach Gesundheitsleistungen rechnen müssen. Mit der Idee der Mini Clinic in einer Apotheke können wir diese Anforderungen auf einen Nenner bringen. Die Apotheke ist einerseits ein hochfrequentierter und niedrigschwelliger Ort für Gesundheitsleistungen, auf der anderen Seite gibt es auch in der Schweiz immer weniger Hausärzte, der Ärztemangel für die Grundversorgung ist auch hier zu spüren. Die Apotheke kann sich so wirklich als Health Point der Zukunft etablieren.“ |

Autor

Peter Ditzel ist Herausgeber der DAZ – Deutsche Apotheker Zeitung

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