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Die Seite 3
Flächendeckende Gefahr
Die 20.000er-Schwelle hat die Zahl der Apotheken schon im ersten Quartal dieses Jahres „gerissen“, nun ist ein weiterer Negativ-Rekord erreicht: Noch nie seit der Wiedervereinigung gab es in Deutschland so wenige Apotheken wie Ende Juni 2017 (s. „Nur noch 19.880 Apotheken“, S. 11 dieser DAZ). Betrachtet man die Entwicklung der Apothekenzahlen nach 1990, so steigt diese fast zehn Jahre lang kontinuierlich an, bevor sich die Kurve Ende der 1990er-Jahre abflacht – der „Nachholbedarf“ in Ostdeutschland wurde befriedigt, die Apothekendichte näherte sich der in Westdeutschland. Seit dem Jahr 2000 aber sinkt die Zahl der Apotheken. Der „Buckel“, den die Grafik auf Seite 11 ab dem Jahr 2004 macht, ist deshalb – zumindest teilweise – ein künstlicher: Durch die in diesem Jahr erlaubte Filialisierung konnten sich Apotheken halten, die als Einzelapotheken nicht mehr profitabel zu führen gewesen wären. Doch spätestens mit dem AMNOG-Jahr 2011 ist auch dieser Effekt verpufft: Die Zahl der Apotheken sinkt wieder, und die Talsohle ist bislang nicht zu erkennen.
Doch die Zahl der Apotheken alleine ist nicht entscheidend! Um die Versorgung in der Fläche sicherzustellen, ist die Verteilung der Betriebsstätten mindestens genauso wichtig. Darauf weist auch die Linken-Politikerin Kathrin Vogler im DAZ-Sommerinterview hin: „In Berlin lacht man mich aus, wenn ich etwas von fehlenden Apotheken erzähle“, bringt sie das Verteilungsproblem auf den Punkt („Das Rx-Versandverbot muss kommen!“, S. 18 dieser DAZ). Und doch hat die absolute Zahl an Apotheken natürlich etwas mit der flächendeckenden Versorgung zu tun. Apotheken, die es gar nicht gibt, können auch nicht verteilt sein. Ganz davon abgesehen, dass die in den vergangenen zehn Jahren geschlossenen Apotheken wohl kaum ausnahmslos solche in gut versorgten Innenstadtlagen gewesen sein dürften.
Generell ist ein über Jahre anhaltender Rückgang an Betrieben ein starkes Indiz dafür, dass sich eine Branche insgesamt in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. In diese sowieso angespannte Lage kommen nun nach dem EuGH-Urteil die Lockangebote der ausländischen Versandapotheken. Welche verheerenden Auswirkungen diese Entwicklung auf die deutschen Apotheken haben könnte, haben wir bereits Anfang des Jahres ausführlich dargestellt („Pest oder Cholera, DAZ 2017, Nr. 3, S. 22). Das in der vergangenen Woche erschienene Gutachten von May, Bauer und Dettling verdeutlicht diese Konsequenzen noch einmal nachdrücklich. Denn es führt den von den Europa-Richtern vermissten Nachweis, dass die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sehr wohl der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung dient (s. „Die Lücke geschlossen“, S. 22 dieser DAZ). Im Umkehrschluss bedeutet das logischerweise: Bleibt die Preisbindung aufgeweicht, ist das heutige System der Arzneimittelversorgung insgesamt in Gefahr!
Benjamin Wessinger
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