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- DAZ 32/2017
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Arzneimittel und Therapie
Wenn Cinryze® knapp wird
Empfehlungen für das Engpassmanagement bei hereditärem Angioödem
Cinryze® ist ein C1-Esterase-Inhibitor, der zur Therapie und Prophylaxe des hereditären Angioödems (HAE) zugelassen ist. Das hereditäre Angioödem ist eine seltene Erbkrankheit, die autosomal dominant vererbt wird. Ursache des hereditären Angioödems ist ein genetischer Defekt, der zu einem Mangel an C1-Esterase-Hemmer (C1-INH) führt. Dabei stellt der Körper entweder zu wenig von diesem Protein her (Typ-1-HAE) oder es ist nicht funktionsfähig (Typ-2-HAE). C1-Esterase-Hemmer besitzen eine regulierende Funktion in zwei lebenswichtigen Systemen des Körpers: im Kontaktsystem der Blutgerinnung und im Komplementsystem der Immunabwehr. Im Falle des hereditären Angioödems kommt es durch den C1-INH-Mangel zu einer vermehrten Bildung des Gewebshormons Bradykinin, das als Schlüsselmolekül bei der Entwicklung des Angioödems gilt. Ausgelöst werden Attacken des hereditären Angioödems durch verschiedene Noxen wie Entzündungen, Stress, Hitze, Kälte, mechanische Reizung (Verletzungen bei ärztlichen Eingriffen) und Medikamente.
Das Angioödem
Angiödeme sind vaskuläre Reaktionen der tieferen Haut- und Schleimhautschichten, die mit einer lokalen Erweiterung der Blutgefäße und einer erhöhten Gefäßpermeabilität und Gewebeschwellungen einhergehen. Betroffen sind vor allem die Gesichtshaut sowie die Schleimhaut von Zunge, Kehlkopf und Magen-Darm-Trakt. Die Schwellungen können zu Atemnot bis hin zu Erstickungen und gastrointestinalen Krämpfen führen. Pathophysiologisch lassen sich das Histamin-vermittelte und das Bradykinin-vermittelte Angioödem unterscheiden.
- Das Histamin-vermittelte Angioödem tritt in der Regel zusammen mit anderen Symptomen, z.B. einer Urtikaria und Juckreiz auf; die Therapie besteht aus der Gabe von Antihistaminika und Glucocorticoiden.
- Bradykinin-vermittelte Angioödeme sind wesentlich seltener und treten häufig bereits in der frühen Kindheit auf. Es kommt zu großflächigen Angioödemen der Haut, des Gastrointestinaltraktes und der Atemwege (Erstickungsgefahr durch Larynxödeme), aber keinem Juckreiz. Die Gabe von Antihistaminika und Glucocorticoiden ist wirkungslos.
Behandlung des akuten Schubs
Zur Therapie akuter Attacken des hereditäten Angioödems stehen fünf Arzneimittel zur Verfügung: Berinert® (C1-Esterase-Inhibitor), Cinryze® (C1-Esterase-Inhibitor), Ruconest® (rekombinantes Analogon des humanen C1-Esterase-Inhibitors), Firazyr® (Icatibant) und frisches Gefrierplasma, wobei letzteres nur eingesetzt werden sollte, wenn die anderen vier Präparate nicht zugänglich sind. Steht nun aufgrund eines Lieferengpasses oder einer sonstigen Nicht-Verfügbarkeit eines dieser fünf Arzneimittel nicht zur Verfügung, kann auf ein alternatives Präparat ausgewichen werden. Dies gilt für die Behandlung akuter Angioödemattacken sowie zur präoperativen Prophylaxe (letzteres als Indikation für Berinert® und Cinryze®).
Notfall Angioödem
Alle Betroffenen sollten mit einem – am besten mehrsprachigen – Notfallausweis ausgestattet werden. Für akute Attacken sollten sie ständig zwei Dosen ihres Arzneimittels bereithalten. Firazyr® liegt bereits als Fertigspritze vor; Berinert®, Cinryze®, Ruconest® als Pulver und Lösungsmittel. Die Applikation durch den Patienten oder deren Angehörige – wie auch die Langzeitprophylaxe mit Cinryze® – müssen geschult werden. Ausführliches Schulungsmaterial ist unter anderem unter www.pei.de abrufbar.
Nota bene: C1-Esterase-Inhibitoren müssen gemäß § 15 der ApBetrO entweder vorrätig gehalten oder kurzfristig beschafft werden können. Sie sind in den Notfalldepots der Länder gelagert.
Medikamentöse Langzeitprophylaxe/Routineprophylaxe
Bei häufigen Attacken kann eine Langzeitprophylaxe erwogen werden. Hierzu können der C1-Esterase-Inhibitor Cinryze® sowie Oralia wie attenuierte Androgene unter strenger Risiko-Nutzen-Abwägung oder die geringer wirksame Tranexamsäure eingesetzt werden. In der Praxis scheinen Oralia nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Tipp zum Weiterlesen
Das Auftreten von Angioödemen unter Arzneimitteln ist auch Thema im aktuellen Arzneimittel-Bulletin. Hier werden detailliert die Mechanismen beschrieben, die zu Histamin- und Bradykinin-mediierten bzw. Arzneimittel-assoziierten Angioödemen führen.
Sachs B, Meier T. Arzneimittel-assoziierte Angioödeme: Bradykinin im Fokus. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 2017;2:13-22, www.bfarm.de
Im Hinblick auf die prophylaktische Anwendung von Cinryze® teilt der Hersteller Folgendes mit:
„Patienten, die derzeit mit Cinryze® behandelt werden (das heißt Patienten, bei denen orale prophylaktische Behandlungen nicht vertragen werden oder keinen ausreichenden Schutz bieten, oder Patienten, die sich mit angemessenen oralen Akutbehandlungen nur unzureichend therapieren lassen), können Cinryze® weiterhin erhalten, da keine andere zugelassene alternative prophylaktische Langzeittherapie verfügbar ist. Es sollte in Erwägung gezogen werden, keine neuen Patienten auf Routineprophylaxe einzustellen.“ |
Quelle
Empfehlungen aufgrund eines möglichen Lieferengpasses von Cinryze®. Schreiben der Firma Shire Deutschland GmbH vom 27. Juni 2017, www.pei.de/SharedDocs/Downloads/vigilanz/2017-06-27-cinryze.pdf?__blob=publicationFile&v=3
Fachinformation Cinryze®; Stand Januar 2017
Hereditäres Angioödem durch C1-Inhibitor-Mangel. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Angioödeme (DGA), der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), AWMF-Register-Nr. 061-029, wird zur Zeit überprüft.
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