Feuilleton

Das Wunderwasser von Köln

Seit über 300 Jahren Farina Gegenüber*

Seit 303 Jahren wird in Köln ein Parfum hergestellt, das anfangs als Wunderwasser, später als Eau de Cologne und Kölnisch Wasser bezeichnet wurde. Die „Original Eau de Cologne“ der Firma Farina Gegenüber beruht auf einer Kreation von 1708, und die seither nur wenig veränderte Duftkomposition besteht noch heute überwiegend aus Naturstoffen.

Wo die Zitronen blühen

Italien ist das Land, wo die Zitronen blühen – und außerdem noch viele andere Zitrusfrüchte. Händler exportierten sie schon lange vor Goethes Zeiten über die Alpen nach Deutschland, und zu ihren dankbaren Abnehmern zählten nicht zuletzt die Apotheker.

Kaufleute der Familie Farina, die aus einem Dorf südlich des Simplonpasses stammten, handelten anfangs mit ­Galanteriewaren (zunftfreie Luxus­artikel), so Giovanni Maria Farina (1657 – 1732), der in seiner Wahlheimat Maastricht bis zum Ratsherrn aufstieg, und sein Neffe Giovanni Battista (1683 – 1732), der 1709 in Köln die Firma Farina & Compagnie gründete. Als Teilhaber trat 1714 sein jüngerer Bruder Giovanni Maria (1685 – 1766) ein; dieser gab dem Geschäft alsbald das bis heute fortbestehende Profil, denn er war Parfumeur. Er ist der Erfinder der Original Eau de Cologne. Schon vorher, ab etwa 1700, wirkte sein Landsmann Giovanni Paolo de Feminis als Parfumeur in Köln; wie dessen „Wunderwasser“ (aqua mirabilis) beschaffen war, ist allerdings nicht bekannt.

Bergamottöl

Parfums sind hochprozentige Wässer (ca. 80% Alkohol), in denen ätherische Öle und andere Duftstoffe gelöst sind. Als wichtigsten Ausgangsstoff seiner Kreation verwendete Giovanni Maria Farina das Bergamottöl.

Foto: Petra Gurtner – Fotolia.com
Bergamotte. Die Schale der noch grünen Frucht ist das wichtigste Ausgangsmaterial von Eau de Cologne.

Die Bergamotte (Citrus bergamia syn. C. × limon) ist wahrscheinlich im 17. Jahrhundert durch eine spontane Kreuzung der Zitronatzitrone (C. medica) mit der Pomeranze oder Bitter­orange (C. × aurantium) in Italien entstanden. Obwohl die Zitrone nach derzeitigem Kenntnisstand das gleiche Elternpaar besitzt und deshalb ebenfalls Citrus × limon heißt, unterscheidet sich die Bergamotte doch wesentlich von ihr; das gilt sowohl für die Pflanze selbst, die höhere Ansprüche an den Standort stellt, als auch für die Frucht, die etwas größer ist und auch eine andere Zusammensetzung der Inhaltsstoffe aufweist. Der großflächige Anbau der Bergamotte begann um 1750 im süditalienischen Kalabrien, das auch noch heute weltweit führend ist. Versuche von Giovanni Maria, sie in Norditalien zu kultivieren, miss­langen. So gibt es seit 300 Jahren eine kontinuierliche Handelsbeziehung zwischen Köln und Kalabrien.

Das Bergamottöl wird kalt aus der Fruchtschale gepresst und ist dünnflüssig. Seine Hauptinhaltsstoffe, deren Anteile in Abhängigkeit von der Sorte, der Lage und dem Jahrgang erheblich schwanken, sind Monoterpene und ihre Derivate, vor allem: Limonen, Linalylacetat, Linalool und γ-Terpinen. Insbesondere der Ester Linalylacetat wirkt „frisch“, „frühlingshaft“ und ist auch in schweren Parfums enthalten, wo er zur Kopfnote beiträgt. Eher gering ist im Bergamottöl der Gehalt an Citral, das für den typischen Geruch von Citronenöl verantwortlich ist; da Citronenöl mittlerweile sehr häufig als Duft- und Geschmacksstoff verwendet wird, sollte es in exquisiten Parfums nur in Spuren vorhanden sein.

Eine galenische Besonderheit des Bergamottöls ist im ersten Deutschen Arzneibuch von 1872 vermerkt: Laut DAB 1 ist es „in jedweder Menge“ Weingeist löslich, während das DAB 1 für andere ätherische Öle bestimmte Mengenverhältnisse zum Weingeist angibt, z. B. für Pomeranzenblütenöl (Neroliöl) und Lavendelöl 1 : 1, für Pomeranzenschalenöl 1 : 5 und für Citronenöl 1 : 10 – 20.

Foto: © Johann Maria Farina
Rosoli-Flasche für Eau de Cologne auf einer Seite des Briefkopierbuchs von Giovanni Maria Farina, 1742. Links die Visitenkarte seines Neffen Jean-Marie Farina (1713 – 1792), der in zweiter Generation das Unternehmen leitete.

Cuvée der Essenzen

Als weitere Zutaten verwendete Giovanni Maria Farina die in Weingeist gelösten Öle anderer ­Citrus-Arten und einiger Duftpflanzen, darunter Lavendel, der ebenfalls viel Linalylacetat und Linalool enthält. Die fertige Mischung ließ er einige Zeit im Holzfass reifen, bevor er sie in schlanke Rosoli-Flaschen füllte; diese Flaschen wurden verkorkt und liegend aufbewahrt, um zu verhindern, dass der Korken austrocknet und undicht wird.

Nachdem Giovanni Maria „seinen“ Duft gefunden hatte, bemühte er sich, ihn stets in der gleichen Qualität zu produzieren oder, falls er gezielt eine Anpassung an den Zeitgeschmack vornahm, ihn nur so wenig zu verändern, dass es den Kunden nicht auffiel. Dies konnte ihm nur gelingen, indem er die verschiedenen Ausgangsstoffe mit ihren von Jahr zu Jahr schwankenden Zusammensetzungen immer wieder neu komponierte, was voraussetzte, dass er sie bereits vor der Ernte prüfte und sich dann die benötigten Mengen sicherte. Die Kontrolle, ob die jeweilige „Cuvée der Essenzen“ zum gewünschten Standard geführt hatte, erfolgte allein durch die feine Nase des Par­fumeurs.

Ein Wunderwasser?

Bevor die moderne Gesetzgebung eine strenge Grenze zwischen Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen einerseits und Arzneimitteln andererseits gezogen hat, galten Duftwässer als heilkräftig oder gesundheitsfördernd und waren apotheken­übliche Waren. Das liegt auch daran, dass einige Ausgangsstoffe Arzneidrogen waren, so der Rosmarin im legendären „Wasser der Königin von Ungarn“. Zudem ähnelten sie aufgrund ihrer Herstellungsweise hochprozentigen aromatischen Zubereitungen zur oralen Anwendung wie dem Karmelitengeist.

Ein Pionier der französischen Parfumeure, René le Florentin (Renato ­Bianco), soll seine Kunst um 1530 in der Klosterapotheke von Santa Maria Novella in Florenz erlernt haben; dass in den Räumen der 1866 geschlossenen Apotheke eine Parfumfabrikation etabliert wurde, ist allerdings ein Zufall und nicht die Fortsetzung einer schon vorher geübten Praxis, wie der Name „Officina ­Profumo-Farmaceutica di Santa Maria Novella“ suggeriert.

Dass auch Giovanni Maria Farina sein Parfum für heilkräftig hielt, scheinen die Bezeichnungen „aqua mirabilis“ und „eau admirable“ (Wunderwasser) zu belegen. Tatsächlich hat er jedoch keine Indikationen dafür beansprucht und gern die neutrale Bezeichnung „Eau de Cologne“ verwendet; die Übersetzung „Cöllnisch Wasser“ ist erstmals in einem Brief von 1764 dokumentiert.

Foto: © Johann Maria Farina
Molanusflasche von 1925 mit kombiniertem Kork-Zinn-Verschluss. Das Etikett zeigt den seit 1874 gesetzlich geschützten Schriftzug und das Familienwappen (rote Tulpe) mit der Inschrift „Farina Gegenüber“. – Peter Heinrich Molanus war ein Kölner Kaufmann, der bereits um 1830 durchsichtige, aufrecht stehende Flaschen vertrieb.

Erfolg und Konkurrenz

Letztlich war es schlicht die Eigenschaft, einen angenehmen Duft zu verbreiten, die Farinas Kreation in der Herren- und Damenwelt gleichermaßen beliebt machte. Um 1745 waren Kaiserin Maria Theresia, Friedrich der Große und König Ludwig XV. die prominentesten Kunden, und unter dem besonders geschäftstüchtigen Jean-Marie Farina (1809 – 1880) erhielt die Firma 50‑mal den Titel „Hoflieferant“.

Seit etwa 1730 besaß Giovanni Maria Farina ein Haus an der Kreuzung der Straßen Unter Goldschmied und Obenmarspforten, gegenüber dem „Jülichs-Platz“ (seit 1815: Gülich-Platz); aufgrund dieser Lage entstand schon 1733 der Firmenname „Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs-Platz“, kurz: Farina Gegenüber. Mit seinem wirtschaftlichen Erfolg wuchs auch die Anzahl der anderen Kölnisch-­Wasser-Produzenten – darunter die von einer ehemaligen Nonne 1826 gegründete Firma „Maria Clementine Martin Klosterfrau“. Um besser konkurrieren zu können, führten viele Firmen ebenfalls die Wörter „Farina“ oder „gegenüber“ im Namen, was immer wieder zu gerichtlichen Prozessen führte. Jean-Marie Farina erkannte, dass das Problem nur politisch gelöst werden kann: Aufgrund seiner Initiative verabschiedete der Deutsche Reichstag 1874 das Markenschutzgesetz.

Foto: © Johann Maria Farina
Das Farina-Haus in Köln erhielt 1899 eine neobarocke Fassade und wurde nach der Kriegszerstörung wieder aufgebaut. Heute beherbergt es das Duftmuseum.

Apotheker Farina

Heute leitet Johann Maria Farina (* 1958) in achter Generation das Familienunternehmen. Er ist Parfumeur und hat in Bonn Pharmazie studiert, daher kennt er die Chemie, Pharmakologie und Toxikologie aller Produkte seines Hauses genau. Er bestimmt die Rezepturen und damit auch die Auswahl der Rohstoffe. Über den Klassiker Original Eau de Cologne sagt er: „Die Rezeptur ist streng geheim. In den nunmehr 309 Jahren haben maximal 30 Personen sie gekannt.“ |



Literatur

Günther Ohloff. Irdische Düfte, himmlische Lust – eine Kulturgeschichte der Duft­stoffe. Basel 2000

Marita Krauss. Johann Maria Farina, in: Die königlich bayerischen Hoflieferanten. München 2009:219-230,274

Katalog Farina Original Eau de Cologne – 220 Jahre Kampf gegen Nachahmer. Museum Plagiarius Solingen, 2012

Markus Eckstein. Cologne, Wiege der Eau de Cologne. Köln 2013

Ulrike Eva Klopp. Diesen Duft mochte schon Beethoven. forsch/Bonner Universitäts-Nachrichten 2/2017:42-43

Pers. Auskunft von Herrn Johann Maria Farina

Dr. Wolfgang Caesar

(Duftmuseum im Farina-Haus, Obenmars­pforten 21, 50667 Köln; www.farina-haus.de)


* Für Giacomina Farina. In Erinnerung an Anna Malburg (†) in Köln-Lindenthal.

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