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Arzneimittel und Therapie
„Akute Reaktionen sind nicht zu erwarten!“
Mit Fipronil belastete Hühnereier sorgen für Verunsicherung
Fipronil wird in der Veterinärmedizin breit angewandt und kommt auch zum Beispiel bei Haustieren, wie Hunden und Katzen zum Einsatz, um Flöhe, Zecken und andere Parasiten zu beseitigen. Die Wirkung hält mehrere Wochen lang an (s. Kasten „Steckbrief Fipronil“).
Steckbrief Fipronil
Fipronil ist ein Breitspektrum-Insektizid und zählt zur Gruppe der Phenylpyrazole. Es wird als Insektizid in der Tiermedizin, zur Saatgutbehandlung und im Haushalt eingesetzt. So zum Beispiel bei Hunden und Katzen zur Vorbeugung und Behandlung von Floh-, Zecken- und Haarlingsbefall.
Das Arzneimittel wird auf dem Fell eingesetzt, entweder als Spot-on-Präparat oder auch als Sprühlösung zur Ganzkörperbehandlung. Nach der Applikation verteilt sich Fipronil in den oberflächlichen Hautschichten, den Talgdrüsen und auf den Haaren. Der Wirkungseintritt erfolgt binnen 24 Stunden. Fipronil ist bei Hunden und Katzen über mehrere Wochen wirksam. Für die lange Wirksamkeit wird zum einen die gute Haftung am Fell verantwortlich gemacht, zum anderen die langsame Ausscheidung aus den Talgdrüsen. Allerdings schützt Fipronil nicht vor Zeckenstichen.
Die Resorption über die Haut ist gering (< 1%). Die akute dermale Toxizität liegt bei über 5 g/kg. Fipronil darf jedoch nicht auf verletzte Hautareale aufgetragen werden, da hier die Resorption erhöht ist.
Die Anwendung von Fipronil bei Lebensmittel liefernden Tieren ist nicht erlaubt. Auch bei sehr jungen (Hunde < 2 kg) und geschwächten Tieren sollte Fipronil nicht eingesetzt werden. Beim Menschen kann Fipronil Haut und Augen reizen sowie Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen verursachen.
Fipronil-haltige Arzneimittel sind in der Apotheke rezeptfrei für Hunde und Katzen erhältlich (zum Beispiel Frontline®, Bolfo®). Zudem sind Kombinationen mit anderen Insektiziden in Form rezeptpflichtiger Tierarzneimittel auf dem Markt, unter anderem mit Permethrin (zum Beispiel Frontect®).
In der Europäischen Union gilt zudem seit 2007 eine Zulassung von Fipronil für Pflanzenschutzmittel (ausschließlich Saatgutbehandlung), die zum 31. Juli 2018 ausläuft. In Deutschland ist es nicht generell als Pflanzenschutzmittel zugelassen. Seit 2009 hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit jedoch immer wieder Ausnahmegenehmigungen erteilt. In Belgien und in den Niederlanden ist Fipronil auf nationaler Ebene zugelassen. 2013 hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Fipronil als gefährlich für Honigbienen eingestuft. Es scheint deren Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen. Seit 2014 darf Fipronil nun nicht mehr zur Behandlung von Mais- und Sonnenblumen-Saatgut verwendet werden. Der Einsatz bei Pflanzen, die ausschließlich in Gewächshäusern wachsen, bleibt dagegen erlaubt.
Fipronil wird außerdem als Schädlingsbekämpfungsmittel verwendet. Es ist in Ködergranulaten und Gießmitteln gegen Ameisen sowie in Ködergelen gegen Kakerlaken enthalten.
Wie Fipronil wirkt
Fipronil ist ein Phenylpyrazol-Insektizid. Es wirkt bei Insekten als Kontaktgift und gelangt über das Exoskelett ins Zentralnervensystem. Dort hemmt es die GABA-Rezeptoren und damit den Einstrom von Chloridionen in die Zellen. Dies führt zu einer Übererregung und schließlich zum Tod des Parasiten. Die Hemmung des GABA-Rezeptors erfolgt bevorzugt bei Wirbellosen; bei Säugetieren besitzt der Stoff eine deutlich geringere Potenz, neurotoxische Wirkungen sind daher erst bei höheren Dosierungen zu erwarten.
Toxische Metabolite
Fipronil ist eine lipophile Substanz, die nach oraler Zufuhr nahezu vollständig resorbiert wird. Sie wird nur langsam ausgeschieden und besitzt ein hohes Verteilungsvolumen. Es sind mehrere Metaboliten bekannt. Fipronil kann vor allem über drei Wege metabolisiert werden (s. Abb.), und zwar durch:
- Oxidation am Sulfinylrest zum Sulfon oder
- Reduktion zum Sulfid sowie
- Hydrolyse des Cyanosubstituenten zum Amid.
Beim Menschen ist vor allem CYP3A4 am oxidativen Metabolismus beteiligt. Bei Tageslicht entsteht ein Desulfinyl-Abbauprodukt, das ebenfalls neurotoxisch wirkt (Photolyse). Die Metaboliten sind zum Teil toxischer als der Ausgangsstoff. Das Sulfon hat eine sechsfach höhere Bindungsaffinität zum GABA-Rezeptor als Fipronil. Es findet eine Anreicherung im Fettgewebe statt, hauptsächlich in Form des Sulfonmetaboliten. Die Ausscheidung erfolgt überwiegend mit den Fäzes [Wang et al., 2015].
DAZ: Lässt sich die Gefährdung abschätzen und wenn ja, wie groß ist die Gefahr, die momentan von mit Fipronil belasteten Eiern ausgeht?
Stahlmann: Zur Abschätzung der möglichen Risiken wird die ARfD (akute Referenzdosis) herangezogen. Sie ist höher als der ADI (duldbare tägliche Aufnahmemenge), da ja nicht von einer lebenslangen Aufnahme ausgegangen wird. Sie beträgt 9 µg/kg Körpergewicht (KG). Die ARfD ist definiert als diejenige Substanzmenge pro kg Körpergewicht, die über die Nahrung mit einer Mahlzeit oder innerhalb eines Tages ohne erkennbares gesundheitliches Risiko für den Verbraucher aufgenommen werden kann.
Die akute Referenzdosis von Fipronil wurde aus Entwicklungsneurotoxizitätsstudien bei Ratten abgeleitet; dabei wurde ein Sicherheitsfaktor von 100 verwendet. Im Rahmen der EU-Wirkstoffprüfung für Pflanzenschutzmittel wurde die ARfD auf den Wert 9 µg/kg KG festgelegt.
Die duldbare tägliche Aufnahmemenge (ADI, acceptable daily intake) wird mit 0,2 µg/kg KG angegeben. Der ADI-Wert ist die geschätzte Menge eines Stoffs in einem Lebensmittel, die nach dem aktuellen Kenntnisstand ein Leben lang täglich ohne nennenswertes Risiko für jeden Verbraucher unter Berücksichtigung besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen (z. B. Kinder und Ungeborene) aufgenommen werden kann.
DAZ: Was bedeuten diese Werte vor dem Hintergrund der in Eiern gemessenen Werte?
Stahlmann: Dem BfR wurden amtliche Analysenergebnisse aus Deutschland zu Gehalten von Fipronil (gemessen als Summe von Fipronil und seinem Sulfonmetaboliten) bis zu 0,051 mg/kg in Eiern berichtet. Das entspricht etwa 3,5 µg Fipronil in einem Ei mit einem Gewicht von 70 g. Allerdings wurden in Belgien deutlich höhere Konzentrationen gemessen. Hier betrug die höchste gemessene Konzentration 1,2 mg/kg und damit 84 µg in einem Ei mit einem Gewicht von 70 g. Isst ein etwa 70 kg schwerer Mensch ein mit 3,5 µg Fipronil belastetes Ei, so nimmt er 0,05 µg Fipronil/kg Körpergewicht auf, bei Belastung von 84 µg Fipronil sind es 1,2 µg Fipronil/kg Körpergewicht. Damit scheint zumindest in Deutschland keine akute Gefährdung durch den Konsum von Eiern zu bestehen, in Belgien würde man mit etwa sieben hochbelasteten Eiern die akute Referenzdosis von 9 µg/kg Körpergewicht erreichen.
DAZ: Wer ist beim Überschreiten der Grenzwerte besonders gefährdet?
Stahlmann: Die gesundheitlichen Richtwerte schließen auch sensible Bevölkerungsgruppen wie Schwangere oder Senioren ein. Eine besondere Gefährdungslage besonderer Gruppen lässt sich aus diesen Werten nicht ableiten. Eine teratogene Wirkung von Fipronil ist nicht bekannt.
Bekannt ist jedoch, dass Fipronil neurotoxisch wirkt. Da das Zentralnervensystem während der Entwicklung des Säugetierorganismus in der Regel empfindlicher reagiert, muss davon ausgegangen werden, dass auch der Mensch während der prä- und postnatalen Entwicklung empfindlicher reagiert. Dies wurde bei der Ableitung der Referenzdosis berücksichtigt. Der NOAEL für Neurotoxizität bei der Ratte liegt bei 9 mg/kg, während der Entwicklung ist er zehnmal geringer (0,9 mg/kg). Dieser Wert diente als Ausgangswert für die Berechnung.
DAZ: Welche kurzfristigen, welche langfristigen gesundheitlichen Probleme können auftreten?
Stahlmann: Akute Reaktionen durch den Verzehr von Eiern mit Fipronil-Rückständen sind angesichts der geringen nachgewiesenen Mengen von maximal 0,05 mg/kg Ei (Deutschland) nicht zu erwarten. Akute lebensbedrohliche Wirkungen treten auf, wenn Mengen im Grammbereich aufgenommen werden.
Einige Fälle sind bekannt, in denen Fipronil in suizidaler Absicht in größeren Mengen zugeführt wurde. Aus Sri Lanka wurden in 2004 derartige Fälle berichtet, bei sechs Patienten konnte die Aufnahme durch Messung der Substanz im Blut verifiziert werden. Die Patienten hatten bis zu 100 ml Fipronil-Lösung (Regent 50SC®) getrunken und damit etwa 5,0 g des Insektizids zugeführt. Umgerechnet entspricht das etwa 70 mg/kg KG. Nach einigen Tagen stationärer Behandlung konnten die meisten Patienten wieder entlassen werden. Krampfanfälle wurden mit Diazepam behandelt. Ein Patient verstarb an einer Pneumonie [Mohamed et al., 2004].
DAZ: Nun kann man ja ganz einfach mit Fipronil in Berührung kommen, wenn im Haushalt Tiere gegen Flöhe und Zecken mit dem Insektizid behandelt werden. Welche Gefahren gehen von dieser Exposition aus?
Stahlmann: Hierzu gibt es wenige Veröffentlichungen. Lee et al. [2010] beschreiben 103 Fälle von akuten Erkrankungen wie Kopfschmerzen, Schwindel und Parästhesien, die im Zusammenhang mit einer Fipronil-Exposition in mehreren Staaten der USA auftraten. Es handelte sich um Expositionen im privaten oder beruflichen Umfeld. Das Insektizid lässt sich im Staub vieler Haushalte nachweisen, in den USA bei 40% der Haushalte. Insgesamt wurde in dieser Publikation die spärliche Datenlage kritisiert und dazu geraten, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um sich vor einer Fipronil-Exposition zu schützen. So sollte intensiver Tierkontakt nach Aufbringen des Insektizids gemieden werden.
DAZ: Herr Professor Stahlmann, wir danken Ihnen für das Gespräch. |
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