Arzneimittel und Therapie

Was Stress in der Kindheit mit Schizophrenie zu tun hat ...

... und wie ein Enzym und die Epigenetik weiterhelfen könnten

Belastende Erfahrungen in der ­frühen Kindheit können im Er­wachsenenalter zu Schizophrenie ­führen. Epigenetischen Forschungen zufolge spielt dabei wahrscheinlich eine gestörte Genregulation eine zentrale Rolle: insbesondere infolge erhöhter Konzentrationen des Enzyms Histon-Deacetylase 1 (HDAC1). Im Tiermodell ist es bereits gelungen, Schizophrenie-Symptome durch Applikation eines HDAC1-Inhibitors zu lindern.

Wissenschaftler untersuchten an Mäusen, wie sich Stress in einer frühen Entwicklungsphase auswirken kann: Tiere, die kurz nach der Geburt von den Muttertieren getrennt worden waren, entwickelten später schizophrenieähnliche Symptome. Post mortem wurde eine HDAC1-Überexpression in Neuronen des mittleren präfrontalen Cortex gefunden. Verabreichte man den Tieren den HDAC1-Inhibitor Entinostat (s. Tab.), konnten die schizophrenieartigen Effekte gemildert werden. Dass HDAC1 bei der Pathogenese der Schizophrenie eine Rolle spielen ­könnte, scheint naheliegend.

Tab.: HDAC-Hemmer in der Tumortherapie. Eine Überexpression des Enzyms HDAC führt zu erhöhter oder veränderter Deacetylierung von Histonen. Betrifft dies DNA-Abschnitte mit Tumorsuppressorgenen, werden sie nicht mehr abgelesen, und die Zellen können entarten.
HDAC-Hemmer
Zulassungsstatus
Panobinostat (Farydak®)
In Deutschland als Kombinationstherapie zur Behandlung des Multiplen Myeloms zugelassen. Pharmakodynamische Untersuchungen mit Panobinostat haben gezeigt, dass der Wirkstoff die Expression des Tumorsupressorgens p21 CDKNIA (Inhibitor Cyclin-abhängiger Kinasen 1/p21) erhöhen kann.
Belinostat (Beleodaq®)
Romidepsin (Istodax®)
Vorinostat (Zolinza®)
Nur in den USA zugelassen: Zur Behandlung kutaner T-Zell-Lymphome. Für Vorinostat ist beschrieben, dass die HDAC-Hemmung zur Hyperacetylierung von Histonen und in der Folge zum Stillstand des Zell­zyklus führt. Es kommt zum programmierten Zelltod (Apoptose), zur Angiogenesehemmung und damit zur Lyse des Tumors.
Entinostat
Entinostat wird derzeit in zahlreichen klinischen Studien geprüft. Beispielsweise in den Indikationen: rezidivierendes oder refraktäres Hodgkin’s Lymphom (NCT00866333), metastasierendes Kolorektalkarzinom (NCT01105377) sowie weitere solide Tumoren (NCT02897778, clinicaltrials.gov)

Das Enzym HDAC1

Mehr als 100 Genloci können mit der Entstehung einer Schizophrenie assoziiert werden. Studien an eineiigen Zwillingen haben gezeigt, dass auch Umweltfaktoren beteiligt sind. Vermittelt werden diese offenbar durch epigenetische Modifikationen. Eine zentrale Rolle spielt dabei wahrscheinlich das Enzym Histon-Deacetylase 1 (HDAC1). Unter epigenetischen Modifikationen versteht man vor allem DNA-Methylierungen und posttranslationale Modifikationen der Histone. Histone sind basische Lysin- und Arginin-reiche Proteine, auf die im Zellkern die DNA „aufgewickelt“ ist. Histon-Deacetylasen (HDACs) entfernen Acetylgruppen von der Aminosäure Lysin an den N-terminalen Enden der Histone. Infolgedessen wird das Lysin positiv geladen, und die Anziehungskraft zu den negativ geladenen Phosphatgruppen an der DNA steigt. Dies führt zu stärkerer Kondensation der DNA, das fester gepackte Heterochromatin entsteht. Eine besonders hohe HDAC-Aktivität kann zur Folge haben, dass bestimmte Gene nicht mehr abgelesen werden (s. Abb.).

Die Acetylierung (A) der Histone verändert die Chromatinstruktur. Histon-Acetyltransferasen (HATs) bzw. Histon-Deacetylasen (HDACs) katalysieren diese Modifikationen. HDAC-Inhibitoren (s. Tab.) begünstigen den acetylierten Zustand und somit die Transkription.

Neuer Therapieansatz

Forscher wollen mit HDAC-Inhibitoren Histon-Acetylierungen begünstigen. In der Folge entstünde das lockerer gepackte Euchromatin, bei dem eine Transkription der DNA wieder möglich ist (s. Abb.). Einige HDAC-Hemmer sind in der Tumor-Therapie bereits als Arzneimittel verfügbar. Weitere befinden sich in der klinischen Entwicklung (s. Tab.).

Untersuchungen am Menschen

Die eingangs erwähnte Studie an Mäusen erschien im Fachmagazin PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences). Ein internationales Forscherteam unter Koordination des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) lieferte die Daten. Noch in derselben Studie stellten sich die Forscher die Frage, inwieweit sich ihre Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen: Im Rahmen einer anderen Untersuchung hatten Patienten über emotionale Vernachlässigung im Kindesalter und weitere Lebensbedingungen mit potenziell negativen psychischen Folgen berichtet. In deren Blut fanden die Wissenschaftler eine signifikant höhere HDAC1-Expression als bei Schizophrenie-Patienten ohne diese negativen Erfahrungen. Dies betraf sowohl männliche (n = 24/24, p = 0,001) als auch weibliche Patienten (n = 14/13, p = 0,0129). Außerdem untersuchten die Forscher in der Studie postmortales Gewebe von Schizophrenie-­Patienten und gesunden Kontrollen: Im präfrontalen Kortex der Patienten (n = 10) wurden signifikant höhere HDAC1-mRNA-Konzentrationen bestimmt als bei den Kontrollpersonen (n = 11, p = 0,009). Mithilfe von Immunoblot-Analysen fand man außerdem höhere Konzentrationen des HDAC1-Proteins bei den von Schizophrenie Betroffenen (N = 9 je Gruppe, p = 0,0128). Die Konzentrationen anderer Histon-Deacetylasen waren nicht erhöht. Erhöhte HDAC1-Konzentrationen in postmortalem Hirngewebe ­hatten zuvor schon andere Arbeitsgruppen gefunden. In den neuen Ergebnissen sehen die Forscher somit eine Bestätigung ihrer Hypo­these, dass das Enzym bei der Pathogenese der Schizophrenie eine Rolle spielen könnte.

Vorsicht trotz großen Potenzials

Prof. Dr. André Fischer (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Göttingen) ist Koautor der Studie und Standortsprecher des DZNE in Göttingen. Er mahnt zur Zurückhaltung: „Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man Ergebnisse aus Tierversuchen im Zusammenhang menschlicher Krankheiten interpretiert. Dies gilt besonders für solch komplexe Erkrankungen wie die Schizophrenie. Gleichwohl deuten unsere Daten darauf hin, dass Medikamente, die auf die Genaktivität einwirken, die Symptome einer Schizophrenie mög­licherweise lindern können. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Epigenetik ein großes Potenzial für neue therapeutische Wege bietet.“

HDAC1 als Biomarker

Fischer verweist auch auf die Möglichkeit, HDAC1 als Biomarker einzusetzen: „Dies könnte helfen, jene Patienten mit Schizophrenie zu erkennen, die in frühen Jahren verstörende ­Lebensbedingungen erfahren haben. Bei diesen Personen sind gängige Behandlungen nicht besonders wirksam. Sie zu identifizieren, wäre ein Schritt in Richtung einer personalisierten Therapie, die auf ihre spezielle Situation zugeschnitten ist. Neben diesem ­diagnostischen Nutzen könnte die Messung der HDAC1-Werte helfen, die Reaktion auf therapeutische Maßnahmen zu überwachen. |

Quellen

Bagot RC et al. Epigenetic signaling in psychiatric disorders: stress and depression. Dialogues Clin Neurosci 2014;16(3):281-295

Bahari-Javan S et al. HDAC1 links early life stress to schizophrenia-like phenotypes. PNAS 2017;114(23):E4686-E4694, doi: 10.1073/pnas.1613842114

Fachinformation Farydak®, Hartkapseln. Stand September 2016. Rote Liste online

FDA-Zulassung für neues Zytostatikum. DAZ 2014;28:26

Genregulatoren als Targets für neue Arzneistoffe. DAZ 2009;42:82

Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen und der Universitätsmedizin Göttingen: Studie zeigt Potenzial der Messung und Hemmung von HDAC-Proteinen. 29. Mai 2017, www.dzne.de

Schizophrenie: Biomarker für frühen Lebensstress liefert neuen Therapieansatz. 30. Mai 2017, www.aerzteblatt.de

Zündorf I, Dingermann T. Die Brücke zwischen Genom und Umwelt. DAZ 2011;1:50

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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