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Beratung

Teure Therapeutika, Biosimilars und das Problem Impfen

Patienten mit Autoimmunerkrankungen fordern Apotheke auf vielfältige Weise

Patienten mit Autoimmunerkrankungen bilden eine äußerst heterogene Gruppe, entsprechend vielfältig sind die Anforderungen an die Apotheke. Allerdings gibt es Gemeinsamkeiten. Bei vielen der ca. 60 verschiedenen – mehr oder weniger bekannten – Krankheiten sind die Patienten anfälliger für Infektionen, sei es aufgrund der Erkrankung selbst oder der zu ihrer Behandlung eingesetzten Immunsuppressiva. Und: Viele Patienten mit „klassischen“ Autoimmun­erkrankun­gen, wie rheumatoider Arthritis, Colitis ulcerosa, Psoriasis und Spondylitis ankylosans, werden in zunehmendem Maße mit biotechnisch hergestellten Arzneimitteln (Biologika) behandelt. Einige ältere Präparate unterliegen nicht mehr dem Patentschutz, weitere werden folgen, und Biosimilars drängen als Nachahmerprodukte auf den hart umkämpften Markt. Patienten und Ärzten muss vermittelt werden, welche Besonderheiten zu beachten sind und wie die Substitution geregelt ist. | Von Verena Stahl

Wo bleibt die Kostenbremse?

Eine Biologikatherapie ist nicht nur im Einsatz bei Autoimmunerkrankungen innovativ und führt in vielen Fällen zur Remission einer Erkrankung, sie ist auch teuer. Obschon es sich (noch) um eine zahlenmäßig überschaubare Arzneimittelgruppe handelt, sind biotechnisch hergestellte Arzneimittel für mehr als 21% der gesamten Arzneimittelkosten verantwortlich [1]. Biologika mit dem Einsatzgebiet Autoimmunerkrankungen belegen Spitzenplätze im Ranking der umsatzstärksten Arzneimittel weltweit: Humira® (Adalimumab) stand im Jahr 2015 auf Platz eins mit einem weltweiten Jahresumsatz von ca. 13,4 Milliarden US-Dollar, Enbrel® (Etanercept) belegte Platz drei mit 8,3 Mrd. $, und Remi­cade® (Infliximab) folgte auf Platz vier mit 8 Mrd. $.

Das Ende der Fahnenstange scheint bei den Kosten allerdings noch nicht erreicht: Immer mehr Biologika werden neu zugelassen, und immer mehr Patienten erhalten eine Biologikatherapie. Bei der Barmer GEK z. B. wurden im Jahr 2014 ca. 10.000 Versicherte mit Rheumatoider Arthritis (RA) mit einem Biologikum behandelt (dies entspricht nur 8% der RA-Patienten, denn die meisten müssen nicht mit einem Biologikum behandelt werden). Dies verursachte Biologika-Kosten von 155,5 Millionen Euro in einem einzigen Jahr [1]! Krankenkassen fordern daher zunehmend, auf die „Kostenbremse“ zu treten und Einsparpotenziale in diesem Bereich zu nutzen. Auch Politiker mischen sich ein und wollen Biosimilars den Marktzugang erleichtern.

Biosimilars statt Biologika

Was sind Biosimilars? Sie kopieren das Referenzarzneimittel (Innovator-Produkt) in seiner Aminosäurensequenz, wodurch die Tertiärstruktur der Proteine identisch ist. Da aber die Ausgangs-Organismen, auf denen das Zielprotein exprimiert wird, die Nährmedien und weitere Details im Herstellungsprozess Unterschiede aufweisen können, sind Biosimilars nicht gleich, sondern nur ähnlich wie das Innovator-Produkt. Biosimilars müssen sich der Referenz gegenüber durch eine ähnliche Qualität, biologische Aktivität, Sicherheit und Wirksamkeit auszeichnen (ist bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA unter Beweis zu stellen), weshalb sie als gleichwertige therapeutische Alternative angesehen werden können. Auch bezüglich der gefürchteten Antikörperbildung – mit einhergehender Infusionsreaktion, Wirk­abschwächung oder Wirkverlust – darf es keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen dem Biosimilar und dem Innovator-Produkt geben. Dennoch herrscht viel Verunsicherung bei Ärzten und Patienten zu diesem Thema, daher sollte man auf entsprechende Nachfragen beider Personengruppen vorbereitet sein. Hier zwei Beispiele (nach [1]):

  • „Mein Arzt will meine Therapie umstellen. Ist das neue Präparat (Biosimilar) weniger wirksam oder schlechter verträglich als das alte Präparat (Referenzarzneimittel)?“ Mögliche Antwort: „Nur wenn das neue Präparat (Biosimilar) in Studien nachweisen konnte, dass es genauso wirksam und genauso verträglich ist wie Ihr altes Präparat (Referenzarzneimittel), erteilen die europäischen Zulassungsbehörden die Zulassung.“
  • „Es geht doch immer nur um Kosten! Wie kann das neue Präparat (Biosimilar) billiger sein als das alte Präparat (Referenzarzneimittel), ohne dabei schlechter zu sein?“ Mögliche Antwort: „Billiger heißt nicht schlechter! Entwicklungs- und Zulassungskosten sind bei diesen besonderen Präparaten sehr hoch. Die Nachahmer-Präparate (Biosimilars) sind günstiger, weil die Forschungs- und Entwicklungskosten niedriger sind, zudem können sich die Hersteller bei der Zulassung auf Studien der alten Präparate (Referenzarzneimittel) stützen.“

Norwegen tauscht

Mehr Rückhalt für den Einsatz von Biosimilars geben nun erste Ergebnisse der norwegischen NOR-SWITCH-Studie, bei der die Sicherheit und Wirksamkeit des einmaligen Wechsels von Remicade® (Infliximab) auf sein Biosimilar Remsima® bei Patienten mit RA, Spondyloarthritis, Psoriasis-Arthritis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn und chronischer Plaque-Psoriasis getestet wurde. Die Umstellung auf Rem­sima® war in puncto Sicherheit und Wirksamkeit einer fortgeführten Remicade®-Therapie nicht unterlegen [2]. Doch sollten die Studienergebnisse nicht verallgemeinert werden: Die Studie untersuchte nur für Remi­cade®/Remsima®, ob ein einmaliger Wechsel mit Nachteilen verbunden ist, weitere Biologika oder häufigere Wechsel wurden nicht betrachtet.

Unterschiedliche Quoten

Im Arzneimittelreport der Barmer GEK aus dem Jahr 2016 wurde ein besonderer Fokus darauf gelegt, welche Einsparungen durch Verordnung von Biosimilars möglich sind [1]. Berechnungen der Barmer GEK zufolge wären allein ihre Arzneimittelausgaben im Jahr 2015 um 15,5 Millionen Euro niedriger gewesen, wenn in jedem Fall Biosimilars statt Innovator-Produkten verordnet worden wären [2]. Dass Biosimilars aber Akzeptanzprobleme bei Ärzten und Patienten haben, zeigt sich an den Biosimilarquoten, die im Barmer GEK Arzneireport für vier Wirkstoffe (Filgrastim, Epoetin, Somatropin, Infliximab) ermittelt wurden. In den einzelnen KV-Regionen entfielen 27 bis 54% der Biologika-Verordnungen auf Biosimilars (Biosimilarquote im Saarland 27%, in Bremen 54%), und bei den einzelnen Biologika betrug die Quote 12 bis 74% (Somatropin und Infliximab je 12%, Filgrastim 74%). Viele Ärzte scheuen sich, einen stabil eingestellten Patienten aus ökonomischen Aspekten auf ein Biosimilar umzustellen, und sehen etwaige Quotenvorgaben oder Zielvereinbarungen als Eingriff in ihre Therapiefreiheit. Es bleibt abzuwarten, wie die weitere Entwicklung unter wessen Einflussnahme verlaufen wird.

Klare Regeln für die Apotheke

Krankenkassen können derzeit große Kosteneinsparungen erzielen, wenn sie das Verordnungsverhalten der Ärzte adressieren, sodass die Biosimilarquote steigt. Einsparungen in der Apotheke sind nur begrenzt möglich und zwar dann, wenn ein Bioidentical verordnet wurde und Rabattverträge zu einem anderen Bioidentical genutzt werden müssen. Bei Bioidenticals handelt es sich um identische biotechnologisch hergestellte Arzneimittel (keine Unterschiede in Ausgangsstoffen und Herstellungsprozess, Zulassung bezugnehmend auf das Referenzarzneimittel), die aus derselben Produktionsstätte stammen, aber unter unterschiedlichen Namen (teilweise von unterschiedlichen Herstellern) vermarktet werden. Doch woher weiß man, welche Präparate zu den Bioidenticals zählen? Diese sind in der Anlage 1 des Rahmenvertrages nach § 129 Absatz 2 SGB V als untereinander wirkstoffgleiche Arzneimittel namentlich (d. h. mit dem konkreten Präparatenamen) aufgeführt (siehe Tab. 1). Auf deren Grundlage kann die Apothekensoftware dann anzeigen, ob eine Substitutionspflicht besteht. Bioidenticals existieren bei Epoetin (alfa, zeta, theta), Filgrastim, Infliximab und Interferon beta-1b.

Tab. 1: Bioidenticals oder untereinander wirkstoffgleiche Biologika. Liste gemäß § 4 Abs. 1 Buchstabe a) des Rahmenvertrags zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband [3]. Zu beachten ist, dass nicht alle ­Filgrastim-Präparate untereinander ausgetauscht werden können, sondern nur diejenigen, die in einer Gruppe zusammengefasst sind.
Wirkstoff
Arzneimittel
Epoetin alfa
Abseamed®, Binocrit®, Epoetin alfa Hexal®
Epoetin zeta
Retacrit®, Silapo®
Epoetin theta
Biopoin®, Eporatio®
Filgrastim
Biograstim®, Ratiograstim®, Tevagrastim®
Filgrastim
Filgrastim Hexal®, Zarzio®
Filgrastim
Accofil®, Grastofil®
Infliximab
Inflectra®, Remsima®
Interferon beta-1b
Betaferon®, Extavia®

Substitutionsgrenzen

Innovator-Produkte dürfen nicht gegen Biosimilars ausgetauscht werden, da Biosimilars per Definition nicht wirkstoffgleich mit der Referenz sind (sondern wirkstoffähnlich). Verwirrend kann in diesem Zusammenhang sein, dass der Wirkstoffname der jeweiligen Präparate gleich ist. Vorsicht ist daher geboten, wenn der Arzt ein biotechnologisch hergestelltes Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet, z. B. „Infliximab 100 mg Pulver“. Eine derart unklare Verordnung öffnet Tür und Tor für eine Retaxation und sollte umgehend durch den verordnenden Arzt spezifiziert werden (Neuausstellung des Rezeptes mit eindeutiger Angabe eines konkreten Präparates).

Ist beim Austausch von Bioidenticals ein rabattbegünstigtes Arzneimittel in der Apotheke nicht verfügbar und macht ein dringender Fall die unverzügliche Abgabe eines Arzneimittels erforderlich (Akutversorgung, im Notdienst), kann die Verpflichtung zur Abgabe des rabattbegünstigten Bioidentical ausgenommen werden (Details siehe Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V, § 4 Abs. 3). Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass die zur Therapie von Patienten mit Autoimmunerkrankungen eingesetzten Biologika im Notdienst oder in der Akutversorgung benötigt werden.

Es besteht ferner die Möglichkeit, pharmazeutische Bedenken gegen den Austausch geltend zu machen (Sonderkennzeichen und Begründung angeben, z. B. bei Handlingsproblemen aufgrund unterschiedlicher Applikationssysteme bei Präparaten zur Selbstinjektion).

Deutschland sucht den Impfpass

Die Initiative „Deutschland sucht den Impfpass“ soll besonders Patienten mit Autoimmunerkrankungen ansprechen. Aufgrund krankheitsbedingter Fehlreaktionen des Immunsystems und (Mehrfach)-Immunsuppression ist bei ihnen das Infektionsrisiko erhöht. Dennoch ist ihr Immunstatus oft verbesserungswürdig (empfohlene Impfung z. B. Influenza, Pneumokokken, Tetanus, Varizellen). Die Patienten sind empfänglich für obere Atemwegsinfekte und Harnwegsinfekte; auch die Reaktivierung eines Varizella-Zoster-Virus (VZV) oder einer latenten Tuberkulose sind gefürchtet! Zudem kann eine Influenza bei immundefizienten Patienten eine erhebliche Gefährdung darstellen. Ärzte sollten daher bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen den Impfstatus überprüfen und gegebenenfalls komplettieren, insbesondere vor der Behandlung mit Immunsuppressiva.

Apotheker können zu einem Anstieg der Impfquoten in dieser besonderen Patientenpopulation beitragen, indem sie gemeinsam mit den Patienten den Impfpass auf empfohlene Impfungen hin überprüfen bzw. den Impfstatus erfragen und über die Bedeutung der Impfungen aufklären. Des Weiteren sollten sie die sogenannte Umgebungsprophylaxe ansprechen, denn alle Kontaktpersonen des Patienten sollten umfassend geimpft sein, um diesen z. B. beim Misserfolg der eigenen Impfung oder bei der Kontraindikation einer Impfung nicht unnötig zu gefährden [5].

Keine Lebendimpfstoffe

Generell wird die Gabe von Lebendimpfstoffen während einer Behandlung mit Immunsuppressiva nicht empfohlen – zu hoch erscheint das Impfrisiko. In der Regel handelt es sich bei Lebendimpfstoffen um virale Erreger, die sich im Körper des immundefizienten Patienten replizieren und z. B. aufgrund einer fehlenden T-Zell-Antwort zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen können [5]. Das Robert Koch-Institut empfiehlt beispielsweise, Patienten mit hochdosierter Glucocorticoid-Therapie (Prednisolon-Äquivalent ≥ 20 mg/d, Therapiedauer > 14 Tage) frühestens einen Monat nach Therapieende Lebendimpfstoffe zu verabreichen [5]. Eine Impfung mit Totimpfstoffen stellt kein Risiko dar.

Impfungen effektiv?

Sind Impfungen bei immunsupprimierten Patienten überhaupt ausreichend effektiv? Schließlich ist die Immunantwort des Körpers beeinträchtigt. Hier legen viele Studien nahe, dass die Antikörperantwort (Ansprechrate) zwar leicht reduziert, aber ausreichend ist. Da der Impferfolg nicht immer vorhersehbar ist, erfolgt bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen mitunter eine Titerkontrolle nach der Impfung. Die Höhe des „Impftiters“ erlaubt aber nicht bei allen Impfungen einen Rückschluss auf den (nicht) erlangten Schutz, nur bei Tetanus und Hepatitis B gibt es hier eine Korrelation [5]. Bei anderen Impfungen korreliert bereits der Nachweis spezifischer IgG-Antikörper mit einem Schutz vor der Erkrankung, z. B. bei Masern, Mumps und Röteln [5].

Schubfördernd?

Patienten mit einer Autoimmunerkrankung, die in Schüben verläuft (z. B. Multiple Sklerose, Rheuma­toide Arthritis oder systemischer Lupus erythematodes), könnten befürchten, dass eine Impfung einen Krankheitsschub auslösen kann. Bezüglich der saisonalen Influenzaimpfung konnte für alle genannten Erkrankungen kein Zusammenhang mit dem Auftreten von Krankheitsschüben gefunden werden. Zu bedenken ist ferner, dass auch eine natürliche Influenzainfektion einen Schub auslösen könnte, der vermutlich höher wäre als bei einer Impfung.

Risiko für schwerwiegende Infektionen

Über das allgemein erhöhte Infektionsrisiko hinaus stehen Biologika im Verdacht, das Risiko schwerwiegender Infektionen wie Pneumonie, Herpes zoster, Gastroenteritis, Appendizitis zu erhöhen, auch im Vergleich zu traditionellen DMARDs. Dies erscheint logisch, weil Biologika körpereigene Botenstoffe oder Immunzellen blockieren, die für die Infektabwehr von großer Bedeutung sind. Eine Metaanalyse von klinischen Studien mit 42.000 Rheumatikern stellte fest, dass standardmäßig dosierte Biologika ein um 31% höheres Risiko für schwerwiegende Infektionen aufweisen als traditionelle DMARDs [6]. Dies hört sich zunächst dramatisch an, ein Blick auf das absolute Risiko entschärft die Aussage jedoch: Bei 1000 Rheumapatienten, die mit Biologika behandelt wurden, traten innerhalb eines Jahres 26 schwerwiegende Infektionen auf, im gleichen Zeitraum traten bei 1000 Rheumatikern unter tDMARD-Therapie 20 schwerwiegende Infektionen auf [6]. Das absolute Risiko ist also bei beiden Therapieoptionen vergleichsweise niedrig, und es bleibt die Erkenntnis, dass statistische Angaben auch irritieren können.

NNT und NNH

Anschaulich ist in diesem Zusammenhang auch immer ein Vergleich der Kenngrößen „number needed to treat“ (NNT, Anzahl der insgesamt zu behandelnden Patienten, um bei einem Patienten das gewünschte Behandlungsziel zu erreichen) und „number needed to harm“ (NNH, Anzahl der behandelten Patienten, unter denen einer eine Schädigung/Nebenwirkung erfahren hat). Die NNH beträgt bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen und TNF-α-Therapie 500, die NNT aber nur 4 bis 8 (Ziel: Remission der Krankheitsaktivität). Aus Angst vor Infektionen sollte daher keinem Patienten eine Biologikatherapie vorenthalten werden.

Gibt es weitere Risikofaktoren für schwerwiegende Infektionen, z. B. höheres Lebensalter, Komorbiditäten oder Glucocorticoid-Therapie, muss von Fall zu Fall der Nutzen einer Biologikatherapie gegen deren Risiken abgewogen werden. Die Herausforderung besteht also darin, Patienten vor Beginn einer Therapie bezüglich ihrer Risikofaktoren einzuschätzen und ihren Impfstatus zu überprüfen!

Für Patienten mit rheumatoider Arthritis wurde in Deutschland ein Risikoscore für Infektionen entwickelt, der auf den Daten von 5000 Patienten des Deutschen Registers zur Beobachtung der Biologika-Therapie bei Rheumatoider Arthritis (RABBIT) beruht (www.biologika-register.de). Der Score berechnet die Wahrscheinlichkeit eines RA-Patienten, innerhalb der nächsten zwölf Monate eine schwerwiegende Infektion zu erleiden, und berücksichtigt wichtige Risikofaktoren wie höheres Alter, schlechten Funktionsstatus, bedeutende Begleiterkrankung sowie die medikamentöse Therapie [7].

Spezifische Infektionen

Bestimmte Wirkstoffe scheinen – aufgrund ihres spezifischen Eingriffs in das Immunsystem – das Risiko für bestimmte Infektionserkrankungen zu erhöhen. So ist unter Natalizumab (Tysabri®) die JC-Virus-Infektion und die damit einhergehende Progressive multifokale Leukenzephalo­pathie (PML) gefürchtet (strenges Monitoring erforderlich). Unter TNF-α-Blockade ist hingegen das Risiko für Tuberkulose erhöht, da TNF eine zentrale Rolle bei der Immunantwort auf Mycobacterium tuberculosis spielt. Hier ist beispielsweise vor einer Behandlung mit TNF-α-Blockern das Screening auf Tuberkulose mit dem Tuberkulintest vorgeschrieben. Für Patienten mit Multipler Sklerose wurde über eine erhöhte Inzidenz einer Gürtelrose (durch endogene Reaktivierung eines Varizella-Zoster-Virus) berichtet.

Gürtelrose bei MS

Eine Gürtelrose (Herpes zoster) trat unter einer Fingolimod-Therapie (Gilenya®) doppelt so häufig auf wie in der Kontrollgruppe (11 Fälle vs. 6 Fälle pro 1000 Patientenjahre). Schwere Verläufe sind nicht bekannt, und Postmarketing-Analysen zeigten keine Erhöhung der Inzidenz mit zunehmender Therapiedauer (cave: Underreporting wahrscheinlich). Ein weiterer Risikofaktor für eine VZV-Reaktivierung bei Patienten mit Multipler Sklerose ist die Cortison-Stoßtherapie. Hier sind nur begrenzte Daten vorhanden, es sollte jedoch über eine antivirale Prophylaxe nachgedacht werden, falls die Cortison-Stoßtherapie über die üblichen drei bis fünf Tage hinausgeht oder wiederholt erfolgt. Unter Alemtuzumab (Lemtrada®) wurden verschiedene Herpes-Infektionen beobachtet, daher ist eine antivirale Prophylaxe über fünf Wochen durchzuführen (2 × tgl. 200 mg Aciclovir p. o.). Natalizumab (Tysabri®) erhöhte die Häufigkeit von Herpes-Infek­tionen nur geringfügig, es traten aber tödlich verlaufene Herpes-Enzephalitiden und -Meningitiden auf.

Wann impfen?

Generell muss bei Patienten mit Multipler Sklerose die VZV-Immunität per Antikörpertest getestet werden, falls eine ärztlich nachgewiesene Windpockenerkrankung fehlt. Da die VZV-Impfung erst seit 2004 in Deutschland von der STIKO empfohlen wird (seit 1995 in den USA), werden vermutlich kaum MS-Patienten die Impfung als Kind erhalten haben. Falls die Patienten seronegativ sind, müssen sie eine VZV-Impfung (Lebendimpfstoff!) erhalten, und zwar mindestens sechs Wochen (Alemtuzumab, Lemtrada®) bzw. vier Wochen (Fingolimod, Gilenya®) vor dem Therapiebeginn mit dem jeweiligen Immunsuppressivum. Maßgeblich ist hier der zweite Impftermin, der vier Wochen nach dem ersten liegt. Falls der Patient eine hochdosierte Glucocorticoid-Therapie erhalten hat, darf er erst 30 Tage nach der letzten Cortisongabe geimpft werden (s. o.).

Die Patienten sollten über Symptome einer VZV-Infektion aufgeklärt werden und sich im Falle einer vermuteten Infektion sofort an ihren Arzt wenden. Je nach Schwere der Erkrankung und Grad der Immunsuppression wird eine intravenös verabreichte antivirale Therapie eingeleitet. Da Fingolimod eine Halbwertszeit von neun Tagen hat, ist eine Therapieunterbrechung bei unkompliziertem Herpes zoster nicht angezeigt; sie würde die Genesung vom Herpes zoster nicht beschleunigen. |

Literatur

[1] Barmer GEK Arzneimittelreport 2016 (Stand: 04.04.2017). www.barmer.de

[2] Goll GL et al. Biosimilar Infliximab (CT-P13) Is Not Inferior to Originator Infliximab: Results from a 52-Week Randomized Switch Trial in Norway [abstract]. Arthritis Rheumatol 2016;68(suppl 10)

[3] Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V in der redaktionellen Fassung vom 30.09.2016. www.gkv-spitzenverband.de

[4] Flussschema DeutschesApothekenPortal, Arbeitshilfe 43. www.deutschesapothekenportal.de (Stand: 04.04.2017)

[5] Robert Koch-Institut. Hinweise zu Impfungen für Patienten mit Immundefizienz. Epidemiologisches Bulletin, Sonderdruck 10.11.2005. www.rki.de

[6] Singh JA et al. Risk of serious infection in biological treatment of patients with rheumatoid arthritis: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2015;386:258-265

[7] RABBIT Risikoscore für Infektionen. www.biologika-register.de (Stand 06.04.2017)

Autorin

Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

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