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Phytoforschung

Migräne – ist dagegen ein Kraut gewachsen?

Das therapeutische Potenzial von Mutterkraut

Sucht man im Rahmen der rationalen Phytotherapie nach Arzneipflanzen mit dem wissenschaftlich belegten Indikationsgebiet „Kopfschmerz, Migräne(-prophylaxe)“, findet man nur Pfefferminzblätter und Mutterkraut [1]. Für das Mutterkraut gibt es eine Reihe von neuen Daten, die seine Anwendung zur Selbstmedikation durchaus empfehlenswert erscheinen lassen. | Von Matthias F. Melzig

Tanacetum parthenium (L.) Schultz Bip. (Asteraceae) ist eine traditionelle Arzneipflanze, die seit dem Altertum bei Fieber und Kopfschmerzen ein­gesetzt wurde und unter der Bezeichnung „febrefugiam“ schon im 9. Jahrhundert auf der Anbauliste der königlichen Landgüter stand („Capitulare de villis“ Karls des Großen). Mutterkraut oder Tanaceti parthenii herba ist mit einer Monografie in der aktuellen Ph. Eur. 8 vertreten und auf einen Gehalt von mindestens 0,2% Parthenolid standardisiert. Als weitere Inhaltsstoffe findet man ätherisches Öl, verschiedene Flavonoide und phenolische Verbindungen [2]. Unter den vielen Anwendungsgebieten ragt der Einsatz der Droge bei entzündlichen Erkrankungen sowie besonders bei Kopfschmerzen und Migräne hervor [3].

Migräneprophylaxe

Da gerade bei regelmäßig auftretenden Migräneattacken eine Prophylaxe von den Betroffenen gewünscht wird und dabei auch immer wieder phytotherapeutische Präparate angefragt werden, steht Mutterkraut im Mittelpunkt dieses Beitrags.

Bereits 2009 wurde in einer vergleichenden Übersicht zur Wirksamkeit chemischer, pflanzlicher und diätetischer Migräneprophylaktika darauf hingewiesen, dass Extrakte aus Mutterkraut in ihrer klinischen Wirksamkeit mit Propranolol und Topiramat vergleichbar sind und dass bei pflanzlichen Zubereitungen allerdings nur eine geringe Responderrate von ca. 30% beobachtet wurde [4].

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Das Mutterkraut ähnelt mit seinen weiß-gelben Korbblüten der Kamille.

Cochrane-Review

Zur Indikation „Migräneprophylaxe“ erschien 2015 erneut ein Cochrane-­Review, der als Update einer bereits 2004 publizierten Metaanalyse alle klinischen Daten bis Januar 2015 einschloss. Dies waren insgesamt sechs klinische Studien mit 651 Patienten, die die Cochrane-Kriterien erfüllten und damit in die Analyse einbezogen wurden. Dabei zeigte die zuletzt publizierte Untersuchung mit 218 Patienten, dass die Gabe eines standardisierten Mutterkraut-Extraktes die Anzahl der Migräneattacken pro Monat signifikant senken konnte. Die Wirksamkeit war mit keinerlei ernsthaften Nebenwirkungen behaftet, und Sicherheitsbedenken wurden nicht geäußert. Da der Effekt aber als schwach eingeschätzt wurde, sollten weitere Studien zur besseren Absicherung der Ergebnisse folgen [5].

Eine weitere kleine klinische Studie zur Kombination „Mutterkraut und Akupunktur“ mit ausschließlich Frauen, die unter chronischer Migräne litten, wurde bereits 2012 von italienischen Ärzten publiziert. Die Studienteilnehmerinnen nahmen 150 mg Drogenpulver in Gelatinekapseln verpackt über zehn aufeinander folgende Wochen ein. Dabei war die Kombinationstherapie den Einzelbehandlungen (nur Mutterkraut bzw. nur Akupunktur) überlegen, aber auch die Wirksamkeit von Mutterkrautpulver ohne Akupunktur konnte nachgewiesen werden. Zur Interpretation ihrer Ergebnisse verwiesen die Autoren auf eine 5-HT-Rezeptorblockade – v. a. bei den Subtypen 5-HT2A und 5-HT2C – als wichtigen pharmakologischen Aspekt zur Wirkung der Droge [6].

Wirkstoffe: Parthenolid und andere Sesquiterpene

Fasst man die publizierten pharmakologischen Daten zusammen, so werden die Sesquiterpene mit der Haupt­komponente Parthenolid als aktive Inhaltsstoffe für die nachgewiesene Wirksamkeit von Mutterkraut bei Migräne verantwortlich gemacht.

Entzündliche Prozesse sind eng mit der Entstehung und Progression von Migräne und anderen neurologischen Erkrankungen verbunden [7]. Indem Parthenolid die Synthese von proinflammatorischen Mediatoren wie Leukotrienen, Prostaglandinen und Interleukinen hemmt, greift es auch in neurogene Ent­zündungsprozesse ein [8].

In diesem Zusammenhang sind Untersuchungen an Mäusen zur entzündungshemmenden Wirkung von Parthenolid bei induzierter Auto­immun-Enzephalitis zu sehen. Sie ergaben, dass es die Produktion von IL‑17, TNF-α und IFN-γ hemmte und somit insgesamt die Neuro­inflammation stark reduzierte [9]. Die klinische Wirksamkeit von Mutterkraut kann daher mit der pharmakologischen Wirkung des Sesquiterpens Parthenolid (Hemmung proinflammatorischer Prozesse) schlüssig erklärt werden.

Eine weitere pharmakologische Sichtweise auf das Mutterkraut und seine Inhaltsstoffe vermittelt eine kürzlich publizierte Arbeit aus der Klinik für Neurologie am Univer­sitätsklinikum Düsseldorf. Obwohl bisher nur im Tierexperiment untersucht, ist Parthenolid in der ­Lage, neuropathisch geschädigte ­Ischiasnerven in gewissem Umfang wieder zu regenerieren [10]. Da auch bestimmte Neuropathien mit Entzündungsprozessen verbunden sind, passen diese Ergebnisse zum Wirkungsspektrum von Parthenolid.

Keine Fertigarzneimittel

Trotz all der Daten zur Wirkung und Wirksamkeit gibt es gegenwärtig in Deutschland keine zugelas­senen Phytotherapeutika auf der Basis von Mutterkraut; lediglich homöopathische Produkte (ohne Angabe einer Indikation) sind registriert. Für eine Tee-Kur zur Migräneprophylaxe werden mehrmals pro Tag eine Tasse Mutterkrauttee über einige Monate empfohlen [11]. Außerdem gib es eine Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln mit Mutterkrautpulvern in Kombination mit Magnesium oder Vitaminen. Die ESCOP-Monografie Tanaceti parthenii herba gibt für die Indikation „Migräneprophylaxe“ als Dosierung 50 bis 120 mg Drogenpulver oder entsprechende Zubereitungen an und warnt vor der Anwendung während der Schwangerschaft oder Stillzeit. Außerdem wird in seltenen Fällen auf aller­gische Reaktionen nach der Einnahme hingewiesen [12].

Fazit

Unter Berücksichtigung publizierter Daten und des Erfahrungswissens zur Anwendung von Mutterkraut kann in der Apotheke eine Empfehlung im Rahmen der Selbstmedikation zur Migräneprophylaxe gegeben werden, allerdings scheint nur eine kleine Patientengruppe davon zu profitieren, wenn man die o. g. Responderrate von ca. 30% aus den klinischen Studien zugrunde legt. Die publizierten Studien dauerten mindestens zehn Wochen; so lange sollte also auch die Droge unter Beachtung der ESCOP-Dosierungsempfehlung angewendet werden. Wenn ein Erfolg eingetreten ist, empfiehlt sich nach einer Pause eine Fortsetzung der intermittierenden Behandlung. |

Literatur

 [1] Blaschek W (Hrsg). Wichtl – Teedrogen und Phytopharmaka. 6. Auflage, WVG, Stuttgart 2016:742

 [2] Blaschek W (Hrsg). Wichtl – Teedrogen und Phytopharmaka. 6. Auflage, WVG, Stuttgart 2016:634-636

 [3] Pareek A et al. Feverfew (Tanacetum parthenium L.): A systematic review. Pharmacogn Rev 2011;5:103-110

 [4] Diener HC, Danesch U. Wirksamkeit ­chemischer, pflanzlicher und diätetischer Migräneprophylaktika. MMW-Fortschr Med 2009;151:13-23

 [5] Wider B et al. Feverfew for preventing ­migraine. Cochrane Database Syst Rev 2015;4:CD002286

 [6] Ferro EC et al. The combined effect of acu­puncture and Tanacetum parthenium on quality of life in women with headache: randomized study. Acupunct Med 2012;30:252-257

 [7] Lenart N et al. Inflammasomes link vascular disease with neuroinflammation and brain disorders. J Cereb Blood Flow Metab 2016;36:1668-1685

 [8] Wang M, Li Q. Parthenolide could become a promising and stable drug with anti-­inflammatory effects. Nat Prod Res 2015;29:1092-1101

 [9] de Carvalho LS et al. Parthenolide ­modulates immune response in cells from C57BL/6 mice induced with experimental autoimmune encephalomyelitis. Planta Med 2017 (im Druck)

[10] Gobrecht P et al. Promotion of functional nerve regeneration by inhibition of microtubule detyrosination. J Neurosci 2016;36:3890-3902

[11] Huber R. Mind-Maps® Phytotherapie. ­Hippokrates Verlag, Stuttgart 2009: 18

[12] ESCOP Monographs. 2. Auflage, Thieme, Stuttgart 2003: 492-498

Autor

Prof. Dr. Matthias F. Melzig,

Professor für Pharmazeutische Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin von 1996 bis 2002, seitdem an der Freien Universität Berlin.

Institut für Pharmazie, Königin-Luise-Str. 2+4, 14195 Berlin autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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