Prisma

Monosomie 7 und Leukämie

Wie der Körper sich bei Gendefekten hilft, aber auch schadet

cae | Zu den sehr seltenen Krankheiten zählt das Mirage-Syndrom. Die Krankheit ist nicht heilbar, aber wenn die Patienten eine Monosomie 7 entwickeln, steigen ihre Überlebenschancen. Zwei solche Patienten sind jedoch zusätzlich an der akuten myeloischen Leukämie erkrankt. Demnach könnten Gendefekte auf dem Chromosom 7 für die Kanzerogenese von Bedeutung sein.

Das Team um die Endokrinologin Annette Grüters-Kieslich von der Charité Berlin erforscht mit Partnern in Freiburg und England das Mirage-Syndrom, von dem weltweit nur sehr wenige Kinder betroffen sind. Sie leiden an einem Defekt des Gens SAMD9,das ein die SAM-Domäne enthaltendes Protein codiert (SAM = sterile alpha motif). Aufgrund des Gendefektes sind die Kinder bei der Geburt unterentwickelt und wachsen auch danach nur sehr langsam. Ihnen fehlen die Geschlechtsorgane und Nebennieren; das Gehirn, der Gastrointestinaltrakt, das Knochenmark und das Immunsystem weisen Fehlfunktionen auf. Die Kinder sterben meistens in jungen Jahren an einer Infektionskrankheit (v. a. Lungenentzündung).

Bei der Untersuchung von acht relativ alten Kindern mit Mirage-Syndrom entdeckten die Wissenschaftler genetische Veränderungen, die „de novo“, also erst nach der Geburt der Kinder, aufgetreten waren und die Wirkung des Gendefektes abschwächten. Die Mutationen waren heterozygot, traten also jeweils nur an einem Allel auf und ergänzten sich in ihren Effekten. So wurde das mutierte SAMD9-Gen in dem einen Chromosom so verändert, dass das entsprechende Protein einige seiner Funktionen wiedererlangte, während ein Abschnitt des anderen Chromosoms (7q) mit dem SAMD9-Gen abgestoßen wurde. Oder es ent­wickelte sich im Knochenmark allmählich eine Monosomie 7, was den gleichen Effekt hatte, denn mit dem ganzen Chromomsom 7 bzw. dessen Abschnitt 7q fiel auch das eine SAMD9-Allel fort, sodass die Knochenmarkszellen keine „falschen“ Proteine mehr synthetisieren konnten. Die Autoren heben besonders hervor, dass die genetischen Mutationen gewebe­spezifisch erfolgten, indem sie z. B. auf das Knochenmark beschränkt waren.

Zwei der acht Kinder mit Monosomie 7 oder 7q-Verlust litten unter einem myelodysplastischen Syndrom, einer Entwicklungsstörung der Knochenmarksstammzellen, die zu einem Mangel an funktionsfähigen Blutzellen und schließlich zur akuten myeloischen Leukämie führt. Die Autoren vermuten einen direkten Zusammenhang mit dem heterozygoten Verlust von ­Genen, die als Tumorsuppressorgene fungieren. Hier ließen sich also mög­licherweise neue Erkenntnisse zu Faktoren der Kanzerogenese gewinnen. |

Quelle

Buonocore F, et al. Somatic mutations and progressive monosomy modify SAMD9-related phenotypes in humans. J Clin Invest; Epub 27.3.2017

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