Interpharm – Festvortrag

Lügen macht schlau

Was wir von unseren tierischen Vorfahren lernen können

cb | Prof. Dr. Volker Sommer, Anthropologe am University College London, hat viele Jahre lang in Asien und Afrika das Verhalten von Affen und Menschenaffen erforscht. In seinem Festvortrag erläuterte er die Hypothese, dass Täuschen und Tricksen bei Affen zur Entwicklung des Denkens beigetragen und vermutlich auch die Intelligenzentwicklung des Menschen vorangetrieben hat.
Foto: DAZ/Alex Schelbert
Prof. Dr. Volker Sommer

In den Märchen der Gebrüder Grimm können Tiere denken, sprechen und Handlungen planen wie Menschen. Und dabei auch lügen, wie der „böse Wolf“ im „Rotkäppchen“ oder bei den „Sieben Geißlein“. Beobachtungen bei Affen haben gezeigt, dass Tiere tatsächlich in der Lage sind „Tricks“ ­anzuwenden, um ihre Artgenossen zu überlisten und sich Vorteile zu verschaffen, beispielsweise bei der Nahrungssuche oder Partnerwahl. So täuschten beispielsweise Affen den Angriff eines Gegners vor, um Hordenmitglieder in die Flucht zu schlagen und dann selbst ungehindert an begehrte Früchte zu gelangen. Derartige Strategien scheinen geradezu notwendig zu sein, da eine Sozialgemeinschaft neben vielen Vorteilen auch Nachteile bietet wie beispiels­weise die Konkurrenz um Nahrungsmittel oder Geschlechtspartner. Diesen Beobachtungen zufolge gibt es also nicht nur eine soziale Kompetenz, ­sondern auch eine negative Form, die „asoziale Kompetenz“ – die Fähigkeit andere zum eigenen Vorteil zu manipulieren.

Wenn ein Affe einen Artgenossen täuschen möchte, funktioniert das nur, wenn er sich in dessen Gedanken hineinversetzen kann. Das wiederum erfordert ein Selbstbild. In sogenannten Spiegelexperimenten konnte beispielsweise bei Schimpansen und Gorillas ein solches nachgewiesen werden. Sie erschraken nicht, wenn sie sich selbst im Spiegel erblickten, denn sie wussten: das bin ich. Lügen und Täuschen erfordern recht große intellektuelle Anstrengungen. Denn es genügt nicht, geeignete Tricks parat zu haben, man muss auch die Absichten der anderen durchschauen können, wenn sie dasselbe vorhaben. Nach Ansicht von Sommer hat daher die Lüge die Hirnentwicklung vorangetrieben, ist also ein „Wetzstein der Intelligenz“. Tatsächlich fand man in Studien mit Menschenaffen eine positive Korrelation zwischen dem Anteil des Neocortex (dem für das Denken verantwortlichen Teil der Großhirnrinde bei Säugetieren) und dem Vermögen, andere zu täuschen.

„Wer daran glaubt, dass er ein guter Mensch ist, wirkt vertrauenswürdiger als jemand der weiß, dass er so tun muss, als ob er ein lieber und helfender Mensch sei.“

Prof. Dr. Volker Sommer

Selbstbetrug als Strategie

Wenn man vorhat, Artgenossen hinters Licht zu führen um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, verrät man sich manchmal durch sogenannte Lügensignale wie Händezittern, ein Flattern in der Stimme oder Erröten. Daher scheint es nach Sommer für die „perfekte Täuschung“ sinnvoll zu sein, sich außerdem selbst zu betrügen, im Sinne von „Ich bin vertrauenswürdiger wenn ich glaube, dass ich lieb bin“. Dafür ist jedoch keine allzu große ­Anstrengung notwendig; denn Forschungen haben gezeigt, dass der Mensch nur in geringem Ausmaß Zugriff auf seine Motivationen hat, vieles also unbewusst abläuft. Auf diese Weise entsteht eine Spirale von Lügen und Gegenmaßnahmen bei der derjenige im Vorteil ist, der nicht nur gut täuschen kann, sondern auch ein perfekter Gedankenleser und „Lügendetektor“ ist. Das Lügen scheint also ein wichtiger Bestandteil der intellektuellen Fähigkeiten von Primaten zu sein, aber nicht nur im negativen Sinne. Denn wer sich gut in Artgenossen hineinversetzen kann, ist nicht nur in der Lage, sie zu verstehen (Empathie), sondern kann auch Mitleid (Sympathie) empfinden und daraus die Motivation entwickeln, andere zu unterstützen. |

Foto: DAZ/Alex Schelbert

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