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Wirtschaft
Das große Sparen
Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern
Eigentlich beginnt die Geschichte der Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern schon vier Jahre vor dem 1. April 2007: Bereits 2003 wollte die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) das damals ausgeprägte Defizit der Krankenkassen in den Griff bekommen, ehe sie zu einer größeren Reform ansetzte. (2004 kam das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) dazu, und mit ihm das Fixhonorar, der Versandhandel, der eingeschränkte Mehrbesitz und der Ausschluss rezeptfreier Arzneimittel aus der GKV-Erstattung, um nur die für Apotheker wichtigsten Maßnahmen zu nennen).
Anfangs ein „zahnloser Tiger“
Der damals neu eingefügte § 130a SGB V bestimmt, welche verschiedenen Arten von Rabatten die pharmazeutischen Hersteller den Kassen gewähren können bzw. müssen. Absatz 8 dieses Paragrafen sah damals wie heute vor, dass Krankenkassen und pharmazeutische Hersteller Rabatte für Arzneimittel vereinbaren können.
Allerdings fehlte dem Gesetz damals noch der entscheidende Kick – eine Bestimmung, die dafür sorgte, dass solche rabattierten Arzneimittel auch bevorzugt verordnet beziehungsweise abgegeben werden. Das heißt: Die Hersteller konnten den Kassen zwar einen vertraglich vereinbarten Rabatt gewähren, wussten aber nicht, wie das Geschäft am Ende für sie ausgeht; insbesondere gab es keine Garantie für eine Mehrabnahme.
Kleines Rabattvertrags-Glossar
Aut idem-Kreuz: Ursprünglich auf den GKV-Verordnungsblättern („rosa Rezept“) eingeführt, damit der Arzt die Aut-idem-Substitution durch den Apotheker explizit zulassen kann. Seit 2007 bedeutet ein Kreuz im Aut-idem-Feld aber kein Ankreuzen mehr, sondern ein Ausstreichen: Setzt der Verordner das Kreuz, schließt er einen Austausch aus.
Friedensfrist: Zeitraum zu Beginn eines neuen Rabattvertrags, in dem die Krankenkasse auf Retaxationen verzichtet, wenn die Apotheke nicht den Rabattartikel abgibt. Soll Herstellern und Apotheken Zeit geben, sich auf den neuen Vertrag einzustellen.
Los: Die Rabattverträge der Krankenkassen sind in Lose eingeteilt: So werden mehrere Wirkstoffe in einem Los zusammengefasst, manche Wirkstoffe werden auch in Gebietslose unterteilt, also regional unterschiedlich ausgeschrieben.
Mehrkostenregelung: Seit 1. Januar 2010 darf die Apotheke dem Patienten sein „Wunscharzneimittel“ abgeben, auch wenn es einen Rabattvertrag gibt. Allerdings muss der Versicherte das Arzneimittel dann selbst bezahlen und bei der Kasse einreichen. Diese erstattet ihrem Versicherten aber nur den Betrag, den sie ansonsten auch bezahlt hätte – also ohne Kassenabschlag, Herstellerabschlag und vor allem ohne den vertraglich vereinbarten Rabatt. Der Patient hat also mehr Aufwand und bleibt auf einem Teil seiner Kosten sitzen – wenig verwunderlich also, dass die Regelung nur selten in Anspruch genommen wird.
Open-house-Vertrag: Bestimmte Form eines (Rabatt-)Vertrags, dem jeder Hersteller zu den im Vertrag festgelegten Bedingungen beitreten kann.
Portfolio-Vertrag: Rabattvertrag über das gesamte Sortiment (Portfolio) eines Herstellers. Nach der Klarstellung im GKV-OrgWG 2009, dass die Rabattverträge dem Vergaberecht unterliegen, nicht mehr rechtmäßig.
Sonder-PZN: Gibt eine Apotheke nicht das Rabatt-Arzneimittel ab, muss auf die Verordnung die Sonder-PZN 02567024 aufgedruckt werden. Dazu kommt noch eine Sonder-Ziffer, die ins „Faktor“-Feld des Rezepts gedruckt wird: 2 = Rabattartikel nicht lieferbar, 4 = Rabattartikel und preisgünstiger Import nicht lieferbar, 5 = Akutversorgung/Notdienst, 6 = pharmazeutische Bedenken, 7 = Wunscharzneimittel abgegeben (s. Mehrkostenregelung)
Tender: (engl. Ausschreibung) Bei den Arzneimittel-Tenderverträgen erhält ausschließlich der Hersteller den Zuschlag und damit den Versorgungsauftrag, der den höchsten Rabatt bietet.
Tranche: (franz.: Scheibe) Mit Tranchen werden die aufeinanderfolgenden Teile einer Lieferung, eines Kredits oder einer Ausschreibung bezeichnet. Bei der AOK tritt beispielsweise zum 1. Juni 2017 die 18. Tranche der Rabattverträge in Kraft.
Entsprechend verhalten entwickelte sich das Instrument anfangs. Und auch wenn die AOK Baden-Württemberg mit ihrem heutigen Chef Christopher Hermann als die Vorreiterin der Rabattverträge schlechthin gilt, wagte keine AOK, sondern eine Ersatzkasse die ersten Schritte in die neue Vertragswelt. 2005 schloss die Barmer die ersten Verträge mit verschiedenen Generikaherstellern. Apotheken und Ärzte, die am damaligen Barmer-Hausarzt-/Hausapothekenvertrag teilnahmen, sollten an den Einsparungen beteiligt werden. Weder der Hausapothekenvertrag noch diese Art der Rabattverträge hatten jedoch eine Zukunft. Den Hausapothekenvertrag – angetreten als Vertrag zur Integrierten Versorgung – erklärte das Bundessozialgericht im Jahr 2008 für unzulässig, da er die erforderlichen Kriterien nicht erfüllte.
Weiterentwicklung durch das AVWG
2006 kam mit dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) eine gewisse Weiterentwicklung der Rabattverträge. Unter anderem wurden Naturalrabatte von Herstellern an Apotheken verboten und Barrabatte eingeschränkt. Statt der Apotheken sollte die Versichertengemeinschaft von solchen Nachlässen der Industrie profitieren. Ebenfalls mit dem AVWG eingeführt wurde die Regelung, dass auch andere Leistungserbringer oder Dritte in die Vertragsverhandlungen über Rabattverträge einbezogen werden können. Zudem sollten Patienten von der Zuzahlung befreit werden können, wenn sie ein Arzneimittel erhalten, dessen Preis mindestens 30 Prozent unter Festbetrag liegt. Hersteller wurden damit zu weiteren Zugeständnissen gedrängt.
„Eines Tages hatte ich die Polizei in der Apotheke wegen der Rabattverträge! Mich besuchte ein Patient, ich musste sein Metoprolol aufgrund eines Rabattvertrages umstellen. Der Mann hatte keinerlei Verständnis dafür, verließ die Apotheke und kam später mit zwei Polizisten wieder. Ich musste dann erst einmal Aufklärungsarbeit leisten.“
Die ersten Verträge der AOK-Gemeinschaft
Im Herbst 2006 legten dann die AOKen los: Gemeinsam schrieben sie die Arzneimittel-Hersteller an und baten sie, für 89 Wirkstoffe Angebote für Rabattverträge abzugeben. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) schaltete prompt das Bundeskartellamt ein, da er einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der AOKen sah. Die Beschwerde blieb allerdings erfolglos. Im Februar 2007 gab AOK-Chefverhandler Hermann bekannt, dass die damals noch 16 AOKen mit elf verschiedenen Herstellern für insgesamt 43 Wirkstoffe und Kombinationen Rabatte bis zu 37 Prozent unter dem derzeitigen Apothekenverkaufspreis vereinbart haben. Die großen der Generika-Branche wie Ratiopharm, Stada und Hexal waren nicht dabei, weshalb sofort die Sorge aufkam: Werden die Präparate der kleineren Hersteller alle verfügbar sein?
„Der Kostendruck, der in Deutschland vor allem durch Rabattverträge befeuert wird, zieht sich über die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zum Wirkstoffhersteller. Dies geht so weit, dass bestimmte Wirkstoffe Deutschland nicht mehr erreichen, weil Wirkstoffhersteller angesichts weltweiter (Ressourcen-)Knappheit andere Länder bevorzugt beliefern.“
„Scharfstellung“ durch das GKV-WSG
Wirklich ernst wurde es dann am 1. April 2007. An diesem Tag trat das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) in Kraft, mit dem die Rabattverträge „scharf gestellt“ wurden. Dies geschah über eine Änderung der Aut-idem-Regelung im § 129 SGB V: Hat der Arzt einen Wirkstoff verordnet oder die Ersetzung des verordneten Arzneimittels zumindest nicht ausdrücklich ausgeschlossen, so muss der Apotheker ein „preisgünstiges“ Arzneimittel abgeben – und das ist bei Bestehen eines Rabattvertrags eben dieses Rabatt-Arzneimittel. Das bedeutete für die Hersteller, dass sie im Gegenzug zu den gewährten Rabatten nun auch eine Mengengarantie bekamen. Vertragsärzten wurden ebenfalls Anreize zur Verordnung von Rabattarzneimitteln gesetzt – für sie wurden Wirtschaftlichkeitsprüfungen ausgeschlossen. Und Versicherte konnten unter Umständen auch entlastet werden, um ihnen die Rabattarzneimittel schmackhaft zu machen: Krankenkassen können ihnen die Zuzahlung ganz oder zur Hälfte erlassen, wenn dennoch Einsparungen zu erwarten sind (§ 31 Abs. 3 Satz 5 SGB V). Für die Kassen bedeuteten diese Änderungen im Laufe der Jahre beständig wachsende Ersparnisse im Arzneimittelbereich (s. „Goldgrube der Krankenkassen“ auf S. 23 dieser DAZ).
Der 1. April 2007 ist angesichts dieser neuen Vorgaben mit Fug und Recht als der eigentliche Geburtstag der Rabattverträge anzusehen. Jetzt ging es richtig los – sämtliche Kassen begannen, Verträge abzuschließen, und die Apotheken mussten sie umsetzen.
DAZ.online hat dem Jubiläum „10 Jahre Rabattverträge“ in der ersten Aprilwoche eine eigene Themenwoche gewidmet. Alle Artikel, Interviews, Analysen und Kommentare finden Sie unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de.
Zwar war mit dem GKV-WSG auch die Grundlage für ein alternatives Sparmodell geschaffen worden, das Rabattverträgen sogar vorgehen kann – das sogenannte Zielpreismodell. Danach verpflichtet sich die Apotheke, Generika so auszuwählen, dass der Preis einem zwischen Apothekerverband und Kasse verhandelten Zielpreis entspricht. Individuell können Apotheker jedoch von diesem abweichen. Die ABDA zog die Zielpreise den Rabattverträgen eindeutig vor. Letztlich setzten sie sich jedoch nicht durch – sowohl die Kassen als auch die Hersteller hielten nichts von diesem Weg.
„Die Austauschpflicht hat die Arbeit des Apothekers komplett geändert. Jetzt musste der Apotheker jedes Rezept erst einmal in den Computer eingeben, um zu sehen, welches Medikament er abgeben muss.“
Die Kassen merkten schnell, was für ein mächtiges Sparinstrument ihnen an die Hand gegeben worden war: Hersteller, die sich nicht auf Rabattverträge einlassen beziehungsweise nicht bezuschlagt werden, können nicht mehr auf große Marktanteile hoffen. Sie haben also die Wahl, den Kassen entweder erhebliche Rabatte einzuräumen oder für die Dauer der Vertragslaufzeit faktisch von der Versorgung bestimmter Versicherter ausgeschlossen zu sein.
Exklusiv-, Mehrpartner und Portfolio-Verträge
Während die AOKen auf exklusive Verträge mit nur einem Rabattpartner pro Wirkstoff setzten, schlossen andere Kassen Rabattverträge ab, in denen bis zu drei Hersteller einen Zuschlag erhalten. Die Ausschreibungen erfolgten zunächst nicht immer streng nach vergaberechtlichen Vorgaben. Eine weitere Variante waren die sogenannten Portfolioverträge, die ohne öffentliche Ausschreibung über ganze Sortimente eines Anbieters abgeschlossen wurden – hier kamen insbesondere die großen Hersteller mit einer breiten Angebotspalette zum Zug. Dies sahen insbesondere die kleineren Unternehmen gar nicht gerne. Überhaupt stritten Hersteller und Kassen lange darum, welche Auswirkungen die Rabattverträge auf die Anbietervielfalt haben und ob sie dem pharmazeutischen Mittelstand eine Chance lassen. Fakt ist: der Markt wurde gründlich durchgerüttelt. Die großen Unternehmen gibt es noch immer, einige kleinere nicht mehr. Dafür tauchten bis dato unbekannte Hersteller auf, die offenbar sehr günstig im Ausland produzieren (lassen) können.
„Leider gibt es Kleingeister, die wegen einer falschen Telefonnummer auf Null retaxieren. Da gibt es kleine Krankenkassen, die sich keine eigene Abrechnung leisten wollen oder können. Die beauftragen dann Drittunternehmen, die natürlich auch nach Ergebnis finanziert werden.“
Kein Wunder also, dass es gerade in den Anfangszeiten zu erbitterten Rechtsstreitigkeiten zwischen Herstellern und Kassen kam. Dabei war anfangs nicht einmal klar, welche Gerichte überhaupt zuständig sind und welches Recht anzuwenden ist: das vor Zivilgerichten verhandelte Vergaberecht oder Sozialrecht und Sozialgerichte. Nachdem die Europäische Kommission mit einer Vertragsverletzungsklage vor dem Europäischen Gerichtshof drohte, sorgte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen der GKV (GKV-OrgWG) ab 2009 für eine Klarstellung: Für die Rabattverträge der GKV gilt seitdem das materielle Vergaberecht. Ab einem gewissen Schwellenwert sind die Kassen damit verpflichtet, die Verträge europaweit auszuschreiben. Die vergaberechtliche Nachprüfung erfolgt vor den Vergabekammern. Für Streitigkeiten in den Rechtsbeziehungen der Kassen zu den Leistungserbringern sind dagegen die Landessozialgerichte zuständig. Die Kassen mussten daraufhin bestehende Portfolio-Verträge kündigen.
Die Probleme in den Apotheken
Während Kassen und Hersteller einerseits miteinander stritten und andererseits beständig weitere Verträge schlossen, mussten die Apotheken den Patienten die neue Arzneimittelwelt erklären. Wer eine regelmäßige Medikation bekam, war schließlich „seine“ Arzneimittel gewohnt. Doch plötzlich wurde in der Apotheke ausgetauscht: Der Versicherte bekam zwar ein wirkstoffgleiches Arzneimittel wie das verordnete, aber es war von einer anderen Firma, sah anders aus, hatte einen anderen Namen. Dass dies wirklich das Gleiche sein sollte, war nicht für jeden einsichtig und führte in den Apotheken zu mehr oder weniger langen und schwierigen Gesprächen. Von Anfang an machten die Apotheken eher zögerlichen Gebrauch von der Möglichkeit, mit „pharmazeutischen Bedenken“ den Austausch zu verhindern.
„Ich würde mir auch von den Apothekern wünschen, dass sie häufiger auf die pharmazeutischen Bedenken zurückgreifen. Sie sollen mit ihren Patienten sprechen, um wichtige Gründe für die Sonder-PZN herauszufinden.“
Gerade in der Anfangszeit war es für die Apotheker angesichts der Mehrarbeit besonders ärgerlich, dass sie nicht einmal wussten, welche Einsparungen die Rabattverträge überhaupt brachten. Das war und ist Geschäftsgeheimnis der Vertragspartner. Die Apotheken-Software lässt bis heute nicht erkennen, wie viel ein Rabatt-Arzneimittel wirklich kostet. Allerdings wurden die Datenbanken rasch aktualisiert, sodass Apotheker immerhin wussten, welches die rabattierten Arzneimittel sind.
Selbst der AOK-Chefverhandler Herrmann gibt im Rückblick zu, dass die Rabattverträge für die Apotheker „riesige Umstellungen“ bedeuteten: „Ihre komplette Lagerhaltung, die Kassenverträge, die Software – alles veränderte sich. Die Apotheker mussten ihren Patienten das neue System immer wieder erklären“, sagte Herrmann kürzlich gegenüber DAZ.online.
Musterstreit um Null-Retaxionen
Zur Besorgnis um die Therapietreue der Patienten, den vielen Erklärungen und der Intransparenz kam das Ärgernis der Null-Retaxationen. Apotheken, die trotz Bestehens eines Rabattvertrags ein Nicht-Rabatt-Arzneimittel abgegeben haben, bekommen dieses nicht bezahlt. Das kommt beispielsweise vor, wenn das rabattierte Präparat nicht verfügbar war, ein entsprechender Vermerk auf dem Rezept aber unterblieb. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) und die Techniker Krankenkasse schlossen Anfang 2009 eine Musterstreitvereinbarung, um zu klären, welche Vergütung die Apotheke in einem solchen Fall erhält. Im Juli 2003 fiel die Entscheidung vor dem Bundessozialgericht: Krankenkassen dürfen Apotheken auf Null retaxieren, die ohne weitere Angabe von Gründen und trotz bestehenden Rabattvertrages nicht das Rabattarzneimittel abgeben. Davon unberührt blieben Fälle, in denen der Arzt selber durch Ankreuzen des Aut-idem-Feldes einen Austausch ausgeschlossen hat oder die Apotheke begründete pharmazeutische Bedenken dokumentiert hat. Dennoch ist die Entscheidung für die Apotheken ein Schlag – schließlich haben sie die Versicherten ordnungsgemäß versorgt und sollen nicht einmal den Preis des Rabattarzneimittels dafür bekommen.
„Im Zyto-Bereich habe ich Ausschreibungen schon immer kritisch betrachtet. Und die Verträge im Impfstoffmarkt sind nicht wegen der Ausschreibungen fraglich geworden, sondern weil es zu einer weltweiten Verknappung von Produktionsstandorten und Firmen gekommen ist. Deswegen gilt für uns: Der wesentliche Markt ist der Generika-Markt, weil es sich um wesentlich identische Produkte handelt. Alles andere ist schwierig.“
Ein weiterer Streitfall ist der Austausch Original gegen Import: Wie ist vorzugehen, wenn der Arzt ein Importarzneimittel verordnet und das Aut-idem-Kreuz gesetzt hat, es zum Originalarzneimittel aber einen Rabattvertrag gibt? Eigentlich bestand – und besteht – die Meinung, dass Original und Import identische Arzneimittel sind – und eben nicht nur wirkstoffgleich wie Original und Generikum. Ein Rabattvertrag gehe daher dem Aut-idem-Kreuz vor, der Apotheker muss das rabattierte Original abgeben. Doch es gibt Gerichte, die dies anders sehen, wenngleich eine höchstrichterliche Entscheidung noch aussteht. Nach dem im vergangenen Jahr überarbeiteten Rahmenvertrag zwischen GKV-Spitzenverband und DAV sollte aber eigentlich klar sein: Rabattvertrag schlägt bei Import-Verordnungen das Aut-idem-Kreuz.
Der Metoprolol-Fall
Ein weiteres Ärgernis waren und sind immer wieder auftretende Lieferausfälle von Herstellern. Vielen Apothekern dürfte noch das Jahr 2011 in Erinnerung sein, als der AOK-Rabattartikel für Metoprololsuccinat von betapharm zum Start der Verträge noch gar nicht im Markt war – der Hersteller erklärte dies mit dem späten Zuschlag. Der Vertrag wurde später vorzeitig aufgelöst. Der Fall sorgte vor allem deswegen für Aufsehen, weil Apotheken das Rabatt-Präparat trotzdem abgerechnet hatten, woraufhin die AOK mit Strafen und Anzeigen wegen Abrechnungsbetrugs drohte.
„Wir stehen voll im Wettbewerb. Wenn wir etwas tun, das den Menschen nicht gefällt, können sie zu einer anderen Kasse wechseln.“
Aber auch abseits solch spektakulärer Fälle haben Apotheken bis heute immer wieder mit Lieferproblemen bei Rabattvertrags-Arzneimitteln zu tun. Nichtsdestotrotz setzen vor allem die AOKen weiterhin vornehmlich auf Einzelverträge mit Herstellern, auch wenn sie seit einiger Zeit für bestimmte Wirkstoffe schon auf das Mehrpartner-Modell umgestiegen sind. Kann ein Hersteller nicht liefern, drohen ihm Vertragsstrafen und Schadenersatzforderungen. Auch zu Vertragskündigungen wegen anhaltender Lieferengpässe ist es schon gekommen, so kündigte 2012 die AOK aus diesem Grund den Vertrag über Metformin mit der Firma Dexcel.
Verträge über Originale, Importe und Biologicals
Trotz aller Schwierigkeiten etablierten die Rabattverträge sich, Runde um Runde schrieben die Kassen aus. Die AOK-Gemeinschaft ist mittlerweile bei der 17. Tranche, bei der Techniker Krankenkasse ist zum 1. April 2017 die 14. Runde der Generika-Rabattverträge angelaufen. Dazu kommen mittlerweile viele weitere Arten von Rabattverträgen, beispielsweise über Originalpräparate und Importarzneimittel. Hier setzen die Kassen meist auf „Open-House-Verträge“, denen jedes Unternehmen zu gleichen Bedingungen beitreten kann. Auch biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und Biosimilars werden nunmehr auf diese Weise ausgeschrieben, wobei hier für den Austausch in der Apotheke besondere Regeln gelten. Selbst Ausschreibungen, die sich nicht auf einen bestimmten Wirkstoff, sondern auf eine Arzneimittelgruppe beziehen, gibt es mittlerweile. Ein Beispiel sind die AOK-Verträge über TNF-alpha-Inhibitoren.
Auch in der Gesetzgebung entwickelten sich die Verträge weiter, es gab Feinjustierungen: Seit dem 1. Januar 2011 ist etwa geregelt, dass die Vertragslaufzeit zwei Jahre betragen soll, um den Beteiligten eine gewisse Planungssicherheit zu geben. Dabei sei der Vielfalt der Anbieter Rechnung zu tragen. Ebenfalls seit dem 1. Januar 2011 kann die Apotheke auf Patientenwunsch ein anderes Arzneimittel abgeben als das rabattierte. Dazu muss der Patient in der Apotheke allerdings den vollen Apothekenverkaufspreis des Arzneimittels bezahlen. Die Krankenkasse erstattet ihm dann die Kosten – jedoch nicht in voller Höhe. Die Mehrkosten trägt der Patient – eine Regelung, die im Versorgungsalltag allerdings kaum eine Rolle spielt.
Die Substitutionsausschlussliste ...
Patientenverbände, aber auch Apotheker und ihre Vertreter problematisierten immer wieder, dass es bei bestimmten Krankheiten bzw. Wirkstoffen aus therapeutischen Gründen absolut kontraproduktiv ist, wenn der Patient aufgrund der Rabattverträge wechselnde Arzneimittel einnimmt. Als Reaktion wurde im Dezember 2014 die Substitutionsausschlussliste eingeführt, die zunächst neun, seit August 2016 dann 17 Wirkstoffe/Wirkstoffkombinationen in bestimmten Darreichungsformen umfasst. Diese Substanzen dürfen in der Apotheke nicht ausgetauscht werden – selbst wenn ein Rabattvertrag besteht. Problematisch an der Regelung ist allerdings, dass der Apotheker diese Wirkstoffe gar nicht mehr austauschen darf, selbst pharmazeutische Bedenken kann er hier nicht geltend machen. Ist aus irgendeinem Grund ein anderes, wirkstoffgleiches Präparat verordnet als der Patient sonst bekommen hat, bleibt nur die Ausstellung eines neuen Rezepts.
… und weitere Änderungen
Das Rabattvertragssystem entwickelt sich immer weiter. Auch aktuell stehen Änderungen an, so reagiert der Gesetzgeber auf die anhaltenden Probleme bei der Lieferbarkeit von Arzneimitteln. Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, das dieser Tage in Kraft treten soll, sieht vor, dass neue Rabattpartner künftig eine sechsmonatige Vorbereitungszeit bekommen sollen. Damit sollen sie sich besser auf höhere Nachfrage vorbereiten und die Produktion anpassen können.
„Von den Rabattverträgen mit Austauschpflicht war eigentlich außer ein paar wenigen keiner so richtig begeistert … Auch im AOK-System wurde das Thema „Rabattverträge“ eher wie eine heiße Kartoffel behandelt.“
Fazit
Mittlerweile, das kann man nach zehn Jahren Rabattverträgen sagen, hat sich das Sparinstrument etabliert. Keiner fordert mehr ernsthaft ihre Abschaffung. Zu deutlich sind die Einsparungen, die nach wie vor Jahr für Jahr wachsen. Wie viel die Kassen bei einzelnen Produkten sparen ist zwar nach wie vor ein Geheimnis – doch seit 2008 weist das Bundesgesundheitsministerium in einer jährlichen Statistik die Einsparungen der GKV als Gesamtsumme sowie nach Kassenarten aufgeschlüsselt aus. Die meisten Patienten dürften sich an die Verträge gewöhnt haben, oft müssen sie auch nicht mehr wechseln, weil die Kassen darauf achten – gerade bei Mehrfachvergaben – auch „alte“ Vertragspartner zu behalten. Apotheker haben die Verträge sicherlich nicht lieb gewonnen, sich aber doch weitgehend mit ihnen abgefunden – jedenfalls soweit es keine Lieferprobleme gibt. |
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