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Beratung
Wenn Diabetes juckt
Hilfe bei chronischem Pruritus
Pruritus ist ein unangenehmes Hautjucken, das akut oder chronisch (länger als sechs Wochen) auftreten kann. Die Diagnostik ist komplex und erfordert eine gründliche Anamnese sowie laborchemische, eventuell auch apparative Untersuchungen für Differenzialdiagnosen (Tab. 1). Pruritus kann aber auch eine unerwünschte Arzneimittelwirkung sein, die durch eine einfache Medikationsanalyse erkannt werden kann.
Klassifikation
Das IFSI (International Forum for the Study of Itch) unterscheidet drei Gruppen des chronischen Pruritus:
- I: chronischer Pruritus auf primär veränderter Haut (bei Vorliegen einer Hauterkrankung).
- II: chronischer Pruritus auf primär unveränderter Haut (ohne initiales Vorliegen einer Hauterkrankung).
- III: chronischer Pruritus mitKratzläsionen, die keine Zuordnung in die erste oder zweite Gruppe ermöglichen.
Symptome: Wo juckt es?
Ein Pruritus bei Diabetes mellitus kann generalisiert oder lokal auftreten. Der lokale Juckreiz betrifft vor allem die Extremitäten, die Vulva, den Anus und die Kopfhaut. Die Haut ist primär unverändert (IFSI-Gruppe II). Im Laufe der Erkrankung kommt es oft zu Kratzläsionen, die zu Infektionen neigen können (IFSI-Gruppe III). Typisch sind dabei Kratz-Aussparungen am zentralen Rücken.
Hautveränderungen können bereits vor der Erstmanifestation eines Diabetes auftreten. Eine verringerte Glucosetoleranz und ein erhöhter Nüchternblutzuckerspiegel begünstigen einen sogenannten prämonitorischen Pruritus. Apotheken können Patienten mit dauerhaftem Hautjucken eine Messung des Blutzuckerspiegels anbieten, um diesen Verdacht zu klären.
Bei bis zu 70% der Diabetiker lassen sich Hautsymptome beobachten. Von ihnen leidet jeder Zweite an chronischem Pruritus. Aber auch jeder zweite bis vierte Patient mit chronischer Niereninsuffizienz (mit und ohne Dialyse) klagt über Hautjucken (Tab. 1).
Differenzialdiagnose |
Diagnostik |
---|---|
Diabetes mellitus |
Blutglucose nüchtern, HbA1c
Glucosetoleranztest
|
chronische Niereninsuffizienz |
Creatinin, Harnstoff, errechnete glomeruläre Filtrationsrate, Kalium, Parathormon, Phosphat, Calcium |
Ursachen: AGEs und Zytokine
Die genauen Ursachen der Entstehung von chronischem Pruritus bei Diabetes mellitus sind unklar. Als mögliche Gründe werden sowohl der Diabetes selbst als auch dessen Folgeerkrankungen Nephropathie und Neuropathie diskutiert (Tab. 2).
Diabetes (Grunderkrankung) |
Diabetische Nephropathie |
Diabetische Neuropathie |
---|---|---|
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In allen Gruppen spielt oxidativer Stress eine Rolle. Dieser beruht auf der übermäßigen Bildung freier Sauerstoffradikale, die beim Diabetiker vermehrt während der Glucoseoxidation und Glykierung entstehen.
Die irreversible Glykierung von Proteinen, Lipiden und Nucleinsäuren liefert Advanced Glycation Endproducts (AGEs), die an AGE-Rezeptoren (RAGE) auf Entzündungszellen binden. Die RAGE-Aktivierung induziert die Bildung verschiedener inflammatorischer Zytokine (NFκB, Interleukine 1 und 6, IGF-1, TNF-α). Es kommt zu Entzündungsreaktionen und einer zunehmenden Insulinresistenz. In den Nervenfasern können dadurch die Schwann-Zellen und die Myelinscheide nachhaltig geschädigt werden.
In der Niere bewirken AGEs u. a. eine Verdickung der glomerulären Basalmembran. Zudem beeinflussen sie wichtige Enzym- und Membransysteme sowie essenzielle Stoffwechselprozesse.
Aktivierung von Prurizeptoren
Der genaue Pathomechanismus des chronischen Pruritus ist noch nicht geklärt, doch spielen Prurizeptoren dabei eine Rolle. Bei ihnen handelt es sich um eine Variante von Nozizeptoren, d. h. um freie Nervenendigungen polymodaler C‑Fasern in der Epidermis. Sie sind mit drei verschiedenen Rezeptortypen ausgestattet:
- G-Protein-gekoppelte Rezeptoren,
- Cytokin-Rezeptoren und
- Toll-like-Rezeptoren (TLR).
Die Rezeptoren werden durch bestimmte Botenstoffe aktiviert (siehe Kasten „Neuropathischer Pruritus“). Dadurch setzen sie in den Nervenzellen eine Reaktionskaskade in Gang, die zur Öffnung bestimmter Kationenkanäle (TRP-Kanäle, von engl. transient receptor potential) und zur Auslösung eines Aktionspotenzials führt
Neuropathischer Pruritus
Folgende Botenstoffe wirken pruritogen, indem sie polymodale C -Nervenfasern in der Epidermis aktivieren.
- Histamin
- Substanz P
- Serotonin
- Interleukin 31
- Thrombozyten-aktivierender Faktor (PAF)
- Leukotrien B4
Therapie
Die S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus empfiehlt zur Therapie ein stufenweises symptomatisches Vorgehen [1]. Ziel ist die Beseitigung oder Linderung des Juckreizes sowie die Unterbrechung des Juck-Kratz-Zirkels. Das Ansprechen auf die Therapie ist individuell sehr unterschiedlich und kann nach einer Woche oder erst nach zwölf Wochen eintreten. Die Therapie der Grunderkrankung Diabetes mellitus ist dabei ebenso wichtig wie die Therapie des Pruritus.
Capsaicin – Mittel der 1. Wahl
Laut Leitlinie ist bei lokalem neuropathischem Pruritus Capsaicin das Mittel der ersten Wahl (Tab. 3). Capsaicin (Methylvanillyl-nonenamid) ist ein selektiver Agonist an TRPV1-Kanälen (V1 = Vanilloid 1), die für Na+, K+ und Ca2+ sowie Protonen permeabel sind. Nach spannungsabhängiger Aktivierung von TRPV1 setzen die Neuronen vasoaktive Neuropeptide frei, darunter den Neurotransmitter Substanz P. Eine Vasodilatation mit erhöhter Durchblutung und ein direkter Einfluss auf das Entzündungsgeschehen sind die Folgen.
Einstufung, Anwendung |
Therapie |
---|---|
1. Wahl, topisch |
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1. Wahl, systemisch |
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2. Wahl, systemisch |
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bei Kratzläsionen, topisch |
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Bei regelmäßiger Anwendung leert Capsaicin die Speicher der Neuropeptide und verhindert zeitweise deren Neusynthese. Außerdem setzt es die Empfindlichkeit der Prurizeptoren herab. Aufgrund seiner direkten Wirkung auf die polymodalen Nervenfasern eignet es sich sehr gut zur Behandlung von Pruritus (sofern dieser nicht durch Histamin induziert ist).
Die Behandlung beginnt mit einer 0,025%igen Capsaicin-Zubereitung. Bei guter Verträglichkeit steigert man in wenigen Tagen die Konzentration über 0,05% und 0,075% auf 0,1%.
Individuelle Rezepturen
Eine individuelle Therapie ist mit den im Handel befindlichen Fertigarzneimitteln nicht möglich; die Salben und Cremes enthalten 0,02 bis 0,05% Capsaicin und sind für die Therapie von Muskelverspannungen zugelassen.
Die Apotheke kann für Patienten mit chronischem Pruritus individuelle Rezepturen herstellen und dadurch zur Beschwerdelinderung und Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Im DAC/NRF 2015/1 sind folgende Rezepturen mit Capsaicinoiden (dieser Begriff umfasst auch Varianten des Capsaicins) aufgeführt:
- NRF 11.125. Hydrophile Capsaicinoid-Creme 0,025% / 0,05% / 0,1%,
- NRF 11.146. Lipophile Capsaicinoid-Creme 0,025% / 0,05% / 0,075% / 0,1% / 0,25%.
Vor der Abgabe einer Capsaicin-Creme muss der Patient über wichtige Punkte der Therapie informiert werden:
- Die Cremes werden vier- bis sechsmal täglich über mindestens sechs Wochen angewendet.
- Der antipruritische Effekt setzt nach ein bis sechs Wochen ein.
- Als Applikationshilfen sind Spatel und Handschuhe zu verwenden.
- Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind Hautrötung, Wärmegefühl, Brennen, Juckreiz, Schmerz an der Applikationsstelle sowie Husten- und Niesreiz.
- Zur Vermeidung lokaler Symptome kann der Patient vor Behandlungsbeginn ein Lokalanästhetikum auftragen.
- Bei Überempfindlichkeit, offenen Wunden, Ulzerationen und Fissuren sowie bei Kindern unter zwölf Jahren und schwangeren Frauen ist die Anwendung kontraindiziert.
Capsaicin wird nicht nur bei neuropathischem Pruritus, sondern auch zur Behandlung des nicht-Histamin-induzierten nephrogenen Pruritus eingesetzt. In einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie zeigte sich ein signifikanter Therapieerfolg für eine 0,3%-Creme.
Zusatztipps
Damit ein Pruritus nicht chronisch wird, können Diabetiker durch eine konsequente Hautpflege vorbeugen. Sie sollen Faktoren, die eine trockene Haut begünstigen, meiden. Hierzu zählen trockenes Klima, Hitze, Sonnenbaden, häufiges Waschen, Duschen und Baden. Zur Hautreinigung verwenden Diabetiker am besten milde, pH-neutrale Seifen. Ihre Haut sollten sie mindestens einmal täglich eincremen. Geeignet sind insbesondere W/O-Emulsionen, eventuell mit Harnstoff- und Glycerolzusatz. |
Quellen
[1] S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. AWMF-Reg.-Nr. 013/048, Version 3.0/2016, Stand 05/2016
[2] Misery L, Ständer S. Pruritus, 2nd edition. Springer, London 2016
[3] Ständer S et al. Klinisches Management bei Pruritus. J Dtsch Dermatol Ges 2015;13:101-116
[4] Doebis C. Advanced Glycation Endproducts (AGEs); www.imd-berlin.de > Fachinformationen
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